Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kommunalabgaben sind eine streitige Rechtsmaterie, zugegebenermaßen nicht nur hier in Sachsen. Seit Inkrafttreten des Sächsischen Kommunalabgabengesetzes am 1. September 1993 ist eine Vielzahl von Überprüfungen durch Widerspruchsbehörden und Verwaltungsgerichte in Sachsen zu verzeichnen, deren Verfahrensgegenstand Fragen aus dem Kommunalrecht berühren.
Allein in der Datenbank „juris“ sind 194 Entscheidungen beim 5. Senat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichtes mit dem Verfahrensgegenstand Sächsisches Kommunalabgabengesetz seit September 1995 dokumentiert. Da aber selbstverständlich nicht alle Entscheidungen veröffentlicht werden, liegt die Anzahl der rechtlichen Auseinandersetzungen am obersten Verwaltungsgericht Sachsens zu Fragen der Kommunalabgaben natürlich höher. Bei „juris“ finden sich weiterhin insgesamt 140 Entscheidungen der sächsischen Verwaltungsgerichte zu dieser Problematik. Diese Ergebnisse erfassen selbstverständlich nicht die Gesamtzahl der tatsächlich durchgeführten Verfahren insgesamt, die erheblich höher liegen dürfte.
Mit diesen Verfahren sind nicht nur beträchtliche Kostenrisiken für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger, sondern auch für die Behörden, sprich die Steuerzahler, verbunden. Sie führten und führen zu einer zeitlichen und personellen Belastung der zuständigen Gerichte und Behörden. Das ist allein schon an der oft mehrjährigen Verfahrensdauer erkennbar. Aus unserer Sicht ist das eine unzumutbare Situation für alle Beteiligten.
Aus den eben erläuterten Gründen hat die Fraktion DIE LINKE den Entwurf eines Gesetzes über Musterverfahren in Kommunalabgabenstreitigkeiten im Freistaat Sachsen eingereicht. Mit unserem Gesetz greifen wir die fast zehnjährigen guten Erfahrungen mit Musterverfahren aus Mecklenburg-Vorpommern auf. Den bürgerfreundlichen und den Rechtsstaat stärkenden Grund unserer Gesetzesinitiative möchte ich im Folgenden kurz erläutern.
Bei der Erarbeitung von kommunalen Abgabensatzungen haben die Einwohnerinnen und Einwohner der jeweiligen Kommune kein Mitsprache- und Entscheidungsrecht. Sehr häufig kommt es nach Inkrafttreten der Satzungen und dem Zustellen der Gebühren- und Beitragsbescheide
zu Streitigkeiten. Die Bürger legen Widersprüche ein. Diese werden zunächst verwaltungsintern von der Behörde selbst geprüft. In den allermeisten Fällen wird den Widersprüchen – natürlich – nicht abgeholfen. Nun besteht für die Bürger die Möglichkeit, gegen den Verwaltungsakt zu klagen, um die Bescheide gerichtlich überprüfen zu lassen. Dass viele Bürger von einer Klage wegen des hohen Kostenrisikos zurückschrecken, ist allgemein bekannt. Da nach dem Erlass einer kommunalen Satzung eine Vielzahl der Bürgerinnen und Bürger betroffen sind, kommt es in der Mehrheit der Fälle auch zu einer Vielzahl von Widersprüchen. Diese Widersprüche greifen in der Regel gleich gelagerte Rechtsfälle auf und richten sich oft gegen die Wirksamkeit der Satzung selbst.
Genau an dieser Stelle setzt unser Gesetzentwurf an. Gesetzlich soll die Möglichkeit eröffnet werden, in einem Verfahren – Musterverfahren – über die im Grunde inhaltlich gleich gelagerten Widersprüche einheitlich zu entscheiden.
Während des Verlaufs des Musterverfahrens ruhen alle anderen Widerspruchsverfahren zu dieser Problematik. Auf diesem Wege erreichen wir eine einheitliche Rechtsanwendung und die Minimierung der Verfahrenskosten. Außerdem wird durch die gerichtlichen Entscheidungen, die auch auf die ruhenden Verfahren verbindlich angewendet werden, sehr viel schneller Rechtssicherheit und Rechtsfrieden erreicht als bisher. Das trägt auch zur Akzeptanz der jeweiligen Satzung bei.
Wie haben wir nun in unserem Gesetzentwurf dieses Anliegen konkret umgesetzt? Durch die Änderung von § 3 Abs. 1 Nr. 7 des Sächsischen Kommunalabgabengesetzes soll zukünftig gesetzlich geregelt werden, dass Widerspruchsverfahren zu einer Abgabensatzung ruhen a) bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Verfahrens zu dieser Satzung beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht, bei einem obersten Bundesgericht oder beim Europäischen Gerichtshof, b) wenn bei den genannten Gerichten, den Verwaltungsgerichten des Freistaates Sachsen, dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof oder dem Bundesverfassungsgericht eine Rechtsfrage anhängig ist, die in einem Widerspruchsverfahren entscheidungserheblich ist. Außerdem soll c) die Widerspruchsbehörde in gleich gelagerten Fällen geeignete Verfahren als Musterverfahren auswählen und vorrangig entscheiden.Und d) ruhen auch in diesen Fällen die verbleibenden Widerspruchsverfahren bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Musterverfahren. Schließlich wird im Buchstaben e) gesetzlich normiert, dass die Widerspruchsbehörde und die in einer Prozessgemeinschaft zusammengeschlossenen Widerspruchsführer die Durchführung des Musterverfah
rens und die sich für alle Beteiligten daraus ergebenden Rechte und Pflichten schriftlich vereinbaren.
Mit unserem Gesetzentwurf eröffnen wir aber nicht nur die Möglichkeit von Musterverfahren. In Punkt 2 legen wir die Neufassung des § 3 Abs. 4 vor. Diese soll nun endlich verbindlich den Rechtsanspruch der Bürgerinnen und Bürger auf Akteneinsicht regeln. In den meisten Bundesländern ist das Akteneinsichtsrecht in den Informationsfreiheitsgesetzen festgelegt. Wie immer hinkt Sachsen in puncto Demokratie und Bürgerfreundlichkeit den anderen Bundesländern hinterher. Das hat auch die Ablehnung des Entwurfs der Fraktion DIE LINKE eines Sächsischen Transparenzgesetzes am 10. Juli 2013 hier im Hohen Haus deutlich demonstriert.
Mit der Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf, meine Damen und Herren, können Sie ein starkes Signal an die Menschen in Sachsen senden, dass Sie in den vergangenen zwei Jahren gelernt haben, dass Geheimniskrämerei und sogenanntes Herrschaftswissen unser Land nicht weiterbringen. Nicht gegeneinander, nur miteinander sind die Probleme lösbar. Voraussetzung dafür ist allerdings der gleiche Wissensstand.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen, ich denke, dass der Gesetzentwurf eine große Mehrheit an Unterstützern finden wird, da er vernünftig ist. Er trägt demokratische Züge, eröffnet die Möglichkeit, Kommunalabgabenstreitigkeiten effektiv zu klären, und
führt zu Kosteneinsparungen bei den damit befassten Gerichten, den Verwaltungen und den Gebühren- und Beitragszahlern. Es ist ein Gesetzentwurf, der für alle Beteiligten nur Vorteile bringt.
Meine Damen und Herren, unsere Fraktion freut sich auf die Beratung mit Ihnen zu unserer Drucksache 5/14073 im federführenden Innenausschuss sowie im mitberatenden Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss und im mitberatenden Haushalts- und Finanzausschuss.
Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf Gesetz über Musterverfahren in Kommunalabgabenstreitigkeiten im Freistaat Sachsen an den Innenausschuss – federführend –, an den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss und an den Haushalts- und Finanzausschuss – mitberatend – zu überweisen.
Wer diesem Vorschlag der Überweisung an die genannten Ausschüsse zustimmen möchte, hebe bitte jetzt die Hand. – Wer ist dagegen? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Damit ist das einstimmig so beschlossen, meine Damen und Herren, und dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.
Es liegt keine Empfehlung des Präsidiums vor, eine allgemeine Aussprache durchzuführen. Daher spricht nur die Einreicherin, die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Für die Fraktion übernimmt das Frau Abg. Herrmann. Frau Herrmann, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir legen Ihnen heute einen Gesetzentwurf zur Verbandsklage für Tierschutzvereine vor. Seit dem 1. August 2002 steht der Artikel 20 a im Grundgesetz. Das Grundgesetz wurde damals um drei Worte erweitert und der Staat verpflichtet sich seitdem, „die natürlichen Lebensgrundlagen und“ – jetzt die neuen Worte – „die Tiere zu schützen“. Das Staatsziel Tierschutz darf allerdings keine Verfassungslyrik bleiben, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Bei seiner Antrittsrede hat der Bundesagrarminister Christian Schmidt im Februar dieses Jahres erklärt, dass er sich für eine Verbesserung des Tierwohls einsetzen und auch entsprechende Maßnahmen einleiten will. Genannt
wurden in diesem Zusammenhang die männlichen Küken von Legehennen, die relativ frühzeitig vernichtet werden. Es ist von dem sogenannten Muser die Rede.
Genau! – Erste Schritte wurden am Wochenende gemacht, indem sich die Agrarminister von Bund und Ländern vorgenommen haben, diese Praxis abzuschaffen. In Sachsen fehlt allerdings immer noch ein entscheidendes Instrument zur Umsetzung des von mir zitierten Staatsziels Tierschutz. Derzeit stehen Tierschutzverbände Verstößen gegen den Tierschutz – denken Sie zum Beispiel an die Einhaltung der im Tierschutzgesetz festgelegten Haltungsbedingungen – fast machtlos gegenüber. Tieren werden unnötige Qualen zugefügt, ohne dass dagegen rechtlich zufriedenstellend vorgegangen werden kann.
Im deutschen Rechtssystem kann nur klagen oder einen Widerspruch in einem Verwaltungsverfahren einlegen,
wer in seinen eigenen Interessen berührt ist. Das ist ausschließlich bei den Tiernutzern der Fall. Tiere sind davon naturgemäß ausgeschlossen. Das bedeutet, es kann gegen ein vermeintliches Zuviel an Tierschutz, aber nicht gegen ein Zuwenig geklagt werden. Das ist ein rechtliches Ungleichgewicht, das sich in der Praxis auswirkt. Es hat eine Durchsetzungsschwäche des Tierschutzes zur Folge.
Nach nunmehr zwölf Jahren muss also auch in Sachsen Tierschutz einen rechtlichen Rahmen bekommen. Andere Bundesländer haben das schon gemacht. Bei einigen weiteren steht das im Koalitionsvertrag.
In unserem Gesetzentwurf wird das Verbandsklagerecht umfassend geregelt. Der Entwurf sieht neben dem Klagerecht mehr Transparenz vor. Anerkannte Tierschutzverbände müssen künftig bei der Planung von Verordnungen und Rechtsvorschriften sowie bei Genehmigungsverfahren, die den Tierschutz betreffen, von der Verwaltung informiert werden. Sie haben dann das Recht, sich zu äußern und Stellungnahmen anderer einzusehen. Tierschutzorganisationen bekommen damit ein sogenanntes Mitwirkungsrecht. Sie sind danach verpflichtet, mit der zuständigen Behörde zusammenzuarbeiten, aber sie bekommen eben auch die rechtlich gesicherte Möglichkeit dazu.
Die Nutzung dieser Mitwirkungsrechte ist der erste Schritt. Nur wenn die Behörde den Eingaben nicht folgt, ist eine Klage überhaupt erst möglich. Behörden wie Veterinäramt, Ordnungsamt, Bauamt sind es, die die gesetzlichen Ansprüche der Tiere durchsetzen. Damit steckt der Gesetzentwurf den Rahmen für ein faires rechtsstaatliches Verfahren ab, damit künftig auf der Basis des Tierschutzgesetzes ein fundierter Abwägungsprozess zwischen Tier- und anderen Interessen überhaupt erst möglich ist. In besonderen Fällen, zum Beispiel bei Tierversuchen, eröffnet das Gesetz die Möglichkeit, grundsätzliche tierschutzrechtliche Fragestellungen
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann nur immer wieder betonen, dass aufgrund der frühzeitigen Beteiligungen der Tierschutzverbände in tierschutzrelevanten Genehmigungsverfahren keine Gefahr einer Klageflut besteht. Durch die Beteiligung der anerkannten Tierschutzverbände sind die gesetzlichen Vorgaben des Tierschutzes in das Verfahren eingeflossen.
Im Gegenteil, solch ein fachlich untersetztes und transparentes Verfahren sorgt für mehr Akzeptanz der getroffenen Entscheidungen. Es werden auch keine zusätzlichen Forderungen gestellt, sondern die schon festgelegten Normen im Tierschutzgesetz umgesetzt. Das Gesetz wird also eine starke präventive Wirkung entfalten. Es ist zu vermuten, dass die Behörden zur Vermeidung von Verwaltungsaufwand durch Widerspruch der Tiernutzer die tierschützerischen Bedenken bisher hintangestellt haben. Aus dieser Richtung hatten und haben aktuell die Behörden – außer in juristischer Hinsicht nicht bedeutsamem Protest – nichts zu befürchten.
Mit unserem Gesetz werden Amtstierärzte wohl frühzeitiger und auch effizienter handeln, weil von der Tierschutzseite rechtliche Schritte eingeleitet werden können. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Denken Sie dabei nicht nur an die Anlagen der Massentierhaltung. Ein zunehmendes Problem stellt in Sachsen auch Animal Hoarding dar. Das ist in den USA neuerdings als Krankheit anerkannt. Genau hier ist schnelles und nachhaltiges Handeln der Behörden wichtig, also die Kontrolle des angezeigten Sachverhalts, die Erteilung von Auflagen, die Kontrolle der Auflagen bis hin zur Untersagung der Tierhaltung. Einem Alkoholiker, liebe Kolleginnen und Kollegen, stellt man auch keinen Kasten Bier hin. Nur schadet der in erster Linie sich selbst. Bei Animal Hoarding sind unsere Mitgeschöpfe betroffen, die unter unglaublichen Bedingungen gehalten werden.
Oder denken Sie als Zweites an unerlaubte Zucht, besser gesagt: Vermehrung zum Zwecke des Verkaufs von Welpen an unbedarfte Tierfreunde. Ohne Sachkundenachweis und Erlaubnis nach § 11 Tierschutzgesetz wird da gewissenlos gehandelt. Dem wollen wir einen Riegel vorschieben, indem wir auf der Grundlage des Tierschutzgesetzes das Handeln der entsprechenden Behörden einfordern und notfalls durch Klage durchsetzbar machen.
Viele Beispiele, liebe Kolleginnen und Kollegen, wären noch zu nennen. Denken Sie an die Pelzfarm in Seelitz, die die aktuellen Vorgaben des Tierschutzgesetzes für die Käfiggröße nach wie vor nicht einhält. Auch an Sie alle haben sich die Tierschutzverbände in der Vergangenheit mit weiteren Fällen und der Bitte gewandt, Unterstützungsmöglichkeiten zu schaffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen ein Verbandsklagerecht für die anerkannten Tierschutzverbände. Wir definieren in unserem Gesetz auch, welche Kriterien anzulegen sind, damit Verbände anerkannt sind. Eine Gruppe von sieben Leuten kann sich nicht als Verein bezeichnen und überall in Sachsen klagen. Dafür gibt es Kriterien. Das Verbandsklagerecht brauchen wir, um dem Staatsziel Tierschutz gerecht zu werden. Ich hoffe, dass wir uns im parlamentarischen Verfahren auf die Einführung verständigen können.
Vielen Dank, Frau Herrmann. – Meine Damen und Herren! Das Präsidium schlägt Ihnen vor, den Entwurf Sächsisches Gesetz über das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine (Sächsi- sches Tierschutzverbandsklagegesetz) an den Ausschuss für Soziales und Verbraucherschutz – federführend – und den Haushalts- und Finanzausschuss – mitberatend – zu überweisen.
Wer diesem Vorschlag zustimmen möchte, hebt jetzt die Hand. – Vielen Dank. Wer ist dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Auch das ist einstimmig beschlossen.