Protokoll der Sitzung vom 22.05.2014

Das damals weiterhin als Aufgabe und Auskunft für das Auswärtige Amt wahrgenommene sogenannte kleine Kriegsgefangenenprojekt befasste sich vor allem mit den

nach 1945 von sowjetischen Instanzen verurteilten Deutschen, der Erfassung der Opfer sowie der Erforschung der Speziallager. Die Dokumentationsstelle ist durch diese Arbeit seither als wissenschaftliche Einrichtung weithin anerkannt und wertgeschätzt.

Zum zweiten Teilbereich „Kriegsgefangene und Internierte“. Bei diesem großen Kriegsgefangenenprojekt handelte es sich um die Schicksalsklärung sowjetischer Kriegsgefangener in ehemals deutschem Gewahrsam. Das bedeutet in Zusammenarbeit zwischen der Dokumentationsstelle und Archiven der ehemaligen GUS-Staaten die Erschließung, die Erfassung, die Übersetzung und auch das Archivieren in einer Datenbank von Akten, die von der Roten Armee in Deutschland sichergestellt wurden, sowie die Erteilung von Auskünften auf Grundlage der Datenbank. Zunächst konzentrierte man sich auf die Toten, insbesondere die Offiziere. Später wurde die Forschungsarbeit auf alle Kriegsgefangenen ausgedehnt, einschließlich deutsche Kriegsgefangene in sowjetischem Gewahrsam und deutsche Internierte.

Dabei leistet die Dokumentationsstelle eine wertvolle Auskunftstätigkeit und bearbeitet jährlich etwa 6 000 bis 7 000 Anfragen zu sowjetischen Kriegsgefangenen. Die Auskünfte zu deutschen Kriegsgefangenen und Internierten erteilt im Wesentlichen der DRK-Suchdienst auf der Basis einer entsprechenden Vereinbarung mit der Dokumentationsstelle. Dieses Projekt wird Ende 2014 auslaufen.

Beide Kriegsgefangenengruppen haben jeweils sehr große Opferzahlen zu verzeichnen. Von 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen verloren – eine erschütternde Zahl – circa drei Millionen ihr Leben durch Hunger, Krankheit, Kälte und elende Haftbedingungen. Das ist in der Tat die zweitgrößte Opfergruppe des Nationalsozialismus gewesen.

Von circa 2,3 Millionen deutschen Gefangenen verloren mindestens 0,4 Millionen ihr Leben. Manche Forschungen kommen auf über eine Million Tote. Hinzu kommen noch die Vermissten.

Das Gesamtprojekt, von dem wir hier sprechen, ist einem doppelten Zielansatz verpflichtet: Es geht sowohl um wissenschaftliche sowie zunehmend auch um humanitärschicksalsklärende und somit versöhnungspolitische

Aufgaben. Im Kern der Arbeit steht die Bearbeitung und Sicherung von Personalunterlagen beider Gruppen sowie die damit verbundene Auskunftstätigkeit.

Mit Schreiben vom 22. Mai 2012 hat Außenminister Westerwelle nach Abstimmung mit den beiden fördernden Ressorts, dem BKM und dem BMI, der Russischen Föderation mitgeteilt, dass die von der russischen Seite angeregte Weiterführung des Projektes nicht möglich sei und die Bundesförderung für das große Kriegsgefangenenprojekt noch bis 2014 fortgesetzt und danach eingestellt werde.

Die Gesamtkosten des Projektes belaufen sich bis Ende 2014 auf insgesamt circa 3,8 Millionen Euro. Wir haben

es gehört: Es wird maßgeblich mit Mitteln des Bundes gefördert. Der Eigenanteil Sachsens liegt bei circa 0,7 Millionen Euro.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten, lassen Sie mich zum Stand des Geleisteten kommen. Das Teilprojekt „Deutsche Kriegsgefangene und Internierte“ hat die erste seiner Kernaufgaben erfüllt. In Kooperation mit dem DRK-Suchdienst München wurden eine Datenbank mit circa 2,3 Millionen Datensätzen deutscher Kriegsgefangener und Zivilisten erstellt sowie mehr als zehn Millionen Personalaktenseiten für die deutschen Anfragenden digitalisiert.

Nunmehr liegt der Schwerpunkt in der wissenschaftlichen Unterstützung des DRK-Suchdienstes, der Auskunftstätigkeit sowie der Hilfe bei direkten Anfragen durch Institutionen und Bürger.

Im Teilprojekt „Sowjetische Kriegsgefangene“ wurden ebenfalls große Datenmengen erhoben. Insgesamt umfasst die Datenbank derzeit circa 900 000 teils sehr umfangreiche Personaldatensätze sowie circa zwei Millionen Karteikarten als Digitalisate.

Mit drei Ländern – der Russischen Föderation, Belarus und der Ukraine – gibt es längerfristige Kooperationsverträge, die noch bis 2014 erfüllt werden. Das heißt, einige der Ziele können bis Ende 2014 nicht erreicht werden.

Erstens. Die Bearbeitung aller Quellen zu sowjetischen Kriegsgefangenen in der Russischen Föderation und in der Ukraine. Hier existieren noch unbearbeitete Personalquellen von mehr als circa einer Million Kriegsgefangenen.

Zweitens bleibt die Einbeziehung der Archivarien anderer Nachfolgestaaten der UdSSR offen, die aber ihr großes Interesse an der Beteiligung am Projekt schon längere Zeit geäußert haben: Aserbaidschan, Kasachstan, Usbekistan und andere. Der geschätzte Umfang hier beträgt circa 100 000 Personalquellen.

Drittens. Hinzu kommen weitere wichtige Informationen aus deutschen Archiven zu Grablagen, Lagern und Arbeitsbedingungen, die bisher nicht erhoben worden sind.

Die bisherigen Projektergebnisse sind für alle Beteiligten von großer Bedeutung. So wurden unter anderem Hunderttausende von Datensätzen den Projektpartnern in Osteuropa und Anfragenden in Ostdeutschland bereits zur Verfügung gestellt. Weiterhin fanden würdevolle Gedenkveranstaltungen in den drei Partnerländern statt. Von deutscher Seite wurden dort Hunderten von Angehörigen schicksalsklärende Unterlagen übergeben. Des Weiteren wurde 2009 die zentrale Datenbank in Auszügen ins Netz gestellt, sodass die Angehörigen selbst suchen können.

Das Interesse an all diesen Aktivitäten ist bis heute immens. Die Datenbank verzeichnet mehrere Hunderttausende Zugriffe pro Jahr. Zudem gehen mehr als 300 individuelle Anfragen pro Monat ein. Die Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten ist somit

die größte und bekannteste deutsche Auskunftsstelle zu sowjetischen Kriegsgefangenen geworden. Die humanitäre Dimension der Projektarbeit ist unbestritten und bleibt auch zukünftig zentral. Hinzu kommt eine außenpolitische bzw. versöhnungspolitische Dimension. In drei persönlichen Briefwechseln 2001, 2007 und 2012 haben gerade die jeweiligen Außenminister Russlands und Deutschlands dies besonders betont.

Das Projekt hat auch eine hohe symbolische Bedeutung, auch außenpolitisch, denn die zwei entscheidenden Kontrahenten im Zweiten Weltkrieg arbeiten gemeinsam die Schicksale von Kriegsgefangenen auf und eine deutsche Institution gibt unter anderem Hinterbliebenen aus Osteuropa Auskunft zu ihren umgekommenen Familienmitgliedern.

In praktisch allen Fällen ruft dies große Dankbarkeit hervor. Gerade diese Aspekte werden von russischer, ukrainischer und weißrussischer Seite in vielen individuellen Schreiben hervorgerufen. Insbesondere angesichts des großen humanitären und symbolischen Gehalts des Projektes erachte ich es für sehr wichtig, dass diese notwendige und völkerverbindende Arbeit auch in Zukunft weitergeführt wird.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Aus diesem Grund habe ich daher nach mehreren Initiativen meines Hauses auf Arbeitsebene, auch des Staatssekretärs, seit 2012 mit der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien eine persönliche Absprache getätigt, gefolgt von Schreiben meinerseits. Ich habe sie eingeladen nach dem Ehrenhain Zeithain und herzlich gebeten, eine Förderung dieses wichtigen Forschungsprojektes über das Jahr 2014 hinaus vorzunehmen.

Dies entspricht auch dem Wunsch und den bisher bekannten Äußerungen von Projektpartnern aus den Partnerstaaten. Eine alleinige Fortführung des Projektes durch die osteuropäische Seite verspricht im Übrigen weitaus weniger Erkenntnisse für die Hinterblieben, als es bei einem Gemeinschaftsprojekt der Fall wäre. Ebenso entspricht die alleinige Fortführung des Projektes ausschließlich mit Landesmitteln nicht der nationalen und internationalen Bedeutung dieses einmaligen Gesamtvorhabens. Eine Absenkung der Landesmittel ist im Übrigen nicht vorgesehen.

Detaillierte Informationen zu Grablagen, Arbeitseinsätzen sowie Lebensbedingungen in den Lagern in Deutschland lassen sich nur mithilfe deutscher Unterlagen und ihrer Interpretation durch die deutsche Seite gewinnen. Deshalb ist das Gemeinschaftsprojekt so wichtig.

Ziel einer gemeinsamen Fortführung des Forschungsprojektes wäre, die in Russland und in der Ukraine noch vorhandenen Unterlagen zu bearbeiten. Gleichzeitig sollen aus den wichtigen anderen Nachfolgestaaten der UdSSR ebenfalls die dortigen Dokumente einbezogen und mit Informationen aus deutschen Archiven ergänzt werden. Schließlich geht es auch um die künftige Nutzung

des Datenbestandes als Grundlage für Auskünfte an interessierte Stellen und Bürger.

Ich werbe dafür und setze mich dafür ein, die Auskunftstätigkeit aufrechtzuerhalten und die erhobenen Daten auch in Zukunft interessierten Bürgern zugänglich zu machen. Bei einer schwierigen historischen Ausgangslage ist im Übrigen auch Hilfestellung und Beratung bei der Recherche und Auswertung zentral.

Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten für ihre engagierte, humanitäre und sinnstiftende Arbeit, insbesondere Herrn Dr. Müller, danken. Diese jahrelang geleistete Arbeit ist ein wichtiger Baustein zur Versöhnung zwischen den beteiligten Völkern.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Wir kommen zum Schlusswort. Herr Dr. Külow, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich bei allen Diskussionsrednern – mit Ausnahme natürlich von Herrn Gansel – für die weitgehend sachliche Debatte und für das Bekenntnis von Ihnen, Frau Ministerin, zum Schluss, auch für die Informationen, die Sie gegeben haben, für Ihre Bemühungen, die offenkundig seit mehreren Monaten hinter den Kulissen und hoffentlich am Ende zum Erfolg führen. Dafür drücke ich Ihnen die Daumen.

Sie wissen – das ist auch von allen Rednern betont worden –, dass das Projekt nicht im luftleeren Raum stattfindet. Neben den wissenschaftlichen, humanitären und versöhnungspolitischen Aspekten hat es natürlich auch Ausstrahlungskraft auf die internationalen Beziehungen,

und das ist, glaube ich, nicht zu gering gegriffen. Hier hat Sachsen neben einigen anderen Aspekten einfach auch die Möglichkeit, auszustrahlen. Es ist eben nicht nur der Petersburger Dialog, der von Sachsen ausgeht – oder wie neulich in Dresden, die Deutsch-Russische RohstoffKonferenz, wo also Bundes- und Landespolitik unmittelbar ineinander übergehen –, sondern auch mit diesem Projekt kann das entsprechend realisiert werden.

In unserem Antrag steht überhaupt nicht – insofern wurde da mitunter gegen einen Popanz polemisiert –, dass wir die alleinige Finanzierung fordern, sondern es steht darin – ich zitiere das noch einmal –, dass es stärker aus eigenen Haushaltsmitteln zu fördern und in Absprache mit der Bundesregierung die Fortsetzung der Forschungs- und Beratungsarbeit nach 2015 abzusichern sei, nicht mehr und nicht weniger. Ich habe herausgehört, dass das das gemeinsame Vorhaben aller demokratischen Parteien ist, und dafür möchten wir uns bedanken. Wer auf Verständigung, Dialog, langfristige Partnerschaft und den direkten Austausch der Menschen setzt, der muss Brücken bauen, die belastbar sind, die etwas aushalten, die tragen, und ich denke, dieses Forschungsprojekt wäre eine solche Brücke. Ich wünsche mir und hoffe, dass es nach 2015 fortgesetzt wird.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich stelle nun die Drucksache 5/11418 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Bei keinen Stimmenthaltungen und zahlreichen Dafür-Stimmen ist mehrheitlich die Drucksache 5/11418 nicht beschlossen worden. Der Tagesordnungspunkt ist beendet.

Ich rufe auf:

Tagesordnungspunkt 7

Demografische Entwicklung in Sachsen – Chancen nutzen,

Herausforderungen meistern, ländliche Regionen unterstützen

Drucksache 5/14050, Antrag der Fraktion der SPD, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Hierzu können die Fraktion Stellung nehmen. Reihenfolge in der ersten Runde: SPD, CDU, DIE LINKE, FDP, GRÜNE, NPD. Frau Köpping, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der demografische Wandel hat Sachsen voll im Griff. Bevor wir über die inhaltlichen Dinge reden: Der demografische Wandel begann eigentlich schon in den Neunzigerjahren, als wir in Sachsen eine regelrechte Landflucht zu verzeichnen hatten. Die Menschen sind von den Städten aufs Land gezogen, und heute früh haben wir gerade über das Mieten und Kaufen bzw. Anschaffen von Wohneigentum

gesprochen. Wer das Anfang der Neunzigerjahre auf dem Land gemacht hat, der guckt jetzt ganz schön ins Schwarze. Denn wer heute sein Häuschen verkaufen will, bekommt zum Teil die Hälfte des ursprünglichen Kauf- bzw. Herstellungswerts. So viel einmal dazu, was kurz- und mittelfristige Sicherheit betrifft.

Heute jedoch haben wir den umgekehrten Fall: Die sächsischen Großstädte boomen. Zum Beispiel haben wir in Leipzig jährlich mehr als 10 000 Menschen, die zuwandern, und wir beobachten heute in den ländlichen Regionen genau die gegenteilige Entwicklung. Denn der ländliche Raum, die Dörfer und Gemeinden verlieren

weiter an Einwohnern. Vielerorts begann ein Teufelskreis: Abwanderung – gerade von jüngeren Menschen – und damit einhergehend die Überalterung vieler Orte. Die Angebote der lokalen Infrastrukturen wurden sukzessive ausgedünnt. Weniger Angebote im öffentlichen Nahverkehr, die Schließung von Schulen, Arztpraxen, von Versorgungs- und Kultureinrichtungen waren die Folge.

Auch uns ist klar, dass unter den Bedingungen des Wandels nicht alles so bleiben kann, wie es war. Aber als Reaktion einfach alle öffentlichen Leistungen und Angebote entsprechend dem Bevölkerungsrückgang nach und nach zusammenzustreichen, wie es die Strategie der Staatsregierung ist, kann keine adäquate Lösung für die Herausforderung des demografischen Wandels sein. Wir sind der festen Überzeugung: Für die Zukunft Sachsens ist die Entwicklung der ländlichen Regionen von entscheidender Bedeutung.