Es ist deshalb umso wichtiger – sagte ich –, die UNBehindertenrechtskonvention schrittweise und mit Augenmaß umzusetzen. Für diesen Weg hat sich Sachsen entschieden, nicht für das Schneckentempo und nicht für den Sprint, sondern für ein solides Vorgehen mit normalem Tempo.
Der Sächsische Landtag hat am 15. September 2011 die Staatsregierung damit beauftragt, das sächsische Bildungssystem über die integrativen Ansätze hinaus zu einem inklusiven System weiterzuentwickeln. An diesen Beschluss fühle ich mich gebunden. Auf dessen Grundlage haben wir im April 2012 den ersten Aktions- und Maßnahmenplan als einen Mosaikstein auf unserem Weg zur Inklusion vorgelegt. Darüber hinaus hat das vom SMK einberufene Expertengremium in einem intensiven Diskussionsprozess Empfehlungen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention erarbeitet, die auf einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren ausgerichtet sind und damit den Weg zur schrittweisen Umsetzung bestätigen.
Zahlreiche im AMP vorgesehene Maßnahmen sind bereits umgesetzt. So wurden im Rahmen des Neuerlasses der Lehramtsprüfung 1 im August 2012 die Themen Integration und Inklusion in ihren fachlichen Zusammenhängen in die universitäre Ausbildung aller Lehrämter aufgenommen. Auch im zwölfmonatigen Vorbereitungsdienst wurden Integration und Inklusion in den Ausbildungscurricula verankert.
Lehrerinnen und Lehrer unserer Grund- und Oberschulen, der Gymnasien und berufsbildenden Schulen können sich im zweijährigen Fortbildungsprogramm ZINT – Zertifikatkurs Integrativer Unterricht – der Hochschule Zittau/Görlitz fortbilden. Der Schulversuch ERINA ist wesentlicher Bestandteil des AMP. In aktuell vier Modellregionen mit insgesamt 23 Schulen und 123 Schülern mit
sonderpädagogischem Förderbedarf wird Inklusion von der Kita bis zur Berufsbildung mit wissenschaftlicher Begleitung erprobt. Insbesondere werden wichtige Erfahrungen bei der lernzieldifferenten Unterrichtung in der Sekundarstufe I gesammelt und regionale Kooperationsstrukturen von Bildungs-, Beratungs- und Unterstützungseinrichtungen aufgebaut. Die gemachten Erfahrungen werden in die Fortschreibung des Aktions- und Maßnahmenplanes einfließen. Ebenso haben wir vor gut einem Jahr im Februar 2013 das vierjährige Landesmodellprojekt Inklusion in sächsischen Kindertageseinrichtungen gestartet.
Meine Damen und Herren! Im gerade erschienen Datenreport Inklusion der Bertelsmann-Stiftung ist nachzulesen, dass in Sachsen im vergangenen Schuljahr 26,2 % der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf integrativ unterrichtet wurden. Dazu erklärt Stiftungsvorstand Jörg Dräger heute: „Sachsen macht bei der Umsetzung der Inklusion Fortschritte, aber es bleibt noch viel zu tun.“ In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Quote der Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die integrativ unterrichtet werden, von knapp 18 auf gut 28 % im aktuellen Schuljahr im Freistaat Sachsen erhöht und entspricht damit genau dem Bundesdurchschnitt.
Wir haben über die Entwicklung der Quote integrativ unterrichteter Schüler sowie integrativ betreuter Kinder in unseren Kindertageseinrichtungen auch im Bildungsbericht 2013 informiert. Insgesamt leisten circa 85 % aller öffentlichen sächsischen Schulen Integrationsarbeit.
Weitere Maßnahmen können erst schrittweise umgesetzt werden und bedürfen einer Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, der wir uns in der nächsten Legislaturperiode mit der Änderung des Schulgesetzes stellen werden. Lehrerinnen und Lehrer haben bereits ohne Inklusion in Klassenzimmern eine überaus anspruchsvolle Arbeit zu leisten. Sie brauchen Unterstützung und Fortbildung auf dem Weg zur inklusiven Schule – ein Weg, den es nicht zum Nulltarif gibt.
Deshalb haben wir im laufenden Doppelhaushalt Mittel zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention an Schulen und Kindertageseinrichtungen bereitgestellt und werden dies auch im kommenden Doppelhaushalt tun. Ich habe bereits im Februar dieses Jahres im Ausschuss für Schule und Sport gesagt, dass zwischen dem fortzuschreibenden AMP und den Haushaltsverhandlungen ein Sachzusammenhang besteht. Inklusion wird in Sachsen mit Augenmaß umgesetzt. Dazu zählt auch die schrittweise, kontinuierliche haushalterische Untersetzung.
Meine Damen und Herren! Die Entwicklung eines inklusiven Schulsystems kann nur gelingen, wenn alle Beteiligten – Schüler, Lehrer, Eltern, Verbände, Vereine sowie Schulträger, verantwortliche Behörden und Institutionen – einbezogen und mitgenommen werden. Dazu braucht es Zeit. Das Kindeswohl muss im Vordergrund stehen. Deshalb erfolgt die Erprobung inklusiver Ansätze im
Schulversuch ERINA über den Zeitraum mehrerer Schuljahre. Die gesammelten Erfahrungen sind sorgfältig auszuwerten und zu evaluieren. So unterschiedlich die Art der Behinderung ausfallen kann, so vielfältig müssen die schulischen Förderorte sein. Dazu bekenne ich mich, und dazu bekennt sich Sachsen.
Ohne Zweifel ist das Ziel, mehr Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam zu unterrichten, erstrebenswert. Der Weg dahin ist langwierig und wird von den Beteiligten viel Geduld verlangen. Für die einen mag der Prozess zu langsam verlaufen. Andere werden sich von der Entwicklung überrollt fühlen. Im Mittelpunkt aller Entscheidungen muss aber immer die Frage stehen: Was ist das Beste für das Kind? Meine Damen und Herren, nur so kann Inklusion gelingen.
Ich würde gern vom Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen, da die Ministerin ja keine Fragen zugelassen hat.
Frau Ministerin, ich glaube, der Beschluss von 2011 wird von Ihnen nicht umgesetzt. Das ist genau einer der Punkte, weshalb wir diesen Antrag gestellt haben. In dem Beschluss von 2011 war, wie Sie es auch zitiert haben, der Auftrag formuliert, dass eine Expertenkommission eingerichtet wird, die Empfehlungen für einen Aktions- und Maßnahmenplan formuliert.
Sie wissen ganz genau, dass wir damals im Schulausschuss gesagt haben: Wenn die Landesregierung vor dem Abschluss der Arbeiten der Expertenkommission einen Aktions- und Maßnahmenplan vorlegt, dann muss er anschließend mindestens diese Empfehlungen aufgreifen. Das ist nicht passiert. Damit ist der Antrag von 2011 nicht umgesetzt. Die Empfehlungen der Expertenkommission liegen auf Halde, und Ihr Aktions- und Maßnahmenplan berücksichtigt diese Empfehlungen nicht. Da können Sie mit dem Kopf schütteln, wie Sie wollen; das gibt schon der Zeitplan her, und Sie haben uns im Schulausschuss eigentlich zugesagt, dass es passiert.
Nun hatten wir angenommen, dass Sie den ersten Entwurf dieses Aktions- und Maßnahmenplanes deshalb so zeitig vorlegen, weil ja der nächste Doppelhaushalt anstand. Da geht mir dann wirklich die Hutschnur hoch, wenn Sie sagen, dass im Haushalt Geld für die Umsetzung der UNBehindertenrechtskonvention vorhanden war. Es waren sage und schreibe 700 000 Euro zusätzlich -- nicht eine einzige Stelle mehr, weder für die Förderschulen noch für die Integration an der Regelschule.
Elke Herrmann sagte vorhin: Das ist die Decke, die zu kurz ist, die bei den Förderschulen fehlt und bei den
Regelschulen nicht ankommt. Damit schaden Sie den Kindern, die Sie integrieren wollen, und es ist nicht zu verantworten, –
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ministerin hat uns gerade erzählt, dass in den Prozess der schulischen Inklusion die Gesellschaft und die gesellschaftlichen Gremien einbezogen werden müssen. Nichts anderes haben wir mit dieser Expertenkommission gemacht. Wir haben die Gremien einbezogen, wir haben gearbeitet, wir haben Zeit investiert. Passiert ist nichts. Die Empfehlungen sind nicht aufgenommen worden.
Unser damaliger Antrag enthielt nicht nur den Auftrag, den Aktions- und Maßnahmenplan fortzuschreiben. Er enthielt auch den Auftrag, uns als Parlament darüber zu informieren, wie der immerhin bestehende aktuelle Aktions- und Maßnahmenplan umgesetzt wird.
Sie haben jetzt von ERINA gesprochen und auch im Ausschuss etwas dazu gesagt. Aber wenn man mehr wissen will: Fehlanzeige!
Am letzten Freitag fand der Lehrertag im Landkreis Zwickau statt. Ein Workshop galt den Erfahrungen in den Modellregionen zu den dortigen Modellschulen. Die
Vertreterin hatte kurzfristig abgesagt. Das kann ja mal vorkommen. Aber seit mehreren Monaten versucht der Vorstand der Lebenshilfe in Sachsen, einen Termin mit der Kollegin auszumachen, die für dieses Thema in der Staatsregierung zuständig ist. Bisher ist es nicht gelungen.
Ich habe den Eindruck, Sie wollen uns nicht informieren und Sie nehmen diesen Auftrag, den Sie damals bekommen haben, nicht ernst.
Es geht noch weiter: Dieses Jahr läuft ja das Staatenberichtsverfahren. Auch die Staatsregierung hat zu diesem Staatenberichtsverfahren an den Ausschuss zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention eine Mitteilung über den Stand deren Umsetzung gemacht, auch die Umsetzung von Artikel 24 betreffend. Haben wir davon etwas gehört? Wir haben nichts davon gehört. Wissen wir, wer im Herbst nach Genf fährt? Gibt es eine Einladung der Staatsregierung an das Parlament, sich darüber Gedanken zu machen? Wir haben nichts gehört. Sie informieren uns nicht und, ich meine, Sie diskreditieren die schulische Inklusion, indem Sie nicht nur nicht handeln, sondern indem Sie die aktuelle Situation verschlechtern, weil weniger Integrationsstunden zur Verfügung stehen.
Ich verstehe nicht, warum Sie die Schulbescheide nicht so zeitig ausgeben, dass die Kinder beim Jugend- oder beim Sozialamt noch die nötigen Unterstützungsleistungen beantragen können. Das wäre ein winziger Schritt für Sie.
Wenn Sie davon sprechen, dass der Kinderschutz im Vordergrund steht, dann frage ich mich, ob es dem Kinderschutz widerspricht, wenn von den Gerichten oder im vorgerichtlichen Verfahren entschieden wird, dass die Kinder doch auf die Regelschulen gehen können. Dann geht es offenbar. Für die Eltern, die das aber nicht machen, gibt es offenbar auch keine inklusive Beschulung an der Regelschule.
Frau Ministerin, ich habe auch heute in dieser Debatte den Eindruck gewonnen, Sie wollen nicht. Inklusion war für das Ministerium von Anfang an sozusagen eine schwierige Situation. Es braucht natürlich eine Ministerin, für die das ein Anliegen ist und die für dieses Thema auch beim Finanzminister streitet. Das machen Sie nicht, und das finde ich schade.