Protokoll der Sitzung vom 29.02.2016

(Alexander Krauß, CDU: So was gefährdet die Demokratie, was Sie hier von sich geben! – Weitere Zurufe von der CDU)

Es ist allgemein bekannt, dass die direkte Demokratie in Sachsen im Koma liegt, weil die Hürden zu hoch sind. Wer hat aber jede Mitsprache der Bevölkerung blockiert? – Sachsens CDU und Marko Schiemann.

(Uwe Wurlitzer, AfD, steht am Mikrofon.)

Wer hat sich verweigert, als wir darauf drängten, bei der Verfassungsänderung nicht nur über die Schuldenbremse, sondern auch über die Volksgesetzgebung zu sprechen?

Gestatten Sie eine Frage?

Der CDU-Rechtspolitiker Marko Schiemann und die CDU-Landtagsfraktion.

Nein, Herr Präsident. – Die Verunsicherung der Bevölkerung in Sachsen war bereits da, bevor die Geflüchteten bei uns angekommen sind. Sie ist das Ergebnis der sozialen und regionalen Spaltung der Bevölkerung durch eine CDU-Politik, für die Gerechtigkeit und sozialer Ausgleich Fremdwörter sind.

(Christian Piwarz, CDU: So ein Unsinn!)

In den Neunzigerjahren ist in Sachsen etwas abhanden gekommen, was dem Selbstbewusstsein der Bevölkerung ungeachtet aller Sachsenstolzbeschwörungen der dauerregierenden CDU das Rückgrat gebrochen hat: das sozioökonomische Fundament der Regionen. Heute ist – außer Leipzig und Dresden und vielleicht noch Chemnitz und Zwickau – fast überall nur noch gefühlte Provinz. Man spricht dann von ländlichen Räumen, die es bisher im fast überall dicht besiedelten Industrieland Sachsen kaum gegeben hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen auch von der CDU, Sie möchten ja ganz viele Vorschläge aufgreifen, die dem Unmut abhelfen, der Menschen auf die Straße treibt. Ich sage Ihnen, welche Vorschläge das sind, was man sofort im Land tun kann und wofür man sich als Sachse sofort im Bundesrat stark machen kann:

Erstens: eine Beendigung der Sanktionen gegen Russland.

Zweitens: eine Beendigung der Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen.

Drittens: eine Entwicklungshilfe, die nicht auf eine Alimentierung der Menschen setzt, sondern auf Hilfe zur Selbsthilfe.

Viertens: eine Bürger(innen)versicherung für alle.

(Zuruf des Abg. Frank Kupfer, CDU)

Fünftens: eine solidarische Mindestrente für alle.

Sechstens: eine sanktionsfreie Mindestsicherung für alle.

In Sachsen könnten Sie sofort eine Schule für alle bis mindestens zur Klasse 8 einführen. Für all das hätten Sie nicht nur unsere Unterstützung, sondern auch die Zustimmung von großen Teilen der Bevölkerung, und Sie würden vielen Menschen ihre in diesem Fall berechtigten sozialen Ängste nehmen.

Es tut mir leid, Herr Tillich, aber wenn in dem Landkreis, in dem Sie Ihren Wahlkreis haben, bei den 18- bis 35Jährigen auf 100 Männer nur noch 80 Frauen kommen, dann ist dies das Ergebnis der Politik der Sächsischen Union. Sie haben viele junge, gut gebildete Frauen mit Ihrer in jeder Hinsicht rückwärtsgewandten Politik vertrieben.

(Christian Piwarz, CDU: So ein Unsinn!)

Wenn Sachsen wieder Frieden mit sich selbst finden soll, dann braucht die Landespolitik neue soziale Leitplanken, die den Weg zu diesem Ziel bestimmen. Es muss überall gleichviel gute Gründe geben zu bleiben – nur andere.

Jeder Ort in Sachsen muss attraktiv genug sein als Wohn- und Lebensort für Beschäftigte der gewerblichen Wirtschaft.

Es darf im öffentlichen Personenverkehr keine weißen Flecken geben. Flüchtlinge sollten als neue, dauerhafte Bewohner zur Verjüngung und Belebung bisher abgehängter Regionen gewonnen werden.

Das schaffen wir in Sachsen – wenn wir das Prinzip Tillich außer Kraft setzen. Das Prinzip Tillich verkauft sich als Regierung mit ruhiger Hand, ist aber in der Realität Wegducken und Ruhighalten.

(Vereinzelt Beifall bei den LINKEN)

Wenn es brenzlig zu werden droht – Herr Tillich, Sie haben nach Clausnitz vier Tage gebraucht, bis Sie erstmals öffentlich Rede und Antwort gestanden haben. Das war schrecklich für Sachsen, aber typisch für Ihre Form der Wahrnehmung von Richtlinienkompetenz – frei nach dem Motto: „Ich bin dann mal weg“.

Nun fällt Ihnen als Weg aus der Krise als Erstes der Ruf nach dem starken Staat ein. Den letzten vermeintlich starken Staat erlebte ich als FDJ-Funktionär und Sie als stellvertretender Vorsitzender des Rates des Kreises.

(Oh-Rufe und Lachen von der CDU)

Wir sollten seither gemeinsam gelernt haben, dass wir etwas anderes brauchen: eine starke Zivilgesellschaft, die vom Staat geschützt wird.

(Beifall bei den LINKEN)

Bisher aber wurden Initiativen dieser Zivilgesellschaft von der Sächsischen Union mal unter Extremismusverdacht gestellt, mal beschimpft, mal an den Rand gedrängt. Holocaust-Überlebende sollten Gesinnungsunbedenklichkeitserklärungen unterschreiben, bevor sie auf staatlich geförderten Veranstaltungen auftreten durften. Wir erinnern uns, dass Ihre Extremismusklausel sogar den sächsischen Demokratiepreis gesprengt hat. Die Sächsische Union verpflichtete sich 2005 per Parteitagsbeschluss, in der Bevölkerung – Zitat – „positive nationale Wallungen zu wecken“. Mit den nationalen Wallungen klappt es ja in Sachsen seit ein paar Jahren immer besser. Aber nun kommen auch die ersten vernünftigen Leute in der CDU zu dem Schluss, dass das so positiv für Sachsen nicht ist.

Es geht heute natürlich vorrangig um die Zukunft. Das heißt – wie in der Überschrift unseres gemeinsamen Antrages mit den GRÜNEN – „… Zivilgesellschaft unterstützen, demokratischen Rechtsstaat stärken“.

(Uwe Wurlitzer, AfD, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, Herr Wurlitzer.

Das heißt aber auch, wir müssen von jetzt an aufarbeiten – und dazu lade ich alle demokratischen Fraktionen ein –,

was dazu geführt hat, dass der staatliche Rahmen in Sachsen nicht funktioniert.

2013 waren 80 % der Abteilungsleiterinnen und Abteilungsleiter in den sächsischen Ministerien Menschen mit westdeutschem Migrationshintergrund. Ich habe nichts gegen Sachsen in Bayern, also habe ich auch nichts gegen Schwaben im Erzgebirge; das ist nicht das Thema. Es sind gute Leute gegangen und gute Leute gekommen. – Aber offenbar nicht so viele gute, dass es gerechtfertigt wäre, ihnen auch ein Vierteljahrhundert nach der friedlichen Revolution das Gros der Verantwortung im Staatsapparat zu überlassen.

Zur Vergangenheitsbewältigung gehört auch die Antwort auf die Frage, ob beispielsweise viele zweit- und drittrangige Juristen aus den alten Bundesländern, die sich unter Regie des hochpatriotischen CDU-Justizministers Heitmann

(Zuruf von der CDU)

bei uns im Justizapparat eingenistet haben, ein Segen für die Entstehung einer intakten Rechtskultur gewesen sind.

Für Sachsen kommt auch noch ein gesellschaftlicher Umbrucheffekt dazu, dass die Leute 1989 dachten, es gebe jetzt Demokratie für sie im Sinne von Mitgestaltung – eben nicht nur eine repräsentative Demokratie, von der Sie von der CDU immer schwafeln. Jetzt fühlen sie sich nämlich erneut von oben herab behandelt und unverstanden und zum zweiten Mal – ich formuliere es jetzt einmal etwas drastisch – verarscht und sind besonders motiviert, gegen das System vorzugehen.

Kurzum: Dass Sachsen im Jahr 2016 spürbar außer Kontrolle geraten ist, hat etwas damit zu tun, wie die CDU seit 1990 Sachsen unter Kontrolle gebracht hat.

Ich will Ihnen am Ende meiner Ausführungen einige Antworten aus Sicht der LINKEN auf die Herausforderungen geben, die den Sächsischen Landtag auf dieser Sondersitzung besonders bewegen sollten:

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Erstens. Im Kampf für ein menschenwürdiges Leben aller Einwohnerinnen und Einwohner in Sachsen setzt sich der Landtag konsequent gegen menschenverachtende Denkmuster wie Antisemitismus, Nationalismus und andere diskriminierende Einstellungen ein. Wir müssen leider feststellen, dass menschenfeindliches Denken und Handeln in allen Altersgruppen und allen gesellschaftlichen Bereichen vorhanden ist.

Zweitens. Dagegen anzugehen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die sich durch verschiedene Politikfelder zieht. Der Landtag erachtet die umfassende Ächtung der extremen Rechten als eine vordringliche Aufgabe, die nicht allein mit der Bekämpfung der NPD erledigt ist. Daher richten wir uns gegen jede Form von Diskriminierung anders Lebender, anders Aussehender oder Liebender und streiten für deren Akzeptanz und die Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens für Einheimische wie Zugezogene.

Drittens. Eine rasche Aufklärung und konsequente strafrechtliche Verfolgung von rechten Straftätern und Hassverbrechen muss gewährleistet sein. Dafür braucht man keinen Verfassungsschutz. Benötigt wird ausreichend fachkundiges Personal bei Polizei und Justiz.

(Beifall bei den LINKEN)

Viertens. Notwendig ist die Entkriminalisierung des vielfältigen Protestes gegen rechte Aufmärsche. Mit Opfern rechter Gewalt zeigen wir uns solidarisch.

Fünftens. Rassistische Einstellungen und Handlungen müssen als Problem benannt werden. Es ist analytisch falsch, verallgemeinernd von Extremismus zu sprechen. Zu lange hat die Politik, haben Behörden unter Anwendung dieses Begriffes die Bedrohungslage der extremen Rechten verkannt.