Der Sachverständige Dr. Ralf Gössner hat in derselben Anhörung ausgeführt, dass die Polizei durch die Verschärfung der Sicherheitsgesetze in den letzten Jahren einen massiven Zuwachs an Machtbefugnissen erhalten hat, speziell in Sachsen durch die letzte große Polizeigesetznovelle. Mit solchem Machtzuwachs erhöhen sich immer die Missbrauchsgefahr und die Gefahr von Fehlern. Deshalb müssen wir immer wieder die Frage nach der Zulässigkeit vieler Befugniserweiterungen stellen; der letzte Bericht der Regierungskommission zur Evaluation der Sicherheitsgesetzgebung in Deutschland vom August dieses Jahres wirft sie zu Recht auf. Ebenso wichtig ist aber, dass diesen Verschärfungen ein bürgerrechtliches Korrektiv gegenübergestellt wird. Auch deshalb braucht Sachsen eine Polizeikommission.
In der Anhörung zeigten mehrere Sachverständige auf, dass eine unabhängige Polizeikontrolle besonders wichtig für diejenigen Menschen ist, die gegenüber der Polizei keine Beschwerdemacht haben, weil sie weitere Diskriminierungen oder Schikanen fürchten, zum Beispiel Obdachlose und Flüchtlinge.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Aus diesen Gründen haben wir Ihnen einen Vorschlag für eine hauptamtliche, aber schlanke und unmittelbar mit dem Parlament zusammenarbeitende Kontrollkommission vorgelegt. Anders als im Gesetzentwurf der LINKEN kann sie ohne Verfassungsänderung eingeführt werden und soll der vollständigen personellen Entscheidung durch den Landtag unterliegen. Ihre Mitglieder sollen alle sechs Jahre vom Landtag gewählt werden und Erfahrungen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen bzw. verschiedene fachliche Hintergründe – wie Bürgerrechtsarbeit und Justiz – vereinen.
Dazu gehört auch eine Person, die direkt aus dem Polizeiapparat stammt und der Abläufe und polizeiliche Praxis umfassend vertraut sind. Wir wollen so Polizeibediensteten die Chance geben, Missstände und Probleme unabhängig von Weisungsverhältnissen zur Untersuchung zu bringen oder aber auch auf Sicherheitslagen und Arbeits
So hätte ich, sehr verehrter Herr Innenminister, aktuell gern eine unabhängige Untersuchung darüber angefordert, warum es in der Nacht vom 6. zum 7. September in Bad Schandau Presseberichten zufolge immerhin 30 Minuten gedauert haben soll, bis die Polizei nach den Übergriffen Rechtsradikaler auf Hamburger Schüler vor Ort eingegriffen hat.
Die Entschuldigung der Polizeiführung dafür war sicher angemessen. Aber das reicht nicht aus. Wir brauchen Aufklärung darüber, was der Grund dafür ist, dass Gäste unseres Landes – einfach, weil sie vielleicht nicht blond oder blauäugig sind – sich nicht sicher fühlen können. Es hat ja einen weiteren Vorfall gegeben.
Herr Minister, ich erwarte, dass Sie sich dazu äußern, wie Sie das aufklären wollen, und dass Sie dem Parlament darüber Bericht erstatten. Das war ein schlimmer Vorfall, der auch der Reputation Sachsens schadet.
Uns ist klar, dass die Polizeikommission kein Allheilmittel zur Verbesserung von Polizeiarbeit und zur Bildung von Vertrauen in die Polizei ist. Aber sie ist der entscheidende Schritt in die richtige Richtung. Sie ersetzt natürlich keine – offenbar im Aufbau befindliche – Innenrevision und auch keine funktionierende interne Ermittlung; die braucht die Polizei in Sachsen auch, Herr Innenminister.
Selbstverständlich braucht Sachsen eine genügende Ausstattung der Polizei mit Stellen und Material sowie eine hochwertige, den aktuellen Anforderungen angepasste Ausbildung der Polizei – eine Voraussetzung, die die Staatsregierung durch das strukturelle Ausblutenlassen der Fachhochschule der Sächsischen Polizei und den fortgesetzten Stellenabbau gerade nicht schafft.
Die Einführung der Polizeikommission, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, entbindet den Sächsischen Landtag allerdings nicht davon, sich mit Ursachen und Formen von Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten auseinanderzusetzen. Meine Fraktion hatte bereits im Jahr 2010 einen Antrag zur Evaluation und zur Verhinderung von Gewalt gegen Polizeibedienstete vorgelegt. Leider hielten Regierung und CDU/FDP-Mehrheit im Hohen Hause unsere Vorschläge damals für überflüssig. Aktuelle Medienberichte zeichnen hier ein anderes Bild.
Aufarbeitung und Verfolgung von Straftaten gegen die Polizei und durch die Polizei schließen sich keinesfalls aus. Vielmehr ist beides notwendig, um das Vertrauen zwischen Polizei und Bürgerschaft zu verbessern und bürgerrechtliches Denken in unserer Polizei zu festigen. Die Polizeikommission würde dafür eine gute Unterstützung leisten. Sie wäre keine reine Beschwerdestelle,
sondern eine Institution, die strukturellen Mängeln und Problemen der Polizei auf den Grund gehen und konkrete Änderungs- bzw. Verbesserungsvorschläge für die Zukunft unterbreiten könnte. Dazu soll sie dem Landtag einmal im Jahr oder auf Anforderung Bericht erstatten. Das wird zu einer positiven Weiterentwicklung der Polizei in Sachsen führen. Die Kommission wird dazu beitragen, die Bürgerrechtsorientierung der Polizei zu stärken und durch ein transparentes Beschwerdemanagement mehr Vertrauen herzustellen.
Zum Schluss noch einige Worte an meine Kolleginnen und Kollegen von der Koalition: Insbesondere von der Union hört man im Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung und der Videoüberwachung häufig den Satz: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“ Wenn bei der Polizeiarbeit in Sachsen alles so vorbildlich ist, warum wehren Sie sich dann dermaßen gegen eine unabhängige Kontrolle?
Stimmen Sie unserem Antrag zu, und Sie werden ein objektives, klares Bild von der Polizeiarbeit erhalten!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ja, wir haben in Sachsen ein Problem mit der Überprüfbarkeit polizeilicher Handlungen. Es ist leider so, dass Menschen, die als Betroffene, Zeugen oder Angehörige, aber auch als Kolleginnen und Kollegen in der Polizei selbst Fehlverhalten, Gesetzesverstöße oder Grenzüberschreitungen wahrnehmen, kaum eine Chance haben, dass irgendwer diese entsprechenden polizeilichen Maßnahmen objektiv, transparent, unmittelbar und gründlich untersucht.
Vorwürfe und Beschwerden werden von der betroffenen Dienststelle selbst untersucht. Das Problem dabei: Meist wird das als versuchte Verunglimpfung des guten Rufes der Kolleginnen und Kollegen, der Einheit, des Reviers oder der Polizei als Ganzes wahrgenommen.
Auf Anzeigen gegen Polizeibeamte in Sachsen folgt häufig – nach Monaten! – ein geradezu anachronistisches Schauspiel: Erst wird lange versichert, dass der betreffende Beamte leider nicht identifizierbar sei, und es wird stetig nachgefragt, ob nicht der Betroffene selbst etwas falsch gemacht habe.
Dann finden sich plötzlich vier bis fünf Polizistinnen oder Polizisten, die sich en detail genau an die längst vergangene Einsatzsituation erinnern können und denen im Nachgang plötzlich auch noch einfällt, dass der Beschwerdeführer eine Straftat – meist eine Widerstandshandlung oder eine Beleidigung – begangen habe. Die Folge ist – quasi als Antwort – ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer selbst.
Mit einem guten Anwalt kann man im besten Fall eine Abwägung und gegenseitige Einstellung beider Verfahren erreichen. Außer Spesen mit der Beschwerde also nichts gewesen. Dabei gehört es leider zum Alltagserleben von Anwälten und Strafverteidigern – so wurde es auch in der Anhörung im Ausschuss geschildert –, dass Richter und Staatsanwälte prinzipiell einem Polizisten mehr Glauben schenken als dem Bürger, vor allem, wenn dieser einer gesellschaftlichen Randgruppe angehört. Auch das Prinzip Aussage gegen Aussage gilt scheinbar nichts, wenn ein Polizist vor Gericht steht. Frau Jähnigen hat die entsprechenden Zahlen dazu genannt.
Da sind Dutzende solcher Beispiele aus kleinen und großen polizeilichen Einsatzlagen bekannt, die unter Mitwirkung verschiedenster Gliederungen der Polizei stattfanden. Wenn ein Fall aber zu gravierend, zu gut dokumentiert oder von zu vielen Zeugen beobachtet und damit bewiesen wurde, setzt ein anderer Reflex ein. Der betroffene Beamte wird dann als schwarzes Schaf abgetan, also als einzelner, fehlgeleiteter Polizist, gegen den im Zuge der Dienst- und Fachaufsicht und der Strafverfolgung vermeintlich konsequent vorgegangen wird.
Doch bei der absoluten Mehrheit der Fälle kommt es gar nicht erst zu einer solchen Reaktion, da die Betroffenen Hemmungen oder Angst haben, sich an jene zu wenden, die ihnen im Alltag als Vertreter repressiver staatlicher Autorität gegenüberstehen. Oder sie haben einfach Schwierigkeiten, ihre Sicht der Dinge zu artikulieren, und deshalb schaffen sie es nicht, die für sie sehr hohe Hürde der Anzeige oder Beschwerde zu überspringen.
Ich spreche hier von Menschen ohne Beschwerdemacht, Menschen ohne hohen gesellschaftlichen Status und eine entsprechende mächtige Interessenvertretung, ohne
entsprechende soziale und materielle Ressourcen. Ich spreche von Migrantinnen und Migranten, Obdachlosen, Süchtigen, psychisch kranken Menschen, Menschen mit Behinderungen, Menschen aus subkulturellen Milieus und sozial Schwachen. Doch genau diese Menschen ohne Beschwerdemacht sind aus strukturellen Gründen oft die Betroffenen von unprofessionellem Umgang oder gar von Fehlverhalten durch Polizeibeamte.
Die Statistik über Beschwerden gegen die Polizei, der zufolge es kaum zu Verurteilungen kommt, ist eben kein Indiz dafür, dass Polizistinnen und Polizisten in Sachsen nur äußerst selten die Grenzen des legitimen und legalen Handelns überschreiten. Diese Zahlen können auch keinesfalls einfach mit der Anzahl polizeilicher Einsätze insgesamt ins Verhältnis gesetzt werden, wie es der Zwickauer Polizeipräsident, Herr Georgie, in der Anhörung getan hat, um damit zu behaupten, alles wäre Friede, Freude, Eierkuchen.
Das Land Sachsen-Anhalt hat eine Zentrale Beschwerdestelle Polizei beim Innenministerium eingerichtet. Dieser Ansatz ist unserer Auffassung nach unzureichend, aber selbst dort ist eine der Zielsetzungen dieser Beschwerdestelle die Erhöhung des Beschwerdeaufkommens, weil man damit a) das große Dunkelfeld ausleuchten will, das
auf diesem Gebiet herrscht, und b) die Kommunikation zwischen den Bürgern und der Polizei sowie die Transparenz polizeilichen Handelns stärken will.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE beschäftigt sich seit der großen Fachkonferenz von Amnesty International mit dem Titel „Mehr Verantwortung bei der Polizei“ vor fast drei Jahren sehr intensiv mit dieser Thematik. Wir haben unseren Gesetzentwurf vor der Einbringung in den Landtag ausgiebig außerparlamentarisch mit Initiativen, Vereinen, Menschenrechtsorganisationen, Juristinnen und Juristen und Polizeiexperten beraten.
Wir präsentieren Ihnen hiermit einen gut überlegten Vorschlag, der sich einerseits in unsere stetige und langjährige Kritik an der sächsischen Innenpolitik einreiht, darüber hinaus aber auch einen konstruktiven Schritt hin zu einer bürgernahen, einer demokratischen, einer transparenten und verantwortlich arbeitenden sächsischen Polizei aufzeigt, einer Polizei, die für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gut aufgestellt ist.
Denn das Problem beginnt nicht beim Polizisten im Einsatz auf der Straße oder im Revier, sondern es folgt einer komplexen Kombination aus politisch-inhaltlichen Vorgaben, institutionellen Rahmenbedingungen, legislativ zugewiesenen und persönlichen Kompetenzen. Es hängt eng mit Führung, Zusammenarbeit, Selbstbild und Wahrnehmung der eigenen Rolle innerhalb der Polizei zusammen.
Das Thema, über das wir hier eigentlich reden müssen, heißt Polizeikultur im Freistaat Sachsen. Deshalb lassen Sie mich kurz etwas ausholen: Der Hamburger Polizeiwissenschaftler Prof. Raphael Behr definiert Polizeikultur als ein Bündel von Wertbezügen, die das Alltagshandeln von Polizeibeamten ermöglichen, begrenzen und anleiten. Es ist die öffentlich vorgegebene Leitkultur seitens der Politik und der Polizeiführung. Dabei geben diese Wertbezüge Auskunft darüber, in welchen Situationen welche Werte und Tugenden in welchem Ausmaß Geltung erlangen, und auch darüber, wann und in welchem Ausmaß Gewalt angewendet werden muss, soll oder darf.
Wenn wir uns in den europäischen Nachbarländern umschauen, können wir einen Organisationswandel wahrnehmen – weg von einer Polizei mit klassischer staatlicher Eingriffsverwaltung mit Gewaltbefugnissen hin zu einer bürgernahen, demokratisierten und demokratisch kontrollierten Polizei.
Doch was haben wir in Sachsen für eine Polizeikultur? Was sind die Wertbezüge, die Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition und Herr Innenminister, den Polizeibeamten in diesem Land mitgeben? – Dazu möchte ich den Blick noch einmal zurück auf den Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2009 lenken.
Sie stärken eine Polizei, die ihrem Selbstbild nach von einem Über- und Unterordnungsverhältnis zu den Bürgerinnen und Bürgern bestimmt ist. Sie beschreiben das Bild einer von Feinden umzingelten Staatspolizei, deren
Zugleich kürzen Sie Gehälter, verknappen das Personal, dünnen Präsenz in der Fläche aus, um mit spezialisierten und geschlossenen Einheiten im Bedarfsfall, ohne lange reden zu müssen, intervenieren zu können. Diese Kombination, die Sie auch mit Ihrer Polizeireform umgesetzt haben, wirkt auf das polizeiliche Selbstbild, stärkt den Korpsgeist und führt zu einer chauvinistischen Cop culture.
getroffene Hunde bellen anscheinend, Herr Hartmann –, die die Faktoren verstärkt, die polizeiliches Fehlverhalten begünstigen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin davon überzeugt, dass der übergroße Teil der sächsischen Polizistinnen und Polizisten seinen Job unter hohem Einsatz nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt. Dennoch brauchen wir eine andere Kultur in der Polizei. Ich wünsche mir eine Polizei, die den Spagat zwischen Eingriffsverwaltung und Bürgernähe, und zwar zu allen Bürgerinnen und Bürgern, auch zu den schwierigen, den fremden oder den in ihrem Verhalten vielleicht unangenehmen Menschen, durch gute Ausbildung, gute Arbeitsbedingungen, ein gutes Betriebsklima und stetige Reflexion der eigenen Arbeit meistern kann.
Dazu muss, wie Prof. Aden, ein Polizeiausbilder, zur Anhörung ausdrücklich eingefordert hat, eine Fehlerkultur entwickelt werden. Fehlerkultur bedeutet hier, dass es einen Rahmen und die Möglichkeit gibt, dass Fehler eingestanden werden können, um aus ihnen zu lernen, anstatt sie zu verschweigen.
Die von uns vorgeschlagene Polizeiombudsstelle kann eine Säule für eine solche Entwicklung sein; denn wir stärken erstens das Vertrauen zwischen den Menschen und der Polizei – –
Könnten wir bitte einmal etwas Wasser bekommen? – Vielleicht sollten Sie Ihre Rede nachher fortsetzen. Das wäre vielleicht besser.