Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Frau Neuhaus-Wartenberg, Herr Kupfer, Herr Heidan, Frau Klotzbücher, Frau Junge und Herr Wild.
Die Tagesordnung liegt Ihnen vor. Das Präsidium hat für die Tagesordnungspunkte 3 und 6 bis 10 folgende Redezeiten festgelegt: CDU 95 Minuten, DIE LINKE 66 Mi
nuten, SPD 50 Minuten, AfD 45 Minuten, GRÜNE 35 Minuten und Staatsregierung 64 Minuten. Die Redezeiten der Fraktionen und der Staatsregierung können auf die Tagesordnungspunkte je nach Bedarf verteilt werden.
Meine Damen und Herren! Der Tagesordnungspunkt 11, Fragestunde, und auch der Tagesordnungspunkt 12, Kleine Anfragen, sind zu streichen.
Ich sehe keine weiteren Änderungsvorschläge zur oder Widerspruch gegen die Tagesordnung. Die Tagesordnung der 40. Sitzung ist damit bestätigt.
Die Festlegung der Gesamtredezeit der Fraktionen und der Staatsregierung hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU 33 Minuten, DIE LINKE 20 Minuten,
SPD 18 Minuten, AfD 19 Minuten, GRÜNE 10 Minuten, Staatsregierung zwei Mal 10 Minuten, wenn gewünscht.
In der Debatte über dieses Thema unterstützt uns wieder der Gebärdendolmetscher, den ich hiermit herzlich begrüße.
Als Antragstellerinnen haben zunächst die einbringenden Fraktionen CDU und SPD das Wort. Das Wort nimmt jetzt unser Kollege Krasselt.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das ist für mich ein Novum: Im Allgemeinen ist die Behindertenthematik eher am Ende eines Plenartages dran. Dass sie ganz am Anfang steht, als Erste Aktuelle Debatte, ist großartig. Denn ich denke, die Behinderten in unserem Land haben das verdient.
Das Thema lautet: „Behindern verhindern – der Freistaat Sachsen auf dem Weg in die inklusive Gesellschaft“. Ich will sicherheitshalber damit beginnen, das schwierige Wort „Inklusion“ ins Deutsche zu übersetzen; nicht jeder ist im Umgang mit diesem Wort schon so geübt. Inklusion heißt selbstbestimmte Teilhabe – mit dem Schwergewicht auf „selbstbestimmt“. Das mag für alle Nichtbehinderten eine völlige Selbstverständlichkeit sein – für Behinderte ist es das nicht.
„Behindern verhindern“ meint genau das: Hindernisse, und zwar in allen Lebensbereichen, so weit abzubauen, zu eliminieren, wie es irgend geht, damit Behinderte eben nicht behindert sind.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Damit wir wissen, wovon wir reden: 400 000 Menschen in Sachsen haben einen Behinderungsgrad von 50 % und mehr. Wohnten diese zusammen in einer Stadt, hätte diese die Größenordnung von Chemnitz, Zwickau und Bautzen zusammengenommen. Das macht die Dimension deutlich, von der wir reden. Diesen Menschen so weit wie möglich und so lange wie möglich ein selbstbestimmtes Leben zu erlauben – ich denke, darin sind wir uns einig –, das muss unser aller Ziel sein.
Natürlich müssen wir dabei auch das Machbare im Auge behalten. Ich will an dieser Stelle die UN-Behindertenrechtskonvention erwähnen, die im März 2009 für Deutschland verbindlich wurde. Ich denke, sie hat ein festeres und tragfähigeres Fundament für die Behindertenpolitik in ganz Deutschland und in Sachsen ausgebildet, als es vordem der Fall war.
Natürlich werden insbesondere Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, bei der Erarbeitung des Aktionsplans feststellen, dass Sachsen nicht gerade an der Spitze dieser Bewegung stand. Aber nach der Beratung im Rahmen einer interministeriellen Arbeitsgruppe – natürlich unter Hinzuziehung der Behindertenverbände – ist der Aktionsplan sozusagen auf der Zielgeraden. Wir werden ihn am Ende des Jahres 2016 haben. Damit verfügen wir dann über einen Fahrplan zur inklusiven Gesellschaft.
„Behindern verhindern“ bedeutet aber mehr. Es bedeutet gesamtgesellschaftliche Aufmerksamkeit und Akzeptanz. Besonders deutlich ist mir das noch einmal bei der „Parade der Vielfalt“ geworden, die vor Kurzem in Dresden stattfand. Sie findet übrigens seit vielen Jahren hier statt. Es mögen etwa tausend Teilnehmer gewesen sein, Behinderte und Nichtbehinderte, die bewusst den Gang in die Öffentlichkeit gewagt haben und fröhlich und unglaublich diszipliniert durch die Innenstadt von Dresden gezogen sind. Am Ende stand ein gemeinsames Kaffeetrinken.
Für mich war folgende Szene sehr eindrücklich: Am Postplatz ließ man Luftballons in den Himmel steigen. Als der Zug sich wieder in Bewegung setzte, kam eine Straßenbahn. Sofort stoppte der Zug. Die netten beiden Polizisten, die dort standen, sagten: Sie müssen nicht stoppen. Heute haben Sie Vorrang! – Dann sagte der Polizist zu mir: Das wünschte ich mir bei anderen auch, diese Disziplin, dieses Verständnis.
Was ich am Rande auch festgestellt habe, war die Irritation bei vielen Passanten, durchaus verbunden mit einem gewissen Bedauern im Blick dieser Menschen. Deutlich wurde das Nichtwissen um Behinderung. Dieses fehlende Wissen geht oft mit der Frage einher: „Was können die denn alles nicht?“, wie gesagt, durchaus mit einem erheblichen Maß an Mitgefühl und Bedauern verbunden. Allerdings stellt sich kaum jemand Fragen wie: „Was
können die, was ich nicht kann?“ oder: „Was wissen die, was ich nicht weiß?“ Ich denke, die Dachkampagne des SMS setzt genau dort an: Behindern verhindern! Auch daran haben maßgebende Vertreter von Verbänden und Institutionen mitgearbeitet.
Das war Herr Kollege Krasselt. Er sprach für die CDU-Fraktion. Sie ist einbringende Fraktion zusammen mit der SPD-Fraktion. Für diese ergreift jetzt Frau Kollegin Kliese das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Tu deinen Mund auf für die Stummen und die Sache aller, die verlassen sind.“ So steht es im Alten Testament und das ist ein gutes Ansinnen, das bis zum heutigen Tage Gültigkeit besitzt. Doch seit der Überlieferung des Alten Testaments hat sich unsere Sicht auf Menschen mit Behinderung erweitert. Wir sehen sie trotz ihrer Hilfebedarfe nicht als Schwache, sondern wir sehen sie als Menschen, die vieles können, was wir nicht können, die Stärken haben. Denn wir haben erkannt, wir müssen ihnen nicht gnädig oder barmherzig begegnen, Teilhabe ist kein Akt der Gnade, Teilhabe ist ein Menschenrecht.
Es ist an der Zeit, Menschen mit Behinderung mit ihren Stärken zu betrachten, und genau das tut die Kampagne „Behindern verhindern“. Sicherlich haben Sie schon das eine oder andere Plakat im Stadtbild gesehen, zum Beispiel mit dem Maulwurf. Wer blind ist wie ein Maulwurf und trotzdem seinen Weg macht, der ist mitnichten schwach, der ist sehr, sehr stark. Diese Abkehr vom defizitorientierten Betrachten von Menschen mit Behinderung ist ein sehr, sehr wichtiger Aspekt der Kampagne. Ein weiterer Aspekt ist das Betrachten der Wechselwirkung zwischen behindert sein und behindert werden.
Wo werden Menschen behindert im Freistaat Sachsen und auch anderswo? Beispielsweise, wenn jemand, der im Rollstuhl sitzt, in einem Programmkino seiner Wahl einen schönen Film ansehen möchte und dieses Programmkino eben leider nicht barrierefrei ist. Oder wenn jemand gehörlos ist, zu seinem hörenden Kind in die Schule zu einem Elternabend möchte und die Gebärdensprachdolmetscher werden nicht finanziert. Oder wenn jemand, der blind oder sehbehindert ist, den Zug von Chemnitz nach
Leipzig nehmen will, der mit den neuerdings eingesetzten Zügen eine große Hürde für diese Menschen darstellt.
Das sind Beispiele, die zeigen: Neben der Last, die diese Menschen durch ihre Behinderung im täglichen Leben zu tragen haben, werden ihnen zusätzliche Lasten auferlegt, die wir beseitigen können.
Bauliche Barrieren zu beseitigen, Blindenleitsysteme zu installieren, Dolmetscher zu finanzieren – ich denke, das in Zukunft verstärkt zu tun können die meisten von uns sich sehr gut vorstellen.
Doch wie sieht es zum Beispiel damit aus, Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung auf Augenhöhe zu begegnen? Leider werden Menschen mit geistiger Behinderung, zum Beispiel auch Eltern von solchen Kindern, bis heute im öffentlichen Raum diskriminiert, denn Menschen, die anders sind, lauter sind, stören das Bild der nach Optimierung strebenden Gesellschaft. Wir müssen uns selbst fragen: Sind wir denn alle schon bereit, in einem Restaurant unser Abendessen einzunehmen neben einer Gruppe von Schwerstmehrfachbehinderten, die Geräusche machen und die gefüttert werden müssen? Ich glaube, hier haben wir alle noch Spielräume in unserem Denken. Darüber nachzudenken, lieber Kollege Krasselt, ist auch kostenneutral.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Kampagne soll zum Nachdenken anregen: Wo behindern wir? Wo können wir Barrieren abbauen? Doch die Kampagne steht nicht allein, sie ist ein Baustein. Sie ist ein wichtiger Baustein des Aktions- und Maßnahmenplans. Diesen wünschen wir uns mit Verbindlichkeiten und mit konkreten Maßnahmen. Dieser Aktions- und Maßnahmenplan darf kein Strohfeuer sein. Er soll vielmehr eine Etappe markieren auf dem langen Weg des Freistaates Sachsen in eine inklusive Gesellschaft.
Nun tut sich der eine oder andere mit dem Begriff Inklusion vielleicht noch schwer. Auf der einen Seite sorgt er für Begeisterung, für Enthusiasmus, auf der anderen Seite aber auch für Skepsis und Ängste. Das liegt auch daran, dass die Diskussion um den Begriff Inklusion teilweise mit Extrempositionen geführt wurde, wie zum Beispiel die sofortige Abschaffung aller Förderschulen. Das verängstigt natürlich. Insofern wünsche ich mir von der Kampagne, dass sie auch dazu beiträgt, dass wir dem Begriff Inklusion in Sachsen unverkrampft und natürlich begegnen. Jeder und jede von uns im Raum kann auf dem Weg in die inklusive Gesellschaft seinen/ihren Beitrag leisten, ganz unabhängig davon, ob ich mich dabei auf die UN-Behindertenrechtskonvention oder das Alte Testament berufe.