Protokoll der Sitzung vom 29.02.2016

Herr Schiemann, ich will Ihnen noch ein wenig weiter auf die Sprünge und auf den Weg der Erkenntnis verhelfen. Es war Ihre CDU, die mit ihrer feudalistischen Leuchtturmpolitik die sozioökonomischen Fundamente der Regionen ignoriert hat. Es war Ihre CDU, die die Axt an die Verwurzelung von so vielen Menschen angelegt hat. Sie, die selbst ernannte Partei der sächsischen Heimat, haben Hunderttausende aus der Heimat vertrieben,

(Zurufe von der CDU: Unerträglich! – Protest von der CDU)

und das, obwohl Sachsen nach 1989 als uraltes Industrieland viel bessere Startbedingungen hatte als beispielsweise Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern.

(Zurufe der Abg. Frank Kupfer und Alexander Krauß, CDU)

Die Menschen sind aus Sachsen geflohen, auch und gerade vor Ihrer Niedriglohnpolitik,

(Frank Kupfer, CDU: Ihr habt doch den Mittelstand kaputt gemacht!)

und viele pendeln bis heute zur besser bezahlten Arbeit nach Bayern und anderswo, was auch Sie, Herr Schiemann, jeden Sonntagabend an der Autobahn sehen könnten.

(Zuruf des Abg. Andreas Nowak, CDU)

Vor der aktuellen demografischen Wende durch die Geflüchteten der letzten Jahre haben seit 1990 fast eine halbe Million mehr Menschen Sachsen verlassen, als hierhergekommen sind.

Das Allheilmittel der staatlichen Wirtschaftsförderung war jahrzehntelang der Niedriglohn. Da hat Herr Schiemann recht, auch wenn er nichts dagegen unternommen hat.

Unserer Kritik seit 1990 an einer CDU-Politik, die den Rahmen für ausbeuterische Lohnverhältnisse gesetzt hatte, wurde am liebsten mit der Behauptung gekontert, wir wollten ja den alten Sozialismus wiederhaben.

(Carsten Hütter, AfD: Zurück zum Thema!)

Herr Tillich, Sie sagten am Freitag im Bundesrat und haben es heute ja auch wiederholt: „Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus, und es ist größer, als der eine oder andere bisher wahrhaben wollte.“ Okay. Damit ist nach gut 15 Jahren die Legende des CDU-Ministerpräsidenten Biedenkopf, Sachsen sei immun gegen Rechtsextremismus, vom CDU-Ministerpräsidenten

Tillich widerrufen worden. Ich erlaube mir den Kommentar: Die extreme Langsamkeit gesellschaftlicher Lernprozesse in der sächsischen CDU ist nur noch peinlich.

(Beifall bei den LINKEN)

Wer aber, bitte, ist der eine oder andere, der die Realität der extremen Rechten nicht wahrhaben wollte? Ich sage es Ihnen: Sie, Herr Ministerpräsident, und Ihre Sachsen

CDU. Ich will Ihnen das an einigen wenigen Beispielen deutlich machen.

Wer tat denn so, als hätten die Mörder vom sogenannten nationalsozialistischen Untergrund, NSU, gar nichts mit Sachsen zu tun, obwohl der Freistaat das Basislager für ihren Terror war? – Stanislaw Tillich und die CDU. Sie, Herr Tillich, ließen sich seinerzeit nicht in Zwickau blicken, als der NSU dort aufgeflogen war.

(Christian Piwarz, CDU:Was ist das denn für ein Unsinn, Herr Gebhardt?)

Das von der CDU verursachte peinliche Gezerre um den NSU-Untersuchungsausschuss hier im Landtag ist noch in frischer Erinnerung.

Wer wollte denn nicht wahrhaben, dass die großen AntiAsylproteste in Schneeberg vor zwei Jahren mehr als nur ein lokales Problem sind? – Stanislaw Tillich und die CDU, ausgenommen Herr Colditz. Kommunikativ lief seitens der Staatsregierung alles schief, was schieflaufen konnte.

Freital: Der CDU-Innenminister nimmt an einer Podiumsdiskussion teil, und die einzige Frau, die sich für Geflüchtete ausspricht, wird niedergebrüllt und vom Mikrofon gedrängt. Herr Ulbig bleibt sitzen und schaut zu.

Heidenau: Die Antwort der CDU-Verantwortungsträger verschiedener Ebenen auf die bürgerkriegsähnlichen Zustände durch einen marodierenden Mob war ein totales Versammlungsverbot über mehrere Tage, dem ein Willkommensfest für Geflüchtete zum Opfer fallen sollte. Irrer geht es nicht mehr.

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Einhalt gebot erst ein Verwaltungsgericht nach der Klage eines Studenten.

Dresden: Innenminister Ulbig trifft sich mit den PegidaSpitzenleuten und verweigert Antworten dazu gegenüber dem Parlament. Der sächsische Verfassungsgerichtshof in Leipzig urteilt dazu: verfassungswidrig.

Ich frage Sie nunmehr nach Clausnitz und Bautzen, ich frage Sie, Herr Tillich, Herr Ulbig: Wer wollte denn hier nicht wahrhaben, dass die größte Gefahr für die öffentliche Sicherheit genau aus dieser Ecke kommt, in die Sie hineingekrochen sind?

(Beifall bei den LINKEN)

Wer hat auf einem Bürgerdialog überwiegend mit Pegidisten und anschließend mit einem großen Interview ins Land hineingerufen, der Islam gehöre nicht zu Sachsen?

(Uwe Wurlitzer, AfD: Genau!)

Wer wollte nicht wahrhaben, dass er mit diesem Satz die Ausgrenzung anrichtet? – Stanislaw Tillich. Sie wollten damit offenbar wieder einmal vorsätzlich demonstrativ die besonders eigenständige Rolle von Sachsen betonen. Das Ergebnis: schlicht verheerend.

Nun rufen Sie, Herr Tillich, plötzlich nach „der ganzen Gesellschaft“, die Ihren Scherbenhaufen zusammenkehren soll. Wie aber wurde in den vergangenen Jahren mit dieser Gesellschaft umgegangen? Aktivistinnen und Aktivisten, die sich gegen Rassismus und Neonazis engagierten, werden in Sachsen gegängelt. Antifaschisten und regierungskritisches Denken werden als Ruhestörung, Einmischung, ja, sogar als Bedrohung wahrgenommen. Jahrelang ermittelte das Landeskriminalamt gegen eine vermeintliche Antifa-Sportgruppe, die in Sachsen Jagd auf Neonazis gemacht haben soll. Die Polizei durchsuchte Wohnungen,

(Carsten Hütter, AfD: Genau, richtig!)

stürmte das Haus der Dresdner LINKEN, spionierte Telefone aus und sammelte eine Million Handydaten. Ergebnis: keines.

Thema Sachsensumpf: Es wird überdeutlich sichtbar, wie Justiz instrumentalisiert worden ist. So wurden mehrere Dutzend Gegenverfahren eingeleitet. Es wurden und werden bis heute einige Dutzend Menschen verfolgt, die sich um die Aufklärung bemüht hatten. Herr Mackenroth wird sich sicherlich noch gut an seine Zeit als Justizminister erinnern.

Aber zurück zur Gegenwart. Die mittelsächsische CDUBundestagsabgeordnete Veronika Bellmann fabulierte in den Tagen von Clausnitz und Bautzen überall – Zitat –: „… übermäßige Toleranz gegenüber Ausländern, die schlimme Folgen habe“.

Herr Tillich, die geistigen Brandstifter sitzen mit Rang und Namen in Ihrer sächsischen CDU.

(Christian Piwarz, CDU: Jetzt reicht es aber!)

Ja, wir sind für mehr Polizei, weil Sie, die CDU, die sächsische Polizei jahrelang personell ausgeblutet haben. Aber das Problem der geistigen Brandstiftung aus der regierenden Sächsischen Union heraus werden wir nicht mithilfe der Polizei lösen können.

Herr Ministerpräsident, es sind nicht nur die Ergebnisse selbst, die Sachsen in solch einem schlechten Licht erscheinen lassen. Es sind nicht die verurteilungswürdigen Vorfälle, sondern es ist der von Ihnen, Herr Ministerpräsident, und Ihrer CDU in Sachsen gepflegte Umgang damit: nur reagieren, wenn es gar nicht mehr geht, und dann relativieren und mit dem Finger auf andere zeigen und anschließend wieder zur Tagesordnung übergehen. Das ist die Strategie der sächsischen Staatspartei CDU seit vielen Jahren.

Die Sächsische Union hat in Sachsen einen Kulturkampf im Namen scheinbar konservativer Werte geführt, in dem der Freistaat nun selbst zu Bruch zu gehen scheint. Sie, meine Damen und Herren von der CDU, haben aus Gründen parteipolitischer PR einen Sachsen-Chauvinismus hochgezüchtet, der uns zum Nabel und zum Maßstab der Welt machen sollte.

Die sächsischen Christdemokraten hegen einen undemokratischen politischen Alleinvertretungsanspruch. Zu

diesem Zweck betreiben Sie unter anderem auch eine Geschichtspolitik, die so tut, als sei die CDU der alleinige Motor der friedlichen Revolution gewesen. Auf das revolutionäre Erbe erheben Sie den alleinigen Anspruch.

Gleichzeitig treibt die sächsische CDU in ihrer Sehnsucht nach einem ungetrübten, heldenhaften Sachsen eine Normalisierung der Geschichte voran, in der die Erinnerungen an die NS-Verbrechen nur stören. So erklärte Sachsens Ministerpräsident auf einer Veranstaltung Anfang 2015 an der Gedenkstätte Ehrenhain Zeithain zum 70. Jahrestag der Befreiung von Krieg und Nationalsozialismus: „Für den Westen Deutschlands war das Kriegsende 1945 eine Befreiung. Für den Osten war es der Beginn neuen Unrechts.“

(Zuruf von der CDU: So ist es!)

Damit wird die Befreiung von einem Regime, das einen Weltkrieg mit 60 Millionen Toten angezettelt und einen industriellen Massenmord als Herrschaftsmodell eingesetzt hat, in den Schatten der friedlichen Revolution von 1989 gestellt. Die wiederum hat die sächsische CDU ja für sich gepachtet und die Einladungsunkultur anlässlich der Feierlichkeiten zu 25 Jahren Landtag im Freistaat erneut unter Beweis gestellt.

(Beifall bei den LINKEN)

Dabei hindert die Verurteilung der DDR die sächsische CDU überhaupt nicht daran, sich machttechnisch aus dem realsozialistischen Erbe reich zu bedienen, als Erstes mit der Wiedereinrichtung einer Staatspartei.

(Zurufe der Abg. Christian Piwarz und Andreas Nowak, CDU)

Und Staatsparteien finden nun grundsätzlich jede Idee der Opposition Mist, weil es ja Opposition ist, Herr Piwarz. Sie lässt auch die Bevölkerung nur aus demokratiefolkloristischen Gründen ab und an etwas mitdiskutieren – ohne natürlich Ideen aus der Bevölkerung zu berücksichtigen.

(Alexander Krauß, CDU: So was gefährdet die Demokratie, was Sie hier von sich geben! – Weitere Zurufe von der CDU)