Meine Damen und Herren! Ich stelle nun die Drucksache 6/5059 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Danke. Gibt es Gegenstimmen? – Eine ganze Anzahl von Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist die Drucksache 6/5059 beschlossen, und der Tagesordnungspunkt ist beendet.
Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde lautet: DIE LINKE, CDU, SPD, AfD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Für die einbringende Fraktion DIE LINKE ergreift Herr Kollege Bartl das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich beginne mal mit einem Zitat: „Ein Irrtum des Gesetzes gebiert tausende, wiederholt und vervielfältigt sich in der Anwendung und wirkt als unversiegbare, weil ausströmende Quelle des Unheils beim Maßregeln zu entscheiden. Für das Schicksal aller wird die höchste Bedächtigkeit, die vorsichtigste Überlegung, die gesamte Abwägung aller dabei beteiligten Interessen erfordert. Wenn bloße Einfälle zu Gesetzen werden und an dem Volk mit Gesetzen experimentiert wird, dann macht man den Staat mit allem, was darin ist, zu einem Provisorium.“ So der deutsche Gelehrte Alexander Müller 1836, nachzulesen in „Staatswissenschaftliche Studien für Gesetzgebung und geistige Entwicklung“. Das kann man auch bei Google nachlesen.
Diese weise Mahnung ist leider auch dem Gesetzgeber in der Bundesrepublik Deutschland und nicht selten auch im Freistaat Sachsen weithin aus dem Blick geraten. In den letzten Jahren ist es stattdessen mit atemberaubender Geschwindigkeit Mode geworden, auf die verschiedensten gesellschaftlichen Phänomene oder auch aktuellen Problemlagen mit Gesetzesänderungen zu reagieren, auch und gerade im Strafrecht, die vermeintlich populär sind. Beim näheren Hinschauen nimmt die Popularität nicht selten an Stammtischen ihren Ausgangspunkt und hat dort den breitesten Unterstützerkreis.
In diese Kategorie fällt die jüngste Gesetzgebungsidee, das Fahrverbot gemäß § 44 Strafgesetzbuch als Nebenstrafe und die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB als Maßregel künftig nicht mehr wie bisher strikt systemisch im Strafrecht verankert zu wissen, sondern als erzieherische Zusatzreaktion auf Straftaten anzuwenden, die auf eine zeitliche oder unbefristete Ungeeignetheit für das Führen von Kraftfahrzeugen hindeuten. Nein, Fahrverbot bzw. Führerscheinentzug sollen zu einer allgemeinen Strafe umreformiert werden.
Das Vorhaben ist in Gestalt eines Referentenentwurfes als ein „Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, des Jugendgerichtsgesetzes und der Strafprozessordnung“ in der Welt. Es kommt aus dem Hause des Bundesjustizministers Maas. Das Vorhaben ist nicht allein auf seinem Mist gewachsen. Eine solche Regelung im Strafgesetzbuch zu etablieren wurde erstmals 1999 vom Freistaat Bayern über eine Bundesratsinitiative vorgeschlagen, aber vom Bundesrat abgelehnt. 2008 brachte der Bundesrat auf
eine von Hamburg ausgehende Initiative hin einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag ein. Als sich die laufende Legislaturperiode des Bundestages ihrem Ende näherte, wurden die Beratungen zum Gesetzentwurf nicht zu Ende gebracht und er unterfiel der Diskontinuität. 2013 erfuhr diese Idee eine Renaissance und fand Eingang in den Koalitionsvertrag von Union und SPD mit der Formulierung: „Um eine Alternative zur Freiheitsstrafe und eine Sanktion bei Personen zu haben, für die eine Geldstrafe kein fühlbares Übel darstellt, werden wir das Fahrverbot als ständige Sanktion im Erwachsenen- und Jugendstrafrecht einführen.“
Seitdem ist der Markt der Wünsche und Begehrlichkeiten eröffnet. Zunächst kam der Vorschlag, Ladendieben den Führerschein zu entziehen, da Freiheitsstrafen bei derartigen Delikten oft zu heftig und Geldstrafen aufgrund der Finanzlage nicht zweckmäßig wären. Dann kam die Forderung, vornehmlich aus Polizeikreisen, den Führerscheinentzug bzw. das Fahrverbot gegenüber Schlägern und bei anderen Körperverletzern anzuwenden oder etwa bei Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte, erweitert durch den Vorschlag des DPolG-Vorsitzenden Rainer Wendt, den Führerscheinentzug auch bei Hasskommentaren und Propaganda in sozialen Netzwerken vorzusehen respektive zuzulassen.
Die nächste Kreation beinhaltet, betuchte Steuerhinterzieher ließen sich durch den Entzug der Fahrerlaubnis am ehesten beeindrucken. Zum Ende der ersten Augustwoche dieses Jahres erschienen gleich im Dreiklang die Wortmeldungen der Familienministerin Manuela Schwesig, des Justizministers Heiko Maas und des SPD
Vorsitzenden und Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel, die Verhängung des Fahrverbots und der Führerscheinentzug müssten dringend her, um stärkere Druckmittel gegen Väter zu haben, die ihren Unterhaltspflichten nicht nachkommen. Sigmar Gabriel griff gleich ganz tief in die Kiste der persönlichen Betroffenheit. Er wisse, wovon er rede: „Auch mein Vater hat sich geweigert, meiner Mutter für meine Schwester und für mich Unterhalt zu zahlen. Das war ein ständiger Kampf, der meine Mutter bis an die Grenzen der Kraft gebracht hat.“ Wenn der eingangs zitierte Gelehrte Alexander Müller mitbekäme, was heute in deutschen Politikerköpfen als Motiv für programmierte Systembrüche im Strafrecht herumgeistert, würde er sich im Grabe umdrehen.
Inzwischen stößt die von der Bundesregierung geplante Einführung von Fahrverbot und Fahrerlaubnisentzug als allgemeine Kriminalstrafe in Deutschland auf breiten Widerstand. Die Liste der Gegner reicht von Wirtschaftsverbänden über den ADAC, prominente Rechtswissenschaftler bis zum Deutschen Richterbund und dem Deut
schen Anwaltsverein. Für den Richterbund bedeutet die Umsetzung des Plans nicht mehr und nicht weniger als „die Einführung einer willkürlichen Sanktion ohne inhaltlichen Bezug zur Straftat“.
Der Deutsche Anwaltsverein verweist in seiner vor einigen Tagen verabschiedeten Stellungnahme zum besagten Referentenentwurf aus dem Hause Maas darauf, dass jeglicher empirische Beweis dafür fehle, dass die Verhängung eines Fahrverbots bei Straftaten allgemeiner Kriminalität geeignet wäre, spezial- oder generalpräventiv zu wirken. Die Erweiterung der Anwendungsfälle des Fahrverbots über das Verkehrsstrafrecht hinaus führe zu einem Sonderrecht für Fahrerlaubnisinhaber. Und das stimmt ja auch, denn der Referentenentwurf weist ausdrücklich darauf hin, dass die Kombination von Fahrverbot und Geldstrafe dazu führen könne, von dem Verhängen einer einzig angezeigten Freiheitsstrafe abzusehen. Ebenso soll die Verhängung eines Fahrverbots dazu führen können, eine Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen.
Die Konsequenz im Falle von mehreren Tätern und derselben Tat führt dazu, dass der eine, der keine Fahrerlaubnis besitzt, eine vollstreckbare Freiheitsstrafe, der Nächste, der mit Fahrerlaubnis, eine Bewährungsstrafe nebst Fahrverbot bekommt und dem Dritten, dem man nachsagt, dass er seinen „Lappen“, also den Führerschein, besonders gern hat, der Entzug des Führerscheins auf längere Zeit droht. Was das noch mit dem verfassungsrechtlichen Dringlichkeitsgebot und dem Prinzip der Wahrung des Gleichheitsgebotes, des Gebots der Gleichwertigkeit der Strafe zu tun hat, ist mit Nachdruck zu hinterfragen.
Hinzu kommt auch, dass die Ausweitung des Anwendungsbereiches des Fahrverbots auf allgemeine Straftaten betroffene Fahrerlaubnisinhaber unterschiedlich stark trifft. Wohlhabende Straftäter schrecken Fahrerlaubnisentzug oder Fahrverbot kaum; sie haben Ausweichmöglichkeiten von der Inanspruchnahme eines Fahrers oder von Fahrdiensten bis zum Ausweichen auf das Taxi. Ein Bestrafter, der Berufspendler ist, wäre potenziell um Längen härter bestraft als ein Großstädter, vor dessen Haustür die S-Bahn oder ein sonstiges Verkehrsmittel des Personennahverkehrs hält.
Juristenverbände machen weiter darauf aufmerksam, dass die geplante Erweiterung der Verhängungsmöglichkeiten des Fahrverbots zu erheblichen zusätzlichen Belastungen der Gerichte führen dürfte. Man müsse damit rechnen, so der Anwaltsverein in seiner Stellungnahme, dass in Täterschichten, bei denen die erwähnten Kompensationsmöglichkeiten mit Taxi, Nahverkehr etc. nicht bestehen – etwa bei Berufskraftfahrern, bei Pendlern in Gebieten mit schlechter Infrastruktur, bei Tätern aus dem Bereich der Landbevölkerung –, die Bereitschaft zur Einlegung von Rechtsmitteln schon deshalb steigt, weil man erreichen will, dass das Fahrverbot wegfällt oder zumindest erheblich verkürzt wird.
Hinzu käme – auch darauf weisen die Fachleute und Insider hin –, dass die erweiterte Verhängung des Fahrerlaubnisentzugs oder des Fahrverbots zu einem maßgeblich erhöhten Verwaltungsaufwand führen würde, weil die Sanktion nur dann Sinn macht, wenn man deren Einhaltung mit erforderlicher Dichte kontrollieren kann. Es ist nicht ersichtlich, dass die Polizeibehörden der Länder und des Bundes oder sonstige Verwaltungsbehörden in der derzeitigen allgemeinen Situation zur Verkehrskontrolle im notwendigen Umfang in der Lage wären.
Geradezu absurd ist das Vorhaben nach Bewertung aus vielen Kritikerkreisen, wenn es zur Durchsetzung von Unterhaltszahlungen oder als partielle Alternative zu Haft- und Geldstrafen in diesem Metier dienen soll. Das Problem säumiger Unterhaltszahler sehen wir auch. Ich weiß aber als Familienrechtler andererseits, dass etwa zwei Drittel der Unterhaltsschuldner den Unterhalt nicht entrichten, weil sie kaum widerlegbar darauf verweisen können, dass sie mit ihrem Einkommen unter den Selbstbehaltsgrenzen liegen. Einem zahlungsunfähigen Unterhaltsschuldner dann noch die Fahrerlaubnis wegzunehmen, die er jedenfalls in der Regel braucht, um seinen Beruf auszuüben, ist dann letzten Endes schlicht sinnfrei.
Der Deutsche Richterbund, auf den ich mich abschließend antragsbegründend beziehen will, gibt sich in seiner Stellungnahme launig. In seinem Statement heißt es:
„Es stellt sich die Frage, warum gerade das Fahrverbot als Sanktion gewählt wird und nicht das Fußballspiel am Sonntag oder der Wochenendkinobesuch.“
Der ehemalige Generalbundesanwalt Kai Nehm, heute Präsident des Deutschen Verkehrsrichtertages, kritisiert die in dem Vorhaben liegende Entkopplung der Strafe vom Charakter der Tat mit den Worten, irgendwann seien wir bei Lysistrata, womit er karikierend unter Anspielung auf die antike Komödie anregt, die neue Beliebigkeit der Sanktionen könne auch ebenso gut durch Sexverbot ergänzt werden.
Summa summarum: Für das geplante Gesetzesvorhaben ist der Bund zuständig; das wissen wir. Seine Auswirkungen auf das Rechtssystem wie das praktische Rechtsleben und den Rechtsfrieden treffen aber uns, treffen auch alle Bürgerinnen und Bürger in Sachsen, nicht zuletzt die programmiert mehrbelasteten Gerichte und Verwaltungsbehörden in Sachsen.
Wenn die Politik auf der Bundesebene nicht mehr durchsieht, wenn plakative Schaufensterpolitik zum Antriebsmittel wird, immer öfter und immer heftiger am Strafrecht herumzuwerkeln, dann dürfen die Bundesländer, dürfen die Länderparlamente nicht schweigen. Deshalb streben wir mit unserem Antrag eine entsprechende Aufforderung an die Staatsregierung an, sich in allen rechtlich denkbaren Formen und auf allen Wegen gegenüber dem Bundes
tag und der Bundesregierung sowie dem Bundesrat dafür einzusetzen, dass dieses Gesetzesvorhaben nicht Wirklichkeit wird.
Die geplante Einführung des Fahrverbots als Allzweckstrafe beschädigt unser Rechtssystem. Sie ist unpraktisch, ungerecht und unangemessen. Sie ist unpraktisch, weil sie sich nur schwer kontrollieren lässt, ungerecht, weil diese Strafe manche Verurteilte härter träfe als andere, und sie ist unangemessen, weil dies die innere Verbindung zwischen Tat und Strafe, die bislang beim Fahrverbot und beim Fahrerlaubnisentzug gegen Verkehrssünder bestand, aufgeben würde. Wir bitten deshalb, unserem Antrag zuzustimmen.
Wir hörten gerade Herrn Kollegen Bartl, Fraktion DIE LINKE, und wir werden jetzt gleich Herrn Kollegen Modschiedler für die CDUFraktion hören.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kommen wir jetzt bitte weg vom Sexverbot.
Herr Kollege Bartl, Sie sprachen vorhin vom vorschnellen Eingreifen, von einer Meinungsäußerung. Das sollten wir bei diesem Antrag im Auge behalten; denn DIE LINKE fordert ja, dass wir uns mittels dieses Antrags durch einen gleich hier im Plenarsaal zu fassenden Beschluss dagegen aussprechen – das ist schon klar –, ein Fahrverbot und die Entziehung der Fahrerlaubnis zu einer allgemeinen Kriminalstrafe umzufunktionieren. Das sagt der Beschluss.
In der Begründung weist der Antrag auch darauf hin, das wir als Stätte der politischen Willensbildung über solche rechtsstaatlichen Sanktionssysteme debattieren müssen.
Für eine solche Debatte – dieser Auffassung bin ich nämlich – wäre der Rechtsausschuss der richtige Ort gewesen, wenn man nicht, Herr Bartl, ohne Diskussion eine populistische Aussage platzieren wollte. Ein Schelm, der Böses bei dem denken würde, was wir gehört haben; denn seien wir ehrlich:
Erstens. Wer weiß, was im bundesdeutschen Recht überhaupt wie verankert ist und was in dem Fachausschuss Recht, der hiermit im Bund befasst ist, überhaupt gefordert und diskutiert wird?
Zweitens. Was ist der Unterschied zwischen einem Fahrverbot und einer Fahrerlaubnisentziehung? Und ehrlich: Wird das in diesem Referentenentwurf überhaupt so gefordert?
Drittens. Was sind denn Zusatzreaktionen, allgemeine Kriminalstrafen und Nebenstrafen, wie sie in dem Antrag
und seiner Begründung immer wieder auftauchen? Herr Bartl, Sie wissen das, ich weiß das auch, wir haben Jura studiert. Aber ich wollte nicht, dass alle noch das zweite Staatsexamen nachlegen müssen, damit wir heute die Debatte hier mit einem Beschluss abschließen können.