Deshalb bleibe ich dabei: Es geht nicht nur darum, dass wir einfach einen Gedenktag haben, zu dem wir das feierlich in Reden würdigen, sondern dass wir eine Auseinandersetzung darüber führen, was Freiheit uns heute wert ist, und das mit jungen Leuten führen. Das ist das Ziel des 17. Juni.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich und meine Fraktion finden es wichtig, dass wir die Ereignisse des 17. Juni hier diskutieren, dass diese Ereignisse nicht in Vergessenheit geraten. Es ist wichtig, generationenübergreifend auch nach 60 Jahren die Erinnerung wachzuhalten. Ich sage das: Für mich steht dieser Volksaufstand des Jahres 1953 in einer Reihe mit den gescheiterten Revolutionen 1848/1849 und 1918/1919. In diesen Tagen hat sich etwas entwickelt. Arbeiterproteste wurden zum Volksaufstand. Was erst mit Protesten gegen überhöhte Normen und überhöhte Preise begann, wurde zur Forderung nach Regierungsrücktritt, nach demokratischen Grundrechten. Menschen haben damals protestiert. Ich habe tiefen Respekt vor ihrem Mut. Sie haben damals in ihre eigene Kraft vertraut. Sie haben darauf vertraut, dass sie sich mit dieser eigenen Kraft und mit ihrem Einsatz gegen eine Diktatur wenden und diese Diktatur überwinden können.
Das war – es ist schon angesprochen worden – in Zeiten des finstersten Stalinismus. Ein solcher Kampf für Freiheit und Demokratie war damals mit persönlichem Einsatz für persönliche Freiheit und für Leben verbunden. Es
sind nach belegten Fällen über 50 Menschen und eine Grauzone, die diesen Kampf mit ihrem Leben bezahlen mussten, sei es, dass sie erschossen wurden, dass sie hingerichtet wurden oder dass sie in der Haft umgekommen sind. Ich denke, gerade ihnen, diesen Menschen, gilt an einem Tag wie heute noch einmal unser Gedenken.
Es ist jetzt in der Diskussion um den 17. Juni gefordert worden, dass wir eine stärkere Erinnerungskultur entwickeln. Ich glaube, das kann man nicht einfach fordern. Die Frage ist: Wie schaffen wir es, auch zur jungen Generation, zu jungen Leuten einen Bogen zu schlagen? Nach meiner Überzeugung können dazu drei Punkte beitragen:
Das ist erstens Ehrlichkeit in der Diskussion statt Verklärung, das ist zweitens der Versuch, mit Einzelbiografien in ihrer ganzen Differenziertheit zu arbeiten, und das ist drittens die Notwendigkeit, die Botschaft des 17. Juni nicht nur zu bewahren, sondern in der Gegenwart zu leben.
Wenn ich von Ehrlichkeit spreche, dann meine ich, dass wir uns auch mit den weniger erfreulichen Seiten des Volksaufstandes auseinandersetzen müssen. Görlitz war als ein hervorragender Ort bereits geschildert worden, aber vor allem in Görlitz wurde die Oder-Neiße-Grenze infrage gestellt. Völlig verständlich, wer die Geschichte dieser Stadt kennt, wer den hohen Anteil von Vertriebenen kennt, aber trotz dieser Verständlichkeit war und ist diese Forderung natürlich falsch.
Wenn ich von Biografien rede, möchte ich dort noch einmal anknüpfen, was Marko Schiemann gesagt hat: Wir brauchen weniger Heldenverehrung, wir brauchen Biografien in ihrer ganzen Vielfalt, Differenziertheit und manchmal auch Schlichtheit.
Der Fuhrunternehmer Alfred Wagenknecht, der bereits geschildert wurde, ist ein Mensch gewesen, der einfach einen befreiten Häftling mitgenommen hat. Er hat von diesem erst erfahren, was sich in Görlitz ereignet hat. Er wurde zwei Tage später verhaftet, und er hat sich von seinen Kindern damals im Glauben an Recht und Gerechtigkeit verabschiedet mit dem Satz: „Habt keine Angst, ich gehe mit und kläre das.“
Weitere zwei Tage später bekam seine Frau die Todesnachricht. Ihr wurde erklärt, er habe sich erhängt, der Sarg dürfe nicht geöffnet werden. Als sie es trotzdem tat und der Arzt ihn untersuchte, stellte sich heraus: Er war zu Tode gefoltert worden, hatte Verbrennungen an Fußsohlen und Schienbeinen sowie schwere innere und Kopfverletzungen. Diese Lüge, dieser Vertuschungsversuch ist für mich ein kleines Element der großen Lüge, die damals unter der Bezeichnung „faschistischer Putsch“ von der SED-Propaganda entfacht wurde.
Wenn ich sage: „Ziele und Botschaften des 17. Juni 1953 in die Gegenwart tragen!“, dann heißt das für mich zum
Beispiel das zu tun, was Wolfgang Ullmann vor zehn Jahren in seiner Rede vor dem Landtag Brandenburg zum 50. Jahrestag forderte, nämlich im Gedenken an jene Junitage dafür zu sorgen, dass bundesweit Volksabstimmungen stattfinden können. Ich glaube, auch wir im Sächsischen Landtag haben noch einiges zu tun, um eine funktionierende direkte Demokratie herzustellen.
Das heißt natürlich auch, den Feinden von Demokratie und Freiheit auch heute entgegenzutreten. Dazu gehört das Besetzen von öffentlichen Räumen, um Nazidemonstrationen einzudämmen.
Wenn die NPD – wie am vergangenen Montag wieder – versucht, den 17. Juni ideologisch, das heißt neonationalsozialistisch für sich nutzbar zu machen,
dann ist das ein widerwärtiger Missbrauch dieses Volksaufstandes. Die Opfer des Aufstandes werden dadurch geschändet.
Ich kann Ihnen eines sagen: Die Menschen hatten 1953 – um wirklich in Arbeitersprache zu sprechen – die Nazipropaganda noch in den Ohren, sie hatten den Krieg in den Knochen und seine realen Folgen vor den Augen. Kurz: Sie hatten die Nase voll vom Nationalsozialismus!
(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, den LINKEN, der SPD und der FDP – Jürgen Gansel, NPD: Und sie haben deswegen das Deutschlandlied in allen drei Strophen gesungen!)
Ich glaube, dass es eine Traditionslinie von 1953 über 1989 bis 2014 geben wird. Ich bin davon überzeugt: Die Menschen hier in Sachsen werden in dieser Traditionslinie dafür sorgen, dass Sie aus diesem Landtag verabschiedet werden.
Zunächst einmal will ich die Unterstellung, dass wir das Datum für irgendeine politische Richtung in Anspruch nehmen wollen, scharf zurückweisen. Selbstverständlich gehört der 17. Juni 1953 allen Deutschen, sowohl rechten
als auch linken. Ich gebe Ihnen auch völlig recht, dass die Biografien sehr differenziert zu betrachten sind. Man erinnere sich nur an den Dresdner Streikführer Wilhelm Grothaus – bis 1932 SPD-Mitglied, danach KPDMitglied –, der zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde.
Wir wollen uns auf überhaupt nichts „draufsetzen“. Ich bin eigentlich Bewunderer der SPD der 1950er Jahre und kann fast alles unterschreiben, was damals aus der Partei gesagt wurde. Es war eine Riesenschweinerei, dass man den Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter zwei Tage daran gehindert hatte, in Wien das Flugzeug zu besteigen und nach Berlin zu fliegen; denn er mit seiner Wortgewalt hätte dort die Stimmung wirklich drehen können. Damals war die SPD eben noch national.
Wie gesagt, es geht uns gar nicht um Vereinnahmung. Der 17. Juni ist ein Tag, der dem ganzen Volk gehören sollte, sowohl Rechten als auch Linken. Nehmen Sie doch dementsprechend einmal die Hasskappe ab und hören Sie auf mit Ihrem rein formalen Antifaschismus, der gar nicht auf unsere Argumente eingeht. Das ist von Ihnen ein bisschen zu kurz gesprungen.
Ich möchte Sie fragen, Herr Dr. Gerstenberg: Wieso waren Sie denn an jedem 17. Juni fast immer der einzige Teilnehmer der Veranstaltung am Panzerkettendenkmal am Postplatz? Warum haben sich denn nicht mehr Grüne für dieses Datum interessiert?
Wenn wir als NPD viel mehr Leute dort hinbekommen haben, wenn wir es geschafft haben, die Leute für dieses Datum zu begeistern, dann ist das doch eine Leistung von uns. Warum schaffen Sie das denn nicht? Warum schaffen Sie es in Ihrer eigenen Partei nicht, Leute dafür zu begeistern? Diese Frage geht auch an die SPD.
Ja, ich möchte natürlich erwidern. – Ich will jetzt nicht über Zahlen zu Ihrer „großen“ Demonstration vom Montag streiten. Aber ich finde es interessant, unter welches Motto Sie diese Demonstration gestellt haben: „Tradition verpflichtet: 1813 – 1953 – 2013“. In dieser Reihe fehlt eine Jahreszahl: 1943. Es war der Nationalsozialismus, der die Militärideologie des 19. Jahrhunderts aufgriff. Sie wurde in ihrer stärksten Ausprägung von Goebbels in seiner berühmten Sportpalastrede im Februar 1943 vorgetragen, als er den „totalen Krieg“ forderte – ganz im Sinne derjenigen, die schon in den Befreiungskriegen mit
Es war in den Befreiungskriegen der überschäumende Patriotismus einiger Dichter, zum Beispiel von Theodor Körner, die das mit ihren Werken untersetzt haben. Theodor Körner wurde von Goebbels mit seinem Schlusszitat missbraucht: „Nun, Volk, steh auf und Sturm brich los!"
Das ist die Traditionslinie, in der die NPD steht. – „Richtig“ haben Sie gesagt. Richtig: Sie sind Neonationalsozialisten.
Deswegen glaube ich, dass wir diese Linie brechen müssen. Dafür gibt es auch Beispiele aus dieser Zeit.
Es war am gleichen Tag, als Goebbels seine Rede hielt, als Hans und Sophie Scholl das sechste Flugblatt der „Weißen Rose“ in der Münchner Universität verteilten. Sie haben auch mit einem Körner-Zitat gearbeitet, das damals wie heute aus meiner Sicht in Bezug auf Nationalsozialismus bzw. Neonationalsozialismus richtig ist: „Frisch auf, mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen.“
(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN und der SPD – Jürgen Gansel, NPD: Hoffentlich!)