Protokoll der Sitzung vom 29.01.2014

Wir bleiben an dieser Stelle aber nicht stehen. Das können wir uns nicht leisten. Unser nächstes Projekt sind Seniorengenossenschaften. Der Auftaktkongress im September letzten Jahres hat viel Interesse gezeigt und noch mehr ausgelöst. Jetzt gilt es, diese Möglichkeiten auszubauen und zu unterstützen, alles mit dem Ziel, unseren Hochbetagten ein Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen, denn das wünschen sich neun von zehn. Hier meine ich nicht nur Sessel, Schrankwand und Fernseher, sondern echte, soziale, gesellschaftliche Teilhabe. Das Miteinander der Generationen ist unser aller Anspruch und die Grundlage für eine funktionierende, warmherzige Gesellschaft.

Aber, meine Damen und Herren Abgeordneten, verlieren wir nicht den Aspekt der Zeit aus den Augen. Jeder von uns hat nur Tag und Nacht – egal, ob voll berufstätig oder in Teilzeit, egal, ob mit zwei oder fünf Kindern, egal, ob die Eltern/Angehörigen fit sind oder Hilfe brauchen.

Wie schaffen wir unseren Familien also die vielbeschworenen Freiräume? Dafür brauchen wir eine funktionierende Infrastruktur, die sich an den Takt unserer Familien anpasst. Bevor ich zu den einzelnen Infrastrukturmaß

nahmen komme, möchte ich eines voranstellen: Jeder Mensch ist etwas Besonderes. Unser Anspruch ist es, jeden Menschen zu nehmen, wie er ist, und seinen individuellen Beratungs- und Unterstützungsbedarf zu erkennen. Das heißt: Barrierefreiheit im umfänglichen Sinne nach allen Artikeln der UN-Behindertenrechtskonvention und umfassende Kenntnisse über verschiedene Kulturen. Hier sehe ich besonders unsere Verwaltung in der Pflicht; Bildungsangebote hierzu gibt es genug.

Womit wir schon beim ersten Punkt der Infrastrukturmaßnahmen sind: Bildung und Entwicklung. Noch einmal – hier wiederhole ich mich gern –: Die meisten Familien wissen, was für sie am besten ist. Die meisten Familien kommen ihrer Sorgfaltspflicht und ihrem Sorgerecht sehr verantwortungsvoll nach. Gleichwohl – auch das gehört zur Wahrheit – gibt es Eltern, die ihre Kinder vernachlässigen oder misshandeln. Hier bieten wir Hilfe im Sinne unserer Wächterfunktion; denn oberstes Gebot ist die gute Entwicklung unserer Kinder, für die eine sichere, gelingende Eltern-Kind-Beziehung und Eltern-Kind-Bindung elementar ist. Unser Leben besteht aus Beziehungen; wir Menschen brauchen einander. Unsere Frühen Hilfen sind auf die Bedürfnisse junger Eltern ausgerichtet, damit ihre Erziehungskompetenz gestärkt wird; denn viele junge Familien haben ihre eigene Familie nicht mehr in der Nähe. Auch das gehört zu unserer zunehmenden Mobilität.

Des Weiteren ist es wichtig, Ansprechpartner zu haben, wie unsere Familiengesundheitspaten beim Carus Consilium Sachsen, die Familien helfen, ihre Kinder in den ersten beiden Jahren bei ihrer gesundheitlich-sozialen Entwicklung zu fördern. Deshalb ist es mein Ziel, die Familiengesundheitspaten in weiteren Regionen in Sachsen zu etablieren oder unsere Ehrenamtler im Projekt „wellcome“ den Eltern in den ersten Wochen zu helfen, in der Zeit, in der alles auf den Kopf gestellt wird. Sie sind für jede Familie da – ganz ohne Stigmatisierung.

Ein fester Bestandteil der Frühen Hilfen sind unsere Familienhebammen, die jetzt im Rahmen der Bundesinitiative „Netzwerke Frühe Hilfen und Familienhebammen“ zum Einsatz kommen. Ich werde mich dafür einsetzen, dass es so bleibt; denn unsere Netzwerke für Kinderschutz und Frühe Hilfen funktionieren sehr erfolgreich und greifen frühzeitig, und jeder weitere Knoten ist eine Hilfe dabei, jenen eine Stimme zu geben, die noch keine haben.

Wir müssen aufmerksam sein und eingreifen, wenn Eltern versagen. Unsere Netzwerke für Kinderschutz, die aufsuchende präventive Arbeit der Jugendämter und weiterer Akteure helfen mit, Familien zu stärken, um Eskalationen zu verhindern. Dass es Eskalationen gibt, wissen wir alle. Deshalb ist es wichtig, sie frühzeitig zu erkennen. Unser Einladungswesen zu den U-Untersuchungen ist dazu ein wichtiger Beitrag; denn unsere Kinderärzte können nicht nur Entwicklungsstörungen oder Vernachlässigungen erkennen, sie können auch sehr sensibel mit den Eltern darüber sprechen.

Unsere Projekte unterstützen Kinderärzte, wenn Eltern mit einem verletzten Kind in die Arztpraxis kommen und einen Unfall schildern, der nicht zu den Symptomen passt. Bundesweit sind wir Schrittmacher mit unseren Kinderschutzgruppen an mittlerweile 14 Kliniken in zehn Gebietskörperschaften, die hinsehen, erkennen, handeln. Hinsehen heißt, seinen Vermutungen nachzugehen und die wahren Ursachen für die Verletzungen zu diagnostizieren. Erkennen heißt, Verdachtsmomente zu reflektieren, und zwar interdisziplinär mit Kinderarzt, Radiologen der Rechtsmedizin, viel Empathie, Sensibilität und Einfühlungsvermögen. Handeln heißt, das Gespräch mit den Eltern zu suchen, sie mit dem Verdacht zu konfrontieren, über Hilfsangebote aufzuklären und sie zu motivieren, die Hilfe auch anzunehmen.

Aber nicht nur unsere Kinderärzte haben hier eine große Verantwortung, sondern auch unsere Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertagesstätten, denn sie sind eine lange Zeit des Tages mit ihren Schützlingen zusammen und können Auffälligkeiten beobachten. Mit der Richtlinie „Bildungschancen“ können wir Kindertageseinrichtungen mithilfe zusätzlichen Personals dabei stärken, Kinder mit Entwicklungsverzögerungen gezielt zu fördern. Dafür stellt der Freistaat 2013 und 2014 insgesamt 10 Millionen Euro zur Verfügung.

Meine Damen und Herren, Sie sehen, bei der Beratung geht es oft auch um Bildung; beides fließt ineinander. Doch geht es nicht nur um Bildung unserer Kinder, sondern auch um Elternbildung; man könnte auch von Elternschule sprechen. Unter dem Stichwort „Familienbildung“ gibt es zum Beispiel in unseren Mehrgenerationenhäusern zielgerichtete Angebote für Jung und Alt, und das Schönste dabei ist: Es sind auch hier generationenübergreifend alle gemeinsam.

Um die Familienbildung weiterzuentwickeln, lässt mein Haus derzeit eine Studie zur Familienbildung erstellen. Ziel ist zum einen der Überblick über alle Familienbildungsangebote. Zum anderen soll die Frage beantwortet werden, ob diese Angebote ihre Zielgruppe auch erreichen. Das ist die Vorbereitung auf unseren nächsten Schritt: eine Datenbank mit allen Familienbildungsangeboten der Kommunen. So können wir vor allem im ländlichen Raum den Zugang zu diesen Angeboten erleichtern, so wie beim Pflegenetz.

Zur Betreuung und Bildung kommt noch ein dritter Aspekt hinzu: die Beratung. Wir haben in Sachsen ein breitgefächertes Netz an Beratungsstellen für alle Familiensituationen. Wir haben 76 Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, die Schwangeren – zunehmend auch ihre Partner – bei sehr schwierigen Entscheidungen helfen. Niemand darf sich von der Gesellschaft alleingelassen fühlen. So kommen wir auch unserer Fürsorgepflicht für das ungeborene Leben nach.

Zugleich unterstützen wir Paare, deren Kinderwunsch unerfüllt blieb, und zahlen Zuschüsse zur künstlichen Befruchtung. Besonders hervorheben möchte ich unsere pränataldiagnostische Beratung. Die gibt es sonst nur

noch in Baden-Württemberg. Außerdem haben wir 77 Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen, die Ansprechpartner und Berater in jedem Alter und in jeder Lebenslage sind. Kinder, Jugendliche, Eltern und Großeltern können sich mit ihren individuellen und familienbezogenen Problemen an die Beratungsstellen wenden. Klar ist: Familie ist eine ständige Herausforderung. Da genügt schon ein Blick in die Geschichte und in die Literatur. Ehen und Beziehungen können scheitern, wie es uns die Scheidungsrate auch vor Augen führt – mit mehr oder weniger Belastungen für die Kinder. Darunter leiden Kinder und Betroffene gleichermaßen, Wunden bleiben zurück. Das berichten nicht nur Ärzte, Anwälte und Sozialarbeiter, auch ich habe durch meinen Klinikalltag diesbezüglich noch viele Bilder im Kopf.

Eine weitere Belastungssituation, vor allem für junge Menschen, sind Suchtmittel aller Art. In der letzten Woche habe ich den Drogen- und Suchtbericht umfassend vorgestellt. Hier ein Gedanke dazu: Ein wichtiger Aspekt ist die Fürsorge für Kinder aus suchtbelasteten Familien. Wir fördern Projekte in Chemnitz, Plauen, Bautzen und Leipzig, die eine enge Kooperation zwischen Sucht-, Kinder- und Jugendhilfe zur Voraussetzung haben. Diesen multiprofessionellen Ansatz werden wir intensiv verfolgen, um vor allem auch den präventiven Ansatz zu stärken. Denn egal, ob Crystal oder die alldominierende Droge Alkohol – Ziel ist, Drogenkonsum zu verhindern, in jedem Alter.

Sächsische Beratungsstellen helfen bei Gewalt gegen Frauen, bei der Schuldenberatung. Sorgentelefone kennen keine Sonn- und Feiertage, genauso wie unsere Frauenhäuser. Wir haben so viele Hauptamtliche und Ehrenamtliche, die anderen in Notlagen zur Seite stehen. Dafür allen meinen Respekt, meine Anerkennung und mein Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP sowie der Abg. Martin Dulig, SPD, und Elke Herrmann, GRÜNE)

In Zukunft muss es darum gehen, diese Beratungsangebote noch stärker, gezielter miteinander zu vernetzen.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, zu einer guten Familienpolitik gehört auch die medizinische Versorgung, ganz gleich, ob im städtischen oder ländlichen Raum. Die Gesundheit unserer Kinder, unserer Eltern und Großeltern, die besondere Verantwortung der Behörden und Verwaltungen als Dienstleister für Familien, aber auch Öffnungszeiten, Wartezeiten, Wegezeiten, das alles ist Familienlebenszeit.

Deshalb zwei wichtige Gedanken zum Schluss: Denken wir immer an die Demografie. Wir haben jede und jeden nur einmal, als Vater und Mutter, als Tochter und Sohn und als Fachkraft. Um alle Leistungen, die Familien benötigen, auch bis in den letzten Zipfel des Freistaates zu gewährleisten, braucht man zunehmend bürgerschaftliches Engagement und funktionierende soziale Netzwerke, regionale Netzwerke, die die unterschiedlichen Situationen in den Sozialräumen unserer Kommunen, Gemeinden

und Großstädte erkennen, mit den aktuellen Entwicklungen verknüpfen, sie erweitern und mit Lebendigkeit und Qualität füllen, auf einen Nenner gebracht: ein Ort, an dem man lebt und liebt, ein Ort in „LLX“, „L“ wie Leben in all seinen Höhen und Tiefen, „L“ wie Loslassen – wer geboren wird, wird auch wieder gehen –, „X“ für die handelnden Personen vor Ort, und dies alles im Kreislauf unseres Lebens.

Familie findet zu Hause statt, vor Ort in den Kommunen. Es gibt keine standardisierte familienpolitische Leistung, die in Leipzig genauso wirkt wie zum Beispiel in Hohenstein-Ernstthal. Was Familien brauchen, ist sehr vom Umfeld abhängig. Deshalb brauchen wir regionalisierte und passgenaue Lösungen.

Ein gutes Angebot können dabei die Mehrgenerationenhäuser sein. Sie bieten schon heute alles, was wir brauchen, unter einem Dach: Betreuung, Bildung und Beratung. Sie sind Kristallisationspunkte für Sozialräume, in denen Kindern durch den Umgang mit Generationen Respekt, Rücksicht und Verantwortung gelehrt wird. Sie können Dorfbrunnen der Moderne sein, und ich setze mich beim Bund dafür ein, dass es eine weitere Finanzierung gibt.

Meine Damen und Herren Abgeordneten, es darf auch in Zukunft bei Familie keine Denkverbote geben. Viel Zeit zum Denken, Austauschen und Planen geben wir auch in diesem Jahr wieder auf unserem Familientag. Sie sind alle herzlich für den 21. Juni dieses Jahres nach Zittau eingeladen.

Wir alle tragen gemeinsam Verantwortung für unsere Familien. Familie ist Zentrum und Rahmen unseres Lebens. Familien machen uns stark; stärken wir Familienstärken!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich danke der Frau Staatsministerin für ihre Ausführungen. – Wir kommen nun zur Aussprache zur Fachregierungserklärung. Folgende Redezeiten für die Fraktionen wurden festgelegt: CDU 33 Minuten, DIE LINKE 24 Minuten, SPD 14 Minuten, FDP 14 Minuten, GRÜNE 12 Minuten, NPD 12 Minuten. Die Reihenfolge in der ersten Runde ist DIE LINKE, CDU, SPD, FDP, GRÜNE, NPD; Staatsregierung, wenn gewünscht.

Es eröffnet für die Fraktion DIE LINKE Frau Kollegin Werner.

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Frau Staatsministerin Clauß, Anerkennung, Wertschätzung, Verlässlichkeit für starke Familien in Sachsen – das sind große Worte. Ich glaube Ihnen, Frau Staatsministerin, dass Sie diese in Ihrer Zeit als Sozialministerin gern gefüllt hätten. Das ist Ihnen nicht gelungen, und das ist nicht allein Ihre Schuld; denn Familienpolitik ist ein Querschnittsthema. Sie brauchen Ihre Kolleginnen und Kollegen im Kabinett,

sie brauchen alle Abgeordneten Ihrer Fraktion und natürlich einen Ministerpräsidenten, der dieses Thema zur Chefsache macht. All dies war nicht der Fall.

Schauen wir auf die letzten vier Jahre und betrachten wir, wie sich Familien entwickelt haben. Beziehungen sind vielfältiger als für einige hier vielleicht vorstellbar, die Beschreibungen erst recht. Wir haben Alleinerziehende, Geschiedene mit neuem Partner, Patchworkfamilien, Regenbogen- und quere Familien, Ehepaare, Lebensgemeinschaften, Polyamore, Nichtverheiratete, alles in homo-, bi- und heterosexuellen Konstellationen, mit Haus und getrennten Wohnungen, mit Alters-WGs usw.

Die Privilegierung einer dieser Lebensformen ist darum schon lange nicht mehr zeitgemäß. Der Staat hat sich gegenüber der Entscheidung der Einzelnen, wie sie leben und lieben möchten, neutral zu verhalten. Deshalb sagt DIE LINKE, für sie ist Familie dort, wo Menschen füreinander Verantwortung übernehmen, unabhängig von Trauschein, sexueller Orientierung oder der Form, in der sie zusammenleben. Förderung gehört für uns dahin, wo Kinder und Pflegebedürftige sind, und nicht dahin, wo ein Trauschein vorliegt.

Deshalb fordern wir auch konsequent die Abschaffung des Ehegattensplittings; denn nicht der Gang zum Standesamt soll belohnt werden, sondern gedeihliches Aufwachsen von Kindern und die Betreuung von Angehörigen müssen gefördert werden.

(Beifall bei den LINKEN)

Wir glauben, hier hat der Staat einzuspringen, zu unterstützen, aber doch nicht bei gut gehenden kinderlosen Haushalten. Mit den gesparten 20 Milliarden Euro – das ist die derzeitige Ehesubvention – könnte viel erreicht werden.

Um Ihnen noch einmal die Ungerechtigkeiten aufzuzeigen: Ehepartner ohne Kinder haben ein Pro-KopfEinkommen von 1 640 Euro. Dagegen haben gleichaltrige verheiratete Paare mit Kindern 600 Euro weniger ProKopf-Einkommen. Der Wohlstand liegt bei Ehepaaren mit Kindern, bei denen die Frau unter 35 Jahren ist, 13 % unter dem eines kinderlosen Ehepaares, und der Wohlstand kinderloser Ehepaare mittleren Alters, also 35 bis 45 Jahre, übersteigt den Wohlstand eines durchschnittlichen Ehepaares mit Kindern um 50 %. Sie sehen, das ist eine absolut unsinnige Transferleistung.

Trotzdem wollen Sie, Frau Staatsministerin Clauß, daran festhalten bzw. ein Familiensplitting einführen, das aber vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ebenso schlechte Noten bekommen hat, besonders eben wegen der Gerechtigkeitslücke, da Geringverdiener zwar

300 Euro mehr im Jahr hätten, Bezieher hoher Gehälter bekämen aber bis zu 866 Euro mehr. Familien, die Hartz IV beziehen, hätten gar nichts von diesem Modell, sie würden gar kein zusätzliches Einkommen bekommen. Wiederum ist es ein Modell nur für Ehepaare.

Warum eigentlich? Da hilft uns ein Blick auf das Familienbild der CDU. Da kann man Herrn Flath sehr dankbar

sein. Er hat ganze Aufklärungsarbeit geleistet und uns erläutert, wo er die besondere Bedeutung der Ehe sieht. Ich zitiere ihn: „Die Ehe ist nicht nur hergeleitet aus den christlichen Traditionen und der christlichen Kultur, sondern es geht eben auch darum, nicht nur für das Leben Verantwortung füreinander zu übernehmen, sondern die Ehe ist schon rein biologisch auch angelegt durch Frau und Mann. Sie ist auch auf Nachwuchs und Kinder angelegt. Deshalb findet sie Erwähnung in der Verfassung, und zwar an ziemlich zentraler Stelle.“

Herr Flath stellt nicht in Abrede, dass auch in gleichgeschlechtlichen Gemeinschaften vieles gut und richtig gemacht wird. Man solle sich aber einmal vorstellen, es würden alle in unserer Gesellschaft in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben. Dann wäre es um die Zukunft wahrscheinlich schlecht bestellt. Deshalb hält es Herr Flath für gerechtfertigt, die Ehe zu privilegieren.

Wie aber ist das wirkliche Leben, Herr Flath? 34 % aller Lebendgeburten erfolgen von nichtverheirateten Müttern. In den neuen Bundesländern liegt diese Zahl sogar bei 62 %. Schauen wir auf die Familienformen mit minderjährigen Kindern in Sachsen: 53 % leben bei Ehepaaren; 2011 lag die Zahl noch bei 66 %. 22 % leben bei Eltern ohne Trauschein. Die Zahl lag 2011 noch bei 14 %. 25 % sind bei alleinerziehenden Familien. Das waren 2011 noch 20 %. Das heißt, fast jedes vierte Kind lebt in einer alleinerziehenden Familie, etwa 15 % in Stief- und Patchworkfamilien, und diese drei Familienformen nehmen tatsächlich zu.

Na ja, egal, sagt die CDU, Garant für gutes Aufwachsen sei, wenn es eine Mutter und einen Vater als Ehepaar gibt. Finden wir hier nicht ein etwas verklärtes Bild der Kleinfamilie? Wo finden denn unter anderem Missbrauch und Gewalttaten statt? Was sind denn Kriterien für gelingende Beziehungen? Für mich sind das unter anderem Zuverlässigkeit und liebevolle Zuwendung. Da muss ich fragen: Ist denn der misshandelnde biologische Vater besser als die zweite soziale Mutter?

74 % der Bundesbürger waren übrigens für die Gleichstellung homosexueller Partnerschaften. Auch da musste die CDU wieder zum Jagen getragen werden. Leider ist es so, dass man bei der CDU Alleinerziehende auch gern einmal als unvollständige Familien bezeichnet. Nicht nur, dass dadurch die Lebensleistung abgewertet wird, es ist einfach auch falsch. In der Lebenswirklichkeit bilden sich andere stabile Netzwerke, und Freunde und Nachbarn werden zur Familie. Ich erwarte von Ihnen Wertschätzung für alle Lebensformen, in denen Menschen füreinander Verantwortung übernehmen.

Kommen wir zur finanziellen Seite: Schauen wir uns das einmal an und stellen gleich die Frage nach der Verlässlichkeit der Staatsregierung in dieser Legislaturperiode. Nehmen wir einmal die Zuschüsse für Familienbildungsmaßnahmen einschließlich Familienerholung. Hier gibt es leider keine allzu große Lobby. Beispielsweise wurden die wenigen aktiven Familienverbände durch die restriktive Finanzierung nach und nach ins Abseits gedrängt. Ich

denke dabei an den VAM oder den Katholischen Familienverband. Oder diese arbeiten rein ehrenamtlich, wie SHIA oder der Deutsche Familienverband, was natürlich die Einflussnahme deutlich erschwert.

Am Anfang der Legislaturperiode standen also im oben genannten Titel noch 1,85 Millionen Euro im Haushalt. Dann hatten wir den Absturz auf 423 000 Euro. Hier hat sich der Titel gerade einmal auf 1 Million Euro erholt. Wir wissen alle, dass das ein Tropfen auf den heißen Stein ist, wenn man weiß, wie gerade diese Maßnahmen für Familien in Not von enormer Bedeutung sind. Hier werden kinderreiche Familien oder Familien mit niedrigem Einkommen, alleinerziehende Mütter und Väter sowie Familien mit behinderten Familienangehörigen bei der Finanzierung des Urlaubs unterstützt.

Das gepriesene Landeserziehungsgeld nahm einen ähnlichen Verlauf. Durch die Absenkung der Beträge und die Veränderung der Förderbedingungen seit 2011 wurden vor allem Familien mit niedrigem Einkommen, Alleinerziehende und Familien mit mehreren Kindern betroffen, wobei ich betonen möchte, dass wir das Landeserziehungsgeld ähnlich dem von Ihnen beschworenen Betreuungsgeld für ein völlig falsches Mittel halten; denn manche Eltern haben keine Wahl oder eben nur die eine für das Betreuungs- oder Landeserziehungsgeld. Diese sind so arm, dass sie jeden Zipfel greifen, der etwas mehr Haushaltsbudget ermöglicht. Sie melden deshalb ihre Kinder aus den Kitas ab – verheerend, wenn man doch weiß, wie wichtig diese erste Bildungseinrichtung gerade auch für Kinder aus schwierigen familiären Zusammenhängen ist.

Das Bonner Institut „Zukunft Arbeit“ hat das Thüringer Erziehungsgeld evaluiert, das dem unseren sehr ähnlich ist. Sie sagen auch: Vor allem geringverdienende und alleinerziehende Mütter pausieren damit länger. Gerade bei Alleinerziehenden ist das Problem, dass für sie oft nur eine Teilzeitbeschäftigung oder ein 400-Euro-Job infrage kommt. Sie bleiben dann wegen des Geldes zu Hause, nicht weil sie nicht arbeiten wollen, sondern weil die Rahmenbedingungen eben etwas anderes nicht ermöglichen. Langfristig werden aber so die Chancen auf dem Arbeitsmarkt immer schlechter; eine schlimme Spirale, die weder den Eltern noch den Kindern hilft. Der Effekt dabei ist immer der Ausschluss von Bildung und Netzwerken, die familienstützend und kinderfördernd sind. Mit solch einer Politik wird die soziale Spaltung zwischen Familien vorangetrieben.