Protokoll der Sitzung vom 19.06.2013

Der Lösungsansatz der sächsischen CDU und FDP für mehr Ansehen der Europäischen Union, für mehr Verständnis und Toleranz zwischen den europäischen Nationen ist nun, den Freiwilligendienst für alle Generationen zu öffnen. Das klingt zunächst gut, das kommt uns bekannt vor vom Bundesfreiwilligendienst, mit dem allerdings vor allem in Sachsen und in Ostdeutschland Langzeitarbeitslose zwischenzeitlich eine neue Aufgabe und berufliche Herausforderung für sich finden.

Doch schauen wir uns die Geschichte des Europäischen Freiwilligendienstes an. Es war Mitte der Neunzigerjahre. Der Kalte Krieg war endlich Geschichte, und die ehemalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft machte sich auf, zu einer politischen Union zu werden. Da war es richtig zu sagen: Wir müssen die junge Generation für den europäischen Gedanken gewinnen. Im November 1996 starteten deshalb die ersten European Volonteers, und der Europäische Freiwilligendienst wurde seitdem zu einer Erfolgsgeschichte. Allein in den ersten zehn Jahren waren mehr als 30 000 Jugendliche in Europa unterwegs. Er wurde deshalb zu einer Erfolgsgeschichte, weil er dank großzügiger Finanzierung durch die EU auch Jugendlichen aus ärmeren Ländern mit wenig begüterten Eltern einen mehrmonatigen Auslandsaufenthalt ermöglicht.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Der Europäische Freiwilligendienst wurde aus dem Programm „Jugend in

Aktion“ heraus entwickelt und richtet sich ganz bewusst an junge Menschen. Dass die Altersgrenze inzwischen von 27 auf 30 Jahre angehoben wurde, trägt bereits der Erfahrung Rechnung, dass die Phase der Adoleszenz länger geworden ist und dass junge Erwachsene zum Teil erst nach der Berufsausbildung oder dem Studium für eine Zeit lang in ein anderes Land gehen und in sozialen Projekten arbeiten wollen.

Warum aber soll nun der Europäische Freiwilligendienst für alle Generationen geöffnet werden? Wollen Sie arbeitslose Akademiker aus Spanien oder Portugal nach Sachsen holen? Oder wollen Sie ältere deutsche Langzeitarbeitslose ins europäische Ausland schicken, um damit zeitweilig die Arbeitslosenstatistik in der Bundesrepublik zu entlasten? Was bitte soll für einen 40- oder 50Jährigen, der im Berufsleben steht und familiäre Verpflichtungen hat, der Anreiz sein, für ein Taschengeld im europäischen Ausland zu arbeiten? Oder anders gefragt: Wer kann sich das überhaupt leisten?

Vielleicht wissen Sie es nicht, aber die EU hat bereits zahlreiche Programme für den Austausch verschiedener Generationen in Europa aufgelegt. Ich zähle sie Ihnen gern noch einmal auf. „Erasmus“ wurde schon genannt. Es gibt das Programm „Leonardo da Vinci“. Das ist für die Förderung der Berufsausbildung im Ausland. Es richtet sich an Azubis, junge Arbeitnehmer, Hochschulabsolventen, aber auch an Arbeitsuchende und Studierende. Es gibt „Sokrates“. Das ist eine Gruppe von Einzelprogrammen zur Förderung der allgemeinen Bildung im Ausland. Es gibt das Programm „Comenius“ für den Bereich der Schulen, für den Austausch von Schülern, Lehrern, Fremdsprachenassistenten und Lehramtsstudenten. Es gibt bekanntermaßen „Erasmus“ für den Hochschulbereich, für den Austausch von Studierenden und Dozenten. Es gibt „Grundtvig“ für die internationale Zusammenarbeit von Institutionen der Erwachsenenbildung. Es gibt also bereits einen bunten Strauß an Programmen für verschiedene Berufs- und Altersgruppen.

Als zweiten Punkt fordern Sie, die Staatsregierung möge auf Bundes- und EU-Ebene dafür sorgen, möglichst viele Menschen für den Europäischen Freiwilligendienst zu gewinnen. Da frage ich Sie aber, liebe Kollegen von CDU und FDP: Wenn Ihnen die Freiwilligendienste so wichtig sind, warum haben Sie sich dann vor zwei Jahren nicht dafür eingesetzt, dass das Bundesprogramm „Freiwilligendienst aller Generationen“ fortgeführt wird? Dazu habe ich leider von Ihnen nichts in diesem Hohen Haus gehört. Warum haben Sie zugelassen, dass die Finanzierung des Freiwilligen Sozialen Jahres in Sachsen von einst 1 100 auf nun 700 Stellen gekürzt wurde? Hier sind die Bewerberzahlen immer noch deutlich größer als das, was der Freistaat an Stellen finanziert.

Kann es sein – so viel Kritik sei mir noch gestattet –, dass die Sächsische Staatsregierung einfach gern die Hand aufhält, wenn Bund und EU Geld verteilen, und sie sich sinnvolle Programme von oben finanzieren lässt, um dann als Sparweltmeister dazustehen?

Ich komme zum Schluss.

Wir als LINKE stehen zu einem vereinten Europa und befürworten auch den Ausbau des Europäischen Freiwilligendienstes. Aber Ihren Antrag auf Ausweitung des EFD auf alle Generationen halten wir für überflüssig. Wir werden uns bei diesem Antrag deshalb enthalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und der Abg. Sabine Friedel, SPD)

Für die SPD-Fraktion Herr Homann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Es gibt verschiedene europäische Freiwilligendienste. Frau

Klepsch hat gerade eine ganze Reihe von ihnen aufgezählt. Es gibt noch weitere, auch im nicht staatlichen Bereich, zum Beispiel bei den Kirchen. Vor allem aber engagiert sich die Europäische Kommission selbst für einen Europäischen Freiwilligendienst im Rahmen von „Jugend für Europa“ bzw. „Jugend in Aktion“. So engagieren sich Zehntausende junge Menschen jedes Jahr für soziale, ökologische und gemeinnützige Zwecke in ganz Europa. Damit leisten diese Freiwilligen erstens einen wichtigen Beitrag für das gesellschaftliche Zusammenleben vor Ort, zweitens einen Beitrag zur europäischen Verständigung und zur europäischen Einigung. Drittens helfen sie uns in Sachsen dabei, Vorurteile abzubauen. Damit unterstützten sie die Etablierung einer sächsischen Willkommenskultur. Damit machen diese Freiwilligen unser Sachsen weltoffener, lebenswerter und erfüllen ein Europa der Menschen mit Leben. Dafür den herzlichen Dank meiner Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Wir als SPD werden selbstverständlich den Ausbau und die Weiterentwicklung eines europäischen Freiwilligenjahres unterstützen.

Ich möchte an dieser Stelle aber sagen, dass ich diesen Antrag der Koalition etwas dünn finde.

(Andreas Storr, NPD: Ach was?)

Dazu von mir drei Anmerkungen.

Erstens. Der Europäische Freiwilligendienst richtet sich derzeit an 18- bis 30-jährige EU-Bürgerinnen und EUBürger, die in einer Dienstzeit zwischen sechs Wochen und zwölf Monaten ihre Arbeit leisten. Diese Einschränkung wollen Sie nun aufheben. Ich finde, das kann man machen, aber nicht ohne ein geeignetes Konzept und das Schaffen von Rahmenbedingungen. Der Europäische Freiwilligendienst richtet sich nämlich explizit an benachteiligte junge Menschen. Wie stehen Sie denn zu diesem konzeptionellen Schwerpunkt? Dazu fehlt leider jede Aussage. Wenn Sie den Europäischen Freiwilligendienst undifferenziert für alle öffnen wollen, laufen wir Gefahr,

dass die jetzige Zielgruppe, also die Benachteiligten, zu einem Großteil unberücksichtigt bleibt.

Zweitens. Ein weiterer Punkt, der mir fehlt, ist eine Aussage zur Finanzierung,

(Andreas Storr, NPD: Das zahlt doch alles die Europäische Union!)

mal ganz abgesehen davon, dass Sie mehr Freiwilligendienste wollen, aber auch keine Aussage dazu treffen, wie Sie das auf europäischer Ebene finanzieren wollen. Darüber sollten Sie einmal gut nachdenken. Sie verlangen das ja auch immer von uns. Von Ihnen gibt es dazu keine Aussage. Das ist zu Protokoll gegeben.

Ich finde, man muss auch noch einmal über die finanzielle Anerkennung der Freiwilligen reden. Aktuell bekommen die Einsatzstellen eine monatliche Pauschale in Höhe von 560 Euro. Davon sind 210 Euro für Verpflegung vorgesehen. Die Freiwilligen selbst erhalten in Deutschland ein Taschengeld in Höhe von gerade einmal 105 Euro. 105 Euro für einen 45-Jährigen, für eine 55-Jährige?

(Jürgen Gansel, NPD: Da ist Euro-Idealismus gefragt!)

Dazu findet man in Ihrem Antrag auch keine Aussage. Wenn man den Freiwilligendienst weiterentwickeln will, dann muss man auch an dieser Stelle über die richtigen Rahmenbedingungen sprechen.

Ein dritter Punkt ist die Frage der Organisation und der Bürokratie. So umfasst zum Beispiel das Akkreditierungsverfahren für eine Einsatzstelle sage und schreibe 30 Seiten. Ein Verein in meinem Wahlkreis konnte im vergangenen Jahr ebenfalls eine europäische Freiwillige gewinnen. Auf diese Stelle in Döbeln bewarben sich europaweit 70 Menschen. Ein Bürokratieabbau ist also auch hier dringend angesagt, und zwar auch deshalb, weil wir für mehr Freiwillige auch mehr Einsatzstellen brauchen. Auch dazu steht in Ihrem Antrag kein Wort.

Eine grundsätzliche Aussage möchte ich mir auch noch erlauben. Wenn Sie hier schon so weit ausholen und vom Vertrauensverlust in Europa sprechen und dann am Ende die einzige Maßnahme, die Sie vorschlagen, die Erweiterung des Freiwilligendienstes ist, dann muss man sich schon wirklich fragen, ob das der europapolitische Horizont ist, über den Ihre Fraktion verfügt. Das ist nämlich mein Eindruck. Ich denke, wer wirklich das Vertrauen in Europa zurückgewinnen will, der braucht eine solidarische Europapolitik, der muss das EU-Volksbegehren gegen die Wasserprivatisierung auch als konservative Fraktion endlich einmal ernst nehmen,

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

und er muss ein ordentliches, ausfinanziertes, solidarisches europäisches Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit auf den Weg bringen. Das sind europäische Maßnahmen, die Vertrauen schaffen.

(Beifall des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Aber bei aller Kritik – gerade in Zeiten, in denen die Europäische Union auch gegen so manche politische und demagogische Aussagen aus den Koalitionsfraktionen verteidigt werden muss – finde ich es richtig, dass wir uns hier klar zu einem Europa als großem Friedensprojekt bekennen. Der Europäische Freiwilligendienst ist dazu ein wichtiger Beitrag. Meine Bitte: Entwickeln Sie Ihre Ansätze weiter, dann werden wir Ihre Anliegen auch weiter unterstützen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Annekatrin Klepsch, DIE LINKE)

Frau Kallenbach für die GRÜNEN. Sie haben das Wort.

(Jürgen Gansel, NPD: Wo ist denn Ihre Restfraktion? Oder interessiert die sich nicht für Europapolitik? Da hört kein GRÜNER zu!)

Vielen Dank, Herr Präsident! Ein Freiwilliges Europäisches Jahr für alle – für Taxifahrer und Theologen, für Angestellte, Arbeiter und Arbeitslose, für Musiker und Manager, für Lehrer und Lehrlinge, für Künstler und Köche, Richter und Rentner, für Frauen und Männer – als eine Antwort auf die Eurokrise, das forderten bereits im Mai 2012 – zum Glück erinnerten Sie sich noch, Herr Hähnel – prominente Politiker, Wissenschaftler und Künstler, die das „Manifest zur Neugründung eines Europas von unten“ initiiert hatten. 6 000 Menschen aus 15 Staaten haben unterschrieben. Auch ich gehörte dazu, so wie ich mich im Europäischen Parlament für das Jahr des Freiwilligendienstes – das war im Jahr 2011 – und für eine Öffnung für Seniorinnen und Senioren eingesetzt habe. Viel zu wertvoll ist deren Erfahrung, als diese nicht für eine generationenübergreifende Zusammenarbeit zu nutzen.

Allerdings – darin gebe ich meinem Vorredner recht –: Die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Freiwilligendienste sind leider in der Gesellschaft noch zu wenig anerkannt. Es fehlt sowohl an finanzieller und formalrechtlicher Unterstützung als auch an Ermutigung, mehr Menschen für ein zeitweiliges Leben in anderen Regionen und den direkten Austausch und Kontakt zu begeistern. Genau das ist es aber, was Europa lebendig macht.

Natürlich ist es nicht so, dass es keine Angebote gäbe. Frau Klepsch, Herr Homann, Sie haben bereits einige genannt; ich will es nicht wiederholen. Aber es gibt eben auch das EU-Programm Grundtvig für Freiwilligenprojekte 50Plus. Zudem bieten das Bundesministerium für Entwicklungszusammenarbeit und fast 20 Organisationen zahlreiche Einsatzorte in Europa und der Welt an, in die man sich entsenden lassen kann, zum Beispiel in Waisenhäuser in Rumänien oder Kindergärten in Moldawien.

Es spricht wenig dagegen, die Freiwilligendienste zu öffnen. Ein Einwand bleibt jedoch: Hier zieht jemand an einer ohnehin viel zu kurzen Decke. Bei einer Öffnung des Programms schrumpft das Budget des ohnehin schmal

ausgestatteten Jugendfreiwilligendienstes. Hier ist die Nachfrage so groß, dass in Sachsen 50 Bewerber auf einen freien Platz kommen. Umgekehrt kann nur jeder zehnte Bewerber erfolgreich ins europäische Ausland vermittelt werden. Einfache Ursache – große Wirkung. Den Trägern fehlen Kapazitäten, weil die Landeszuschüsse für Jugendarbeit immer weiter gekürzt wurden. Wenn Trägervereine Freiwillige aufnehmen und betreuen, braucht es professionelle Teams, die Projekte entwerfen, Kontakte zu den Partnerorganisationen aufbauen und pflegen, Anträge stellen und abrechnen können. Das kann niemand ehrenamtlich bewältigen. Projektmanagement kostet, ob bei Jugendlichen und Senioren. Ich sehe daher folgende Notwendigkeiten:

Erstens. Der Freistaat Sachsen legt ein Landesprogramm auf. Die Rolle des Freistaates fehlt mir in Ihrem Antrag leider völlig. Es ist zu einfach, nur auf Bund und Europa zu zeigen. Also: ein Landesprogramm für die Träger der Jugendhilfe für angemessene Unterstützung, dass sie europäische Freiwillige aufnehmen und entsenden können.

Zweitens. Die Staatsregierung setzt sich dafür ein, dass auch Schüler und Erwachsene mit mittleren Bildungsabschlüssen oder benachteiligte Gruppen an dem Programm teilnehmen können, und stattet die Projektträger mit den dafür nötigen Mitteln aus.

Drittens. Die Staatsregierung setzt sich auf Bundes- und europäischer Ebene dafür ein, dass die im EU-Haushalt bisher für 2014 bis 2020 vorgesehene Kürzung von fast 30 % für das Programm „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ zurückgenommen wird. Wer der EuropaFrustration mit zivilgesellschaftlichem Engagement

entgegentreten will, kann das ohnehin mit bescheidenen Mitteln ausgestattete Programm nicht noch kürzen. Nehmen Sie also Einfluss!

Trotz dieser Einwände – das Thema Europa mehr in unserer Gesellschaft zu verankern ist wichtig. Daher werden wir dem Antrag zustimmen und wir hoffen, dass Sie die Anregungen für Ihr eigenes Handeln aufnehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Martin Modschiedler, CDU)

Abschließender Redner in der ersten Runde ist Herr Storr für die NPD-Fraktion.