Protokoll der Sitzung vom 10.04.2014

Drucksache 5/12202, Antrag der Fraktion DIE LINKE,

mit Stellungnahme der Staatsregierung

Die Fraktionen nehmen wie folgt Stellung: DIE LINKE, CDU, SPD, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn sie das Wort wünscht. Wir beginnen mit der Aussprache. Für die Fraktion DIE LINKE spricht Frau Abg. Falken. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema längeres gemeinsames Lernen hat im Freistaat Sachsen unter der Staatsregierung – geführt von der CDU – keine Chance. Im Freistaat Sachsen werden auch unter dieser Regierung Schülerinnen und Schüler nach der 4. Klasse nach guten und schlechten getrennt, obwohl die Pädagogik, das europäische Ausland und auch die ersten Länder in Deutschland dabei sind, auf diesem Weg voranzuschreiten, sprich: das längere gemeinsame Lernen punktuell einzuführen.

In der letzten Legislaturperiode hatten wir einen kleinen zaghaften Versuch im Freistaat Sachsen – dieser war der SPD geschuldet, dafür noch einmal einen herzlichen Dank –, die Gemeinschaftsschule in Sachsen einzuführen. Es hieß „Schulmodellversuch – Schule mit besonderem pädagogischen Profil – Gemeinschaftsschule“. Neun Schulen haben sich bis zum Ende der letzten Legislaturperiode dazu bereit erklärt und aktiv gestaltet, diesen Weg der Gemeinschaftsschule mit besonderem Profil wirklich zu gehen. Das Interesse der Eltern war sehr groß.

Ich möchte nur ein Beispiel nennen: Die Gemeinschaftsschule in Geithain hatte damals Anmeldezahlen für bis zu fünf Klassen pro Klassenstufe, die sie nicht alle aufnehmen konnten. Dafür wäre die Gemeinschaftsschule viel zu groß gewesen.

Mit dem Regierungswechsel von CDU und FDP 2009 wurde der Modellversuch sofort eingestellt. Ich formuliere das besonders und bewusst so scharf und so hart; denn die erste Amtshandlung des damaligen Kultusministers – das war Herr Wöller – war, eine Verwaltungsvorschrift für neun Schulen herauszugeben – so etwas hat es vorher noch nicht gegeben und danach auch nicht mehr –, um den Schulversuch zu beenden und vor allen Dingen keine weiteren Schulen dazu zu bringen, in den Schulversuch mit einzusteigen.

Die Nachbarschaftsschule in Leipzig und das Chemnitzer Schulmodell sind die einzigen Schulen, die nach wie vor in einem besonderen Konzept im Freistaat Sachsen unterrichten. Diese Schulen arbeiten bereits seit Anfang der Neunzigerjahre, weil sie in der Wendezeit aus pädagogischem Interesse heraus entstanden sind, in einem

besonderen Konzept. Von der Nachbarschaftsschule in Leipzig – Sie wissen, dass ich von dort komme, da kenne ich mich besonders gut aus – weiß ich, dass dieses besondere pädagogische Konzept an der Schule seit 24 Jahren erfolgreich praktiziert wird.

Ich möchte Ihnen einige Beispiele aus dem Konzept der Nachbarschaftsschule in Leipzig nennen: Unterricht von der 1. bis zur 10. Klasse in einer Schule, Kennenlernwochenenden, Morgenkreis, altersgemischte Klassenstufen von 1 bis 3, von 4 bis 6, also über die Grundschule hinaus, von 7 bis 9, Partnerschaft spielt eine große Rolle, Wochenplanarbeit und Projektarbeit spielen eine große Rolle. Fächerverbindender Unterricht wurde dort in klarer Ansage über Jahre praktiziert, Hort bis zur Klasse 6, Notenfreiheit bis zur Klasse 6. Ich wiederhole es – wir haben hier im Landtag schon heftig zu diesem Thema diskutiert –: Notenfreiheit bis zur Klasse 6, Klassensprecher ab der Klasse 4. Das soziale Lernen spielt eine große Rolle, Berufsorientierung, Binnendifferenzierung, über die wir schon bei der Integration sehr heftig gestritten haben, Traditionen, Integration an sich. Auch die Lernwerkstatt spielt an dieser Schule in dem bestehenden Konzept eine sehr große Rolle. Das waren nur einige Beispiele, die ich nennen möchte.

Seit diesem Schuljahr wird es für die Nachbarschaftsschule immer schwieriger und komplizierter, in diesem Konzept zu arbeiten. Das hat etwas mit den Klassenstärken zu tun. Die Nachbarschaftsschule muss auch bis zu 28 Schüler pro Klasse aufnehmen. Am Ende des vergangenen Schuljahres gab es einen großen Aufschrei, sodass nicht ganz bis 28 Schüler aufgefüllt wurde, sondern zum Teil nur bis 26 oder 27 Schüler. Das bedeutet aber, dass das Konzept an vielen Stellen nicht mehr so funktioniert, wie man es eigentlich angedacht hat. Trotzdem engagieren sich die Lehrerinnen und Lehrer vor Ort sehr stark, um ihre Ziele umzusetzen, die sie dort verfolgen.

Jetzt haben wir dazu einen Antrag gestellt, der heute auf der Tagesordnung steht. In der Stellungnahme der Staatsregierung – übrigens ist es auch in einer Kleinen Anfrage so formuliert – steht: Genehmigungsbescheid für das Chemnitzer Schulmodell bis 31. Juli 2018, für die Nachbarschaftsschule bis 31. Juli 2014 ist befristet. Daraus entnehme ich, dass für die Schulen keine Sicherheit über den Zeitraum hinaus besteht; daher unser Antrag. Wir möchten nicht nur, dass es das längere gemeinsame Lernen auch im zukünftigen Schulgesetz gibt, indem klar formuliert ist, dass Schulen, die es wollen, auch das längere gemeinsame Lernen durchführen können; sondern

wir wollen wenigstens, wenn Sie schon dazu nicht bereit sein werden, dass diese beiden Schulen einen Bestand haben.

(Beifall bei den LINKEN)

Schulen, die seit 24 Jahren erfolgreich arbeiten, haben schon durch die Tätigkeit und über den Zeitraum hinaus ihren Bestand bewiesen. Sie sollten nun endlich diesen Status bekommen. Frau Ministerin, ich hoffe sehr, dass Sie, wenn Sie hier heute dazu Stellung nehmen, den Schulen eine klare Perspektive und eine klare Sicherheit geben, nicht nur für den Bestand, sondern vor allen Dingen auch für die Umsetzung des Konzeptes. Es deutet sich jetzt schon an, dass im kommenden Schuljahr in Chemnitz und in Leipzig die Schülerzahlen so aussehen werden, dass die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, dass die 28 Schüler pro Klasse auf jeden Fall erreicht werden, auch in diesen beiden Schulen. Das, glaube ich, müssen wir aufgrund dieser erfolgreichen Arbeit verhindern.

Wir fordern Sie auf, wenigstens für diese beiden Schulen schon jetzt eine klare Perspektive zu benennen und sie nicht weiter in Unsicherheit zu belassen.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Für die CDU-Fraktion spricht jetzt Herr Abg. Seidel. Bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der grundsätzliche Unterschied in der Schulpolitik wurde durch die Kollegin noch einmal recht deutlich benannt. Die eher linke Seite in unserem Haus möchte die Gemeinschaftsschule. Wir halten an dem gegliederten Schulsystem fest, und wir haben damit wunderbare Erfolge erreicht – nicht wir, sondern die Lehrerinnen und Lehrer und die Schülerinnen und Schüler.

(Beifall bei der CDU)

Das bestätigen uns nicht nur die internationalen Studien, die wir alle kennen, die PISA heißen und Ähnliches. Das bestätigen uns auch die nationalen Studien des Instituts für neue soziale Marktwirtschaft, bei denen gerade die sächsischen Schulen immer und immer wieder vordere Plätze einnehmen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Frau Klepsch, bitte.

Herr Seidel, ich möchte Sie fragen: Wie erklären Sie sich, wenn wir mit unserem Schulsystem so erfolgreich sind, dass wir mit einer Abiturientenquote von 29 % unter dem Bundesdurchschnitt liegen und mit einer Quote von 10 % Schüle

rinnen und Schülern ohne Abschluss über dem Bundesdurchschnitt?

Dazu kann man natürlich Ausführungen machen. Erst einmal haben wir ein leistungsorientiertes Schulsystem.

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Genau!)

Wir verschenken keine Abschlüsse, in keinem Punkt.

(Annekatrin Klepsch, DIE LINKE: Aber die anderen Bundesländer? – Weitere Zurufe von den LINKEN und der SPD)

Wir haben ein sachsenweites Abitur und streben sogar ein bundesweites an, damit die anderen Länder die gesamte Leistungsbereitschaft, die unsere Schülerinnen und Schüler haben, ebenfalls beweisen können.

Zu dem unteren Bereich müssen wir uns gesondert unterhalten. Dort werden sehr unterschiedliche Auswertungsklauseln in den einzelnen Bundesländern angewendet. Das wissen Sie auch, meine Damen und Herren.

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Das heißt, alles Hauptschulabschluss?)

Nun kommen wir zur Nachbarschaftsschule Leipzig und dem Chemnitzer Schulmodell, wie es Kollegin Falken in ihrem Antrag begehrt.

Diese beiden Schulmodelle sind im Sinne des § 15 des Sächsischen Schulgesetzes festgelegt. Ich darf aus dem Abs. 1 zitieren: „Zur Weiterentwicklung des Schulwesens und zur Erprobung neuer pädagogischer und organisatorischer Konzeptionen können Schulversuche durchgeführt werden.“ In Abs. 2 steht: „Schulversuche bedürfen der Genehmigung der obersten Schulaufsichtsbehörde und sind in der Regel wissenschaftlich zu begleiten.“

Nun haben die beiden hier genannten Schulversuche genau die Aufgabe, neue pädagogische und organisatorische Konzeptionen durchzuführen, deren Wirksamkeit, deren Vor- und Nachteile für den Bildungsprozess und deren Vereinbarkeit mit dem sächsischen Schulsystem zu erproben. Eine jährliche Evaluation durch die Fakultät für Erziehungswissenschaften bei der hiesigen TU Dresden stellt sicher, dass diese Schulmodelle wissenschaftlich begleitet werden und dass die Bildungsergebnisse analysiert und verallgemeinerungsfähige Ansätze dokumentiert werden. Insofern erfüllt die Staatsregierung hier die exakte Umsetzung des § 15 unseres Schulgesetzes.

Nun sind Schulversuche von der Sache her nicht darauf angelegt, unbegrenzt fortgeführt zu werden. Zu einem gewissen Zeitpunkt sind die Erkenntnisse aus pädagogischen Ansätzen und didaktischen Versuchen auch erschöpft. Daher sind die beiden hier angesprochenen Schulversuche auf 2017 bzw. 2018 begrenzt. Das heißt aber nicht, dass diese Schulen ihre Arbeit dann einstellen müssten. Sie erscheinen mir, sie erscheinen uns auf der Wiese der staatlichen Schulen wie bunte Blumen, die unsere Schullandschaft wie auch andere Schultypen

bereichern und alternative Angebote für Kinder und Eltern bereitstellen.

Herr Seidel, Sie gestatten eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Frau Falken.

Herr Seidel, was meinen Sie, wie lange sollte nach Ihrer Auffassung ein Schulversuch laufen? Sind 24 Jahre genug oder muss das noch länger gehen?

Wir haben jetzt das Jahr 2017 bzw. 2018 geplant. Dann sind 27 und 28 Jahre um. Ich denke, dann sollte man einen Schulversuch beenden und in eine reguläre Schule überführen.

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist übrigens sehr erfreulich, wenn sich Eltern intensiv mit Schule auseinandersetzen und sich mit um deren Gestaltung kümmern, was in diesen beiden Schulen sehr erfolgreich durchgeführt wird.

Natürlich muss man diese Art von Schule auch von ganzem Herzen wollen. Das gilt für Lehrer, für Eltern und ganz besonders für die Kinder. Gemeinsamer jahrgangsübergreifender Unterricht in drei Stufen wie beispielsweise in Leipzig, keine Notengebung bis zur 7. Klasse, sondern verbale Jahresberichte über die Entwicklung jedes einzelnen Schülers, kein Schulbezirk und daher Schüler aus dem gesamten Stadtgebiet, die genau das wollen: Projektunterricht, Wochenplanarbeit und anderes. Das ist durchaus nicht von jedem gewollt und auch nicht für jedes Kind geeignet. Aber das ist eben für manchen die richtige Schulform, die wir hier geschaffen haben.

Dass die Erfahrungen aus den Schulversuchen auch in die tägliche Praxis unseres erfolgreichen gegliederten Schulsystems überführt wurden, geht aus der Antwort der Staatsregierung auf diesen Antrag hervor. Im Zuge der Weiterentwicklung der sächsischen Mittelschule zur Oberschule haben wir auch Erkenntnisse aus diesen Modellschulen eingebracht. Die Angebote für besonders leistungsbereite Schüler und die Möglichkeit der Abweichung von der äußeren Differenzierung sind dafür Belege, genauso wie die Einführung der Leistungsgruppen ab Klassenstufe 5 und der zweiten Fremdsprache ab Klassenstufe 6.

Wir haben vor zwei Wochen im Rahmen eines schulpolitischen Forums unserer Fraktion hier in Dresden mit Vertretern der sächsischen Lehrerverbände, der Pädagogen aus dieser Schulart und auch Elternvertretern die Weiterentwicklung der Mittelschule zur Oberschule umfassend und teils auch kontrovers diskutiert. Einig sind wir uns alle darüber, dass die Oberschule das zentrale Element unseres gegliederten sächsischen Schulsystems ist und auch weiterhin bleibt und mit den neuen pädagogischen Ansätzen – natürlich unter Sicherung der notwendigen Ressourcen – weiterentwickelt werden wird. Praxis

nähe der Ausbildung und Erhöhung der Durchlässigkeit sind dabei Elemente, welche wir auch mit Blick auf den Fachkräftebedarf unserer sächsischen Wirtschaft besonders im Fokus haben und weiter haben werden.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, und damit komme ich auf den vorliegenden Antrag zurück, diese Weiterentwicklung findet im Rahmen unseres Schulgesetzes und unserer durch das Schulgesetz festgelegten Schulstrukturen statt. Wir werden in Sachsen keine flächendeckende Einheitsschule, keine Gesamtschulen zulassen, auch nicht durch die Hintertür!

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Niemals!)