Protokoll der Sitzung vom 18.09.2013

Ihre zweite Frage war auf die großen Städte bezogen. Deshalb wollen wir eine Regelung, der die Kommune zustimmen muss. Sie können das nicht nur als einen reinen freiwilligen Akt darstellen, sondern sie brauchen objektive Kriterien. Deshalb ist hier explizit die kommunale Verantwortung mit drin. Sprechen Sie ehrlich mit Ihren Kolleginnen und Kollegen. Es ist nicht so, dass das in der CDU kein interessantes Thema wäre. Der Landrat von Meißen ist selbst jemand, der das Thema auf die Tagesordnung gesetzt hat. Viele Kommunalpolitiker – auch mit CDU-Parteibruch – sagen, es ist vernünftig, über das Thema zu reden. Was ich nicht verstehen will, ist, warum man diese Option der Umsiedlungen ausschließt. Das ist die Frage, die Sie heute beantworten müssen.

(Svend-Gunnar Kirmes, CDU: Weil Sie meine Frage nicht beantwortet haben!)

Doch, habe ich.

Ich möchte noch einmal auf Herrn Hauschild eingehen. Sie sprechen über das, was Sie jetzt mit dem Programm, der Förderrichtlinie, haben. Diese hilft Ihnen bei dem Thema schlichtweg nicht, weil es ein Unterschied ist, ob Sie den Schaden regulieren wollen, und auch der Härtefall reguliert nur den Bereich des Eigenanteils. Mit einem Härtefall können Sie sagen, Sie bekommen 100 % des Schadens ersetzt. Was wir aber wollen, ist, dass die Grundlage der Wiederherstellungswert ist. Alles andere ist kein Anreiz, umzusiedeln. Das ist der große Unterschied.

Der zweite Punkt, Herr Hauschild: Wenn Sie hier so stolz verkünden, dass alles super läuft, da wäre ich etwas vorsichtiger in der Bewertung, ob alles schon so gut läuft. Der Vorsprung, den Sachsen bei der Krisenbewältigung aufgrund der Erfahrung von 2002 hatte, ist dahingeschmolzen. Reden Sie mit der Sächsischen Aufbaubank, wie viele Anträge es gibt, schauen Sie, wann die Richtlinie im Netz war, wann überhaupt die Anträge gestellt werden konnten. Reden Sie mit den Betroffenen, wie viele Anträge zurückgeschickt wurden, reden Sie mit den Betroffenen, wie Sie mit den Gutachten umgehen usw. Da gibt es noch sehr viele Baustellen, und deshalb wäre ich sehr vorsichtig, jetzt schon zu sagen, es sei alles gut gelaufen, wir brauchen keine anderen Lösungen. Diese Debatte werden wir auch noch führen, was mit der Abwicklung der jetzigen Krise im Argen liegt. Ich glaube, man muss unterscheiden, wo man Leuten konkret helfen muss und wo wir politisch bewerten. Das, was wir hier machen, ist, außerhalb der Richtlinie ein Konzept anzubieten, wie wir Umsiedlungen finanzieren wollen. Die Betroffenen brauchen die Antwort jetzt und nicht in einem Jahr oder einem halben Jahr oder in zwei Jahren; denn sie brauchen jetzt eine Entscheidung, ob sie eine Perspektive an einer anderen Stelle haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Herr Lichdi, eine Kurzintervention oder ein Redebeitrag?

Vielen Dank, Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege Dulig! Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass Sie vielleicht sinnreicher die Einwände der Redner der Koalition damit hätten parieren sollen, dass Sie die Redner der Koalition darauf hinweisen, dass wir hier im Fall der Elbe insbesondere über die morphologische Aue der Elbe sprechen, also über den Raum, der unabhängig von den Regulierungsmaßnahmen nach 1860 ff. den Raum in Anspruch nehmen würde mit Wasser.

Wenn wir uns die Überschwemmungskarten ansehen, die Überschwemmungen des 19. Jahrhunderts, des 20. und des 21. Jahrhunderts, dann müssen wir feststellen, dass die Überschwemmungszonen genau die sind, die früher die morphologische natürliche Aue waren und welches die Alt-Elbarme waren. Von daher ist natürlich klar, dass es nicht um die Innenstadt von Dresden oder sonst etwas geht, sondern dass es genau um diese Gebiete geht. Das heißt, es ist nach natürlich feststellbaren Kriterien beschränkt, welche Gebiete zur Umsiedlung in Betracht kommen und welche nicht. Es geht auch nicht darum, dass wir jeden Ort umsiedeln müssen. Wenn wir uns nämlich damit beschäftigen, würden wir beispielsweise feststellen, dass in der Gemeinde Brockwitz der Kirchturm nie überschwemmt war. Was überschwemmt war, sind die drei, vier, fünf, sechs, sieben Häuserzeilen, die nach 1860 in die alte Überflutungsaue gebaut wurden. Das war ein Fehler. Jetzt geht es darum: Lassen wir die Menschen mit diesem Fehler, den wir als Gesellschaft insgesamt gemacht haben, allein oder reichen wir ihnen die Hand –

Herr Lichdi, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

– und geben ihnen eine neue Chance? Deshalb bitte ich um Zustimmung zu dem Antrag.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Herr Dulig, Sie möchten auf die Kurzintervention antworten?

Ich nehme die Kurzintervention zustimmend zur Kenntnis.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! Gibt es noch weitere Wortmeldungen in der zweiten Runde? – Mir liegen keine vor. Möchte niemand sprechen? – Dann frage ich die Staatsregierung: Möchte sie das Wort ergreifen? Herr Staatsminister Dr. Beermann, Sie haben das Wort.

Danke, Herr Präsident! Meine sehr geehr

ten Damen und Herren Abgeordneten! Ich würde gerne zu Anfang, weil doch im Großen und Ganzen die Diskussion sehr sachlich verlaufen ist und wir auch viele Argumente untereinander ausgetauscht haben, zu dem, was Sie, Herr Vorsitzender, zum Schluss gesagt haben, einiges ausführen.

Dass wir dort nachgelassen hätten, vermag ich an den objektiven Zahlen nicht zu erkennen. Wir hatten, wenn ich das sagen darf, beim Hochwasser 2002 erst im Frühjahr 2003 die Richtlinien. Die haben wir nun schon lange. Endgültige Auszahlungen gab es erst im Januar 2003. Auch da sind wir jetzt schon dabei, sodass wir, was immer noch ein Vorteil gegenüber den anderen ist, immer noch weiter vorn liegen. Dass es an der einen oder anderen Stelle hakt, ist auch ganz klar, denn wir reden immer noch über eine Schadensgröße von 1,9 Milliarden Euro, also über etwas, das nicht nur in Form einer ersten Hilfe abzuarbeiten war, sondern wo es jetzt um den Aufbau geht. Damit bin ich beim Thema.

Ich glaube auch, dass der vorliegende Vorschlag der SPDFraktion dem, was wir tatsächlich tun und was wir anbieten, nicht gerecht wird. Ich darf daran erinnern: Wir haben sehr früh beim Bund und bei den anderen Ländern darauf gedrungen, dass der Wiederaufbau an anderer Stelle ermöglicht wurde. Es ist überhaupt nicht einzusehen, dass, wenn jemand Geld, und zwar seinen Schaden ersetzt bekommt an einer Stelle, dass er gezwungen wird, dort wieder aufzubauen, denn das Geld des Steuerzahlers kann genauso dafür genutzt werden, dass er an anderer Stelle wieder baut. Wir als Politiker haben anschließend auch vernünftige Lösungen zu finden, um dem tiefen Leid, das wir alle mitempfinden, zu begegnen.

Dem ist der Bund dankenswerterweise nachgekommen, indem er sagte: Jawohl, den Ansatz finden wir vernünftig, aber der Anknüpfungspunkt ist immer der Schaden, um den es geht. Auch dort war das Leitbild natürlich der große Schaden, dass beispielsweise das gesamte Haus weg ist, dass man dann schon eine Möglichkeit haben muss, sich an anderer Stelle wieder komplett auch ohne größere finanzielle Verluste anzusiedeln. Wenn der Schaden aber geringer ist als das Haus – wie es vorhin schon beschrieben wurde – und im Keller oder im Erdgeschoss nicht auch andere Maßnahmen genügen und zumindest der Steuerzahler in sehr viel stärkerem Maße herangezogen werden muss, dieses Leitbild, hat man gesagt, das wollen wir nicht.

Einige sagen, 50 Millionen Euro reichten nicht aus, andere sagen, das sei zu viel. Man kann es ausrechnen – die Daten liegen vor –: 50 Millionen Euro würde gerade einmal für 181 Häuser reichen. Das entspricht etwa Röderau-Süd; das darf man an dieser Stelle auch sagen. Die Gebietskulisse war übrigens 2013 größer als 2002.

Ich gehe von einem Durchschnittswert von 250 000 Euro aus. Zudem sehen die Antragsteller eine Umzugshilfe von 10 % vor; das wären noch einmal 25 000 Euro. Da kann man hin- oder herrechnen; ich möchte mich jetzt nicht auf die einzelnen Zahlen festlegen.

Ich sagte es bereits: 181 Häuser. Das reicht also für die potenzielle Gebietskulisse, die die Antragsteller abstrakt ausweisen wollen, mitnichten aus. Da der Bund oder die anderen Länder das Vorhaben nicht refinanzieren, reden wir von sächsischem Geld. Dann muss ich mir allerdings die Prioritätenliste anschauen. Wenn wir tatsächlich 500 Millionen Euro aufwenden müssen, können wir keine Hochwasserschutzmaßnahme umsetzen.

Um es an Nünchritz-West festzumachen: Dort wird innerhalb der nächsten fünf Jahre der Deich stehen – für 7 Millionen Euro.

(Lachen des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Das wird so sein.

Insofern muss man genau hinsehen, was man tut.

Meine Damen und Herren! Die Staatsregierung hat immer verdeutlicht, dass sich nicht jede Ortslage sinnvoll vor Hochwasser schützen lässt. Das kann viele Ursachen haben; sie sind teilweise technischer, teilweise wirtschaftlicher Natur. Ich wiederhole: Jede Hochwasserschutzmaßnahme kostet Geld.

Herr Beermann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Aber selbstverständlich.

Herr Lichdi, bitte.

Vielen Dank, Herr Staatsminister! Ich weiß nicht, ob ich Sie falsch verstanden habe: Haben Sie gerade gesagt, dass in Nünchritz-West in fünf Jahren ein Deich da sei? Wenn ja, würde mich das sehr verwundern; denn ich war bei der Veranstaltung am 23. August anwesend. Herr Bielitz hat dort gesagt, in drei Jahren werde der Deich fertig sein. Haben Sie dazu neuere Informationen? Wie sieht es jetzt aus?

Es kann sein, dass Sie mich tatsächlich falsch verstanden haben. Ich habe gesagt: „innerhalb der nächsten fünf Jahre“. Das bedeutet, dass er auch in drei Jahren fertig sein kann.

Aha. Das nehmen wir zur Kenntnis. – Danke.

Das hängt von der Reihenfolge der konkreten Maßnahmen ab. Würde ich es genauer formulieren, würden Sie vielleicht später sagen, ich hätte doch drei Jahre gesagt. Ich bin insoweit lieber großzügig – in dem Sinne, wie Sie es vorhin geschildert haben. Man muss auch den Willen der Bevölkerung berücksichtigen, das heißt, ob sie in großen Teilen den dringenden Wunsch hat, abzusiedeln.

Ich darf auf das eigentliche Thema zurückkommen. Wie wir schon festgestellt haben, müssen vor jedem Baubeginn die Fragen beantwortet werden: In welcher Reihenfolge wird gebaut? Wie hoch sind die Kosten? Ist das Vorhaben vertretbar? Welchen Nutzen bringt es?

Dreh- und Angelpunkt der Betrachtung ist in diesem Fall das öffentliche Interesse an einem wirksamen Hochwasserschutz. Deswegen kann es sein, dass in einem Fall eine Ortslage gesichert bzw. geschützt werden muss bzw. geschützt werden kann, es aber in einem anderen Fall zu anderen Überlegungen kommt. Auch das ist nicht dramatisch. In Sachsen haben die Menschen immer am Wasser, an Flüssen gesiedelt, dort, wo es zu Überschwemmungen kommen kann. Die Menschen hätten dort nicht gesiedelt, wenn sie gewusst hätten, dass alle paar Jahre ein Hochwasser auftritt. Man ist vielmehr davon ausgegangen, das nächste Hochwasser werde – Stichwort: HQ 100 – statistisch erst wieder in 100 Jahren auftreten.

Kommen wir zurück zu unserem aktuellen Beispiel: In Nünchritz haben 104 Eigentümer von Wohngebäuden Soforthilfe erhalten. Wenn man einen Schaden von 100 000 Euro je Gebäude unterstellt – das ist eine sehr vorsichtige Schätzung –, kommt man zu dem Ergebnis, dass allein in Nünchritz ein Schaden von roundabout 10 Millionen Euro eingetreten ist, und das, nachdem die Bewohner bereits 2002 – teilweise auch 2006 – erhebliche Schäden erlitten hatten.

Ich weiß aber nicht, ob es richtig wäre, daraus den Schluss zu ziehen, der gesamte Ort müsse abgesiedelt werden. Es kommt hinzu, dass man immer wieder Zwist in die Gemeinde hineinträgt und Nachbarn gegeneinander treibt. Ich bin mir nicht sicher, ob das tatsächlich gewollt ist, selbst wenn es das beste Anreizsystem gäbe. Wir sind ein Land mit einer seit vielen Jahrhunderten gewachsenen Siedlungsstruktur. Die ersten Spuren der Besiedlung finden sich in den Flussauen von Elbe, Mulde und Spree. Ein Großteil unserer Bevölkerung lebt an Flüssen und Seen. Wann immer es technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar ist, müssen wir dem Hochwasserschutz Vorrang geben vor anderen Gedanken, die etwa in Richtung Absiedlung oder gar Zwangsabsiedlung gehen.

Um zu dem Beispiel zurückzukommen: Im Fall von Nünchritz bzw. Nünchritz-West bedeutet das, dass die Landestalsperrenverwaltung durch die Ertüchtigung der entsprechenden Deiche innerhalb der nächsten drei bis fünf Jahre einen Hochwasserschutz bis HQ 100 ermöglichen kann. Dadurch wird auch der Ortsteil Grödel vor einem Jahrhunderthochwasser geschützt sein.

Für die Ertüchtigung des 3 Kilometer langen Deiches werden etwa 7 Millionen Euro notwendig sein. Das ist ein Bruchteil des Betrages, den eine Absiedlung nach dem Konzept des von der SPD vorgeschlagenen Fonds erforderlich machen würde. Unterstellen wir 100 Häuser und 275 000 Euro Entschädigung, kämen wir auf 27,5 Millionen Euro. Damit wäre schon mehr als die Hälfte des Fonds verbraucht. Vielleicht ist der Fonds auch nur dafür gedacht, das entsprechend abzufinanzieren.

Ich erinnere daran, was ich gesagt habe: Nicht jede Ortslage kann geschützt werden. Das wäre nicht vertretbar; denn nicht überall gibt es ein entsprechendes öffentliches Interesse.

Wir sagen auch: Die Wahl des Ortes, wo man sich niederlässt, wo man wohnt, ist eine souveräne Entscheidung des einzelnen Bürgers. Die Koalition und die von ihr getragene Regierung wollen keine Zwangsumsiedlungen. Diese wird es unter keinen Umständen geben.

(Beifall bei der CDU, der FDP und des Staatsministers Dr. Jürgen Martens)

Der Einzelne hat die mit seiner Entscheidung verbundenen Lasten zu tragen, er zieht aber auch den entsprechenden Nutzen. Es ist meist ein Umfeld, in dem es sich schön wohnen lässt. Wir unterbreiten dem Einzelnen ein Angebot, damit er eine andere Siedlungsentscheidung treffen kann. Das versuchen wir zu unterstützen. Wer in einer hochwassergefährdeten Lage baut, trägt das Risiko einer Überschwemmung.

Wir glauben, dass es im Einzelfall Situationen geben kann – Frau Abg. Windisch hat vorhin darauf hingewiesen –, in denen Bürger den Wunsch hegen, das beschädigte Haus nicht wiederaufzubauen, sondern an anderer, hochwassersicherer Stelle neu zu siedeln. Auch demjenigen, der in einer besonderen Notlage ist, müssen wir helfen.

Die Regelungen zum Aufbau eines Hauses an anderer Stelle sind schon skizziert worden. Wir sind auf dem richtigen Weg. 80 % des Schadens werden ersetzt. Dazu kommt ein zinsloses Darlehen – das ist ein Vorteil gegenüber allen anderen, die durch Hochwasser einen Schaden erlitten haben –, das der Freistaat allein finanziert. Damit werden die übrigen 20 % cum grano salis abgedeckt.

Zudem wird den Gemeinden eine Möglichkeit eröffnet – statt ein unnötiges Mitwirkungsverfahren zu fordern –, Grundstücke im Wege des Tausches zur Verfügung zu stellen.

Das ist unser Konzept. Ich glaube, dass wir damit richtig liegen. Jeder, der Haus und Hof verloren, also einen Totalschaden erlitten hat, kann das Geld für einen Wiederaufbau an anderer Stelle komplett bekommen, schon aufgrund der von der Regierung eingeleiteten Maßnahmen. Die Finanzierung erfolgt aus dem Aufbauhilfefonds des Bundes – ohne oder mit nur geringer Belastung des sächsischen Staatshaushalts.