Protokoll der Sitzung vom 11.07.2013

Tagesordnungspunkt 6

Europäischen Emissionshandel wiederbeleben –

Renaissance der klimaschädlichen Kohleverstromung stoppen

Drucksache 5/12206, Antrag der Fraktion DIE LINKE

Die Fraktionen nehmen wie folgt Stellung: DIE LINKE, CDU, SPD, FDP, GRÜNE und NPD. Die Staatsregierung nimmt das Wort, wenn sie es wünscht.

Wir beginnen mit der Aussprache. Für die Fraktion DIE LINKE beginnt Frau Abg. Dr. Runge. Sie haben das Wort.

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir der Sächsischen Staatsregierung etwas Beine machen, sich für einen funktionierenden CO2-Emissionshandel sowohl in der Europäischen Union als auch bei der Bundesregierung starkzumachen; denn einen funktionierenden Emissionshandel setzt die Sächsische Staatsregierung in ihrem eigenen Energie- und Klimaprogramm voraus. Darin heißt es – ich zitiere –:

„Das Ziel der Sächsischen Staatsregierung, die Treibhausgase zu mindern, betrifft nicht den Emissionshandelssektor, der die energieintensiven Industrien und die Energiewirtschaft umfasst. In diesem Bereich greift allein der EU-weite Emissionshandel als marktwirtschaftliches Instrument der EU-Klimapolitik mit dem Ziel, die Treibhausgasemissionen unter minimalen volkswirtschaftlichen Kosten zu senken.“

Mittlerweile greift aber dieses – vorausgesetzte – marktwirtschaftliche Instrument überhaupt nicht mehr. Ganz im Gegenteil! Die EU-Kommission musste feststellen, dass dieser Emissionshandel eben nicht so funktioniert wie ursprünglich angenommen; denn in der Zwischenzeit wurde der Ausbau der Kohleverstromung weiter vorangetrieben, und auch die CO2-Emissionen sind im vergangenen Jahr wieder – um über 2 % – angestiegen.

Hauptursache ist nach Auffassung der Kommission der Verfall der CO2-Zertifikatepreise auf zeitweilig 3 Euro pro Tonne CO2. Für einen funktionierenden Zertifikatehandel aber ist ein Preis von mindestens 30 Euro pro Tonne CO2 notwendig. Von diesem Preisverfall haben natürlich auch Firmen wie Vattenfall und die MIBRAG in Sachsen mit höheren verkauften Braunkohlestrommengen profitiert. Sie werden ermuntert, neue Braunkohletagebaue aufzuschließen. Der Unternehmenschef der

MIBRAG, Herr Joachim Geisler, feiert sich dafür, dass das Unternehmen von steigenden Kohlepreisen und sinkenden CO2-Zertifikatepreisen profitiert. So ist es kein Wunder, wenn Vattenfall neue Tagebaue – Nochten II und darüber hinaus in Brandenburg – aufschließen möchte;

hierzu wird meine Kollegin Kagelmann noch ausführlicher etwas sagen.

Als Ursache für den Verfall der Zertifikatepreise macht die Kommission zu Recht den strukturellen Überschuss an Zertifikaten verantwortlich, der in der laufenden Handelsperiode fast 2 Milliarden Zertifikate beträgt. Diese überschüssige Menge hat sich aufgrund des wirtschaftlichen Einbruchs infolge der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise in der Europäischen Union aufgehäuft. Das zeigt, dass eine politische Mengenregulierung kein flexibles Instrument ist, um kurzfristig und zielgenau die Menge der Zertifikate an die wirtschaftlichen Marktschwankungen anzupassen.

Die von der Politik abhängige Mengenregulierung wird so außerdem zum Spielball von Lobbyinteressen und politischen Mehrheiten. So ist es auch kein Wunder, wie der Reformvorschlag der EU-Kommission zur Wiederbelebung des Emissionshandels in den Mühlen der EUInstitutionen mit kräftigem Zutun der Lobbyisten zermahlen wurde. Zur Reform des Emissionshandels hatte nämlich die Kommission lediglich ein „Backloading“ vorgesehen, was nichts anderes als eine Verschiebung der Auktionierung von CO2-Zertifikaten bedeutet hätte, und zwar auf einen Zeitpunkt nach 2015, um kurzfristig den Preisverfall der CO2-Zertifikate zu stoppen.

Sowohl im Industrieausschuss als auch im EU-Parlament im April fiel der Reformvorschlag der Kommission mit den Stimmen der Konservativen durch. Für das Scheitern hatten Lobbygruppen ganze Arbeit geleistet. In der Folge wurde im Umweltausschuss des EU-Parlaments mit großer Mühe ein Kompromiss gefunden, der im zweiten Anlauf des Parlaments in der vergangenen Woche – endlich! – mit Mehrheit beschlossen wurde. Dieser Kompromiss sieht vor, dass 900 Millionen Zertifikate erst zu einem späteren Zeitpunkt – nach 2015 – versteigert werden und dass davon 600 Millionen Zertifikate einem Fonds zur Unterstützung innovativer Technologien mit niedrigem CO2-Ausstoß zur Verfügung gestellt werden.

Das Parlament hat mit Ach und Krach den CO2Emissionshandel vorerst gerettet. Mit der Herausnahme von 900 Millionen Tonnen CO2 aus dem Handel kann sich zwar der Preis pro Tonne CO2 stabilisieren, aber ob mit diesem Reförmchen die Klimaschutz- und Energiepolitikziele der Europäischen Union erreicht werden können, darf doch bezweifelt werden. Hinzu kommt, dass diesem

Reförmchen auch noch der Europäische Ministerrat zustimmen muss.

Während CDU-Umweltminister Altmaier für den Vorschlag der Kommission ist, blockiert FDP-Wirtschaftsminister Rösler im Ministerrat die Entscheidung. So viel zu Ihrem FDP-Ministerkollegen, Herr Morlok. Sie könnten hier tätig werden, Herr Minister, und Rösler davon überzeugen, doch endlich dieser Minireform auch im Europäischen Ministerrat zuzustimmen. So viel zur harmonischen Regierungsführung zwischen CDU und FDP in der Bundesregierung.

Von der zweiten Forderung in unserem Antrag, das EUweite Emissionsreduktionsziel bis 2020 im Vergleich zu 1990 statt mit 20 % festzusetzen, vielmehr auf 30 % anzuheben, mag ich unter diesen Voraussetzungen fast gar nicht mehr sprechen. Dennoch wäre es ein Leichtes, dieses erhöhte Klimaschutzziel auch umzusetzen, wenn denn der politische Wille mehrheitlich vorhanden wäre.

Den von der SPD eingebrachten Änderungsantrag zu Punkt 2 können wir inhaltlich voll übernehmen, weil genau unsere Forderung, die wir eigentlich berücksichtigt haben wollten, nicht korrekt im Antrag ausformuliert worden ist, denn die Folgekosten des Klimawandels sind um ein Vielfaches höher als Investitionen in einen aktiven Klimaschutz.

Die im Zehn-Jahres-Rhythmus auftretenden sogenannten „Jahrhundertfluten“ geben uns eine nur schwache Vorahnung davon, was zukünftigen Generationen durch eine beschleunigte Erderwärmung bevorsteht. Auch das hat mit Generationengerechtigkeit etwas zu tun und nicht nur die Verschuldung des Staates.

In diesem Machtpoker spielt unsere Klimakanzlerin Angela Merkel eine zentrale Rolle. Sie werden sich doch alle daran erinnern, wie sich die Kanzlerin vor den schmelzenden Eisbergen Grönlands als Klima-Kanzlerin medienwirksam inszenierte und heute nicht den Mumm in der Hose hat, sich für Umwelt- und Klimaschutzpolitik in der Europäischen Union starkzumachen. Dort spricht Deutschland als stärkstes Wirtschaftsland der EU selten mit einer Stimme. Das ewige Hickhack zwischen dem vormaligen Umweltminister Röttgen sowie dem heutigen Umweltminister Altmaier mit FDP-Wirtschaftsminister Rösler führt doch bestenfalls zur Stimmenthaltung, und meistens unterstützt die Kanzlerin in solchen PattSituationen den FDP-Wirtschaftsminister, wie neulich erst wieder bei der Abstimmung zu den Abgasgrenzwerten für Autos.

Nein, Kanzlerin Angela Merkel ist nicht durchsetzungsstark, sondern an reinem Machterhalt interessiert. Dabei interessiert die Kanzlerin auch nicht, dass mit den Einnahmen aus der Versteigerung der Zertifikate in Deutschland Maßnahmen zur energetischen Gebäudesanierung finanziert werden sollten. Ganz nebenbei würden höhere Zertifikate an der Energiebörse auch dafür sorgen, dass die Umlage für erneuerbare Energien sinken würde, denn das an der Börse entstehende Paradoxon zwischen fallenden Börsenpreisen für Strom einerseits und wachsenden

Einspeisungsvergütungen für erneuerbare Energien

andererseits könnte durch steigende Preise für CO2Zertifikate eine tatsächliche Strompreisbremse sein.

DIE LINKE war schon vor der Einführung des Emissionshandels statt für diesen Emissionshandel als Mengenregulierung für eine Besteuerung von CO2-Emissionen als dem besseren Instrument zum Klimaschutz und marktgerechterem Instrument, was nun mittlerweile auch viele Fachleute und Experten einfordern. Das aber wäre ein neues Thema.

Zunächst werbe ich um Zustimmung für unseren Antrag.

(Beifall bei den LINKEN)

Nächster Redner ist für die CDU-Fraktion Herr Krauß. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wie gesagt, der Emissionshandel muss wiederbelebt werden. Aber der Emissionshandel funktioniert, Frau Kollegin Dr. Runge, wenn Sie sich ihn mal anschauen. Zumindest funktioniert er in Europa und in Deutschland. Die übrige Welt ist ja nicht so übermäßig begeistert vom Emissionshandel, wie wir ihn hier in Europa betreiben.

Richtig ist, Frau Dr. Runge, dass der eine oder andere Spekulant mit dem Verlauf des Handels unzufrieden ist. Wenn man auf steigende Preise gewettet hat und das Gegenteil eintritt, dann ist man in der Tat damit nicht zufrieden.

Ein Preis bildet sich immer am Markt. Das heißt, dass ein Preis steigen kann. Das heißt aber auch, dass ein Preis fallen kann. Das richtet sich nach Angebot und Nachfrage und nach Möglichkeit eben nicht nach Vorgaben der Politik. Wenn die Nachfrage gering ist, dann sinkt der Preis; wenn die Nachfrage hoch ist, dann steigt er. Derzeit haben wir im Großen und Ganzen die Situation, dass die Nachfrage sinkt und der Preis damit fällt, und das hat etwas mit konjunkturellen Einflüssen zu tun, aber eben auch damit, dass wir mehr erneuerbare Energien haben, die Strom ins Netz bringen. Je mehr ich erneuerbare Energien habe – das ist die logische Konsequenz –, desto weniger Zertifikate brauche ich in einem Land und desto niedriger ist der Preis. Weil wir in Deutschland viele Windräder und Solaranlagen gebaut und saniert haben, ist der Zertifikatspreis so niedrig. So einfach ist manchmal Mathematik und auch die Logik des Marktes.

Jetzt steht die Frage: Muss man die Zahl der Zertifikate verringern, soll man sie verringern oder soll man Zertifikate aus dem Markt nehmen, zumindest für eine gewisse Zeit, soll der Staat eingreifen? Sie haben davon gesprochen, dass das Europäische Parlament den Vorschlag gemacht hat, 900 Millionen Zertifikate aus dem Markt zu nehmen, und richtigerweise auch gesagt, dass der Ministerrat auch noch darüber zu befinden hat.

Die Frage, die steht, ist natürlich: Ist die politische Einflussnahme gut, soll man in ein einmal vereinbartes

Verfahren eingreifen oder soll man das nicht tun? Wenn man das macht, dann, ist klar, verunsichert man die, die im Markt tätig sind, zum Beispiel die Abnehmer der Zertifikate. Die haben sich ja schon geäußert. Das sind nicht nur die Stromerzeuger, die Stahlindustrie, die diese Zertifikate brauchen, es ist die gesamte Wirtschaft, und die Wirtschaft beschwert sich aus meiner Sicht zu Recht, weil das Umfeld, in dem wir derzeit die Energiepolitik betreiben, ohnehin sehr unsicher ist.

Es gibt so gut wie keine Planungssicherheit. Diese Planungssicherheit verringern wir noch weiter. Das können Sie überall sehen. Es gab vor einer Woche ein Interview mit dem Chef der Leipziger Stadtwerke. Keiner ist mehr bereit, ein Kraftwerk zu bauen. Keiner ist mehr bereit zu sagen, wir bauen ein Pumpspeicherkraftwerk in Deutschland, weil es keine Planungssicherheit gibt, ob sich das überhaupt rechnet. Wenn wir dann anfangen, die Planungsunsicherheit noch zu erhöhen, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn das Ganze einmal irgendwann gegen den Baum fährt.

Sie können sehen, dass diese Planungsunsicherheit natürlich zu Schwankungen an der Börse führt. Nach den ersten Entscheidungen des Europäischen Parlaments – wobei das Europäische Parlament gesagt hat, dass es diesen Vorschlag der Kommission nicht mitträgt –, ist der Börsenpreis um 34 % gesunken. Nach der letzten Entscheidung des Europäischen Parlaments, wonach man einen Vorschlag machen möchte, ist der Börsenpreis für die Zertifikate um 11 % gestiegen.

Also immer wenn sie eine Sau durch das Dorf treiben, verändert sich der Preis. Da stellt sich irgendwann die Frage: Wollen wir den Unternehmen Planungssicherheit geben, oder wollen wir hier ständig nur Verunsicherung haben? Die einzigen Gewinner von diesem Hüh und Hott sind übrigens Spekulanten, die darauf wetten.

Was passiert, wenn der Ministerrat zustimmt? Natürlich ist der Handel mit Zertifikaten – das will ich auch ganz deutlich sagen – ein marktwirtschaftliches Instrument und allemal besser als das EEG, das wir derzeit haben. Aber was passiert, wenn diese Herausnahme der Zertifikate aus dem Markt erfolgt? Das ist auch ganz logisch. Der Strompreis steigt. Das wollen Sie ja auch. Frau Dr. Runge, Sie dürften in keiner Mathematikprüfung sagen: Wenn der Preis steigt, zahlt der Verbraucher weniger. Mit dem, was Sie vorhin erzählt haben, würden Sie bei jeder Matheprüfung durchfallen.

Entschuldigung, wenn die EEG-Umlage und damit der Hauptbestandteil der Stromrechnung steigt, ist doch klar, dass der Strom insgesamt teurer wird. Wir haben in Europa schon steigende Preise. In den USA sinkt der Strompreis. Bei uns in Europa steigt der Strompreis. BASF – ein großes chemisches Unternehmen, weltweit tätig – hat jetzt angekündigt, drei neue chemische Fabriken in den USA zu bauen, aber keine einzige in Deutschland. Das können Sie überall verfolgen. Da ist die Frage, ob wir diesen Trend noch verstärken wollen, um damit

wirklich das letzte Industrieunternehmen aus Deutschland zu vertreiben.

Was bedeutet der Beschluss, den das Europäische Parlament in der vergangenen Woche gefasst hat? Er bedeutet Mehrkosten von 1,6 bis 2,2 Milliarden Euro für Deutschland pro Jahr. Strom wird also teuer. Sie sagen noch, Frau Dr. Runge, dass Ihnen das eigentlich viel zu wenig ist und der Strompreis eigentlich noch viel mehr steigen müsste.

(Zuruf der Abg. Dr. Monika Runge, DIE LINKE)

Das können Sie gern sagen. Aber stellen Sie sich dann bitte auch hin und sagen Sie den Rentnern, dass Sie höhere Strompreise wollen. Das müssen Sie dann bitte auch sagen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Aber das machen Sie nicht! Wenn das umgesetzt wird, was Sie als „viel zu wenig“ geißeln, dann heißt das für den Normalhaushalt in Deutschland 55 Euro Mehrkosten pro Jahr. Sie sagen, das sei viel zu wenig. Sie haben vorhin gesagt, der Preis müsse bei 30 Euro pro Tonne liegen. Dann wären wir schon bei 120 Euro Mehrkosten für die Haushalte in Deutschland.

(Zuruf der Abg. Dr. Monika Runge, DIE LINKE)

Sagen Sie bitte den Rentnern, sagen Sie bitte den Sozialhilfeempfängern, dass Sie für höhere Strompreise sind! Wir werden das den Leuten auf jeden Fall sagen. Davon können Sie ausgehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es kann doch nicht sein, dass Sie auf der einen Seite höhere Strompreise kritisieren und geißeln, wie Sie das bei der letzten Plenarsitzung gemacht haben, und sich auf der anderen Seite heute hinstellen und sagen, die Entstehungskosten für Strom müssten höher sein, damit der Strompreis steigt.

Das werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. Darauf werden wir kräftig hinweisen. Wir werden auch den Leuten, die in energieintensiven Unternehmen tätig sind, sagen, was Sie vorhaben