Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die einreichenden Fraktionen, die Fraktion DIE LINKE und die Fraktion der SPD, beginnen. Es folgen die Fraktionen der CDU, der FDP, der GRÜNEN und der NPD sowie die Staatsregierung, wenn sie es wünscht.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Pünktlich im Monat März befassen wir uns mit einem Frauenthema, auch wenn das Thema „Schutz von Frauen vor Gewalt“ nicht gerade ein Frauentagsthema ist. Oder doch?
Als wir im vergangenen Herbst den Antrag in den Geschäftsgang brachten, konnten wir nicht ahnen, welch prominente Unterstützung er bei seiner Behandlung hier im Plenum bekommen würde. Sicherlich haben viele von Ihnen den Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, der in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde, zur Kenntnis genommen. Auch das EUParlament hat sich Ende Februar intensiv mit dem Thema „Gewalt gegen Frauen“ befasst und eine entsprechende Entschließung verabschiedet. Sie sehen also: ein hochaktuelles Thema.
Vonseiten des Europäischen Parlaments und der FRA werden die Mitgliedsstaaten mit verschiedenen Handlungsempfehlungen bedacht. So sollen die EU-Mitgliedsstaaten das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die „Istanbul-Konvention“, ratifizieren. In den nächsten drei Jahren soll ein Europäisches Jahr zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen und Mädchen ausgerufen werden. Die EU-Mitgliedsstaaten werden weiterhin aufgefordert, Gewalt in der Partnerschaft als gesellschaftliches und nicht als privates Problem anzuerkennen.
Die EU-Erhebung verdeutlicht: Es ist an der Zeit, dass politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger Maßnahmen gegen diese weitverbreitete Gewalt ergreifen. Hierbei müssen die Bedürfnisse und die Rechte der Gewaltopfer nicht nur auf dem Papier berücksichtigt,
sondern auch in der Praxis umgesetzt werden. So heißt es vonseiten der Grundrechteagentur, wenn man das im Internet verfolgt.
Vielleicht noch einige Zahlen aus dem Bericht: 33 % der Frauen haben seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche und/oder sexuelle Gewalt erfahren. 22 % der Frauen haben körperliche oder sexuelle Gewalt in der Partnerschaft erlebt. 43 % der Frauen waren – entweder durch den aktuellen oder einen früheren Partner – durch psychische Gewalt bedroht. Diese besteht vor allem darin, dass Frauen öffentlich bloßgestellt werden, das Haus nicht verlassen dürfen oder eingesperrt werden oder dass ihnen Gewalt angedroht wird.
Doch nun zu unserem Antrag: Wir fordern die Staatsregierung auf, sich auf Bundesebene dafür einzusetzen, dass endlich ein Rechtsanspruch auf Hilfe für von häuslicher Gewalt Betroffene formuliert wird.
Ja, es ist richtig, wie es in der Stellungnahme der Staatsregierung steht, dass das auch in dem Bericht der Bundesregierung zur Situation der Frauenschutzhäuser und Fachberatungsstellen für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder nachdrücklich unterstrichen wird. Deshalb muss auch die Sächsische Staatsregierung hier aktiv werden und Entsprechendes einfordern.
Eine bundeseinheitliche Finanzierung von Hilfeangeboten für Betroffene ist schon lange eine Forderung – nicht nur hier in Sachsen! Es darf nicht vom Bundesland abhängen, wie und in welchem Umfang Hilfe gewährt werden kann.
Ja, Frau Ministerin Clauß, wir reagieren mit unserem Antrag auf den Hilferuf der LAG der Frauenschutzhäuser vom vorigen Jahr. Wir haben uns die Forderungen dieser Fachfrauen zu eigen gemacht. Wie Sie in Ihrer Stellungnahme zutreffend feststellen, ist das auch unsere Aufgabe. Wir müssen solche Forderungen von Fachleuten auch hier in das Parlament tragen.
Zudem hat sich der Landesfrauenrat dieses Themas angenommen und die demokratischen Fraktionen um Unterstützung gebeten.
Wir wissen, dass sich die Fälle von häuslicher Gewalt in den vergangenen zehn Jahren verfünffacht haben; Minister Ulbig hat in einer Presseerklärung im November darauf hingewiesen. 2 728 Fälle gab es im Jahr 2012. Wir wissen auch – das wurde schon in den Haushaltsverhandlungen 2011/2012 und 2013/2014 deutlich –, dass die Frauenschutzhäuser und die anderen Hilfsangebote unter einer chronischen Unterfinanzierung leiden. Diese hat sich durch die gestiegenen Betriebs-, Sach- und Personalkosten weiter verschärft. So ist auch das Netz der Einrichtungen im Vergleich zu den 1990er-Jahren ständig löchriger geworden.
Es ist zudem notwendig, erweiterte Betreuungs- und Beratungsangebote für die Frauen, aber besonders auch für die mitbetroffenen Kinder, die häusliche Gewalt miterlebt haben und dann besondere psychologische Betreuung brauchen, anzubieten und zu finanzieren. Eine Hilfestruktur, aber auch ein eigenständiger Bedarf für betroffene Kinder und Jugendliche muss in den Förderrichtlinien festgeschrieben werden, wird doch das Geld für deren Betreuung derzeit von den Mitteln, die für die Frauen zur Verfügung stehen, einfach abgezwackt, wie es mir einige Gleichstellungsbeauftragte erst kürzlich, am Rande des Empfangs zum Frauentag am vergangenen Sonnabend, wieder bestätigten.
Die gegenwärtige Begrenzung der maximalen Fördersumme für Frauenschutzhäuser auf 50 000 Euro je Einrichtung und Jahr führt besonders in den drei Großstädten zu einer deutlichen Unterfinanzierung, zumal in diesen Einrichtungen auch oft Hilfesuchende aus den umliegenden Landkreisen mitbetreut werden, weil es dort keine oder nur wenige Schutzplätze gibt. Die Begrenzung ist somit nicht sachgerecht und muss sich den tatsächlichen Gegebenheiten anpassen.
Außerdem ist festzustellen, dass der Personalschlüssel für Frauenschutzhäuser von einer Fachkraft auf maximal acht Schutzplätze dem stark gestiegenen Beratungsbedarf nicht mehr gerecht wird. Den multiplen Problemlagen der von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen und deren Kinder – oftmals mit Migrationshintergrund und/oder schweren gesundheitlichen, insbesondere psychischen Problemen – wird dieser Schlüssel bei Weitem nicht mehr gerecht.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie alle haben in den vergangenen Tagen eine Postkarte der Landesarbeitsgemeinschaft der Frauenhäuser und der Interventionsstellen in Sachsen erhalten, versehen mit einem Hinweis und einer Bitte. Die Postkarte weist darauf hin, wie sehr Beratungs- und Schutzeinrichtungen gegen Gewalt in
Sachsen benötigt werden, verbunden mit der Bitte um eine stärkere Unterstützung dieser Einrichtungen und Angebote.
Mit dem vorliegenden Antrag wollen SPD-Fraktion und DIE LINKE aber mehr. Wir wollen darauf hinweisen, dass der Schutz vor Gewalt gerade auch im häuslichen Bereich, dass Beratungs- und Schutzeinrichtungen keine freiwilligen Leistungen sein dürfen. Wir wollen mit dem Antrag darauf verweisen, dass der Schutz vor Gewalt die ureigene Aufgabe des Staates ist und der grundrechtliche Anspruch auf Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit auch die Organisation von Hilfe und Schutz umfasst. So ist es nachzulesen im bereits von meiner Vorrednerin genannten Gutachten der Bundesregierung zu diesem Thema aus dem vergangenen Jahr. Aus unserer Sicht darf es dazu auch keiner Bitte bedürfen. Wir alle hier müssen uns darüber im Klaren sein, was es heißt, wenn wir die grundsätzlichen Hilfestrukturen nicht bedarfsgerecht ausbauen. Auf die Daten der betroffenen Frauen und Kinder ist meine Vorrednerin ebenfalls schon eingegangen.
Ich will kurz einen Rückblick vornehmen. Der Gewaltschutz im häuslichen Bereich erhält erst seit circa zwölf Jahren eine größere Aufmerksamkeit bei Ländern, Bund und Kommunen. 2002 gab es das Bundesgewaltschutzgesetz und in der Folge den ersten Bundesaktionsplan zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt. Im Ergebnis dieser Bundesinitiativen gründete sich am 14. Mai 2003 in Sachsen ein Lenkungsausschuss gegen häusliche Gewalt, indem erstmals Vereine und Verbände in ein solches Beratungsgremium der Staatsregierung geholt wurden. Dieser Lenkungsausschuss gehört mittlerweile dem Landespräventionsrat an und ist dem SMS zugeordnet. Er feierte letztes Jahr sein zehnjähriges Bestehen und es ist schade, dass dieses Ereignis und die Festveranstaltung gerade vonseiten der Regierungsfraktionen und der Abgeordneten nicht mehr Aufmerksamkeit bekamen.
Eine Folge der Gründung des Lenkungsausschusses war auch in Sachsen 2006 der erste Landesaktionsplan gegen häusliche Gewalt. Dieser stellte zum ersten Mal eine Zielformulierung und eine Anspruchsgrundlage für den Aufbau einer entsprechenden Hilfestruktur in Sachsen dar. Die drei Säulen des Plans bestehen bis heute. Das sind erstens die Schutzmaßnahmen der Frauen- und Kinderschutzhäuser, zweitens die Beratungseinrichtungen und Interventionsstellen, die sehr eng mit der Polizei zusammenarbeiten, und drittens die Angebote der Täterberatungsstellen, die aktiv für die Menschen da sind, die mit ihrem Gewaltproblem umgehen lernen wollen und nach einer Lösung im Sinne der mitbetroffenen Familien suchen. Das ist nach wie vor die Grundstruktur, die durch weitere Angebote wie den Weißen Ring und andere Angebote der freien Träger ergänzt wird.
Dennoch ist unser heutiger Antrag notwendig, weil es normal ist, dass nach so vielen Jahren andere Entwicklungen und Verbesserungsbedarf auftreten. Aus dieser Einsicht heraus hat der Lenkungsausschuss in den vergange
nen zwei Jahren mit viel Engagement der Beteiligten den sächsischen Landesaktionsplan fortgeschrieben, im
vergangenen Jahr von der Staatsregierung verabschiedet. Jetzt wartet der Plan auf die materielle Untermauerung. Die Initiativen und Einrichtungen, die daran mitgearbeitet haben, warten auf die versprochene Unterstützung. Frau Gläß ist schon auf die Veränderungen bei den steigenden Fallzahlen und die steigenden Hilfe- und Beratungsbedarfe eingegangen.
Ich möchte nur sagen, dass wir nach wie vor für diese Bedarfe zu wenig Angebote haben, gerade im ländlichen Raum. Frauenschutzhäuser werden durch die Kommunen kofinanziert. In Sachsen ist ein unzureichendes Angebot und eine relativ unterschiedliche Entwicklung festzustellen. Die Interventionsstellen arbeiten durch den Anstieg bei Anzeigen und Polizeieinsätzen mit einer zu geringen Personal- und Ressourcenausstattung. Auch die Täterberatung kommt bei steigendem Bedarf nicht nach. Es gibt auch kaum spezialisierte Angebote bei zunehmend komplexeren Problemlagen. Immer mehr Bedarf gibt es bei von Gewalt mitbetroffenen Kindern und Jugendlichen, für Schutz suchende Frauen, die weitere Probleme haben, wie psychische oder Suchterkrankungen. Das alles führt zu mehr Betreuungsbedarf und zu steigendem Vernetzungsbedarf mit den Bereichen Kinder- und Jugendhilfe, dem Gesundheitsbereich, aber auch dem Sucht- bzw. Justizbereich – das alles bei gleichbleibendem Personalschlüssel und seit 2007 gleichbleibenden Fördersätzen über die Förderrichtlinie. Das kann dazu führen, dass durch die Arbeitsdichte Betroffene im Zweifelsfall keine Hilfe erhalten können, weil die Beratungsstellen an ihren Grenzen angekommen sind.
Das Gutachten der Bundesregierung bestätigt diese Einschätzung und zeigt die Probleme nicht nur für Sachsen, sondern für alle Bundesländer. Auch daraus leiten wir unsere Forderung nach einer bundesweiten Veränderung ab, die wir in Punkt 1 unseres Antrages aufgreifen. Die Staatsregierung zitiert in ihrer ablehnenden Stellungnahme dazu lediglich, dass die Erforderlichkeit für ein neues Gesetz im Gutachten infrage gestellt wird. Das stimmt. Das Gutachten stellt jedoch nicht die Tatsache infrage, dass auf Bundesebene Maßnahmen an sich erforderlich sind. Diese können in bestehende Regelungen und Gesetze einfließen; aber wenn wir feststellen, dass die Staatsregierung in diese Richtung nicht agieren will oder den Erfolg nicht sieht, dann müssen wir schauen, wie wir die Probleme in Sachsen lösen können. Hier erwarten wir Initiativen der Staatsregierung zur Umsetzung des fortgeschriebenen Aktionsplans.
Punkt 1: Wir erwarten eine Initiative zur Lösung der Frage der Finanzierungsverteilung zwischen Kommunen und Freistaat, gerade im Hinblick auf die Frauenschutzhäuser. Diese ungeklärte Frage wird zulasten der Angebote ausgetragen. Manche Kommunen und Landkreise fördern vorbildlich, andere wieder gar nicht. Im Erzgebirge gibt es kein Frauenschutzhaus. Chemnitz beispielsweise fördert das Frauenschutzhaus mit 106 000 Euro, die Sächsische Schweiz mit 37 000 Euro. Man muss daraus
Punkt 2: Wir erwarten weiterhin, dass bei der Neufassung der entsprechenden Förderrichtlinie des Ministeriums auf die gestiegenen Kosten, Personalanforderungen und die veränderten Bedarfe der Beratungs- und Hilfseinrichtungen eingegangen wird.
Punkt 3: Wir erwarten, dass es an der Schnittstelle zum Kinder- und Jugendhilfebereich Veränderungen gibt. Eine Mitarbeit in Kinderschutznetzwerken einfach zu erwarten, ohne das mit entsprechenden Ressourcen zu unterstützen, dient zwar einer gewissen formellen Befriedigung von Verwaltungsanforderungen, jedoch nicht wirklich dem materiellen Anspruch der Kinder und Jugendlichen auf Unterstützung in dieser ganz speziellen Problemlage. Spezialisierte Angebote für betroffene Kinder und Jugendliche in dem Hilfsnetz gibt es in Sachsen derzeit nicht.
Punkt 4: Wir brauchen mehr Angebote für Risikofamilien, die sich ihrem Gewaltproblem stellen wollen. Ich erwähnte schon die gute Arbeit der Täterberatungsstellen. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Kapazität ausweiten können.
Und nicht zuletzt brauchen wir die Schnittstelle zu den normalen Angeboten der Familienbildung, der Familienverbände, der Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen. Die müssen wir mehr in den Blick nehmen und in dieser Richtung stärken. Die Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen haben letztes Jahr zum zweiten Mal ihre Fachtagung unter das Motto „Gelingende Paarbeziehung“ gestellt. Das ist und bleibt die Grundlage für gelingende Familienbeziehungen. Wenn in dem Bereich Unterstützung erfolgreich verläuft, dann werden wir auch das Gewaltproblem im häuslichen Bereich in den Griff bekommen.
Es geht uns mit dem Antrag also um ein Gesamtpaket, um eine Stärkung und ein Ineinandergreifen der Angebote, die die Gewalt in Familien und Paarbeziehungen im Blick haben. Dem Anliegen dient unser Antrag und ich bitte Sie in diesem Sinne um Zustimmung.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Europäische Grundrechteagentur hat in der vergangenen Woche eine viel beachtete Studie zum Thema Gewalt gegen Frauen veröffentlicht.
Ich möchte an dieser Stelle nicht noch einmal auf die Zahlen eingehen. Aus meiner Sicht ist es erschreckend, dass so viele Frauen mindestens ein Mal in ihrem Leben
Gewalt durch ihren Partner – sei es durch Beleidigungen, Schläge, Demütigungen, Vergewaltigungen bis hin zu lebensgefährlichen Verletzungen – erlitten haben.
Die Studie hat ebenfalls deutlich gemacht, dass zumindest im europäischen Vergleich Opfer von häuslicher oder Beziehungsgewalt eher in Deutschland darüber reden und Hilfe suchen als in vielen anderen Ländern. Gleichwohl ist aber davon auszugehen, dass die Dunkelziffer nicht unerheblich ist und dass es bei Betroffenen mehrerer Anläufe bedarf, bis sie bereit und in der Lage sind, sich aus Gewaltsituationen zu lösen. Die Frauen schämen sich. Sie trauen sich nicht anzusprechen, was mit ihnen passiert. Oft haben sie auch gar nicht mehr die Kraft, sich Hilfe zu holen.