Protokoll der Sitzung vom 08.05.2013

Ich möchte mich nur auf einen Punkt beziehen. Hier ist immer wieder davon gesprochen worden, es solle keinen Systemwechsel geben usw. Es ist ganz klar, dass es keinen Systemwechsel durch eine Änderung von Artikel 87 der Sächsischen Verfassung bzw. beim kommunalen Finanzausgleich geben soll. Das haben wir immer wieder verdeutlicht.

Trotz allem wollen wir durch diese Verfassungsänderung eine neue Qualität der Finanzbeziehungen mit den Kommunen entstehen lassen. Wir haben intern davon gesprochen, dass ein Schutzschirm für die Kommunen gespannt werden soll. Das Prinzip, über das wir uns immer unterhalten haben, lautet: Wer bestellt, bezahlt.

So muss es auch in Zukunft sein; denn das schützt die Kommunen. Wenn der Freistaat selbst handelt und die Kommunen belastet, dann sollen diese dafür einen Ausgleich bekommen. Das wollte ich gern klargestellt haben, damit es auch festgehalten ist.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Herr Biesok? – Sie möchten nicht erwidern.

Meine Damen und Herren! Mir liegt noch eine Wortmeldung der Fraktion DIE LINKE vor. Herr Abg. Bartl, bitte; Sie haben das Wort.

(Stefan Brangs, SPD: Bitte Hochdeutsch! – Heiterkeit)

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! – Bei aller Wertschätzung, Kollege Brangs: Das Erzgebirgische werde ich jetzt auch nicht los.

(Heiterkeit und Beifall bei den LINKEN)

Irgendwann hat ein Mitglied der Arbeitsgruppe ausgerechnet, dass es 200 Stunden oder etwas mehr waren, die wir über die beabsichtigte Änderung der Verfassung verhandelt haben. Deren Bedeutung ist heute hinreichend gewürdigt worden; ich will das nicht noch einmal aufgreifen.

Ich sage deutlich: Ich bereue nicht, dass ich der Verhandlungsgruppe angehören durfte. Der Diskurs mit den Expertinnen und Experten, unter anderem aus dem Ausland, hat ungemein gebildet. Ich denke nur daran, dass wir im Rahmen des Workshops am 4. Juni 2012 immerhin den Vizedirektor der Eidgenössischen Finanzverwaltung der Schweiz zur Konsultation zur Verfügung hatten.

Ich will zudem unterstreichen: Es gab sicherlich auch Streitpotenzial und unterschiedliche Vorstellungen, mit denen wir in die Gespräche gegangen sind. Ein umfassender Komplex war Gegenstand der Erörterung über die Verfassungsänderung. Es gab aus der Sicht der Fraktionen jeweils einen Katalog von Vorstellungen und Wünschen, was alles berücksichtigt werden soll.

Aber unabhängig davon war es eine ausgesprochen sachliche, kollegiale, kulturvolle und niveauvolle Debatte. Daraus ist zu lernen: Es ist also möglich, sich auch heute, im Jahr 2013, und in Zukunft in einem Parlament über Parteigrenzen hinweg vernünftig demokratisch zu streiten. Das ist für mich ein Wert.

(Beifall bei den LINKEN, der FDP und des Abg. Prof. Dr. Martin Gillo, CDU)

Dass sich Kollege Michel und später die Kollegen Schiemann und Panter in Einzelheiten der Regelungen ergangen haben, hat nichts damit zu tun, dass wir als diejenigen, die in der Arbeitsgruppe mitgewirkt haben bzw. dieses spezielle Fachgebiet haben, unbedingt noch einmal reden wollten. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als darum, dass wir heute beginnen, an der sogenannten legislatorischen Auslegung zu zimmern. Auch wenn dieser Text, wie es vorgesehen ist, in der Verfassung steht, wird es nichtsdestotrotz – das sage ich voraus; ich werde recht bekommen – Streitigkeiten geben, und zwar auch

solche, die vor dem Verfassungsgericht ausgetragen werden. Dann werden sich die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter – des Bundesverfassungsgerichts oder des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes – neben der Gesetzesbegründung auch die Dokumente der Debatten kommen lassen. Wenn sie diese lesen, erkennen sie, worüber wir uns einig waren und was im Streit stand. Erst dann können sie die Norm auslegen.

(Beifall der Abg. Eva Jähnigen, GRÜNE)

Genau um diese Frage geht es von heute an, und genau darum müssen wir im Weiteren in den Ausschüssen und in der 2. Lesung ergebnisoffen streiten können. Mindestens das muss Konsens sein, wenn wir schon – die Botschaft habe ich sehr wohl verstanden – nicht in den Regelungstext selbst noch einmal eingreifen wollen.

Insofern haben wir momentan ein Problem. Wir meinen, dass der Regelungstext, den Rico Gebhardt am 1. Februar im „Chiaveri“ in würdevoller Umgebung und unter beachtenswerter medialer Begleitung mitunterzeichnet hat, in der Färbung der Begründung eine gewisse Veränderung erfahren hat. Wenn man sich das Vorblatt des Entwurfs oder die Begründung zum neuen Artikel 94 Abs. 2 hernimmt, stellt man fest, dass das Kriterium des „sozialen Ausgleichs“ nur insoweit in die Finanzstrukturgrundsätze aufgenommen wird, als dieser Aspekt „erwähnt“ wird. Im Vorblatt heißt es wörtlich: „Es wird unter Anlehnung an Artikel 1 SächsVerf erwähnt, dass bei Aufstellung und Ausführung des Haushaltsplanes auch dem Aspekt des sozialen Ausgleichs Rechnung zu tragen ist (Änderung Artikel 94 Abs. 2 SächsVerf neu).“

Dieses „erwähnt“ macht uns etwas misstrauisch. Um es landläufig zu sagen: Das ist uns zu untersetzt. Wir wollen klipp und klar – mindestens das muss in den Protokollen der Fachausschüsse und des federführenden Ausschusses erscheinen –, dass in Zukunft neben Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht der soziale Ausgleich gleichberechtigtes Kriterium ist, wenn wir in der Haushaltsdebatte über die Verteilung der Finanzmasse entscheiden. Ich betone: Der soziale Ausgleich muss ein gleichberechtigtes Kriterium sein. Die bloße „Erwähnung“ unter Anlehnung an Artikel 1 reicht nicht aus. Hinzu kommt, dass in Artikel 7 der Verfassung die soziale Sicherung als Staatsziel normiert ist.

Nun können Sie uns gern entgegenhalten – das ist schon verschiedentlich angeklungen –, dass das nicht ausführlicher im Gesetzentwurf stehe, sei unser selbstverschuldetes Leid, weil die Fraktion DIE LINKE aus den bekannten Zusammenhängen heraus an der Abfassung des Gesetzentwurfs nicht beteiligt war. Das hängt übrigens nicht damit zusammen, dass wir irgendeiner Orientierung aus Berlin zu folgen hatten. Es geht vielmehr darum, Kollege Biesok, dass der Streit über die Frage, inwieweit ein Neuverschuldungsverbot in die Verfassung hineinformuliert werden kann, ohne dass dies zu gravierenden Auswirkungen, zum Beispiel auf die Finanzierung sozialer Aufgaben, führt, ein Streit ist, den DIE LINKE – und zwar bundesweit – anders führt als die FDP.

(Beifall bei den LINKEN)

Das halte ich übrigens für eine Normalität.

Ich will es noch einmal sagen: Es geht uns nicht um mehr Text oder um die Vorstellung, wir könnten den Disput noch einmal aufbrechen und alle Regelungen, die wir gern aufgenommen hätten, tatsächlich unterbringen. In die Gesetzesbegründung können wir ohnehin nicht hinein. Wir wollen, dass in der weiteren Debatte über diesen Gesetzentwurf klargestellt wird, was die Regelung tatsächlich meint. Was meint zum Beispiel die neue Regelung in Artikel 85?

Damit bin ich bei einem Punkt, der uns nicht nur diskussionswürdig erscheint; es ist auch nötig, darüber zu diskutieren. Ich meine den Verweis auf die Urteile des Verfassungsgerichtshofes des Freistaates Sachsen vom 23. November 2000 und vom 14. August 2012, Letzteres zum Sächsischen Kulturraumgesetz. Genau dieses Urteil lag vor, als wir uns darüber verständigten, was der Artikel 85 in der Neufassung nicht meinen soll. Das war Ergebnis der Beratungen in der Arbeitsgruppe, Herr Michel. In dieser Entscheidung heißt es, dass bei einer entsprechend überwiesenen Aufgabe nur die Prognosefinanzierung zu erbringen ist. Ich zitiere wörtlich aus dem Urteil: „Bei der solchermaßen erfolgenden Aufgabenübertragung hat der Gesetzgeber eine Prognose der hierdurch den betroffenen Selbstverwaltungsträgern entstehenden Kosten vorzunehmen … und diese Kosten zur Deckung bzw. zum Ausgleich zu bringen …“

Wir waren aber der Auffassung – das war Gegenstand des Kompromisses –, dass es nicht nur um die Prognosefinanzierung geht, sondern dass alle Kosten, die aus überwiesenen Aufgaben den Kommunen entstehen, auch nachhaltig zu finanzieren sind. Natürlich geht es nicht um eine Luxusausstattung der Kommunen, aber doch um alle Kosten, die entstehen – siehe den Streit um die Lernmittelfreiheit.

(Marko Schiemann, CDU: Das ist etwas anderes! – Zuruf des Abg. Jens Michel, CDU)

Darüber können wir hervorragend streiten. Dass exakt dieses Urteil aufgenommen wird in die Gesetzesbegründung, ist ein Punkt, der für uns Klärungsbedarf hat und den wir in den Ausschüssen als Klärungsbedarf aufrufen.

Insofern, meinen wir – das ist aus der Debatte hervorgegangen und wäre ein Bruch in der Kultur, ein Bruch in der Anlage, in dem Niveau dieser Debatte über die erste Änderung seit 1992 in der Verfassung –, muss es in der Expert(innen)-Anhörung und in den Behandlungen in den mitbehandelnden Ausschüssen und im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss darum gehen, diese Fragen noch auszustreiten, was gemeint ist; und je nachdem, wie das verläuft und wie sich das letzten Endes ergibt, steht dann logischerweise auch für jeden Abgeordneten dieses Hohen Hauses die Frage, wie er sich zu dem dann zurückkommenden Entwurf in der 2. Lesung in diesem Hohen Haus verhält.

Ich bedanke mich für die Möglichkeit, nicht nur in der Arbeitsgruppe, sondern auch heute hier in einer durchaus niveauvollen Art und Weise zu debattieren, wann und wie wir zum ersten Mal seit 1992 in die Verfassung hineingehen.

Danke schön.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Bartl. – Meine Damen und Herren, mir liegen aus den Reihen der Fraktionen keine weiteren Wortmeldungen vor. So viel Redezeit ist auch nicht übrig. Ich frage dennoch, wünscht noch jemand das Wort? – Ich sehe keine Meldung. Jetzt frage ich die Staatsregierung, wird das Wort gewünscht? – Ja, bitte, Herr Ministerpräsident Stanislaw Tillich, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Landtagspräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Ich als Ministerpräsident und die gesamte Staatsregierung begrüßen und unterstützen ausdrücklich die Gesetzesinitiative der vier einbringenden Fraktionen zur Änderung der Sächsischen Verfassung.

Wenn ich die Debatte Revue passieren lasse, dann darf ich sie mit folgenden Gedanken zusammenfassen: Sachsen wird ja gemeinhin als ein Land der Tradition und der Innovation beschrieben, und diese Debatte heute hat deutlich gemacht, dass Tradition und Innovation auch im Sächsischen Landtag ein und dieselbe Medaille sind.

Tradition ist in Sachsen seit 23 Jahren die solide Finanzpolitik; und Innovation ist für mich, dass wir heute eine erste Änderung der Sächsischen Verfassung nach einer sehr, sehr langen Zeit vornehmen und dass ich als Ministerpräsident bereits zu Beginn des parlamentarischen Verfahrens feststellen kann, dass sie schon bei Einbringung die erforderliche Mehrheit an Unterstützung erfährt.

Ja, viel mehr noch, meine Damen und Herren: Diese angestoßene Verfassungsänderung kommt aus der Mitte des Parlaments – gleichzeitig unterstützt durch vier Fraktionen, die die übergroße Mehrheit der Wählerinnen und Wähler im Freistaat Sachsen repräsentieren. Das war in der Vergangenheit recht selten, aber ich will es ausdrücklich noch einmal unterstreichen: Genau diesem Anliegen, das wir heute hier gemeinsam debattieren, tut es gut.

(Beifall bei der CDU, der FDP, vereinzelt bei den GRÜNEN und der SPD sowie Beifall bei der Staatsregierung)

Der vorliegenden Drucksache 5/11838 ist – das hat die Staatsregierung zur Kenntnis genommen, Herr Bartl – ein langer, anstrengender und manchmal auch mühsamer Verhandlungsprozess vorausgegangen. Die Sächsische Staatsregierung war bereit, wenn es gewünscht war, auch in diese Verhandlungen einbezogen oder als beratende Stimme gehört zu werden. Ausdrücklich gilt mein Dank

und der der Sächsischen Staatsregierung denjenigen, die in den Fraktionen – zuerst natürlich die Fraktionsvorsitzenden und eingeschlossen auch die Fachpolitiker – diese langen Verhandlungen geführt und das heutige Ergebnis erzielt haben. Herzlichen Dank!

(Beifall bei der CDU, der FDP, vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN sowie Beifall bei der Staatsregierung)

Ich bin auch glücklich darüber, dass diejenigen recht behalten haben, die von Anfang an auf den Erfolg dieses Prozesses gesetzt haben – auch wenn es vielleicht den einen oder anderen gegeben hat, der zwischendurch leise Zweifel gehegt haben soll.

Ich bin mir sicher, dass nach der heutigen Debatte angesichts des Willens, der in der Debatte zum Ausdruck gekommen ist, der Sächsische Landtag nunmehr diese Gesetzesinitiative zügig beraten und am Ende mit breiter Zustimmung auch dieses Gesetz zur Änderung der Sächsischen Verfassung beschließen wird.

Ich will ausdrücklich noch einmal unterstreichen: Das Ganze hat eine viel weitreichendere Dimension. Mit der Verabschiedung der Landesverfassung 1992 – darauf hat Kollege Biesok gerade hingewiesen – haben die Mütter und Väter der Verfassung der damals wirklich noch frisch errungenen Freiheit einen verbindlichen Rahmen gegeben. Die heutige nun anstehende Änderung wird in einem übertragenen Sinne diese Freiheit langfristig sichern.

(Beifall bei der CDU und der FDP, der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE und der Staatsregierung)

Wir alle in diesem Hause wissen angesichts der sich immer noch abspielenden Finanz- und Schuldenkrise, dass diese Freiheit ohne eine solide Finanzpolitik irgendwann zu einer leeren Formel werden kann, wenn die politischen Gestaltungsspielräume fehlen. Das vorliegende Verfassungsänderungsgesetz wird – das ist die Grundlage – diese Gestaltungsspielräume erhalten helfen, und wir verpflichten uns, nicht mehr auszugeben, als wir einnehmen.

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass dieser Leitsatz, nicht mehr auszugeben, als man einnimmt, gerade auch angesichts der gegenwärtig höchsten Steuereinnahmen, die es in der Bundesrepublik Deutschland je gegeben hat, bei Weitem nicht selbstverständlich ist. Trotz dieser Situation gibt es heute Bundesländer, die nach wie vor mehr ausgeben, als sie einnehmen, und zwar schuldenfinanziert. Deswegen ist mir dieser Grundsatz sehr wichtig.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Ich kann mich noch an meine erste Regierungserklärung 2008 in diesem Hause erinnern, in der ich von Generationengerechtigkeit gesprochen habe. Mit dieser Änderung der Sächsischen Verfassung werden wir zukünftigen Generationen in Sachsen finanzielle Spielräume belassen und wir werden sie nicht dazu zwingen – wie es in ande

ren Ländern der Fall ist –, das ihnen zur Verfügung stehende Geld für Zins und Zinseszins auszugeben, sondern wir ermöglichen es ihnen, es auf der Grundlage eigener politischer Entscheidungen und Schwerpunkte zum Wohle des Freistaates Sachsen, zum Wohle der Menschen in diesem Lande einzusetzen.