Petra Köpping
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Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Heidan hat nicht zu Unrecht angemahnt, dass wir doch einmal fragen sollten: Was war denn eigentlich vorgesehen, und was ist herausgekommen?
Ich habe das einmal getan und herausgesucht, was Herr Staatsminister Morlok am 1. Januar 2011 als Ziele vorgegeben hat. Diese muss ich natürlich zitieren, damit ich nichts Falsches sage:
„Ziel 1: Wir wollen, dass der Freistaat Sachsen durch eigene Kraft und eigene Leistung auf eigenen Beinen steht.“ Der Satz ging dann noch weiter: „Wir wollen Geberland werden.“
„Ziel 2: Wir wollen neben der Gründung von Unternehmen stärker als bisher das Wachstum von sächsischen Mittelständlern begleiten.“
„Ziel 3: Sachsen muss das Bundesland werden, in dem Akademiker und Facharbeiter die besten Chancen für Karriere,“ – jetzt bitte ich zuzuhören – „Einkommen und Familie sehen.“
Wir können heute konstatieren: Keines dieser drei Ziele wurde erreicht. Ich weiß, Herr Morlok, wenn man auf Veranstaltungen mit dem Mittelstand ist, wo Sie Gast sind, mal zum Geburtstag, mal zu anderen Feierlichkeiten, da wird einem schon gehuldigt. Ich kenne das als Landrätin ebenfalls gut. Aber ich sage Ihnen auch einmal, was gesagt wird, wenn Sie nicht dabei sind. Beispielsweise hat mir jemand gesagt: Das Wirtschaftsministerium wird von einem Autopiloten gelenkt, und trotzdem entwickelt sich die Wirtschaft in Sachsen vorzüglich.
Dass wir mit dieser Meinung nicht ganz allein sind, Herr Flath, darf ich auch noch einmal zitieren: Die CDU werde wieder auf dem Feld Wirtschaft auftreten, nachdem es über Jahre vernachlässigt wurde. Die CDU-Fraktion habe sich lange zu wenig mit dem Thema Wirtschaft beschäftigt. – Ich denke, diesen Sätzen muss ich nicht viel hinzufügen. Sie sind von Ihrem Koalitionspartner gesagt worden, sodass ich den Eindruck habe, dass das durchaus berechtigt war.
Der Zustand des Wirtschaftsstandortes Sachsen – auch das kam von Herrn Flath –: Die Wirtschaftskraft und Eigenkapitalausstattung der Unternehmen sei nicht ausreichend, die Produktivität sei im Vergleich zum Westen zu niedrig, die Arbeitslosigkeit immer noch zu hoch, die Unternehmen seien zu klein. – Was soll ich dazu noch sagen, wenn wir uns hier Sonntagsreden anhören, in denen alles schöngeredet wird? Herr Staatsminister Morlok, ich habe mir mehrere Reden anhören dürfen, in denen Sie Ihre Bilanz in kurzen Worten vorgestellt haben – es gibt ja auch nicht allzu viel zu sagen –, und dazu kann man einfach nur sagen: Das ist zu wenig. Das reicht für Sachsen in Zukunft nicht mehr aus.
Wir haben unsere Schwerpunkte als SPD-Fraktion klar vorgestellt. Ja, man kann über den einen oder anderen Punkt streiten und durchaus anderer Meinung sein. Aber wir haben klar gesagt, was wir wollen. Ich komme trotzdem noch einmal auf einige Ziele zu sprechen, die Sie sich gesteckt haben:
Entbürokratisierung durch Einführung von Genehmigungsfiktionen: nicht erfolgt, Fehlanzeige.
Konsequente Stärkung alternativer Förderinstrumente – Umsetzung: Fehlanzeige.
Steuerliche FuE-Förderung – Umsetzung: Fehlanzeige. Ich nenne nur ein paar einzelne Punkte. Ich habe eine ganze Liste mit Problemen vorliegen, die alle nicht umgesetzt worden sind. Für mich gehört für eine Regierungserklärung oder eine Bilanz in der Wirtschaftspolitik dazu, dass man Problemfelder benennt und sich nicht nur
selbst beweihräuchert mit dem, von dem man glaubt, dass es gut ist. Das habe ich mir ebenfalls aufgeschrieben, was denn so erreicht worden ist:
Verlängerung der Ladenöffnungszeiten – diese Regelung wird übrigens nur noch von großen Shoppingcentern in Anspruch genommen; kleine Läden übernehmen sie überhaupt nicht –, Autowaschanlagen an Sonntagen geöffnet oder die Vorstöße zu Kfz-Kennzeichen – letzte Wahlwerbung zur Kommunalwahl auf allen Plakaten.
Lieber Herr Morlok, ich glaube, dass Sachsen in den letzten fünf Jahren einen Stillstand erlebt hat, was das Staatsministerium betrifft, nicht was die Wirtschaft betrifft; dabei unterteile ich ausdrücklich, da die Wirtschaft, wie Sie selbst immer sagen, wenig Einflussnahme haben und allein agieren möchte. Das hat sie in Sachsen getan.
Wir brauchen Rahmenvorgaben, die die Wirtschaft in Sachsen attraktiv machen. Wir brauchen Standortfaktoren, damit Menschen wirklich ehrlichen Herzens nach Sachsen kommen können, um hier zu leben. Wir haben beim Dynamik-Ranking die Länder Brandenburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt bereits vor uns – nicht hinter uns.
Ich denke, dass wir in Zukunft einen Wirtschaftsminister brauchen, der sich tatsächlich mit Wirtschaft auseinandersetzt, der Wirtschaft begleitet, auf die Themen der Wirtschaft reagiert und diese im Landtag mit uns gemeinsam umsetzt.
Vielen Dank.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz so kurz wie mein Vorredner kann ich es nicht machen, weil wir bei dem vorliegenden Gesetzentwurf einige Bedenken haben. Wir wissen, dass sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts in den Großstädten im Allgemeinen das Mobilitätsverhalten der Menschen grundlegend verändert hat. Deswegen finden wir den Ansatz für diesen Gesetzentwurf richtig gut.
Immer weniger Menschen in den Großstädten besitzen ein eigenes Auto, setzen sich dafür aufs Fahrrad oder nutzen die öffentlichen Verkehrsmittel. Jobtickets, Semestertickets, Mietertickets sind zusätzliche Anreize, alternative Mobilitätsformen zu nutzen. Deshalb haben die
GRÜNEN aus unserer Sicht wirklich die richtige Frage gestellt: Brauchen wir überhaupt noch eine Stellplatzpflicht in unserer Bauordnung? Die Antwort ist ebenso klar: Nein, wir brauchen sie nicht. Deswegen, Kollege Fritzsche, wäre es ganz gut gewesen, wenn im Rahmen der Entbürokratisierung, die Sie sich als CDU/FDPKoalition auf die Fahne geschrieben haben, tatsächlich eine Vorreiterrolle eingetreten wäre.
Sachsen ist dabei kein Vorreiter. Das haben Sie bereits ausgeführt. Viele andere Bundesländer wie Hessen oder Brandenburg sind bereits ähnliche Schritte gegangen. Statt einer generellen Stellplatzpflicht fordern die GRÜNEN mehr Selbstbestimmung für die Kommunen. Ihnen soll es überlassen werden zu prüfen, ob ein Bedarf an Stellplätzen besteht, auf den notfalls mit kommunalen
Stellplatzsatzungen reagiert werden kann. Grundsätzlich begrüßen die Ziele einer Deregulierung und die Übertragung von Verantwortung auf die Kommunen nicht nur der Sächsische Landkreistag, sondern auch unsere Fraktion; denn erstens werden die derzeit geltenden landesweiten Regelungen den unterschiedlichen Situationen in den sächsischen Städten und Gemeinden vielerorts nicht mehr gerecht, zweitens begrüßen wir die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung; denn die Kommunen wissen selbst am besten, wo bei ihnen Stellplätze Mangelware und wo sie in ausreichender Zahl vorhanden sind.
Der Gesetzentwurf geht also in die richtige Richtung, aber er bleibt auch aus unserer Sicht auf halber Strecke stehen. Die Sachverständigenanhörung, die der Innenausschuss Ende März durchgeführt hat, zeigte, dass mit diesem Gesetzentwurf viele Regelungen im Detail noch nicht zu Ende gedacht sind und an vielen Stellen noch Anpassungs- bzw. Korrekturbedarf besteht. Außerdem wurde dort betont, dass die Freihaltung öffentlichen Raumes von ruhendem Verkehr, wie parkende Autos im Behördendeutsch genannt werden, kein spezifisch bauordnungsrechtliches Anliegen ist, sondern vielmehr eine Frage der kommunalen Verkehrskonzeption. Dazu kommt – das war der dritte zentrale Punkt der Anhörung –, dass durch die in § 49 der Sächsischen Bauordnung festgeschriebene Stellplatzpflicht deutliche Mehrkosten bei Neubauten verursacht werden. Darauf sind wir bereits eingegangen.
Nicht nur bei Wohnhäusern, auch bei öffentlichen Gebäuden, wie Krankenhäusern oder Kitas, sind die Vorschriften des § 49 ein wahrer Kostentreiber, vor allem in den Innenstädten, wo der Raum sowieso knapp ist. So muss eine Vielzahl von Stellplätzen gebaut werden, ohne dass deren Notwendigkeit überhaupt geprüft wurde. Die Frage ist also, ob wir den § 49 der Bauordnung nicht komplett abschaffen sollten, anstatt ihn, wie es die GRÜNEN wollen, nur zu modifizieren. Dies hätte mehrere Vorteile:
Erstens würde damit die Thematik der Verkehrsmittelwahl von der Bauordnung entkoppelt. Mobilitätstickets sollten nicht über den Umweg des Bauordnungsrechts betrieben werden.
Zweitens könnten die Kommunen trotzdem weiterhin durch kommunale Satzungen eventuell als notwendig erachtete Stellplatzpflichten festschreiben, genauso wie die Ablösebeiträge, die heute bereits gang und gäbe sind. Die Zahl und Art der Stellplätze für ein bestimmtes Bauvorhaben würden dann nicht mehr von der Bauaufsichtsbehörde noch nach staatlichen Richtwerten festgesetzt, sondern von den Gemeinden bzw. Städten selbst auf der Grundlage ihrer gemeindlichen Satzungen.
Zusätzlich haben die Städte und Gemeinden noch andere Möglichkeiten, wie sie mit den parkenden Autos umgehen. Die Benutzung des öffentlichen Straßenraums sehe ich viel besser über die sogenannte Parkraumbewirtschaftung regelbar. Damit haben die Kommunen schon heute ein Instrument, wie sie das Verhältnis zwischen öffentlichem Raum und parkenden Fahrzeugen gezielt steuern können, etwa durch die Ausweisung von Anwohnerpark
plätzen, gebührenpflichtigen Parkplätzen, Kurzzeitparken usw. Auch die Ausweisung von Behindertenparkplätzen kann so geregelt werden. Die Städte, die bisher die Parkraumbewirtschaftung eingeführt haben, konnten
damit sehr gute Erfahrungen machen.
Drittens, und das ist vielleicht das Entscheidende, würde ein Wegfall des § 49 der Sächsischen Bauordnung den Wohnungsbau ganz generell begünstigen. Fiele der Zwang zur Herstellung von Stellplätzen weg, könnte oftmals günstiger gebaut werden; denn die in der Verwaltungsvorschrift zur Bauordnung festgelegten Richtzahlen sind vor allem in Innenstadtbereichen ein maßgeblicher Kostenfaktor. Da wir in unseren Großstädten Dresden und Leipzig schon jetzt eine steigende Nachfrage nach Wohnraum haben, der vor allem bezahlbar bleiben muss, wäre dies ein wichtiger Schritt, um den Wohnungsbau voranzubringen. Nicht zuletzt aus diesem Grund hat die Stadt Hamburg im Oktober 2013 die Abschaffung der Stellplatzpflicht bei Wohnungsneubauten beschlossen.
Der Gesetzentwurf der GRÜNEN, so habe ich es zu verdeutlichen versucht, geht auf jeden Fall in die richtige Richtung. Deswegen werden wir uns wohlwollend der Stimme enthalten.
Vielen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Bartl hat ja schon sehr viele rechtliche Ausführungen zum Antrag gemacht, und ich möchte es gleich vorwegnehmen: Die SPD-Fraktion wird dem Antrag zustimmen.
Ich möchte noch einmal auf die emotionale Seite des Antrages eingehen, weil ich ja viele Jahre Bürgermeisterin war und genau die Bürger, um die es geht, auch im Bürgermeisteramt einfach vor mir stehen hatte. Sie haben mir erzählt, wie sie ihre Datschen gebaut haben, unter welchen Umständen sie gebaut, auf welchen Grundstücken sie gebaut haben, wie die Grundstücke vorher ausgesehen haben, mit wie viel Liebe sie die Grundstücke hergerichtet, Wasser-, Abwasser- und Stromanschlüsse gelegt haben. Da kann man nicht einfach so tun, als wäre in den letzten Jahrzehnten nichts entstanden.
Ich möchte gern noch einmal auf diese Seite aufmerksam machen, weil ich bei der Geschichte glaube, dass dieser Antrag, den die LINKEN gestellt haben, Berücksichtigung finden sollte. Wie schnell 20 Jahre vergehen können, sehen wir jetzt, denn die Frist des Schuldrechtsanpassungsgesetzes ist eben abgelaufen. Ich bin auch froh darüber, dass der Bundesrat zumindest in seiner ersten Sitzung diesem Antrag gefolgt ist, diese zu verlängern.
Die Frage ist natürlich, ob die Verlängerungsfrist von drei Jahren ausreichend ist, weil der Sicherheit damit auch nicht Genüge getan wurde, dass die damaligen Bauherren ein lebenslanges Wohnrecht für ihre Datschen erhalten sollten. Daher begrüßen wir als SPD, dass im Punkt 3 des Antrages die Staatsregierung aufgefordert wird, gerade bei den im Eigentum des Freistaates stehenden Grundstücken auch nach Auslaufen des gesetzlichen Kündigungsschutzes für weitere zehn Jahre auf Kündigung zu verzichten. Den Kommunen können wir diese Vorgehensweise – da haben Sie natürlich recht, Herr Kollege Bartl – nur empfehlen, aber wir können es hier nicht beschließen, dies zu tun.
Flankierend zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes wäre ein solches Vorgehen der Staatsregierung eine gute und sinnvolle Möglichkeit, den sächsischen Bürgerinnen und Bürgern die weitere Nutzung ihrer auf öffentlichem Grund gebauten Datschen auch über den Stichtag Oktober 2018 hinaus zu ermöglichen.
Deswegen werden wir zustimmen und bitten um Ihre Unterstützung.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist immer schwierig, nach einem solchen Vorredner bei so viel verquirltem Mist sofort zur Sache zurückzukommen – ich sage es einmal so ganz dezent.
Ich möchte zum Thema zurückkommen und mit einem Zitat beginnen: „Die Mieter waren verwöhnt. Diese Zeiten sind vorbei.“ Dieses Zitat kommt vom Chef von „Haus und Grund“ aus Sachsen, der die Situation in Sachsen eindeutig erkannt hat. Kollegin Kallenbach nannte gerade Beispiele aus Leipzig. Auch hier gibt es ein Beispiel aus der „Sächsischen Zeitung“. Sie schreibt am 15. Mai: „Tausende Mieter müssen ihre Wohnung verlassen.“
Ein extremes Beispiel dafür haben wir im Leipziger Stadtteil Schleußig. Dort wird von Mieteraustreibung gesprochen. Dort wohnen Mieter in den ehemaligen Elsterwerken. Diese sollen saniert werden. Nur die Mieter, die dort wohnen, stören natürlich, weil nach der Sanierung nicht nur der doppelte, sondern teilweise der
dreifache Mietpreis dessen, was Mieter jetzt zahlen, notwendig ist. Mit welchen Tricks dort gearbeitet wird, wie man das so macht, bis die Mieter die Nerven verlieren und aus diesen Gebieten ausziehen, kann man der Presse entnehmen. Das ist im Moment die Lage in einzelnen Gebieten in Leipzig.
Wir sagen auch, dass das nicht flächendeckend in Sachsen so ist. Das sagen wir schon. Wir reden in Sachsen von einem Zuwanderungsland. Auf der anderen Seite beseitigen wir gerade die Bedingungen, die Zuwanderung ermöglichen und die uns attraktiv machen. In Städten wie Leipzig und Dresden sind – ähnlich wie in anderen großen Städten wie Hamburg oder München – Mietpreissteigerungen an der Tagesordnung.
Ich möchte aber auch auf die Dinge eingehen, die wir in Berlin in der kurzen Amtszeit erreicht haben. Eigentlich bemüht sich die SPD immer, alles, was nicht geworden ist – und nach einem halben Jahr Regierungszeit in Berlin müsste alles geregelt sein, was vorher vier Jahre lang nicht geregelt wurde – – Wir haben im Bereich der Städtebauförderung etwas getan. Wir haben in der Koalition beschlossen, dass die Aufstockung Stadtumbau Ost von 80 auf 110 Millionen Euro erfolgt. Wir haben beschlossen, dass der Denkmalschutz Ost von 60 auf 80 Millionen Euro angehoben wird. Wir haben das Niveau der Städtebauförderung auf insgesamt 700 Millionen Euro pro Jahr verstetigt. Das sind Zahlen, die sich sehen lassen können.
Hier – das muss man ganz klar sagen – muss Sachsen nachlegen. Ich gehe davon aus, Herr Ulbig, dass wir das auch tun werden.
Wohnen im Alter. Auch das ist ein Thema. Herr Herbst hat so schön gesagt, wir würden hier an der Realität vorbeidiskutieren. Wenn uns aber alle Erhebungen sagen, dass in Sachsen pro Jahr 1 500 altersgerechte Wohnungen fehlen, kann das doch wohl in der Diskussion nicht an der Realität vorbei sein. Ich glaube eher, da sind Sie an der Realität vorbei.
Wenn Sie mit einem Bürgermeister sprechen – der hat jede Menge Leerstand. Wir haben gestern schon einmal das Beispiel der Stadt Kitscher gehört. Dort können Sie eine leere Innenstadt vor sich sehen. Aber wenn Sie im Rahmen Ihrer Gesamtpolitik hier in Sachsen – und wo ist er denn, unser Wirtschaftsminister? – ÖPNV-Mittel, Zugangsmittel für den ländlichen Raum und, und, und in Größenordnungen kürzen – darauf kommen wir heute bei unserem Demografieantrag noch einmal zurück –, brauche ich mich nicht zu wundern, dass die Menschen nicht mehr in diesen Gegenden wohnen können – können, nicht wollen –, sondern in die Städte ziehen müssen und dadurch eine Verknappung des Wohnraumes entsteht.
Ich denke, wir haben hier in Sachsen eine ganze Menge zu tun, um das, was ansteht, zu lösen. Diese Hinhaltetaktik, die wir auch bei unseren zahlreichen Anträgen erlebt haben, dass man einfach immer sagt, es ist doch alles gut,
und es ist doch alles schön, und es wird schon alles werden, reicht in Zukunft nicht mehr aus.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die GRÜNEN haben eine interessante Große Anfrage gestellt und dazu eine sehr aufschlussreiche Studie an der TU Dresden in Auftrag gegeben. Auch wir teilen die Einschätzung, dass zu viele sächsische Straßen überdimensioniert sind. Aber darüber wurde heute schon genug gesprochen.
Ich möchte daher mein Augenmerk auf den Zustand unserer Straßen richten. Am Ende meiner Ausführungen werden Sie sehen, warum wir eine Strategie zur Erhaltung unserer Straßen nötiger denn je brauchen, viel nötiger, als ständig neue Straßen zu bauen, deren verkehrlicher Nutzen oftmals infrage steht. Sie werden sehen, dass allein der Unterhalt unserer Straßeninfrastruktur mittlerweile Kosten verursacht, die unglaublich erscheinen. Dabei reden wir noch nicht einmal davon, dass diese Straßen regelmäßig erhalten und instandgesetzt werden müssen.
Allein der Unterhalt der sächsischen Staatsstraßen, von denen wir insgesamt 4 759 Kilometer haben, kostet den Steuerzahler 19 Millionen Euro im Jahr. In diese Summe sind noch keine Lohnkosten eingerechnet. Der Unterhalt der Bundesstraßen, von denen wir insgesamt 2 420 Kilometer in Sachsen haben, schlägt mit 29 Millionen Euro pro Jahr zu Buche. Insgesamt müssen wir also in Sachsen 48 Millionen Euro allein für den Betrieb der Staats- und Bundesstraßen ausgeben. Dabei sind die Autobahnen mit derzeit 520 Kilometern und die kommunalen Straßen mit knapp 29 500 Kilometern noch nicht eingerechnet. All das sind Angaben der Staatsregierung.
Bei Bundes- und Staatsstraßen haben wir also einen guten Überblick über die laufenden Kosten. Ganz anders sieht es bei den Kreis- und Gemeindestraßen aus; denn das Verkehrsministerium kennt offensichtlich den Zustand der kommunalen Straßen nicht.
Anderenfalls würde Herr Verkehrsminister Morlok auf Kleine Anfragen nach dem Zustand der kommunalen Straßen nicht mit dem Satz antworten, flächendeckende
Ergebnisse von Zustandserfassungen auf Kreisstraßen und Straßen in kommunaler Baulastträgerschaft lägen ihm nicht vor. Stattdessen fordert Herr Verkehrsminister Morlok in einer Pressemeldung vom 12. Mai 50 Millionen Euro mehr für die kommunalen Straßen.
Aber weiß Herr Morlok denn, wofür die 50 Millionen Euro verwendet werden sollen? Weiß Herr Morlok, ob die 50 Millionen Euro überhaupt ausreichen, um den Sanierungsstau aufzulösen? Weiß Herr Morlok, wo das Geld schwerpunktmäßig gebraucht wird? Dass Kommunalstraßen ein Fass ohne Boden sein können, zeigt exemplarisch die von der FDP unbedingt gewollte Waldschlößchenbrücke. Sie schlägt pro Jahr mit rund 1,5 Millionen Euro an Betriebs- und Unterhaltskosten zu Buche.
Ja, bitte.
Ich stimme natürlich nicht mit Ihnen überein, weil es bei dem Antrag der GRÜNEN, den auch die SPD in bestimmten Bereichen unterstützt hat, um Neubau ging.
Wir haben genau diese Frage gestellt. Deshalb gibt es ja die Kleine Anfrage, ob das Ministerium weiß, wie viel die Unterhaltung der Kommunal- und Kreisstraßen kostet. Wenn dieser Zusammenhang nicht hergestellt werden kann, muss man doch fragen, wie Sie die Kosten perspektivisch überhaupt berechnen können.
Fragen Sie doch in einer Kommune, die mittlerweile mit der Doppik umgeht und die Straßen und die Werterhaltung erfassen muss, wie es dann aussieht, wenn die Doppik in wenigen Jahren fertiggestellt sein und gegenübergestellt werden muss. Wenn dieser Überblick fehlt, dann kann man dort auch keine Entscheidungen treffen.
Was die Waldschlößchenbrücke betrifft, so gibt es dafür ganz klare rechtliche Vorgaben. Man kann sich lange darüber streiten, ob sie richtig sind oder nicht. Ich habe dieses Beispiel angeführt, weil es ein Neubau einer Brücke ist, die wiederum erhebliche Folgekosten hat. Nur deswegen habe ich sie hier angeführt.
Kommunalstraßen, das hatte ich gerade gesagt, können also ein Fass ohne Boden sein. Das zeigt gerade auch die Waldschlößchenbrücke, deren Kosten ich einmal aufgeführt habe.
Lassen Sie uns eine einfache Rechnung anstellen: Nimmt man die Kosten für den Unterhalt von Staatsstraßen, die laut Regierung bei 4 000 Euro pro Kilometer ohne Personalkosten liegen, und überträgt dies auf die Kreis- und Gemeindestraßen, so erhalten wir die unglaubliche Zahl von fast 120 Millionen Euro pro Jahr, die allein für den Unterhalt aufzubringen sind. Darin sind noch nicht die Kosten für die ehemaligen Staatsstraßen eingerechnet, die der Freistaat den Kommunen aufs Auge drücken will. 120 Millionen Euro für die Kommunalstraßen, 19 Millionen Euro für die Staatsstraßen und 29 Millionen Euro für die Bundesstraßen: Insgesamt kommen wir also auf sagenhafte 168 Millionen Euro allein für den Unterhalt.
Instandhaltung wird aber auch noch gebraucht, vor allem wenn man sich den Zustand der sächsischen Straßen ansieht. Verkehrsminister Morlok behauptete in einer Pressemitteilung vom 16. April, der Zustand der sächsischen Straßen hätte sich in seiner Amtszeit verbessert, und liefert, wenn auch versteckt, die entsprechenden Grafiken mit, die seine Behauptungen untermauern sollen.
Die Bundesstraßen, deren Unterhalt aus den Bundesmitteln bestritten wird, sind in erheblich besserem Zustand als die Staatsstraßen. Es stimmt: Bei den Bundesstraßen hat sich tatsächlich etwas verbessert. Aber noch einmal: Der Unterhalt wird aus Bundesmitteln finanziert. Ganz anders sieht es bei den Staatsstraßen aus. Ihren Unterhalt muss nämlich das Land bezahlen. Dort hat sich die Lage sogar noch verschlechtert. Mit Blick auf den Gesamtwert waren 2009 36,9 % in der schlechtesten Zustandsklasse. 2013 betrug der Anteil 41,8 %. Also hat sich der Zustand der Straßen um circa 5 % verschlechtert. Rechnet man den Warnwert mit hinzu, so befinden sich fast zwei Drittel der Staatsstraßen in der schlechtesten Zustandsklasse. So dreist muss man erst einmal sein, in seiner Pressemitteilung davon zu reden, dass sich der Straßenzustand verbessert hat, und eine Anlage mitzuliefern, die faktisch das Gegenteil beweist.
Fakt ist: Herr Morlok sagt die Unwahrheit; denn in Wirklichkeit gehen unsere Staatsstraßen zusehends vor die Hunde. Heruntergebrochen auf die einzelnen Landkreise wird das Bild noch schlimmer. In Mittelsachsen und im Erzgebirgskreis sind von 1 177 Straßenkilometern insgesamt 855 Kilometer in der schlechtesten Zustandsklasse. Am besten schneiden die Landkreise Plauen und
Zwickau ab. Dort sind „nur“ 46,7 % in der schlechtesten Kategorie. Ja, jetzt verstehe ich langsam, warum sich die Sachsen immer mehr Geländewagen kaufen. Denn ohne Geländewagen kommt man scheinbar kaum noch voran.
Der Verkehrsminister lobt sich und seine Koalition dafür, dass sie im Doppelhaushalt 2013/2014 rund 63 Millionen Euro für den Erhalt der Straßen ausgeben. Wenn das kein Tropfen auf den heißen Stein ist! Denn in den letzten 20 Jahren hat der Freistaat Sachsen allein für den Neubau von Straßen mehr als 16 Milliarden Euro investiert.
Das ist nicht genug, versucht doch der Minister bei der Anmeldung der EFRE-Mittel noch mehr Straßenneubau unterzubringen mit der hanebüchenen Begründung, dadurch würde CO2 eingespart. Glücklicherweise lässt sich die EU nicht immer für dumm verkaufen und hat diese Maßnahme aus dem Operationellen Programm gestrichen.
Allein dieser kurze Überblick über den Zustand unserer Straßen zeigt: Bevor die CDU und die FDP in ihren Wahlprogrammen immer weiter den Neubau von Straßen propagieren, müssen wir erst einmal den Instandhaltungsneubau auflösen. Ist die FDP wirklich die Stimme der Autofahrer, wie sie im Wahlkampf wirbt, wenn sie offensichtlich die Straßen zusehens verkommen lässt?
Fakt ist, wir brauchen keinen überdimensionierten Straßenneubau mehr, sondern wir brauchen eine systematische Erhaltungsstrategie.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der demografische Wandel hat Sachsen voll im Griff. Bevor wir über die inhaltlichen Dinge reden: Der demografische Wandel begann eigentlich schon in den Neunzigerjahren, als wir in Sachsen eine regelrechte Landflucht zu verzeichnen hatten. Die Menschen sind von den Städten aufs Land gezogen, und heute früh haben wir gerade über das Mieten und Kaufen bzw. Anschaffen von Wohneigentum
gesprochen. Wer das Anfang der Neunzigerjahre auf dem Land gemacht hat, der guckt jetzt ganz schön ins Schwarze. Denn wer heute sein Häuschen verkaufen will, bekommt zum Teil die Hälfte des ursprünglichen Kauf- bzw. Herstellungswerts. So viel einmal dazu, was kurz- und mittelfristige Sicherheit betrifft.
Heute jedoch haben wir den umgekehrten Fall: Die sächsischen Großstädte boomen. Zum Beispiel haben wir in Leipzig jährlich mehr als 10 000 Menschen, die zuwandern, und wir beobachten heute in den ländlichen Regionen genau die gegenteilige Entwicklung. Denn der ländliche Raum, die Dörfer und Gemeinden verlieren
weiter an Einwohnern. Vielerorts begann ein Teufelskreis: Abwanderung – gerade von jüngeren Menschen – und damit einhergehend die Überalterung vieler Orte. Die Angebote der lokalen Infrastrukturen wurden sukzessive ausgedünnt. Weniger Angebote im öffentlichen Nahverkehr, die Schließung von Schulen, Arztpraxen, von Versorgungs- und Kultureinrichtungen waren die Folge.
Auch uns ist klar, dass unter den Bedingungen des Wandels nicht alles so bleiben kann, wie es war. Aber als Reaktion einfach alle öffentlichen Leistungen und Angebote entsprechend dem Bevölkerungsrückgang nach und nach zusammenzustreichen, wie es die Strategie der Staatsregierung ist, kann keine adäquate Lösung für die Herausforderung des demografischen Wandels sein. Wir sind der festen Überzeugung: Für die Zukunft Sachsens ist die Entwicklung der ländlichen Regionen von entscheidender Bedeutung.
Deshalb bringen wir dieses Thema heute noch einmal auf die Tagesordnung. Wir wollten zunächst wissen, was die Staatsregierung in den letzten fünf Jahren überhaupt auf den Weg gebracht hat. Im Gegensatz zur schwarz-gelben Regierung wollen wir aber nicht über mögliche Lösungen reden, sondern sie auch umsetzen. Wir haben gute Ideen, wie wir den ländlichen Raum, die ländlichen Regionen stärken können.
Der größte Teil unseres Antrags beschäftigt sich mit der Frage, was in den letzten fünf Jahren eigentlich erreicht wurde. An sich eine Steilvorlage für die Regierung, an dieser Stelle ihre angeblichen Erfolge ausführlich darzustellen. Aber es ist wie im Fußball: Wir legen Ihnen den Ball auf den Elfmeterpunkt, und Sie schießen geradewegs am Tor vorbei. Denn die Antworten, die mit der Stellungnahme der Staatsregierung vorliegen, sind ziemlich dürftig. Wo wir konkrete Maßnahmen abfragen, erhalten wir als Antwort: Es wurden Konzepte geschrieben, Leitlinien erarbeitet, Kabinettsvorlagen erstellt. – Ja, vielen Dank.
Was haben denn die Menschen in den ländlichen Regionen davon, wenn die Staatsregierung die Ministerien anweist, Konzepte für die Kabinettssitzung zu schreiben? Noch nicht einmal die einfachsten und offensichtlichsten Dinge werden umgesetzt. Ich gebe Ihnen gern ein Beispiel. Erinnern Sie sich an den § 15a der Geschäftsordnung des Landtags? – Nein? Das dachte ich mir fast, aber ich helfe Ihnen gern weiter. Dort steht: Der Landtag wählt zu Beginn der Wahlperiode für deren Dauer aus seiner Mitte mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Beauftragten für Generationengerechtigkeit und Demografie.“
Haben Sie da etwas auf den Weg gebracht? – Offensichtlich nicht.
Wie sehr Ihnen das Thema Demografie abseits der Konzeptpapiere und Kabinettsvorlagen wirklich am Herzen
liegt, möchte ich Ihnen gern an einigen weiteren Beispielen zeigen. Wir stellen uns immer wieder die Frage: Warum ziehen denn die Menschen aus den Dörfern weg? – Hauptsächlich, weil dort die Infrastruktur und damit die Lebensqualität immer mehr wegbricht. Diese Entwicklung wird von der Staatsregierung nicht etwa bekämpft, sondern im Gegenteil: auch noch befördert.
Nehmen wir wieder unser Lieblingsbeispiel, den ÖPNV: Die schwarz-gelbe Regierung hat in den letzten Jahren massiv die Zuschüsse für den öffentlichen Personennahverkehr zusammengestrichen. Dabei kommt das Geld für den ÖPNV fast ausschließlich vom Bund, in diesem Jahr mehr als 500 Millionen Euro allein aus den Regionalisierungsmitteln; wir haben oft darüber gesprochen. Von diesen Mitteln kommen aber nur weniger als 70 % bei den Aufgabenträgern für Bus- und Bahnlinien an. SchwarzGelb hat seit 2010 dem ÖPNV mehr als 130 Millionen Euro gekürzt. Die Folge: Es fahren immer weniger Busse und Züge im ländlichen Raum. In manchen Regionen wird sogar komplett der Schienenverkehr abgehängt.
Ich nenne Ihnen noch ein Beispiel, das gar nicht so ländlich ist, und zwar die Stadt Zwenkau. Dort war ich in der vergangenen Woche zu einer Veranstaltung. Da hat man aufgrund der Einrichtung des City-Tunnels und neuer Verkehrsstrecken einfach einmal die Linie 100 gestrichen. Die Leute sind vorher zum Hauptbahnhof nach Leipzig circa 35 Minuten gefahren und brauchen jetzt zweieinhalb Stunden – und es gibt keine Alternative.
Manche Regionen werden sogar komplett abgehängt. Ich denke nur an Mittelsachsen, Döbeln, Nossen und Roßwein. Dort wird bald überhaupt kein Zug mehr fahren. Wir dagegen möchten den ÖPNV ganz klar ausbauen. Wir wollen, dass die Sachsen, die auf den Dörfern wohnen, schnell und unkompliziert mit dem öffentlichen Nahverkehr von A nach B kommen können. Erst wenn es gute Verbindungen zwischen den Ballungszentren und den ländlichen Regionen gibt, ziehen die Menschen auch wieder in die Dörfer.
Zu dem Beispiel der Schulen und der Schülerbeförderung, auch das haben wir hier im Landtag mehrfach behandelt: Immer mehr Schulen wurden in den vergangenen Jahren geschlossen. Das war auch nicht alles zu verhindern, das sage ich nicht. Aber: Für die Schülerinnen und Schüler bedeutet das nicht nur längere Wege, sondern das bedeutet auch mehr Kosten für die Eltern, für die Landkreise, also für die Betroffenen.
Mit der Begründung, dass sich die Zahl der Jugendlichen verringert hat, wurden gerade in den ländlichen Regionen vorhandene Strukturen massiv reduziert und in manchen Kommunen sogar komplett abgebaut. Vor allem die Kürzungen von 2011 haben die Angebote der Jugend- und Sozialarbeit stark betroffen. Ein Teufelskreis wurde in Gang gesetzt. Schulschließungen bedeuten immer längere Schulwege. Das bedeutet immer höhere Kosten für Eltern und Schüler. Die Staatsregierung lobt sich derweil, weil sie 3 Millionen Euro Landesmittel in den Schülerverkehr investiert hat – lächerliche 3 Millionen Euro. Wir dagegen
sind der Meinung, dass der Besuch von Schule, Hort, Ganztagsangeboten und Praktika nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen darf.
Wir wollen deshalb eine für die Eltern beitragsfreie Schülerbeförderung – auch diese Anträge sind eingebracht. Dafür reichen eben keine 3 Millionen Euro; da muss man mehr Geld in die Hand nehmen. Erst wenn auch auf dem Land wieder Gerechtigkeit herrscht und der Schulbesuch nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängt, ziehen Eltern mit ihren Kindern – vielleicht – wieder auf die Dörfer oder gar nicht erst weg.
Auch die Breitbandversorgung ist ein Programmpunkt, der schon seit mehreren Jahren auf der Tagesordnung steht. Jetzt haben wir Geld dafür im Haushalt eingestellt. Das stimmt, aber ich glaube, dass das Geld gerade an dieser Stelle allein nicht ausreichen wird. Dort braucht die kommunale Ebene massive Unterstützung.
Eine Geschichte will ich aber dennoch erzählen, nämlich die Mär von der Bürgerbeteiligung oder wie die Staatsregierung die Bürgerinnen und Bürger mitreden lässt – oder eben auch nicht. Im Oktober 2012 hat Minister Kupfer auf einer groß angekündigten Pressekonferenz die Leitlinien für die Entwicklung des ländlichen Raums vorgestellt und der versammelten Presse mitgeteilt, dass es nun eine Tour durch ganz Sachsen geben wird, bei der die Menschen mit der Regierung diese Leitlinien diskutieren und ihre eigenen Ideen einbringen können.
Genau, hat er gemacht. Im Februar 2014 war es dann so weit. Die Staatsregierung hat mit einer großen Veranstaltung in Limbach-Oberfrohna das Ende der Tour durch Sachsen gefeiert – aber nicht mit den Bürgern, sondern hauptsächlich mit Amtsträgern, Landräten, Abgeordneten der CDU.
Wirklich vom demografischen Wandel betroffene Bürgerinnen und Bürger unseres Freistaates hat man auf dieser Veranstaltung nur wenige gesehen. Aber das ist nur konsequent; denn wirklich mitreden haben sie ohnehin nie gedurft.
Das ist richtig, ich hatte auch keine Einladung.
Rund anderthalb Jahre nach der Vorstellung der Leitlinien für den ländlichen Raum und einer Vielzahl von Bürgerdialogen wurde dort die endgültige Version der Leitlinien vorgestellt. Man muss gar nicht weiter blättern, um zu erfahren, was die Staatsregierung unter Bürgerbeteiligung versteht.
Ich will ja nicht kleinlich sein, aber schauen Sie doch mal bitte auf die Seite 2 dieser Leitlinien. Dort finden Sie nämlich ein Datum, wann diese erarbeitet worden sind, also Endveranstaltung 2014 und Datum im Band:
09.10.2012. Das heißt, es gab keine einzige Änderung der Leitlinien. Hatten die Bürgerinnen und Bürger bei Ihnen überhaupt keine eigenen Ideen? Oder war es vielmehr so, dass die Staatsregierung vielleicht zugehört, aber keine einzige Anregung aufgenommen hat?
Wir haben auch in den letzten anderthalb Jahren mehr als 20 Veranstaltungen in den ländlichen Räumen durchgeführt. Wir haben mit Unterstützung des Umweltforschungszentrums ebenfalls eine Broschüre erarbeitet, und wir haben mit den Bürgerinnen und Bürgern in unseren Dörfern und in den kleinen Städten unsere Ideen vorgestellt und mit ihnen gemeinsam diskutiert. Unsere Broschüre liegt vor. Dort sind die Ideen unserer Bürger aufgenommen.
Ich denke, wir sollten Politik mit den Menschen machen und nicht über die Menschen und über die Köpfe der Menschen hinweg – sondern wir hören zu und lernen gern gemeinsam.
Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich würde zunächst mit Herrn Beermann beginnen. Lieber Herr Beermann, wir müssen uns zunächst einmal einigen, was wir wollen. Sind wir nun ein Zuzugsland, wie wir es vom Wirtschaftsministerium hören? Oder sind wir ein Land, wie wir es gestern beim Einsparen bzw. bei der Staatsmodernisierung hörten, das weiterhin 350 000 Menschen verlassen werden? Das ist der erste Grundsatz, auf den wir uns einigen müssen.
Ich würde gern noch einmal auf die Konferenz in Niederösterreich eingehen, auf die Kollege Tiefensee hingewiesen hat. Sie war wirklich sehr eindrucksvoll, ich war nämlich dabei. Dafür gab es eine Einladung. Insofern habe ich dort gehört, was andere Länder machen. Ich finde, dass wir Sachsen nicht so arrogant sein sollten zu sagen, nur wir können es und alle anderen nicht. Ich habe in keinem Wort meiner Rede gesagt, dass wir in Sachsen nichts tun, was den demografischen Wandel betrifft. Wir haben gesagt, wir möchten einen Bericht haben, in dem steht, was passiert. Wenn wir so gut sind, wie wir sind, dann frage ich mich, warum das in unseren Dörfern keine Wirkung zeigt; denn wenn Sie sich dort umschauen, wandern die Menschen nach wie vor ab.
Vielleicht kann ich noch einmal eine Sache aufklären. Das ist der sogenannte Kümmerer. Kollege Hauschild hat das in seinem emotional sehr aufgebrachten Vortrag erwähnt. Der „Kümmerer“ ist kein lustiger Begriff. Das ist ein international anerkannter Begriff für ländliche Räume. Beim „Kümmerer“ haben wir den Vorschlag gemacht, dass er an das „Programm Soziale Stadt“ angelehnt sein könnte, in dem wir Quartiermanager haben. Wer sich das „Programm Soziale Stadt“ einmal angeschaut hat, weiß, dass das eben nicht alles im Ehrenamt gemacht wird, sondern vieles auch mit einer gewissen Entgeltbereitstellung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das heißt, wir setzen nicht nur auf blankes Ehrenamt und wollen die Menschen in den ländlichen Regionen überfordern.
Für jeden Hinweis – das ist an die GRÜNEN gerichtet – bin ich sehr dankbar. Alles kann man besser machen. Alles kann man auffüllen. Ich glaube nämlich, dass der demografische Wandel für Sachsen noch ein großes Thema sein wird. Gerade in den letzten Wochen haben wir in der Presse gelesen – Kollege Weichert hat es mir auch noch einmal auf den Platz gelegt –, was passiert, wenn wir in Richtung Abwasser, Wasser, Beiträge und, und, und keine Korrekturen vornehmen. Dort sagen die
Menschen, dass sie mittlerweile in die Pleite gehen, weil sie das eben nicht bezahlen können.
Über all diese Punkte, die man in einem Antrag nicht alle benennen kann, sondern die wir in vielen anderen Anträgen benannt haben, denke ich, sollten wir uns für die Zukunft Gedanken machen. Deshalb werbe ich trotzdem noch einmal für unseren Antrag und bitte um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe natürlich auch in den ersten Seiten meiner Recherche nachgeguckt, wie sich das Automobilland Sachsen entwi
ckelt hat. Dabei bin ich – und das ist selten – auf die gleichen Zahlen wie Sie, Herr Heidan, gekommen. Aber der Ursprung ist nun einmal der Gleiche, und zu 110 Jahren Autoland Sachsen können wir beide die gleiche Historie erzählen.
Trotzdem habe ich mich natürlich gefragt, wieso wir heute in einer Aktuellen Debatte über das Autoland Sachsen sprechen.
Ja, ich habe ja gerade gelernt, dass wir in den letzten 14 Tagen Feiertage begangen haben. Ich kann noch eines draufsetzen: Auch die SPD-Fraktion hat im Dezember 2013 ihre jährliche Arbeitnehmerkonferenz im Werk Porsche in Leipzig durchgeführt. Allerdings haben wir uns dort mit dem Thema „Zukunft der Arbeit – Leiharbeit und Werksverträge beschränken, Tarifbindung ausweiten und faire Arbeit für Sachsen“ beschäftigt. Wir haben also nicht nur dem Auto gehuldigt, obwohl jeder, der mich kennt, weiß, dass ich sehr gern Auto fahre und auch sehr gern ein schönes Auto fahre.
Natürlich haben wir davon gesprochen, dass wir in Sachsen durch die Autoindustrie und die Zulieferindustrie jede Menge Arbeitsplätze haben. Ich habe dabei die Region Chemnitz besonders hervorgehoben. In der Region Chemnitz arbeiten immerhin 21 000 Menschen in der Automobilbranche. Im Gegensatz zu Dresden, wo in dieser Branche 3 200 Menschen arbeiten, ist Chemnitz tatsächlich ein Zentrum, was die Automobilindustrie und die Beschäftigung in dieser Branche betrifft.
Wir wissen auch – auch das ist schon erwähnt worden –, dass gerade in der Automobilindustrie hoch qualifizierte Beschäftigte zu einem guten Lohn arbeiten und dass auch die Vollzeitbeschäftigung in der Automobilindustrie einen sehr guten Durchschnitt aufweist.
Das war die positive Seite. Trotzdem habe ich mir überlegt, was man in so einer Aktuellen Debatte tun kann, um sie überhaupt aktuell zu gestalten. Da ist mir ein Artikel in der „Freien Presse“ mit dem Titel „Ausbau der Elektromobilität in Sachsen stockt“ aufgefallen. Ich dachte, das passt eigentlich ganz gut zur Automobilindustrie, weil wir erst vor Kurzem von Herrn Ministerpräsidenten Tillich gehört haben, dass wir die E-Mobilität in Sachsen als Pilotprojekt für ganz Deutschland ausweiten wollen. Herr Dudenhöffer schreibt in der „Freien Presse“: „Das Schaufenster Elektromobilität zwischen Bayern und Sachsen ist gescheitert. Es ist nicht mehr als Absichtserklärung und ein netter Internetauftritt.“ So viel zur tatsächlichen Realität von fünf Jahren FDP und CDU in Sachsen, was die Automobilindustrie betrifft.
Ich möchte aber in diesem Zusammenhang auch noch auf zwei andere Aspekte hinweisen. Auch das ist andeutungsweise heute schon gekommen. Ich meine die fehlende eigene Industriepolitik des Freistaates bzw. der aktuellen Regierung. Wenn ich mir anschaue, wie sich die Verbindung zwischen Innovationsstrategie, Fortentwicklung des Forschungs- und Technologiestandorts, aktiver
Mittelstandspolitik sowie auf Nachhaltigkeit ausgerichteter Rohstoff- und Energiepolitik zur Weiterentwicklung des Industriestandorts ausrichtet, muss ich sagen, dass man danach in Sachsen vergeblich sucht. Wir wissen, dass sich das auch in aktuellen Zahlen niederschlägt: 75 % des BIP, das heißt 70 % Bruttoentgelt bei den Arbeitnehmern, 35 % bei den F-und-E-Aufwendungen. Da müssen wir uns nicht wundern, wenn Sachsen hier eigentlich noch eine Zuschauerrolle in der deutschen Industriepolitik spielt.
Zum Letzten möchte ich auch noch das Netzwerk Automobilzulieferer Sachsen ansprechen. Seit 13 Jahren war das ein zuverlässiger und engagierter Partner. 2012, 2013 hat sich die schwarz-gelbe Regierung aus den Cluster- und Verbundinitiativen zurückgezogen. Außerdem wurde die Förderung eingestellt. Das nenne ich nachhaltige Wirtschaftspolitik von Schwarz-Gelb.
Und da komme ich zuletzt noch einmal auf die Frühjahrsklausur der CDU-Fraktion zu sprechen, auf der Herr Flath erklärt hat, die CDU habe sich in den letzten Jahren sehr wenig um die Wirtschaftspolitik gekümmert. Ich glaube, das sagt mehr als die heutige Diskussion in der Aktuellen Debatte.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Abgeordneten! Liebe FDPAbgeordnete, man muss sich nun einmal entscheiden: Sind wir nun ein Autoland oder ein Handwerkerland? Irgendwo kann man da mal eine klare Linie zeigen.
Trotzdem möchte ich als Erstes mit einem Lob an das SMWA beginnen. Das ist außergewöhnlich – Herr Morlok schaut gleich auf. Ich finde schon, dass die Beantwortung der Großen Anfrage außerordentlich gründlich und umfänglich ist und dies zum Standard für künftige Anfragen werden sollte.
Ich habe jüngst erst eine Anfrage zum Thema „Barrierefreie Zugänge am Citytunnel“ gestellt. Darauf bekam ich zur Antwort: Das kennt das SMWA nicht. – So lauten also die Antworten an uns auch.
Ich denke, dass diese Art der Beantwortung, wie es bei dieser Großen Anfrage der Fall war, zum Standard für alle Fraktionen werden sollte. Das könnte eine Aufgabe für die Zukunft sein.
Aber nun zum eigentlichen Thema. Das Handwerk hat goldenen Boden, Herr Pohle hat das schon gesagt. Das ist richtig. „Das Handwerk ist eine unentbehrliche Säule der sächsischen Wirtschaft.“ So beginnen oft die Reden, wenn es um das Handwerk geht. Aber die sächsischen Handwerksbetriebe brauchen wirkliche Unterstützung statt vielstimmiges Lob in Sonntagsreden oder Scheinanträge ohne jegliche Konsequenz.
Es ist schon beachtlich, dass die Koalition kurz vor der Wahl eine Große Anfrage zur Bestandsaufnahme und der Perspektive des Handwerks stellt. Die Große Anfrage ist zeitlich so gelegt, dass ganz sicher keine Handlungen mehr zu erwarten sind.
Wenn es in den vergangenen Jahren in Sachsen um wirtschaftspolitische Schwerpunkte ging, hat die Koalition das Handwerk gern komplett ignoriert.
Beispiel 1: Aktuelle wirtschaftspolitische Thesen der CDU vom März 2014. Neben der überraschenden Erkenntnis, dass Sachsens Wirtschaft trotz der mantraartigen Beschwörung der letzten Jahre doch nicht so gut dasteht, wie immer behauptet – das ist ein Verweis des VSW – – Die Kennzahlen sind also keine SPD-Propaganda. Ich nenne einmal ein paar Punkte: 70 % des Bundesniveaus bei den Bruttoentgelten je Arbeitnehmer, 70 % des Bundesniveaus bei der Bruttowertschöpfung je Arbeitnehmer, 35 % des Bundesniveaus bei der internen FuE-Aufwendung, 41 % des Bundesniveaus bei den bilanzierten Eigenmitteln. Kaufkraft, bei Steueraufnahmen, BIP bei allen zentralen Wirtschaftsindikatoren – es gab in den
vergangenen Jahren keinerlei Aufholprozess zu den westdeutschen Bundesländern. Das ist die Realität.
Nach dem Ankommen der CDU in der wirtschaftlichen Realität: Wie so oft kommt das Handwerk in den wirtschaftspolitischen Thesen der CDU erst dann vor, wenn in der Antwort keinerlei, also null Erwähnung ist. Am Rande sei angemerkt: Interessant ist die Einsicht der CDU, sich in den letzten Jahren um das Thema Wirtschaft nicht gekümmert zu haben. Ich habe das heute in der Aktuellen Debatte schon einmal ausgeführt. Diese Bankrotterklärung kam nicht von irgendwem, sondern vom Fraktionsvorsitzenden der CDU-Fraktion, Herrn Flath, in der Regierungszeit und ist seine Bilanz der letzten fünf Jahre.
Beispiel 2: Enquetekommission – Strategien für eine zukunftsorientierte Technologie- und Innovationspolitik im Freistaat Sachsen. Wie wird das Handwerk dort positioniert? Antwort der CDU/FDP-Koalition: Das Handwerk wurde auch hier vollkommen vergessen oder, genauer gesagt, bewusst ignoriert. Es bedurfte erst eines umfassenden Minderheitenvotums, um das für Sachsens Wirtschaft wichtige Handwerk entsprechend zu positionieren. Auf die zentralen Forderungen komme ich zu einem späteren Zeitpunkt zurück.
Wenn das Handwerk nicht gerade ignoriert wurde, gab es Scheinanträge. Aktivitäten wurden vorgetäuscht, wie immer ohne jegliche Relevanz. Als Beispiel nenne ich die Drucksache 5/10651: „Bürokratie abbauen und Liquidität für Handwerker sichern, Vorverlagerung der Fälligkeit für Sozialversicherungsbeiträge rückgängig machen“. Das war im Dezember 2012.
Das finde ich auch! Große Reden, und dann später?
Die Antwort des SMWA: Man prüft die Sinnhaftigkeit und erwägt gegebenenfalls eine Initiative. Umsetzung seither: Fehlanzeige!
Überraschung: Die Forderung findet sich wieder im heutigen Entschließungsantrag, der auch nur mit viel Humor genießbar ist. Das ist aus der Sicht der FDP verständlich, da sie sonst nirgends mehr etwas zu sagen hat und man schreibt einmal, wogegen man alles ist. Aber von der CDU hätte ich das nicht erwartet. Ich dachte, Sie stellen die Kanzlerin und den Finanzminister und sind Teil der Großen Koalition im Bundestag. Sie stellen Forderungen auf, zu denen vielleicht ein kurzes Telefonat oder etwas politischer Gestaltungswillen genügt hätten. Aber wie immer: vollkommene Fehlanzeige!
Sehr verehrte Damen und Herren! Wir haben in den vergangenen Jahren einen engen Dialog mit den sächsischen Handwerkskammern geführt und gemeinsame Veranstaltungen zu Themen wie der Rohstoffsicherheit, der Energiewende oder dem Vergabegesetz durchgeführt.
Deshalb möchte ich die Debatte nutzen, um auf unsere zentralen Ansätze und Forderungen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit im sächsischen Handwerk einzugehen.
Die einzelnen Punkte in dem Ihnen vorliegenden Entschließungsantrag möchte ich aus Zeitgründen nicht ausführen und nur auf einige wenige Punkte eingehen. Drei Ansatzpunkte möchte ich erwähnen.
Erstens – neuer handwerksgerechter Innovationsbegriff: Das Prognos-Institut hat in einer Studie zur Innovationstätigkeit von Handwerksbetrieben herausgearbeitet, dass jeder zweite Handwerksbetrieb in den letzten Jahren mindestens in einem Projekt innovativ war. Die Rolle der Handwerksbetriebe im Innovationsprozess ist äußerst vielschichtig. Sie sind nicht nur eigenständige Innovatoren, sondern auch Ideengeber für Industrie und Forschung, sie sind Technologieanwender und Multiplikatoren bzw. Mittler zum Markt. Deshalb muss in dem jeweiligen Förderprogramm ein breiterer Innovationsbegriff eingeführt werden.
Neben den technischen Innovatoren gibt es auch Dienstleistungs- und soziale Innovatoren, die dem sächsischen Handwerk deutlich stärker zugute kommen. Damit sind viele Förderprogramme mit ihren faktischen Mindestvolumina innerhalb des Handwerks realitätsfremd.
Zweitens – stärkere Bestandspflege und Vor-Ort-Beratung: Die Insolvenzzahlen sind rückläufig und die Gründungsraten eher gering. Deshalb muss die Bestandspflege, bezogen auf die Erhaltung der betrieblichen Substanz, Liquidität und Stärkung der Innovationskraft, mit zu einem zentralen Ansatzpunkt für die Unterstützung der Handwerker werden. Deshalb muss die einzelbetriebliche Beratung in allen Lebenslagen des Handwerksbetriebs vor Ort ausgebaut werden; gerade mit Blick auf die Erstellung von Personalentwicklungskonzepten als Vorsorgemaßnahme für den Fachkräftemangel oder die gezielte Inanspruchnahme von Förderung.
Drittens – die Fachkräftesicherung selbst. Die Sicherstellung des Fachkräftebedarfs muss auf Landesebene endlich zur Chefsache gemacht werden, um den sächsischen Unternehmen zum Erhalt und bei der Suche nach qualifizierten Fachkräften aktive Unterstützung zu geben. Sachsen muss eine gemeinsame Fachkräftebilanz mit allen beteiligten Akteuren ziehen und dabei Sachsen zum Vorreiter für gute und faire Arbeit machen. Der Freistaat hat eine Fachkräftestrategie mit über 150 Maßnahmen erarbeitet. Auf die jüngste Nachfrage, was denn bisher geschehen ist, gab es ein großes Schulterzucken.
Wir setzen auf die weitere Stärkung der dualen Ausbildung und die verbesserte Anpassung des Schulunterrichts an die Bedürfnisse des Handwerks, indem eine praxisnahe Berufsorientierung im Lehrplan fest zu verankern ist. Es ist eine Berufs- und Studienorientierung mit einer durchgreifenden Systematisierung, Koordinierung und Transparenz sämtlicher Maßnahmen vorzunehmen. Für die neue Förderperiode sollte die Wirksamkeit von Projekten und deren Praxisnähe in den Mittelpunkt gerückt werden.
Sachsen braucht eine Verbesserung des Übergangsmanagements Schule – Ausbildung – Beruf durch eine qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte Berufsberatung und nicht nur eine Berufsorientierung, einen koordinierten Ausbau des bestehenden Dialogs zwischen der Schule und der Wirtschaft, die Integration von berufspraktischer Bildung in den Schulalltag sowie eine stärkere Orientierung und Unterstützung für mehr projektorientierte Lernphasen.
Bis zum Jahr 2020 muss die Zahl der Schülerinnen und Schüler ohne Schulabschluss auf maximal 4 % sinken. Die Qualität der Schulabschlüsse und die Ausbildungsfähigkeit müssen deutlich verbessert werden. Sachsen muss endlich seine Potenziale nutzbar machen, um dem Fachkräftemangel wirksam entgegenzutreten.
Sehr geehrte Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Schluss noch auf den Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen eingehen. In ihm finden sich drei Arten von Forderungen: Erstens. Über die Hälfte der Punkte ist Teil des aktuellen Koalitionsvertrages auf Bundesebene. Sie haben die Forderungen einfach abgeschrieben, die Umsetzung wird folgen.
Dafür werden die SPD-Minister schon sorgen.
Zweitens, zur Infragestellung von Beschlüssen des Bundes. Hier kommen die zwei Gesichter des Ministerpräsidenten leider zum Tragen. Er sitzt in Berlin bei den Verhandlungen zum Mindestlohn, zur Energiewende oder zur Rente, findet es gut oder sagt gar nichts. Kurze Zeit später – wieder in Dresden angekommen – wird gesagt: Das sind Vorschläge der SPD.
Drittens. Alle Forderungen, die Sachsen selbst angehen müssten, bleiben sehr vage. Die Schlagworte sind „Bürokratieabbau“, „Kampf gegen Schwarzarbeit“ oder „Unternehmensnachfolge“. Wir haben hierzu entsprechende Anträge im Plenum gestellt.
Kurzum: Das Handwerk ist ein zentraler Wirtschaftsfaktor im Freistaat, der viel größere Aufmerksamkeit und Unterstützung verdient hätte, als ihm die aktuelle Regierung in den letzten Jahren zukommen ließ. Es wird endlich Zeit, dass es wieder eine wirklich aktive Wirtschafts- und damit auch konkrete Mittelstands- und Handwerkspolitik im Freistaat geben wird.
Vielen Dank.
Zur ersten Frage ganz einfach: Ich hätte in Ihrem Entschließungsantrag erwartet, dass Sie dort konkrete Maßnahmen vorschlagen, was Sie tun wollen, und nicht nur auflisten, was zu tun wäre. Das ist Punkt 1.
Zum Punkt 2: Dazu hat die SPD-Fraktion hier im Plenum gemeinsam einen Antrag eingebracht. Wir haben nun einmal in den letzten vier Jahren in Berlin nicht regiert. Wir haben den Antrag hier gemeinsam eingebracht. Insofern ist die Frage völlig überflüssig, was wir zu der Vorfälligkeit sagen. Wir sind absolut Ihrer Meinung, dass sie nicht mehr zeitgemäß ist und abgeschafft gehört. Das ist eine ganz klare Antwort.
Herr Präsident! Wir haben in 15 Punkten noch einmal aufgelistet, was uns besonders wichtig ist, um das Handwerk in Sachsen zu stärken. Ich würde gern noch einmal ganz kurz auf drei Punkte eingehen, und zwar, Herr Pohle, zuerst auf Punkt 11. Wenn Sie unseren Antrag gelesen haben, werden Sie festgestellt haben, dass Sie dort den Satz finden: Die Vorfälligkeit von Sozialbeiträgen muss zurückgenommen werden. –
Das noch einmal zur Bestätigung des von mir vorhin Gesagten, dass wir das auch in die Tat umsetzen.
Zweitens: Wir haben in Punkt 12 noch einmal die kalte Progression angesprochen, und – drittens – in Punkt 13 die Einführung der Regionalbudgets, die wir schon mehrfach hier im Landtag beantragt haben. Ich bitte hiermit um Zustimmung.
Danke.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem meine Kollegin Frau Dr. Deicke in der ersten Runde bereits Ausführungen zum Landwirtschafts- und Forstwirtschaftsbereich getätigt hat, möchte ich in der zweiten Runde gern auf die kommunalen Bereiche eingehen.
Ja, Herr Minister, Folgendes stimmt: In Sachsen ist im ländlichen Raum viel passiert; das ist keine Frage. Wenn man durch unsere Dörfer fährt, sieht man, dass Straßen, Plätze und Häuser saniert, renoviert und instandgesetzt wurden. Man sieht, dass viele Aktivitäten durch die Bürger, natürlich auch mit Geld vor allem der EU – das müssen wir einmal zugeben –, umgesetzt wurden.
Somit können wir die schöne Landschaft, von der Sie gesprochen haben, in der Tat vorfinden.
Aber, Herr von Breitenbuch, Sie haben so herrlich diese gepflegten Marktplätze in unserer Region angeführt. Ich weiß, dass Sie in der Nähe unserer schönen Stadt Kitzscher wohnen. Dort gibt es einen schönen, gepflegten Marktplatz. Ich hoffe, dass Sie sich den schon einmal angeschaut haben. Der Marktplatz ist leer! In dieser Stadt gibt es ungefähr 20 Geschäfte, die nicht belebt sind. Das prangern wir an und sagen, dort muss etwas getan werden.
Es nützt nichts, wenn wir den Marktplatz neu pflastern, die Schaufenster hinstellen und der Marktplatz danach leer ist. Schöne Worte und schöne Pläne sind gut, aber mir fehlt bei dieser Staatsregierung dafür der Gestaltungswillen.
Herr Minister Kupfer, Sie haben das schöne Beispiel Vogtland genannt, was die Breitbandversorgung betrifft. Das war eine Initiative des Landkreises, nicht der Staatsregierung. Wenn wir an dieser Stelle wirklich nachholen wollten und die Gelder unseres Ministers Morlok, der gerade verschwunden ist, für eine konzertierte Aktion für die Breitbandversorgung im ländlichen Raum nehmen würden – nämlich 80 Millionen Euro, die im Topf von Sachsen sind –, dann hätten wir nicht nur das Beispiel Vogtland. Dann könnten auch die anderen neun Landkreise nachziehen, und zwar in einer Qualität, die den heutigen Anforderungen der Breitbandversorgung tatsächlich entspricht.
Beispiel ÖPNV: Es ist schön, wenn man auf dem Dorf leben will und alle Vorzüge nutzt. Ich lebe auch auf einem Dorf. Wenn ich aber in diesem Dorf bin und keinerlei Anbindung an die Mittel- oder Oberzentren habe, weil im ÖPNV seit 2010 132 Millionen Euro gekürzt wurden, dann kann ich nicht davon sprechen, dass der moderne ÖPNV gute Lebensbedingungen auch für die Menschen im ländlichen Raum sichert, wie das in Ihrem Programm steht. Was im ÖPNV noch funktioniert, ist der Schülerverkehr. Das ist alles. Viel mehr finden Sie im ländlichen Raum nicht vor.
Ich komme zum Beispiel Schule: In Ihren Leitlinien heißt es: Gute Bildungsangebote und wohnortnahe Schulen sind ein wichtiger Standortfaktor. Darin sind wir uns einig. Wir sind uns auch darüber einig – weil das immer einmal von dem einen oder anderen, zum Beispiel von der FDP, kommt –, dass in den letzten Jahren viele Schulen im ländlichen Raum geschlossen wurden. Ich war lange Jahre Bürgermeisterin. Herr Tiefensee, ich vermisse es, dass Sie das ansprechen, weil es ein riesiges Manko ist: Seitdem die Schulen im ländlichen Raum – ich spreche von den Grundschulen – weggefallen sind, haben wir in den Dörfern eine Veränderung festgestellt. Die Kinder, die dort aufwachsen, haben keine Verbundenheit mehr zu ihrem Ort, weil sie morgens um acht Uhr losfahren und abends um 16 oder 17 Uhr zurückkommen. Das sind Schlafdörfer geworden – auch für die Kinder. Die nehmen keine Rücksicht mehr auf das, was in dem Dorf passiert. Die kennen sich zum Teil nicht einmal mehr.
Das ist das Ergebnis unserer Politik. Das müssen wir ändern. Dazu gehören gut bezahlte, motivierte und vor allem vorhandene Lehrer. Auch das ist ein Beispiel, bei dem ich sage: Gut gewollt, aber noch nicht gut genug gemacht. Ich will nicht sagen, schlecht gemacht – aber nicht gut genug.
Beispiel Kitas: Sie schreiben, notwendig seien hochwertige frühkindliche Bildungs- und Betreuungsmöglichkeiten, um die sächsischen Dörfer für junge Familien attraktiv zu halten. Aber die Ausreichung von Fördermitteln und Investitionen in Kindertagesbetreuung ist – Sie ahnen es – immer haushalterischen Möglichkeiten vorbehalten. Wollen wir dort etwas investieren, weil es vielleicht ein Bürgermeister ist, der der CDU angehört, dann machen wir das. Ist es vielleicht eine Kommune, die Ihnen nicht ins politische Leitbild passt, dann machen wir es nicht. Beispiele dafür gibt es in der Tat genug.
Beispiel gesundheitliche Vorsorge: Herr Ministerpräsident Tillich sagte, dass Stipendien an angehende Landärzte ausgereicht werden sollen, und wies auf die zunehmende Bedeutung der Telemedizin hin. Aber was ist denn ausreichend? Was wir bisher gemacht haben, ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Es ist ein Anfang. Das will ich auch nicht verhehlen. Aber er ist bei Weitem nicht das, was der ländliche Raum braucht.
In einem Punkt muss ich Ihnen widersprechen, und zwar, wenn Sie vom Zuzugsland Sachsen sprechen. Das haben wir in Leipzig und Dresden. Das haben wir nicht im ländlichen Raum. Alle Bürgermeister beklagen, dass sie wirklich zu tun haben, irgendein attraktives Angebot in den ländlichen Raum zu bringen, damit die Menschen dort bleiben. Es gibt Dörfer in Bayern, die kostenlose Kitaversorgung, kostenfreies Essen anbieten, damit die Menschen hinziehen. Diese Dörfer in Bayern haben damit tatsächlich Erfolg.
Das sind Ansätze, um den ländlichen Raum attraktiv zu machen. Alle Radwege im ländlichen Raum nützen uns nichts, wenn niemand darauf fährt. In diesem Sinne genügt es nicht, die Leitlinie wohlgemeint zu formulieren, aber finanziell nicht auszustatten.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir als SPDFraktion werden dem Gesetzentwurf ebenso zustimmen wie dem von der Fraktion DIE LINKE vorgelegten Änderungsantrag. Damit haben wir gleich beides genannt. Zwar vollzieht dieser Änderungsantrag nur diejenigen Änderungen nach, die aufgrund der zwischenzeitlichen Verabschiedung des Gesetzes zur Fortentwicklung des Kommunalrechtes notwendig wurden. Hier hätten wir uns gewünscht, dass sich die Einbringerin des Gesetzentwurfes auch inhaltlich mit der von mehreren Sachverständigen in der Anhörung dargestellten Beihilfeproblematik befasst hätte. Andere Bundesländer haben dies innerhalb ihrer Gesetzgebung bereits getan.
Trotzdem unterstützen wir ausdrücklich das Grundanliegen, das der Gesetzentwurf beinhaltet. Denn mit dem Gesetzentwurf sollen den sächsischen Kommunen mehr Freiheiten eingeräumt werden, ohne ihnen zugleich Verpflichtungen aufzuerlegen. Wir halten es für sinnvoll, dass die Rechtsform der Anstalt des öffentlichen Rechts künftig auch den sächsischen Kommunen offenstehen soll und nicht mehr nur dem Freistaat selbst. Sachsen wäre
damit auch nicht länger das letzte verbliebene ostdeutsche Bundesland, das seinen Kommunen diese Option vorenthält.
Unser Ziel als SPD ist es, die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen im Bereich der Daseinsvorsorge als wesentliches Instrument zur Erfüllung ihrer Selbstverwaltungsaufgaben zu sichern und ihnen dabei noch mehr Gestaltungsspielraum einzuräumen. Der vorliegende Gesetzentwurf will genau das: mehr Gestaltungsfreiheit für die Kommunen dahin gehend, welche Organisationsformen sie für ihre wirtschaftliche Betätigung und Aufgabenerbringung nutzen können, ohne weitere Verpflichtungen für sie zu schaffen. Das ist für mich ganz wichtig.
Diese größere Wahlfreiheit für Sachsens Gemeinden und Landkreise unterstützen wir ausdrücklich, zumal die Rechtsform der Anstalt des öffentlichen Rechts die Vorteile mehrerer Rechtsformen vereint und deren jeweilige Nachteile gleichzeitig vermeidet. So bietet die kommunale Anstalt des öffentlichen Rechts im Vergleich zu Regie- und Eigenbetrieben deutlich mehr Selbstständigkeit und Flexibilität ähnlich der privaten Rechtsform der GmbH oder AG, ohne deren steuerliche Nachteile zu haben. Gleichzeitig erlaubt sie eine bessere Steuerung als die privatrechtliche Organisationsform und bringt damit die kommunale Inhaberschaft besser zum Ausdruck.
Auch die Erhebung von Abgaben in der kommunalen Anstalt des öffentlichen Rechts ist im Gegensatz zu privatrechtlichen Organisationsformen möglich. Gerade in den Bereichen der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung ist dies für viele Kommunen ein wichtiger Aspekt.
Ein Sachverständiger – ich glaube, es war Herr Prof. Ehlers – hat die kommunale Anstalt des öffentlichen Rechts als Mittelweg zwischen den öffentlich-rechtlichen Bindungen und selbstständiger Wirtschaftsführung bezeichnet. Diesen sinnvollen Mittelweg wollen wir den sächsischen Kommunen eröffnen. Ob sie sich dieser neuen Rechtsform auch bedienen wollen, sollen die betreffenden Gemeinden und Landkreise doch bitte schön selbst entscheiden; denn sie können am besten entscheiden, welche Organisationsform am besten zu den lokalen Bedürfnissen und Herausforderungen vor Ort passt.
Ich denke deshalb auch, dass es zu kurz gegriffen ist, wenn sich die kommunalen Spitzenverbände sowohl in ihren schriftlichen Stellungnahmen als auch im mündlichen Vortrag in der Anhörung lobend über die vielen Vorteile der kommunalen Anstalt des öffentlichen Rechts äußern, andererseits aber bezweifeln, dass es tatsächlich Bedarf für die Einführung dieser Rechtsform gibt. Andere Experten aus der Praxis, zum Beispiel Herr Herrenson, haben – abgesehen von den zahlreichen theoretischen Vorteilen – sehr wohl auch die praktischen Bedürfnisse für diese Gestaltungsform im Freistaat Sachsen gesehen, beispielsweise im Bereich der auslaufenden PPP-Modelle.
Die Entscheidung, ob Bedarf für die Einrichtung einer kommunalen Anstalt des öffentlichen Rechts besteht oder nicht, wollen wir den Gemeinden und Landkreisen und
deren politischen Entscheidungsträgern selbst überlassen. Aber die Möglichkeit, sich für oder gegen diese Rechtsform mit der kommunalen Wirtschaftsführung zu entscheiden, wollen wir als Landesgesetzgeber schaffen. Deshalb werden wir als SPD-Fraktion diesem Gesetzentwurf zustimmen.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst mit dem Positiven in diesem Gesetzentwurf beginnen: Das ist die Bildung eines oberen Gutachterausschusses, der nun endlich verankert ist. Aber so positiv ist es nun auch wieder nicht, weil er bereits seit 2009 gesetzlich gefordert war und wir im Grunde genommen vier Jahre Zeit dafür hatten. Wir haben auch drei Änderungen der Sächsischen Bauordnung in den Jahren 2010, 2011 und 2012 vorgenommen. Auch dabei ist es nicht passiert – keine Ahnung, warum und weshalb. Das wäre der positive Aspekt im jetzigen Gesetzentwurf, bei dem wir sagen: Gut, dass es endlich erfolgte.
Dennoch: Tragbar ist dieser Gesetzentwurf aus unserer Sicht auf keinen Fall, weil der hier eingeschlagene Systemwechsel im Bereich des Gutachterwesens von uns nicht mitgetragen werden kann. Wir werden gemeinsam mit den LINKEN dazu im Nachgang einen Änderungsantrag einbringen. Wir hoffen, dass wir anhand der Diskussion noch einmal Verständnis für die Notwendigkeit dieses Änderungsantrages erringen.
Mein Vorredner der Linksfraktion hat ausführlich geschildert, welche Bedenken dagegen sprechen, im bundesweiten Alleingang die Bestellbefugnis für das Ingenieur- und Bauwesen weg von den IHKs ausschließlich auf die Architekten- bzw. Ingenieurkammer zu übertragen. Statt Bürokratieabbau und Vereinheitlichung zu erreichen, kommt es deutschlandweit zu einer einmaligen Aufspaltung des Sachverständigenwesens im Bau- und Ingenieurwesen, obwohl zum 1. Januar 2013 – mein Kollege
Stange hatte es bereits erwähnt – die Zuständigkeitsbereiche im Sachverständigenwesen auf die IHKs zum Zwecke einer Vereinheitlichung übertragen worden sind. Das erklären Sie, wem sie wollen.
Kein anderes Bundesland verfügt über eine solche ausschließliche Regelung, sondern weist die Zuständigkeit entweder den IHK’s zu oder sieht eine parallele Zuständigkeit in diesem Bereich vor. Das betrifft immerhin elf Bundesländer.
CDU und FDP in Sachsen vollziehen wieder einmal einen Alleingang, der weniger der politischen Sinnhaftigkeit geschuldet ist als einem krampfhaften Versuch, es anderes als die übrigen Bundesländer zu machen. Ich möchte es einmal vergleichen: Wenn sich auf der Autobahn ein Fahrer anders als alle anderen Fahrerinnen und Fahrer verhält, dann nennt man diesen in der Regel einen Geisterfahrer.
Auch hier – das möchte ich noch einmal ganz klar sagen – kann man von einer politischen Geisterfahrt sprechen; denn es werden ohne triftige Gründe – mein Kollege hat auch ausgiebig danach gesucht, wo sie denn sein könnten – einwandfrei funktionierende Strukturen zerschlagen. Das sind Strukturen, die sich bewährt haben und mit dem Gesamtgefüge der Gutachterbestellung in der BRD harmonieren. Das System der öffentlichen Bestellung durch die IHKs ist bundesweit einheitlich und durchgängig organisiert und mit ihm werden eine hohe und standardisierte Qualität verankert. Das wollen wir in Sachsen aufgeben. Diese Qualität ist ganz klar gefährdet.
Wir sprechen von Abgrenzungskonflikten und Reibungsverlusten, die aus den teils unklaren Gesetzesformulierungen resultieren. Das Beispiel zum Sachgebiet Immobilienverwertung hat mein Kollege Stange bereits ebenfalls ausgeführt: Es werden drei Zuständigkeiten geschaffen, der Architekt bei der Architektenkammer, der Ingenieur bei der Ingenieurkammer und der Ökonom-Immobilienfachwirt bei den IHKs. Ratsuchende stehen in solchen Fällen vor der Frage, welche Kammer in seinem spezifischen Fall die passende ist, oder ob man alle nach Laienmeinung infrage kommenden Stellen parallel anfragen sollte. Mit Ratsuchenden meine ich Gerichte, Behörden oder Privatpersonen.
Sächsische Gutachter sind zudem in den Bereichen Ingenieur- und Bauwesen künftig im bundesweiten Wettbewerb eindeutig benachteiligt, da nur diese keine IHK-Bestellung vorweisen können und künftig nicht mehr im oft genutzten bundesweiten Verzeichnis IHK-Sachverständige verzeichnet sind. Auch das wurde von meinem Kollegen Stange bemerkt.
Merkmal IHK-Bestellung: nicht nur Marketingmaßnahme. Zahlreiche Verträge im Geschäftsverkehr enthalten Schiedsgutachterklauseln, die in dem Streitfall explizit vorsehen, dass ein von der jeweiligen IHK zu benennender Sachverständiger zu beauftragen ist. Den sächsischen
Gutachtern im Bereich des Ingenieur- und Bauwesens bleibt damit ein Betätigungsfeld verschlossen.
Erste Überlegungen seitens der betroffenen Sachverständigen, ihre Geschäftssitze in ein anderes Bundesland zu verlegen oder Anträge auf öffentliche Bestellungen in anderen Bundesländern zu stellen, um sich diese Option offenzuhalten, sind bereits im Raum.
Der Systemwechsel ist auch nicht mit den Zielen der Entbürokratisierung bzw. Vereinbarung erklärbar. Aus einer zuständigen Stelle werden drei gemacht, die jeweils in ihren Bereichen eigene Strukturen aufbauen und vorhalten müssen. Bei Gutachterersuchen müssen im Zweifelsfall mehrere Stellen parallel angefragt werden. Das verursacht nicht nur beim Kunden, sondern auch bei den Kammern unnötige Zusatzarbeit und Kosten. Austausch und Fortbildung über die Ländergrenzen weg werden erschwert. Eher das Gegenteil von Vereinfachung und Entbürokratisierung ist hier der Fall.
Zuletzt möchte ich noch auf die Aussage von Herrn Karabinski eingehen, dass die Ängste unbegründet seien, und sollte es wider Erwarten doch anders kommen, dann lasse sich das Gesetz auch wieder ändern, wenn es doch nicht funktioniert.
Ich bin mir nicht sicher, ob diese Aussage mehr von politischer Wurstigkeit geprägt oder Ignoranz ist.
Natürlich lässt sich das Gesetz relativ schnell und problemlos wieder ändern. Aber hier geht es nicht nur um Worte und Paragrafen, hier geht es um Festlegungen, die im Hohen Hause beschlossen werden. Wenn dieser Systemwechsel zusammen mit dem Gesetz beschlossen wird, müssen die betroffenen Kammern ihre Strukturen in den Bereichen Gutachterbestellung und Gutachterbenennung anpassen. Entsprechende Richtlinien, Satzungen etc. müssen erlassen werden. Die notwendigen Gremien müssen geschaffen, ausgebaut und alte abgeschafft werden. Für diese Bereiche benötigtes und entsprechend qualifiziertes Personal muss neu eingestellt, umgesetzt oder entlassen werden. Datenbanken und Informationssysteme müssen überarbeitet sowie die Vernetzung mit anderen Bundesländern in diesem Bereich muss umgestellt werden. All dieser Aufwand ist mit Kosten, Zeit und Personal verbunden. Ich weiß nicht, Herr Karabinski, ob Ihnen das bewusst war.