Protokoll der Sitzung vom 10.02.2011

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 31. Sitzung des 5. Sächsischen Landtages.

Zuerst gratuliere ich Frau Clauß und Herrn Flath ganz herzlich zum Geburtstag.

(Beifall)

Ebenso herzlich gratuliere ich Frau Dr. Deicke, verbunden mit den besten Genesungswünschen.

(Beifall)

Sie ist leider krank.

Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Frau Windisch, Frau Roth, Herr Nolle und, wie gesagt, Frau Dr. Deicke.

Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat für die Tagesordnungspunkte 3 bis 7 folgende Redezeiten festgelegt: CDU bis zu 75 Minuten, DIE LINKE bis zu 50 Minuten, SPD bis zu 30 Minuten, FDP bis zu 30 Minuten, GRÜNE bis zu 25 Minuten, NPD bis zu 25 Minuten, Staatsregierung 50 Minuten. Die Redezeiten der Fraktionen und der Staatsregierung können auf diese Tagesordnungspunkte je nach Bedarf verteilt werden.

Zu Punkt 1 der Tagesordnung, Aktuelle Stunde, hat die NPD-Fraktion von der Möglichkeit des § 55 unserer Geschäftsordnung Gebrauch gemacht, das Thema der Aktuellen Debatte bis zum Montag der Plenarwoche zu ändern. Davon wurden die Fraktionen und die Staatsregierung unverzüglich in Kenntnis gesetzt. Das neue Thema lautet: „Rückkehrpflicht statt Bleiberecht – Keine neue Ausländerschwemme zulasten des Arbeitsmarktes“.

Weiterhin ist der bisherige Tagesordnungspunkt 13, Kleine Anfragen, zu streichen.

Meine Damen und Herren, Ihnen liegen in den Drucksachen 5/4920 und 5/4921 die Einsprüche des Abg. Apfel, NPD-Fraktion, gegen erteilte Ordnungsmaßnahmen in der 30. Sitzung vor. Nach § 98 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung entscheidet der Landtag über diese Einsprüche in dieser Sitzung ohne Beratung. Ich schlage Ihnen vor, dafür einen neuen Tagesordnungspunkt 13 einzufügen.

Meine Damen und Herren! Ein als dringlich bezeichneter Antrag der Fraktion DIE LINKE liegt Ihnen in der Drucksache 5/4904 vor. Er lautet: „Deutlich spürbare Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes beschließen – Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. Februar 2010 endlich umsetzen!“. Der Landtag hat die Möglichkeit, gemäß § 53 Abs. 3 der Geschäftsordnung, die Dringlichkeit festzustellen; dann müsste der Antrag noch in dieser Sitzung abschließend behandelt werden. Voraussetzung für eine Dringlichkeitserklärung ist, dass im üblichen Verfahren eine rechtzeitige Entscheidung im Landtag über den Antrag nicht mehr erreichbar ist.

Ich bitte jetzt die einbringende Fraktion um die Begründung der Dringlichkeit. Herr Kollege Pellmann, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag, den wir Ihnen heute vorlegen und der noch auf die Tagesordnung gesetzt werden soll, ist unseres Erachtens deshalb dringlich, weil wir keine Chance hatten, einen Antrag im normalen Verfahren einzubringen; denn wir konnten beim besten Willen nicht ahnen, dass in der Nachtsitzung vom 6. zum 7. Februar letztlich das Scheitern der Verhandlungen verkündet werden würde. Beide Seiten hatten – zumindest in der Öffentlichkeit – vorher außerordentlichen Optimismus über eine ergebnisorientierte Verhandlung ausgedrückt. Deshalb war vorher keine Antragstellung möglich.

Die Dringlichkeit ergibt sich dann aus drei Punkten unmittelbar:

Der erste: Wir haben – daran möchte ich Sie erinnern – seit 1. Januar dieses Jahres einen gesetzlosen Zustand in Bezug auf Hartz IV generell, denn der Spruch des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02. vergangenen Jahres wurde nicht umgesetzt. Deshalb ist Handeln dringend nötig.

Zweitens. Morgen wird der Bundesrat über ein sogenanntes unechtes Vermittlungsergebnis entscheiden. Wenn wir das wollen, haben wir nur heute die Möglichkeit, der hiesigen Staatsregierung einen Handlungsauftrag zu erteilen; ich meine, das ist bitter nötig.

Zum Dritten: Es ist bereits avisiert, dass das morgen scheitern könnte – im Sinne eines vernünftigen Kompromisses im Interesse der Betroffenen. Deshalb wurde bereits vermeldet, dass weiter und erneut verhandelt werden müsse sowie Bundesrat und Bundestag gegebenenfalls in der nächsten Zeit Sondersitzungen veranstalten müssten.

Wir möchten mit unserem heutigen Dringlichen Antrag dem Landtag eine Sondersitzung hier ersparen; denn würde eine Sondersitzung des Bundesrates avisiert, müssten wir selbstverständlich vorher die Position des Sächsischen Landtages kundgeben und der Staatsregierung dann einen neuen Handlungsauftrag erteilen.

Ich bitte Sie also, der Dringlichkeit zuzustimmen, auch im Interesse dessen, dass wir nicht in die Notwendigkeit und die Gefahr kommen, Sie aus Ihrem verdienten Winterurlaub zurückholen zu müssen.

(Beifall bei den LINKEN)

Das war die Begründung der Dringlichkeit durch Kollegen Pellmann, Fraktion DIE LINKE.

Es gibt dazu Redebedarf. Herr Kollege Herbst für die Fraktion der FDP, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Pellmann, Ihre Begründung der Dringlichkeit hat uns nicht überzeugt. Sie versuchen – wie so oft –, die Geschäftsordnung in Ihre Richtung zu verbiegen und eine Dringlichkeit zu konstruieren, die nach dem Sachverhalt so nicht vorliegt.

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Die Dringlichkeit konstruiert das Leben!)

Ich will Ihnen gern erläutern, was die formalen Voraussetzungen für die Dringlichkeit sind. Im Wesentlichen sind es zwei Eckpunkte.

Der erste Eckpunkt ist, dass eine rechtzeitige Abstimmung hier im Parlament nicht mehr möglich ist, bevor abschließend über einen Sachverhalt entschieden wird. Dies könnte so sein, wenn morgen der Bundesrat entscheidet.

Der zweite Eckpunkt ist, dass der Antragsgegenstand und die Forderungen, die darin aufgemacht werden, vor dem 31. März, 12 Uhr – das war der Einreicheschluss für reguläre Anträge –, nicht hätten bekannt sein können. Dieser Sachverhalt ist von Ihnen nicht erfüllt, meine Damen und Herren.

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Doch!)

Die Diskussionen über einen Kompromiss im Bundesrat zu Hartz IV laufen mindestens seit Dezember. Jede einzelne Forderung in Ihrem heutigen Dringlichkeitsantrag wurde von Ihnen entweder in Pressemitteilungen, Anträgen, Änderungsanträgen oder Äußerungen hier im Plenum bereits erhoben. Kein einziger Fakt ist neu, deshalb ist die Dringlichkeit konstruiert.

(Dr. Dietmar Pellmann, DIE LINKE: Niemals!)

Darüber hinaus ist zu sagen, wenn man sich die Forderungen Ihres Antrages anschaut, dass mindestens seit gestern einige davon überholt sind. Es liegt ein Ergebnis des Vermittlungsausschusses vor, und über dieses Ergebnis wird abgestimmt.

(Zuruf der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Ja. Trotzdem ist es ein Ergebnis, welches zur Abstimmung steht. Ihre hier aufgemachten Forderungen haben Sie bereits in vielen Debatten dargelegt. Sie hätten rechtzeitig einen Antrag einreichen können. Das haben Sie mit Absicht nicht gemacht, und ich will hinzufügen, Sie hatten nicht einmal daran Interesse, das Thema hier zu debattieren. Wenn Sie sich erinnern, Herr Pellmann, gab es in Ihrem ersten Antrag zur Aktuellen Debatte ein Thema, das sich genau mit dem voraussichtlichen Vermittlungsergebnis zu Hartz IV beschäftigte. Diese Aktuelle Debatte haben Sie selbst zurückgezogen und durch eine andere Debatte ersetzt. Es ist doch völlig scheinheilig, dass Sie eine Dringlichkeit vorgaukeln, wo Sie selbst Debatten zurückziehen.

(Beifall bei der FDP, der CDU und des Staatsministers Sven Morlok)

Allein der Titel Ihres Antrages ist heuchlerisch. Das Verfassungsgericht hat niemals gesagt, dass der Hartz-IVSatz erhöht werden muss. Das Verfassungsgericht hat gesagt, es ist ein transparentes Verfahren zu finden,

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Zur Dringlichkeit!)

wie die Regelsätze berechnet werden.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Dringlichkeit des Antrages ist nicht gegeben, sie ist konstruiert. Deshalb werden wir die Dringlichkeit des Antrages ablehnen.

(Beifall bei der FDP, der CDU und der Staatsregierung)

Das war Herr Kollege Herbst für die FDP-Fraktion. – Jetzt spricht für die SPDFraktion Herr Abg. Dulig.

(Dr. Johannes Müller, NPD, steht am Mikrofon.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht um die Dringlichkeit und gar nicht um den Inhalt des Antrages, weil man darüber durchaus unterschiedlicher Meinung sein kann. Ich wäre gespannt auf die Debatte; denn wenn wir uns mal tief in die Augen schauen, wissen wir doch, dass aus diesem Streit kein richtiger Sieger erkennbar ist. Eher umgekehrt ist die Gefahr groß, dass wir alle als Verlierer von der Bühne gehen. Deshalb kann man nicht nur taktische Argumente hier anführen. Aber jetzt geht es um die Frage der Dringlichkeit.

Und, lieber Torsten Herbst, der Unterschied ist, dass, nachdem das Vermittlungsverfahren gescheitert ist, doch in der Koalition erst entschieden wurde, den Vermittlungsausschuss zu Ende zu bringen und den Bundesrat anzurufen. Man hätte auch sagen können, nein, wir geben es nicht in den Vermittlungsausschuss und den Bundesrat. Deshalb ist eine Dringlichkeit gegeben. Der Antragsschluss hätte eine ordentliche Befassung beinhalten können. Der jetzige Zeitpunkt zeigt, dass sich in der letzten Woche die Grundlage komplett verändert hat. Deshalb ist es einfach dringlich, darüber zu reden. Ich habe nur den Eindruck, dass Sie sich schon auf den 19. Februar vorbereiten, indem Sie die Blockadepolitik fortsetzen, die Sie in Berlin gemacht haben. Das ist aber für das Thema unwürdig.

Wir müssen uns doch an dieser Stelle miteinander verständigen, wie wir uns als Länder im Bundesrat verhalten können, weil es nicht zulasten der Betroffenen gehen kann. Das sind nämlich die Kinder, die Hartz-IVEmpfänger und vor allem die Kommunen. Deshalb muss es doch unser Interesse sein, aus den Ländern heraus eine vernünftige Politik zu machen. Die Dringlichkeit ist gegeben, unabhängig davon, wie man zu den einzelnen Punkten des Antrages steht. Deshalb rate ich Ihnen: Springen Sie über Ihren Schatten! Sie können der Dringlichkeit zustimmen und heute mit uns darüber reden.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Das war für die SPDFraktion Herr Dulig. – Für die NPD-Fraktion jetzt der Abg. Müller.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die NPD-Fraktion sieht die Dringlichkeit als gegeben an. Auch wenn es kurioserweise so ist, dass sich die Dringlichkeit durch das Scheitern der Vermittlungsergebnisse eigentlich erst nach dem Antrag ernsthaft ergeben hat, wäre es für das Haus sinnvoll, inhaltlich über dieses Thema zu debattieren, denn es gibt ja verschiedene Lösungsansätze. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass ein Beschluss des Gesetzes sinnvoll ist und es wieder dem Verfassungsgericht vorzulegen wäre; denn die vier Parteien, die sich in Berlin bemüht haben, sind augenscheinlich einfach nicht in der Lage, eine vernünftige Lösung zu finden. Wenn man als Politik nicht mehr gestaltet, dann muss im Zweifelsfall die Judikative sagen: So geht es nicht!

Im Moment haben wir jedenfalls einen völlig rechtlosen Zustand. Im Grunde genommen könnte man sagen, vielleicht gilt das alte Sozialhilferecht wieder, denn seit 31.12.2010 gilt zumindest das Hartz-IV-Recht nicht mehr. Ein neues Recht gibt es nicht. Für die Betroffenen ist das eine völlig unhaltbare Situation. Aus diesem Grund wäre es vernünftig, hier darüber zu debattieren.