Protokoll der Sitzung vom 21.05.2014

(Beifall bei der SPD)

Die FDP-Fraktion, Herr Abg. Tippelt. Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich musste zweimal hinschauen, bis ich es glauben konnte, doch es ist tatsächlich wahr: Die GRÜNEN setzen uns heute hier einen drei Jahre alten Antrag vor.

(Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE: Ja, weil Sie keinen anderen machen! – Antje Hermenau, GRÜNE: Genau!)

Lieber Herr Dr. Gerstenberg, seitdem ist im Hochschulbereich viel passiert. Die Staatsregierung hat einen Weichen stellenden Hochschulentwicklungsplan verabschiedet. Wir haben ein großartiges Hochschulfreiheitsgesetz beschlossen, welches den Hochschulen mehr finanzielle Autonomie ermöglicht.

(Widerspruch bei der SPD – Beifall des Abg. Benjamin Karabinski, FDP)

Auch die Mär von den unterfinanzierten sächsischen Hochschulen haben wir im Landtag mehr als einmal ad absurdum geführt. Anders als hier behauptet, investiert der Freistaat in kluge Köpfe und neue Ideen.

(Beifall der Abg. Carsten Biesok und Benjamin Karabinski, FDP)

Schauen wir uns doch einfach einmal die Fakten an. Die Tarifsperre im Wissenschaftszeitvertragsgesetz dient dazu, eine gewisse Fluktuation beim Personal zu erhalten, sodass gerade Nachwuchswissenschaftler auch den Mittelbau besetzen. Davon abgesehen hat die Hochschullandschaft dank Zuschussvereinbarung eine mehrjährige Planungssicherheit, die für die öffentliche Hand geradezu einmalig ist. Außerdem können wir auf den gut ausgestatteten Forschungsbereich stolz sein, und wir sorgen dafür, dass Sachsen seine Spitzenposition im Bereich der Drittmittel halten kann, anstatt Investoren durch Denkverbote und Einschränkung der Forschungsfreiheit abzuschrecken.

(Beifall des Abg. Benjamin Karabinski, FDP – Carsten Biesok, FDP: Genau!)

Beispiele dafür gibt es genug. Auch die Forschungsmittel vom Bund oder der DFG erlauben keine Schaffung langfristiger Stellen. Die hohe Quote der eingeworbenen Drittmittel zeigt zudem, dass die Hochschulen im Freistaat nicht im luftleeren akademischen Raum experimentieren, sondern größtenteils praxis- und anwendungsorientiert forschen, und davon profitiert nicht zuletzt auch die sächsische Wirtschaft. Wenn es nach mir ginge, sollten die Hochschulen vollständige Autonomie bei der Perso

nalplanung erhalten. Österreich und Schweden sind hierbei gute Beispiele, wie es funktionieren kann.

(Beifall bei der FDP)

In jedem Fall kann ich nicht erkennen, wie der vorliegende Antrag unsere Hochschullandschaft verbessern würde. Stattdessen sehe ich, wie der Freistaat nach Ihren Vorstellungen mehr und mehr in die Personalentwicklung der Hochschulen eingreifen soll und durch feste Raster und Planung von oben herab jegliche Dynamik genommen werden würde. Unsere Wissenschaftslandschaft braucht jedoch Freiraum und Entfaltungsmöglichkeiten.

Meine Damen und Herren, selbstverständlich sind auch wir bereit, den Hochschulentwicklungsplan auf den Prüfstand zu stellen und entsprechend nachzujustieren, wenn dringender Handlungsbedarf besteht. Allerdings darf das kein Schnellschuss sein, sondern muss in aller Sorgfalt in der kommenden Legislaturperiode angegangen werden, und schon gar nicht auf der Grundlage Ihres Antrages von 2011, der auch noch älter ist als der Hochschulentwicklungsplan 2020 selbst.

(Beifall bei der FDP)

Ich bitte Sie deshalb, diesen Antrag abzulehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, die NPD-Fraktion hat keinen Redebedarf zu diesem Antrag. Ist das richtig? – Ja, das ist richtig. Damit ist die erste Runde beendet. Gibt es weitere Wortmeldungen für eine zweite Runde aus den Reihen der Fraktionen? – Diese sehe ich nicht. Ich frage die Staatsregierung. – Das Wort wird gewünscht. Frau Staatsministerin von Schorlemer, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Vorab muss ich Ihnen schon sagen, sehr geehrter Herr Gerstenberg, dass ich sehr verwundert bin, dass Sie sich die Aussagen, die Bewertung einer vermeintlichen Protokollerklärung so zu eigen machen – eines sogenannten Protokolls, welches nicht vereinbart war, nicht autorisiert wurde, inhaltlich falsch ist und in einer Pressemitteilung auf den Weg gebracht wurde.

Mal ganz ehrlich: So macht man Schlagzeilen. Aber das ist keine seriöse Hochschulpolitik, und ich muss auch sagen, ich empfinde es den Mitarbeitern des SMWK gegenüber als einen Vertrauensbruch. Ich empfinde es als böswillig und frage mich natürlich auch, was die Mittelbauinitiative – es war ja ein Gespräch vom 10. April 2014 – damit bezweckt und ob das wirklich im Interesse aller Mitarbeiter des Mittelbaues in Sachsen liegt. Aber wie gesagt, ich finde es befremdlich und nicht geeignet, dieses wichtige Thema hier in angemessener Weise zu behandeln. Das Thema selbst ist nämlich richtig gesetzt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Gerade wenn wir von einer kritischen demografischen Entwicklung, vom Fachkräftebedarf, aber auch von einer globalisierten Wissensgesellschaft sprechen, dann wird sichtbar, wie zentral die breite Grundlage wissenschaftlicher Qualifikation ist, und auf ihr beruhen letztlich zum einen die Grundlagenforschung und zum anderen natürlich auch die Anwendung der Erkenntnisse daraus.

Frau Staatsministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja.

Herr Dr. Gerstenberg, bitte.

Frau Staatsministerin, wir sind uns sicherlich darin einig, dass es für die Gesprächskultur nicht hilfreich ist, wenn ein Gesprächspartner ein Protokoll veröffentlicht. Aber können Sie dementieren, dass die Aussage, dass die staatliche Finanzierung nur eine Fehlbedarfsfinanzierung für den Bereich sei, der nicht durch Drittmittel abgedeckt ist, in diesem Gespräch so gefallen ist, und können Sie uns sagen, dass für den Freistaat Sachsen das normale Finanzierungssystem, nämlich eine staatliche Grundfinanzierung, die durch Drittmittel ergänzt wird, weiterhin Prinzip der Hochschulfinanzierung ist?

Bitte, Frau Staatsministerin.

Ich wiederhole es gern: Dieses Protokoll ist ohne Absprache gefertigt. Es ist unbestätigt. Es ist inhaltlich falsch – diese Aussagen wurden so nicht getätigt –, und die Veröffentlichung einer Pressemitteilung, die Sie sich zu eigen machen, halte ich für einen wirklichen Fehlschuss.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Miro Jennerjahn, GRÜNE: Die Frage ist aber nicht beantwortet! – Gegenruf: Doch, das hat sie schon!)

Die Leistungen des sogenannten Mittelbaues an den Hochschulen sind unbestritten groß und auch wichtig, aber wir sollten auch die Debatte angemessen führen. Die Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses werden bundesweit diskutiert. Wir haben auch eine länderübergreifende Diskussion. Wissenschaft und der wissenschaftliche Nachwuchs vernetzen sich zunehmend. Der Nachwuchs gründet Initiativen und bringt sich deutlicher als früher in die wissenschaftlichen Debatten ein. Das ist gut so. Er bringt Dynamik in die Diskussionen ein, und das ist auch deshalb wichtig, da wir die Abwanderung exzellenter Wissenschaftler hinterfragen wollen.

Ich habe beispielsweise in diesem Jahr an der von der Landesweiten Vertretung des Akademischen Mittelbaues, LAMS, organisierten Diskussion an der TU Dresden

teilgenommen. Hier sind die konkreten Probleme noch einmal sehr deutlich artikuliert worden. Sichtbar wurde dort ein höchst differenziertes Bild von der konkreten Situation des akademischen Mittelbaues in Sachsen. Die Regelungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes mit seinem insgesamt großzügigen Sonderbefristungsrecht wurden dort nicht ernsthaft infrage gestellt.

Demgegenüber gab es deutliche Kritik an den zugegebenermaßen sehr kurzen und nicht nachvollziehbaren Befristungszeiträumen, und auch im Bereich der sogenannten Anschlussbefristung wird von den Betroffenen bemängelt, dass die Informationen über die Weiterbeschäftigung häufig zu kurzfristig gegeben werden, und damit wird die Planungssicherheit für die jungen Wissenschaftler unnötig reduziert.

Um landesweit eine bessere, einheitlichere Handhabung der Befristungsregelung zu erreichen, hat mein Haus auf meine Initiative hin zusammen mit den Personaldezernenten der Hochschulen einen Verhaltenskodex, eine Art Code of Conduct, erarbeitet. Die Landesrektorenkonferenz ist selbstverständlich in dieses Verfahren einbezogen, und ich gehe davon aus, dass sich die Hochschulen die ihnen vorliegenden Empfehlungen zu eigen machen, damit dies zu einem tragfähigen Ergebnis und zu konkreten Verbesserungen führen wird.

Für mich sind bei diesem Kodex drei Aspekte besonders wichtig: Zum einen ist es die Transparenz. Das heißt, dass für den wissenschaftlichen Nachwuchs in einem geordneten Verfahren ausgeschrieben wird. Zum Zweiten sind es Mindestbeschäftigungsdauer und -umfang für die wissenschaftlichen Mitarbeiter – ich komme noch einmal darauf zurück – und drittens eine Betreuungsvereinbarung für Qualifizierungsstellen. Damit können wir dem wissenschaftlichen Nachwuchs eine höhere Planbarkeit seiner Qualifikationsphasen zusichern.

Aber halten wir fest: Das Sonderbefristungsrecht in der Wissenschaft hat sich vom Grundsatz her bewährt. Es liegt in der Natur von Qualifikationszeiten, dass diese befristet sind, etwa die Promotion. Deshalb müssen wir auch die Interessen derjenigen im Blick behalten, die ebenfalls nach ihrem Studium auf solche Stellen nachrücken wollen, um ihre Promotion im Rahmen einer Beschäftigung in der Hochschule erreichen zu können. Dieses System hat sich vom Grundsatz her bewährt. Wir wollen uns keine verkrusteten Strukturen leisten. Dieses System relativiert natürlich auch einen Teil der Kritik an der Befristung von Stellen im Mittelbau.

Trotzdem sollten wir – das habe ich bereits gesagt – über den notwendigen Handlungsbedarf nicht hinwegsehen, und wir sollten die Bedingungen in diesen Beschäftigungsverhältnissen auf ihre Attraktivität für Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in Sachsen prüfen und an der geeigneten Stelle Abhilfe schaffen.

Meine Damen und Herren Abgeordneten! In der Diskussion um die Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses sollten wir immer auch das Umfeld, in dem sich unser Wissenschaftssystem bewegt, berücksichtigen.

Dieses Umfeld ist von drei Gegebenheiten geprägt: von Mobilität, von Flexibilität, aber auch von Stabilität.

Der wissenschaftliche Nachwuchs ist heute mobiler denn je. Die große Rolle von Drittmittelprojekten, die höchst unterschiedliche Laufzeiten haben können, fordert Flexibilität, und gleichzeitig benötigen die Beteiligten aber auch ein Mindestmaß an Stabilität, an Planbarkeit und selbstverständlich auch an sozialer Sicherheit.

Wir dürfen auch nicht unterschätzen, dass sich gerade für exzellente Wissenschaftler die Arbeitsbedingungen im globalen Wettbewerb massiv verändert haben und weiterhin verändern werden. Auch aus diesem Grund sind wir aufgefordert, die Perspektiven des wissenschaftlichen Nachwuchses im Blick zu behalten. Dabei geht es immer auch um die Attraktivität des eigenen Standorts im wissenschaftlichen Wettbewerb. Dieser Wettbewerb wird sich in Zukunft noch stärker auf die klügsten Köpfe konzentrieren.

Wir müssen diese Diskussion auch im Rahmen der rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten führen. In Deutschland sind rund 68 % der wissenschaftlichen Mitarbeiter befristet beschäftigt. An den sächsischen Hochschulen ist dieser Anteil durchaus höher. Aber ich sage es auch ganz deutlich: Wir sollten das wiederum nicht als Malus sehen, denn der Freistaat Sachsen hat in den vergangenen sieben Jahren über den Europäischen Sozialfonds zusätzlich viele befristete Mitarbeiter in der Forschung gefördert. Es wäre höchst unklug, dieses Potenzial von natürlicherweise befristeter Beschäftigung in Forschung und Entwicklung und zur Stärkung der regionalen Wirtschaftskraft negativ zu diskutieren, zumal aus denselben Mitteln, den EU-Mitteln und den ESFMitteln, auch Kompetenzzentren, Career Services und anderes mehr finanziert wird, was der beruflichen Entwicklung des Nachwuchses inner- und außerhalb der Hochschule dient.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, in den Koalitionsverhandlungen zur Bildung der Bundesregierung konnte ich in der Arbeitsgruppe zur Wissenschaftspolitik mitwirken. In dem beschlossenen Koalitionsvertrag wurde vereinbart, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu novellieren. Ziel muss es sein, wissenschaftliche Karrieren gerade in einem sehr mobilen und flexiblen Arbeitsmarkt gleichzeitig planbarer zu machen. Das ist also ein wichtiger Punkt auf der Bundesebene, und zwar für ganz Deutschland.

Wir haben heute hier in der Diskussion bereits einige Aspekte zusammengeführt, die in die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes eingebracht werden

sollten. Auch die Hochschulrektorenkonferenz – wir haben es gehört – hat sich hierzu bereits mit Überlegungen geäußert. Insgesamt – das glaube ich – haben wir doch mehr Schnittmengen als Dissens. Aus meiner Sicht zählt zu den Vorschlägen, über die weitgehender Konsens hergestellt ist, auch der generelle Abschluss von Betreuungsvereinbarungen für Promovierende, auch der Umstand, dass bei Drittmittelprojekten eine Übereinstim

mung zwischen Projekt und Vertragslaufzeit herzustellen ist, und schließlich die Einführung von Tenure-TrackVerfahren auf dem Weg zur Professur.

Im sächsischen Hochschulrecht kann ein Juniorprofessor bislang nur auf eine Professur an derselben Hochschule gelangen, wenn das bereits in der Ausschreibung so verankert ist. Über das Tenure-Track-Verfahren wird auch im Wissenschaftsrat intensiv diskutiert. Wir sollten uns weiter in diese Debatte einbringen. Wir sollten uns auch hier einer Weiterentwicklung des Tenure-Track nicht verschließen. Unser Hochschulfreiheitsgesetz bietet

schließlich in seiner Experimentierklausel in § 103 den Weg, gegebenenfalls neue, sinnvolle Ansätze zu erproben.

Wir müssen aber auch die verfassungsrechtlichen Schranken beim Zugang in öffentliche Ämter – und bei der Professur an einer staatlichen Hochschule handelt es sich schließlich um ein solches öffentliches Amt – beachten. Diesen Schranken muss auch ein Tenure-Track-Verfahren genügen, um später nicht selbst verfassungsrechtlich gerügt zu werden. Deshalb ist die einfache Übertragung angelsächsischer Regelungen und Strukturen auf die Bundesrepublik Deutschland, auf den Freistaat Sachsen nicht zielführend. Ich denke, wir sollten hier unsere eigene historische Entwicklung im Auge behalten und, wie es sich gehört, das Bewährte erhalten und fortentwickeln und behutsam neue Elemente, die neue Freiräume eröffnen, einführen.