Protokoll der Sitzung vom 15.05.2013

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Abstimmung. Ich stelle den Antrag in Drucksache 5/11886 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen.

(Dr. Johannes Müller, NPD: Wir hatten punktweise Abstimmung beantragt!)

Gut, dann korrigiere ich. Es ist von der NPD-Fraktion punktweise Abstimmung beantragt worden. Ich lasse über Punkt I abstimmen. Wer gibt die Zustimmung? – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei einer ganzen Reihe von Stimmen dafür ist dennoch Punkt I abgelehnt worden.

Ich lasse über Punkt II abstimmen. Wer gibt die Zustimmung? – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Auch hier eine Reihe von Stimmen dafür. Dennoch ist Punkt II abgelehnt worden und es erübrigt sich eine – –

(Dr. Johannes Müller, NPD: Und Punkt III?)

Ja, es gibt noch einen Punkt III. Also lasse ich noch über Punkt III abstimmen. Wer gibt die Zustimmung? – Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei Stimmenthaltungen und Stimmen dafür wurde auch Punkt III nicht zugestimmt und damit erübrigt sich die Gesamtabstimmung. Meine Damen und Herren, dieser Tagesordnungspunkt ist damit beendet.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 9

Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – Verfahren transparent gestalten

und wirksamen Kinder- und Jugendmedienschutz entwickeln

Drucksache 5/11856, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde: die einbringende Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, danach CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, NPD und Staatsregierung, wenn sie es wünscht.

Ich erteile nun Herrn Abg. Jennerjahn das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Der 14. Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ist richtig. Er ist wichtig und er wird

kommen, denn den 14. Jugendmedienschutz-Staatsvertrag in seinem Lauf halten weder Ochs‘ noch Esel auf.“ Das waren die Worte von Staatsminister Dr. Johannes Beermann in diesem Hohen Haus am 14. Dezember 2010 im Rahmen der 25. Sitzung des 5. Sächsischen Landtages. Die weitere Geschichte ist bekannt. Zwei Tage nach diesen markigen Worten scheiterte der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag im Landtag von Nordrhein-Westfalen – übrigens am einstimmigen Votum aller dort vertretenen Fraktionen.

(Stefan Brangs, SPD: Potz Blitz, was ist denn da passiert, Herr Beermann?)

Nun stehen wir vor einem neuen Anlauf. Im Oktober 2013 soll zur Jahreskonferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs ein Entwurf für einen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag vorgelegt werden. Sachsen hat die Federführung in diesem Verfahren inne, und damit soll ausgerechnet der Mann, der im Dezember 2010 noch so vollmundig von Ochsen und Eseln in diesem Hohen Hause sprach, die Verantwortung übernehmen.

(Stefan Brangs, SPD: Das ist das Petermann-Prinzip!)

Angesichts der in der Vergangenheit zur Schau gestellten Ignoranz von Herrn Dr. Beermann gegenüber laufenden gesellschaftlichen Debatten ist die Chance groß, dass auch der neue Anlauf, zu praktikablen Regelungen für einen wirksamen Kinder- und Jugendschutz zu kommen, gegen die Wand gefahren wird.

Ich möchte noch einmal daran erinnern: Im Zentrum der Kritik standen im Jahr 2010 Regelungen, die das Thema Jugendmedienschutz einseitig auf technische Lösungen reduzieren wollten. Insbesondere ging es um geplante zwangsweise Alterskennzeichnungen für Webseiten,

damit Filterprogramme automatisch bestimmte Webseiten ausblenden können. Lösungen, die bei Einwegmedien wie dem Fernsehen funktionieren, sollten quasi eins zu eins auf das Internet übertragen werden, ohne dabei zu beachten, dass das Internet unter grundsätzlich anderen Bedingungen funktioniert als die klassischen Medien und technische Eingriffe immer Nebenwirkungen mit sich bringen.

(Beifall der Abg. Eva Jähnigen, GRÜNE)

Kurz: Aus den richtigen Gedanken heraus, den Schutz von Kindern und Jugendlichen auszubauen, wurden Lösungen vorgeschlagen, die fatale Konsequenzen für ein freiheitliches Internet, wie wir es kennen und wie es für eine Demokratie mittlerweile notwendig ist, hätten. Die Nebenwirkung: Mit diesen Lösungen wäre eine Infrastruktur geschaffen worden, die grundsätzlich dazu geeignet wäre, Zensur zu ermöglichen und damit natürlich Begehrlichkeiten geweckt hätte.

Ich möchte auch noch einmal daran erinnern, dass der gescheiterte Jugendmedienschutz-Staatsvertrag in der Endphase der Diskussion in allen Parteien zunehmend Unbehagen hervorrief und sich immer mehr Kritiker und

Gegner zu Wort meldeten. Es gab beispielsweise einen Brief der Vorsitzenden der AG Medien der großen Fraktionsvorsitzenden-Konferenz von CDU/CSU, Frau Marlies Kohnle-Gros, vom 19. Mai 2010, in dem sie formulierte – ich zitiere –: „Wir appellieren an die CDU/CSU-Fraktion, mitzuhelfen, dass es einen neuen Anlauf für eine wirksame gesetzliche Konkretisierung des Jugendmedienschutzes gibt. Der aktuelle Entwurf des 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrages sollte deshalb zurückgestellt werden.“

Das Scheitern des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages im Jahr 2010 war aber auch ein Erfolg einer Vielzahl von Netzaktivisten, die sich stark in der Debatte engagiert haben und in mühevoller Arbeit den einen oder anderen Politiker fitgemacht haben, was die technischen Realitäten des Internets und die möglichen Konsequenzen der damals diskutierten Regelungen betrifft.

Wir sollten es also diesmal besser machen und aus den Erfahrungen von 2010 lernen. Das ist meines Erachtens auch eine Frage der Redlichkeit all denjenigen gegenüber, die sich damals in der Debatte stark engagiert haben. Insofern stehen wir jetzt auch vor einer sehr grundsätzlichen Frage: Zeigen wir Lernfähigkeit oder setzt Herr Dr. Beermann darauf, dass die letzte Diskussion drei Jahre alt ist und diejenigen, die sich damals engagiert haben, das heute vergessen oder nicht die Kraft haben, eine vergleichbare Kampagne wie 2010 noch einmal zu stemmen?

Gescheitert ist der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag 2010 an der Untauglichkeit der vorgeschlagenen Regelungen, aber auch an der Intransparenz des Verfahrens, wie der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag zustande

gekommen ist, und an der mangelnden Einbindung fachlicher Kompetenz von externen Experten.

Die Auskünfte der Staatsregierung auf Kleine Anfragen meines Kollegen Falk Neubert und mir über den Stand der Dinge und geplante Regelungen im neuen Entwurf des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages waren noch sehr allgemein; und gerade deshalb ist es wichtig, dass wir uns als Landtag frühzeitig in die Diskussion einbringen, damit wir nicht am Ende wieder nur die Rolle zugestanden bekommen, einen fertigen Vertragsentwurf abnicken zu dürfen nach dem Motto: Friss oder stirb!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir dürfen jetzt nicht die Gelegenheit verpassen, einen Paradigmenwechsel einzuleiten von allein technischen Maßnahmen hin zu besseren Unterstützungsangeboten für Eltern, Anbieter und Jugendliche. Jugendschutzprogramme können bei Kindern ein sinnvolles Mittel sein; bei Jugendlichen hingegen sind sie weitgehend wirkungslos. Sie können ja mal nach JusProg googeln – das ist eines der mittlerweile anerkannten Jugendschutzprogramme –, und unter den ersten Vorschlägen der automatischen Vervollständigung kommt dann: JusProg umgehen. So kommt man mit zwei oder drei Klicks auf eine Anleitung, wie man die Filter Schritt für Schritt aushebelt.

Es ist ganz einfach Augenwischerei, Jugendschutzprogramme noch bei 16- oder 17-Jährigen anwenden zu wollen, auch wenn die Anbieter, die diese Programme vermarkten wollen, das vielleicht einfordern oder es die derzeitige Rechtslage nahelegt.

Wir sollten also den Jugendmedienschutz im Staatsvertrag nicht ausschließlich restriktiv, sondern vor allem präventiv, das heißt medienpädagogisch, umsetzen. Insbesondere bei den Risiken, die nicht bei den Inhalten, sondern im Bereich der problematischen Verhaltensweisen liegen, wie zum Beispiel Privatsphärenverlust, Cybermobbing oder Onlinesucht, kommt man mit technischen Lösungen ohnehin nicht weiter. Hierfür gibt es auch keine pauschalen Lösungen, aber einige Ansätze, die weiterentwickelt werden sollten.

Bislang bietet die KJM den Medienanbietern beispielsweise mit den sogenannten Netzregeln Empfehlungen, wie sie ihrerseits Risiken minimieren können. Die Selbstkontrolleinrichtungen wie beispielsweise die FSM haben Verhaltenskodexe für Medienbetreiber entwickelt, etwa dass Chats für Kinder nur mit professioneller Moderation angeboten werden sollten oder dass soziale Netzwerkdienste strengere Privatsphäreneinstellungen für unter 14Jährige voreinstellen und sie über Möglichkeiten eines sensiblen Umgangs mit den eigenen Daten informieren.

Hier ist die Frage, wie erfolgreich solche Selbstverpflichtungen bislang sind, welche Anreize und Unterstützungsleistungen ineinandergreifen sollten und welche Regulierung im Staatsvertrag dies befördert. Der präventive Ansatz muss über den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag stärker im Auftrag der Aufsichtsbehörden verankert werden. Wir müssen darüber diskutieren, wie die Informationen für Eltern und Pädagogen verbessert werden können. Dabei geht es bei Weitem nicht nur um Informationen zur Bedienung der Jugendschutzprogramme.

Es gibt beispielsweise eine Handvoll Initiativen, die spezielle Internetangebote für Kinder zugänglich machen oder Hinweise zur Medienerziehung für Eltern bereitstellen. Beispiele sind fragFINN, die Angebote der öffentlichrechtlichen Anstalten, der Erfurter Netcode oder der neue Kindersurfer. Für Eltern ist das ein ziemlich undurchsichtiges Dickicht. Eine zentrale Bildung, koordiniert bzw. beaufsichtigt durch die KJM, wäre hier ein großer Fortschritt in Richtung Breitenwirksamkeit.

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Für Jugendliche sind Angebote gefragt, die zur kritischen Auseinandersetzung mit problematischen Inhalten, aber auch dem eigenen Verhalten im Netz anregen und Beratungen anbieten. Auch hier gibt es gute Initiativen, die verstetigt oder als regulärer Auftrag des Jugendmedienschutzes weiterentwickelt werden sollten.

Mehr präventiver Jugendmedienschutz heißt jetzt aber nicht, dass die Schutzeinrichtungen federführend die Medienkompetenzförderung im Land übernehmen.

Erstens ist Medienkompetenzförderung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, auf die unser Bildungssystem

jedoch noch nicht genug eingestellt ist; aber der einzige Ort, wo alle Kinder und Jugendlichen erreicht werden können, ist nun einmal nach wie vor die Schule.

Zweitens bedeutet Medienkompetenz viel mehr als nur Vermeidung von Risiken. Medienkompetenz meint vor allem auch das Nutzen der Potenziale der Medien für eine positive Persönlichkeitsentwicklung und für gesellschaftliche Beteiligung.

Fest steht, wir müssen Kinder- und Jugendmedienschutz und Medienbildung besser miteinander verbinden. Deshalb sollten wir als Landtag frühzeitig Kriterien definieren, welche erfüllt sein müssen, damit der Freistaat Sachsen einem neuen Entwurf eines JugendmedienschutzStaatsvertrages zustimmen kann. Vor allem sollten wir für Transparenz im Verfahren sorgen. Das wollen wir mit dem vorliegenden Antrag erreichen, und ich freue mich auf die Diskussion.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Horst Wehner und Falk Neubert, DIE LINKE)

Für die CDU, bitte, Herr Gemkow.

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor dem Hintergrund des sehr frühen Stadiums im Verfahren einer möglichen Novellierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages werden wir den vorliegenden Antrag ablehnen.

Im Übrigen gebe ich meine Rede mit Rücksicht auf die fortgeschrittene Zeit zu Protokoll.

Vielen Dank.