Protokoll der Sitzung vom 19.09.2013

Das heißt, dass anders als bei uns nicht nur Ehepartner und Kinder, sondern auch die Eltern der Versicherten ohne Zusatzkosten in den deutschen Krankenversicherungsschutz einbezogen sind. Das wiederum bedeutet bei diesem Personenkreis eben keine Gleichbehandlung, sondern sogar eine Vorzugsbehandlung, die durch nichts zu rechtfertigen ist – durch unser Grundgesetz schon gar nicht.

(Beifall bei der NPD)

Was diese geradezu wahnwitzige Regelung in Zahlen bedeutet, kann man sich gerade auch vor dem Hintergrund der massiv angestiegenen Zuwanderungszahlen seit den Sechzigerjahren eigentlich nur ausmalen. Denn die Bundesregierung schweigt sich darüber aus. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag heißt es dazu nur lapidar: „Der Bundesregierung liegen keine Zahlen darüber vor, wie viele Familienangehörige in der Türkei von bei deutschen Krankenkassen versicherten Arbeitnehmern Leistungen der türkischen Krankenversicherung erhalten haben, deren Kosten von den deutschen Krankenkassen zu erstatten sind.“

Ja, meine Damen und Herren, das sind wieder einmal schöne Zustände! Während DIE LINKE hierzu beklommen schweigt, fordert die NPD ohne Umschweife, das deutsch-türkische Sozialhilfeabkommen und damit die medizinische Rundumversorgung ganzer Großfamilien in der Türkei sofort zu beenden

(Beifall bei der NPD)

wie im Übrigen auch alle anderen bilateralen Übereinkünfte dieser Art; denn als wäre es nicht genug, bestehen ähnliche Abkommen auch mit Polen, den Staaten ExJugoslawiens, Tschechien, Ungarn, Tunesien, Marokko und weiteren Ländern. Hier endlich einen Schlussstrich zu ziehen und diese Abkommen aufzukündigen wäre ein echter Akt der Gerechtigkeit gegenüber den gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland, die die gesamte Zeche für diese Großzügigkeit zahlen müssen.

Da DIE LINKE die von mir soeben benannten Punkte ausspart, wird sich die NPD-Fraktion bei diesem Antrag enthalten.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Das war die erste Runde der Aussprache. Ist eine zweite Runde

gewünscht? – Das ist der Fall. Herr Dr. Pellmann für die Fraktion DIE LINKE, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dieser Antrag ist in der Tat etwa drei Jahre alt. Die Idee einer Bürgerversicherung ist natürlich viel älter. Liebe Frau Neukirch, mit Verlaub, ich bin heute nicht unbedingt der Auffassung, dass wir uns über die Ursprungsmutter oder den Ursprungsvater der Bürgerversicherung streiten sollten. Wenn es uns gelänge, dass wir diese Idee endlich in Gesetzesgewalt umsetzten könnten, wäre es mir völlig egal, aus welchem Wahlprogramm welche Passage zuerst oder als Zweites oder Drittes abgeschrieben wäre.

Ich erinnere mich an eine Passage von Herrn Piwarz, als wir gestern die erste Aktuelle Debatte begannen, der es ausdrücklich gar nicht so schlecht fand, dass wir jetzt Wahlkampf haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich schäme mich auch nicht dafür, dass wir heute diesen Antrag ziehen. In drei Tagen sind Wahlen, wer es noch nicht mitbekommen hat. Bei Ihnen geht die Angst um, sonst würden Sie nicht so schreien.

(Christian Piwarz, CDU: Zwischenrufe können doch gegeben werden!)

Gehen Sie ans Mikrofon und stellen Sie eine Frage, sonst muss ich noch näher rangehen und lauter schreien. Das wollen wir doch auch nicht.

Ich will Ihnen Folgendes sagen: Die Bürgerversicherung ist wirklich eine Gretchenfrage im wahrsten Sinne des Wortes. Hier scheiden sich die Geister, und die Bürger können entscheiden, wofür sie sind, ob sie weiterhin für eine – Frau Jonas – Zweiklassengesellschaft in der gesundheitlichen Versorgung sind, dann müssen sie für die Beibehaltung der Privatversicherung als Vollkasse plädieren, oder ob sie für eine solidarische Bürgerversicherung sind, in die alle einzahlen. Diese Frage steht.

Ich bekomme jetzt fast jeden Tag von jungen Frauen – das lässt sich zumindest vom Absender vermuten – E-Mails. Ich traue es mich kaum auszusprechen, Frau Clauß. In diesen E-Mails wird mir von privaten Krankenkassen mitgeteilt – dann entpuppt es sich nämlich –, dass ich viel zu teuer und viel zu hoch in der Gesetzlichen versichert sei und ich solle doch endlich wechseln.

Kürzlich – so werden im Übrigen auch Beiträge von Privatversicherten verschleudert – haben fast alle gesetzlich Krankenversicherten von einer nicht unbekannten Privatkasse Hauspost bekommen. Die Angst geht um, dass sich der Mehrheitswille durchsetzen könnte. Das müssen Sie aushalten, ganz egal, wie Sie heute stimmen, weil Sie befürchten, dass es dann keinen Wettbewerb mehr geben könnte. Ich will keinen Wettbewerb zwischen verschiedenen Kassensystemen. Ich will sehr wohl einen Wettbewerb zwischen der Kunst der Ärzte, wo sich Menschen entscheiden können, zu welchem Arzt sie gehen, und nicht, dass Krankenkassen sich gegenseitig wegkonkurrieren. Das ist das Problem. Diese Konkurrenz

führt uns im Übrigen in eine Situation, in der Verschwendung herrscht.

Persönlich sage ich, dass unser Antrag nicht die Option einer Einheitskasse enthält, wie Sie vielleicht vermuten können. Ganz bewusst. Da bin ich bei Frau Neukirch und bei Frau Herrmann. Darüber muss man sich verständigen, ob man das will oder ob sich das durchsetzen lässt. Ich persönlich – das steht aber nicht im Antrag – bin für eine Einheitskasse, ich ja. Das heißt noch lange nicht, dass meine Fraktion das bereits mehrheitlich so sieht, und das heißt auch noch lange nicht, dass alle, die eine Bürgerversicherung wollen, das auch so sehen. Wenn wir uns den Antrag anschauen, dann müssen wir ihn schon genau lesen.

(Beifall bei den LINKEN)

Ich frage die Fraktionen, ob es weitere Wortmeldungen gibt. – Das kann ich nicht erkennen. Damit schließe ich die zweite Runde und frage die Staatsregierung. – Frau Staatsministerin Clauß, Sie haben das Wort. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ja, in drei Tagen ist Wahl im Bund. Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung – ein Antrag, den Sie bereits 2010 einmal gestellt haben. Gleichwohl nehme ich gerne zum wiederholten Male Stellung zu diesem Thema.

Mit Ihrem Antrag fordern Sie eine Gesundheitsversorgung nach dem Wünsch-dir-was-Prinzip. Eine umfassende Gesundheitsversorgung, nicht eine notwendige und zweckmäßige, nein, eine umfassende Gesundheitsversorgung soll es sein. Zuzahlungen soll es auch nicht mehr geben, und für artfremde Leistungen soll der Steuerzahler einstehen. Keine Rede von den Kosten, keine Rede davon, woher die zusätzlichen Mittel kommen sollen. Sollen die Beiträge für die Arbeitnehmer, für die Rentner, für die Arbeitgeber erhöht werden? Es ist wie bei der gestrigen Aktuellen Debatte: Wir müssen auch das Kleingedruckte lesen.

Wer hat bis jetzt seriös ermittelt, welche Ausgaben entstehen, wenn auch die Selbstständigen, die Freiberufler, die Polizisten und alle anderen, die bisher nicht in die GKV gezahlt haben, Leistungen in Anspruch nehmen? Wo bleibt da der Wettbewerb, der Innovationen auslösen und Fortschritt in der Versorgung bewirken kann, wenn es nur noch eine Versicherung gibt? Das ist doch gerade einer der Vorteile unseres Modells, dass Krankenkassen miteinander im Wettbewerb stehen. Das Ganze erinnert sehr an die Einheitskasse vergangener Zeiten. Da ist die Einheitsversorgung geradezu vorprogrammiert und die Gefahr der Mangelmedizin ist nicht weit.

Soll zukünftig jeder, wenn er es bezahlen kann, Zusatzmedizin und Zusatzbehandlung zur Einheitsversorgung dazukaufen, damit er individuell versorgt ist? Das ist Mehrklassenmedizin. Nach Füllstand des Portemonnaies

kein Kraftgesetz und das bei unserer demografischen Herausforderung!

Weiterhin fordert DIE LINKE, dass die private Krankenversicherung de facto aufgelöst werden soll. Nur das Zusatzversicherungsgeschäft soll ihr bleiben. Keine Rede davon, dass dadurch einige 10 000 Arbeitsplätze gefährdet sind. Wo bleibt da Ihre Solidarität? Ihre im Antrag dargelegten Ziele führen zur Entsolidarisierung, zur staatlich verordneten Mehrklassenmedizin und zu einer Kostenexplosion.

(Beifall bei der CDU)

Dazu sagen wir Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es ist ganz klar, diese Ziele werden wir nicht unterstützen. Vielmehr gilt auch heute noch, was ich bereits 2011 zu diesem Antrag ausgeführt habe: Die Staatsregierung hält daran fest, dass die Gestaltung und Entwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung unter Beachtung des Solidarprinzips erfolgen soll.

Unser Ziel ist und bleibt es, dass in einem funktionierenden Wettbewerb die notwendige und zweckmäßige medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt werden kann, bezahlbar, auch bei uns im Freistaat Sachsen und in den anderen einkommensschwachen Ländern.

Ja, auch das ist wichtig, es besteht Reformbedarf. Es wird immer wieder Änderungen bei der Finanzierung oder auch bei der Leistungserbringung geben müssen, und die Staatsregierung wird sich immer dann in die Bundesgesetzgebung einbringen, wenn eine konkrete Vorlage im Bundesrat zur Behandlung ansteht. Aber eine Entsolidarisierung wird es mit uns nicht geben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Frau Herrmann, Sie möchten eine Kurzintervention tätigen? – Bitte.

Danke, Herr Präsident. – Ich möchte kurz auf den Redebeitrag der Ministerin eingehen. Sie hat gesagt, dass es keine Finanzierungsgrundlage geben würde. Es ist richtig, dass der Antrag der LINKEN sehr verkürzt ist. Aber wenn man sich mit der Bürgerversicherung auseinandersetzt, sind die Finanzierungsgrundlagen durchaus sehr deutlich beschrieben, und ich möchte die Ministerin auf eine Studie, die schon 2010 von der Uni Bremen, und zwar vom Zentrum für Sozialpolitik in diesem Fall im Auftrag der GRÜNEN erstellt wurde, aufmerksam machen. Prof. Rothgang hat eine Studie erstellt, die heißt „Berechnung zu den finanziellen Wirkungen verschiedener Varianten einer Bürgerversicherung“.

Wenn wir heute dieses Thema debattieren, sollte man doch auch nach rechts und links schauen und nicht nur Gründe suchen, warum das nicht geht. Die Bürgerversicherung stellt einen großen Mangel ab, den wir in der Rezession ganz deutlich gesehen haben: dass wir nämlich

ins Minus rutschen, wenn wir nur Erwerbsarbeit für die Krankenversicherung heranziehen. Genau das ändert sich mit der Bürgerversicherung, weil andere Einkommensarten herangezogen werden. Wenn man sich im Land umschaut, wo das Einkommen herkommt, von dem die Leute leben, dann sieht man einen gravierenden Wandel in den letzten 20 Jahren. Der Anteil des Einkommens aus Erwerbsarbeit ist zurückgegangen, andere Einkommensarten haben zugenommen. Das muss sich natürlich in der Versicherung widerspiegeln. Deshalb ist die Bürgerversicherung die einzig zukunftsfähige Antwort auf dieses Problem.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Frau Clauß, möchten Sie auf die Kurzintervention antworten? – Sie verzichten. Dann kommen wir zum Schlusswort. Herr Dr. Pellmann, bitte.

Ich weiß, meine Damen und Herren von der mittelrechten Seite, dass es für Sie ein bisschen viel war, was ich Ihnen an diesen beiden Tagen zumuten durfte. Aber daran müssen Sie sich gewöhnen.

(Christian Piwarz, CDU: Das sind wir bei Ihnen gewöhnt!)

Ich will kurz auf das, was Frau Staatsministerin dargestellt hat, eingehen. Frau Ministerin, es ist ein Trugschluss. Bürgerversicherung – Frau Herrmann hat es eben noch einmal mit ihrer Intervention untersetzt – führt, wenn man sie umfassend versteht, zur Stabilisierung und zur Erhöhung der Einnahmen. Bürgerversicherung heißt auch: gleiche Leistungen für alle – unabhängig davon, wie hoch der Beitrag ihrer Einzahlungen war. Wenn Sie sich das ausrechnen, kann man das deutlich sehen.

(Robert Clemen, CDU: Das haben wir doch schon widerlegt!)

Ich weiß, gehen Sie auf den Markt, machen Sie dort noch eine Wahlkampfrede, das können Sie gern machen, hier passt es nicht hinein. Also bitte.

(Zuruf des Abg. Robert Clemen, CDU)

Dann will ich Folgendes sagen: Natürlich ist im Augenblick vielen Menschen sogar das Tor verschlossen, in die gesetzliche Krankenversicherung zu gehen, selbst wenn sie es wollten. Wir müssen also noch ein paar Gesetze ändern, nämlich, dass Beamte beispielsweise gar nicht Mitglied in einer gesetzlichen Krankenversicherung sein können bzw. dürfen, Politiker sehr wohl. Das wäre zu ändern. Ich will auch sagen: Sie haben Angst, dass die privaten Krankenversicherungen ihr Privileg verlieren. Das ist natürlich richtig. Es wäre mir schon angenehm, wenn die Wartezeit bei Fachärzten sich nicht danach

richten würde, ob man in einer privaten oder gesetzlichen Krankenversicherung ist – um nur ein Beispiel zu nennen.