Hanka Kliese

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es folgen drei Zitate: „Randständige Minderheitenprojekte“, „Entstellte Kunst“,
„Linksliberale Vielfalt-Ideologie“ – das sind Begriffe, mit denen die AfD unsere derzeitige Kulturlandschaft beschreibt. Auffällig dabei ist, dass Sie Ihren Kulturbegriff ausschließlich ex negativo definieren können. Eine positive Deutung Ihres Kulturbegriffes konnte ich in keiner Ihrer Verlautbarungen finden.
Ihre Programme sind schmal und eindimensional, Kulturpolitik bezieht sich bei Ihnen auf Denkmalschutz oder – man könnte es trivial zusammenfassen – irgendwas mit Heimat. Oder wie es Ihr eigener Referent Herr Hartung einmal zusammenfasste: Kulturpolitik wird in der AfD sekundär behandelt.
Fraglich ist, woher Sie Ihren Wissensbezug über unsere derzeitige Kulturlandschaft überhaupt haben, was Ihre Datenbasis ist. Wie wir im vorherigen Beitrag von Frau Wilke schon gehört haben, ist das ja doch sehr schmal. In Festivals, im Schauspiel, in der Oper, bei Vernissagen und beim Ballett – von Annaberg bis Zittau –, ich sehe Sie dort nie.
Frau Wilke sagte unlängst in einem Interview beim Deutschlandfunk, das sächsische Theater sei links. Frage Nummer eins: Woher wissen Sie das, wenn Sie nicht hingehen oder selten da sind – vor allem nicht bei den Stücken, die Ihnen eventuell nicht gefallen könnten?
Zweitens. Was ist für Sie überhaupt links? Was ist links für eine Partei, für die doch jedes Eintreten für Menschenrechte bereits unter Ideologieverdacht gerät.
Sie verkennen dabei vollkommen, eine Neutralitätspflicht in Fragen des Humanismus gibt es nicht.
Wir verabschieden heute zwei wunderbare Frauen, die für einen humanistischen, weltoffenen Ansatz auf völlig unterschiedliche Weise stehen, Eva-Maria Stange und Aline Fiedler. Sie stehen beide für einen positiven Ansatz, Kunst zu fördern, ohne an sie einen inhaltlichideologischen Anspruch zu stellen und, auch wenn einem nicht immer alles persönlich gefällt und es nicht alles den eigenen Präferenzen entspricht, neugierig zu bleiben, sich alles anzusehen, von Wagners Ring bis zu den Stücken auf der Bürgerbühne, die von den Flüchtlingen gestaltet werden. Wir haben alles davon gesehen, vieles davon gemeinsam, das Stück über die syrischen Flüchtlinge und die Walküre von Wagner in Chemnitz. Es waren wunderbare Erlebnisse. Genau das macht Kulturpolitik aus, dass man sich öffnet, neugierig bleibt, keine Scheuklappen und Vorurteile hat und sich inspirieren und provozieren lässt.
Der Freistaat hat in seiner Kulturlandschaft von zwei enorm starken Frauen profitiert. Besonders hervorheben möchte ich den letzten Haushaltsplan, den sie gemeinsam gestaltet haben; denn sie haben nicht den Ansatz gehabt, nach mir die Sintflut, sondern nach mir die Sicherheit – nach mir die Sicherheit für die vielen tollen Akteure, die in unserem Freistaat Arbeit für die Kultur leisten, und das nicht um ihrer selbst willen, sondern für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Mit Aline Fiedler verlässt eine Kulturpolitikerin unseren Landtag, die ein unglaubliches Arbeitsethos und eine wahnsinnig hohe Fachkompetenz mitgebracht hat. Dass solche Leute den politischen Betrieb verlassen, gibt uns
auch zu denken über den Betrieb; denn sie legt damit auch Schieflagen im Politikgeschäft ziemlich deutlich offen.
Mit Eva-Maria geht eine Frau, die, bevor sie bei der GEW war – auch das wurde schon erzählt –, Mathematiklehrerin war. Wenn wir uns als Mathematiklehrerin und Schülerin kennen gelernt hätten, dann hätten wir wahrscheinlich nicht so viel Freude aneinander gehabt
und uns eher ab und zu zur Verzweiflung gebracht. Nun war Eva-Maria Stange meine Lehrerin in kulturpolitischen Fragen. Dabei waren die Erfolgsaussichten ein bisschen höher. Ich möchte ihr einfach unheimlich dafür danken, für all das, was ich bei ihr lernen konnte, in Sachen Durchsetzungsfähigkeit. Ihr unermüdlicher
Wunsch, die Sachen wirklich inhaltlich zu durchdringen – darin wird sie mir immer Vorbild bleiben. Ich hoffe, dass ich viel von dem Gelernten noch werde anwenden können.
Vielen Dank.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere Gebärdensprachdolmetscherinnen haben den ganzen Nachmittag heute hier ausgeharrt. Dafür sage ich vielen Dank. Auch das ist meines Erachtens schon einmal ein Grund, sich hier zu dem Thema auch noch inhaltlich zu äußern.
Die Utopie des Internets war immer der freie Zugang zu Wissen, Wissen für alle, eine Revolution der Kommunikation. Es war und ist auch noch ein Versprechen, nämlich ein Versprechen der Teilhabe für alle. Wir wollen heute nicht – wie in den letzten Wochen sehr häufig – darüber reden, dass diese große Idee des Internets irgendwo zerstört werden könnte, sondern darüber, dass Teilhabe für einige Menschen einfach mehr Unterstützung braucht, dass Internetseiten eben nicht von allen gesehen, dass Inhalte nicht von allen einfach so verstanden werden, dass es dort bei dem, was vielen normal erscheint und was wir täglich nutzen können, für andere Barrieren gibt. Diese Barrieren sollen fallen, um so möglichst allen Menschen einen freien Zugang zu Wissen und Informationen zu
geben, zumindest auf den Internetseiten, die wir als Staat, als Städte und Gemeinden zu verantworten haben. Darum geht es hier.
Die EU hat dazu eine Richtlinie erlassen, wie die Internetseiten gestaltet werden müssen. Das ist schon einige Zeit her. Wir sind ziemlich spät dran, dieses wichtige Vorhaben jetzt in Sachsen auch umzusetzen. Das Folgende muss ich sagen und kann es uns leider nicht ersparen: Die Zeitnot, die wir jetzt haben und die auch für einige Verwirrungen im Prozess gesorgt hat, wäre in meinen Augen nicht unbedingt nötig gewesen. Wir mussten und müssen im Landtag nun in einem, gelinde gesagt, hektischen Verfahren das Gesetz auf den Weg bringen. Dieser Zeitdruck hat dazu geführt, dass es Missverständnisse gab. Auch wenn das nicht von uns direkt verursacht wurde, möchte ich mich dafür entschuldigen. Man kann sich ja auch mal für etwas entschuldigen, woran man nicht direkt schuld ist, wenn es einem im Prozess einfach leid tut.
Wir haben noch eine Stellungnahme bekommen, die auf viele vermeintliche Fehler des Gesetzes hinwies. Deswegen haben wir uns mit den kommunalen Spitzenverbänden zusammengesetzt, um die Probleme zu klären; Herr Krasselt hat das schon angedeutet. Das haben wir auch geschafft, sodass die Kritik nicht mehr aufrechterhalten werden musste. Es ist natürlich auch eine Möglichkeit, die die Opposition immer hat, unabhängig von dem, was die Regierungsfraktionen tun, sich mit den Verbänden zu treffen und die Kritikpunkte auch aufzunehmen.
Das Gesetz setzt die EU-Richtlinie möglichst nah um. Es hält sich an die vorgegebenen Übergangsfristen, und den Kommunen entstehen auch keine zusätzlichen Kosten, für die wir aufkommen müssten.
Dass das Gesetz so spät kommt, ist tatsächlich ein Problem; das habe ich schon gesagt. Aber im gleichen Maße, wie es schade ist, dass es so spät kommt, ist es in einem größeren Maße wichtig, dass es kommt; denn es macht einen Teil der Utopie des Internets, nämlich die Zugänglichkeit von Wissen, von Informationen, die Teilhabe für alle – zumindest in diesem Bereich – zu einem Stückchen Realität. Teilhabe ist ein Menschenrecht in der realen und in der digitalen Welt.
Vielen Dank.
Frau Präsidentin, ich möchte nur ganz kurz im Namen der Koalitionsfraktionen zu dem Änderungsantrag Stellung nehmen, damit unser Abstimmungsverhalten auch klar ist.
Wie es sich uns darstellt, ist es bei EU-Richtlinien grundsätzlich der Fall, dass dann, wenn die Umsetzung – wir haben ja von Spielräumen gesprochen – mit Spielräumen stattfindet, wo man sozusagen über das, was die EURichtlinie fordert, hinausgeht, der Mehrbelastungsausgleich entsprechend zieht. Das findet aber hier nicht statt. Wir haben es hier aus verschiedenen Gründen – das kann man sogar bedauern – mit einer Eins-zu-eins-Umsetzung zu tun. An dieser Stelle zieht der Mehrbelastungsausgleich eben nicht. Es gab auch von anderen Seiten, also auch von Ihrer Seite, keinen Antrag, der irgendwie deutlich gemacht hätte, wie man die Spielräume noch mehr nutzen könnte. Das wäre ein Beispiel gewesen, mit dem man hätte untermalen können, dass hier tatsächlich der Freistaat hätte einspringen müssen. Aber da wir uns wirklich nur eins zu eins an die Richtlinie gehalten haben, wird das an dieser Stelle hinfällig sein. – Dies zur Erklärung des Abstimmungsverhaltens unserer Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Es fällt mir gar nicht so leicht, jetzt zu sprechen, weil ich die Worte von Herrn Richter sehr eindringlich und sehr bewegend fand. Deswegen auch vielen Dank für diesen Beitrag.
Viele Abgeordnete haben es schon erlebt: Anschläge auf Büros, Hassmails, Farbbeutel und sonstige Attacken. In wenigen, besonders schlimmen Fällen wird dann sogar körperliche Gewalt ausgeübt. Die Verrohung des politischen Diskurses trifft viele Parteien. In Berlin sind, statistisch gesehen, besonders die SPD und DIE LINKE
betroffen, in Chemnitz DIE LINKE, auch die AfD. Doch woher kommt diese schon so oft besprochene Verrohung?
Hier sind Politikerinnen und Politiker in der Pflicht, den Diskurs zu führen. Beim Diskurs kann man schon mit dem gesprochenen Wort abgleiten, Gewalt verharmlosen oder gar dazu aufrufen. Dazu möchte ich Ihnen einige Beispiele aufzählen, die Gewaltverharmlosung oder Gewaltverherrlichung durch Politiker abbilden.
Das eine Zitat ist heute schon zweimal angedeutet worden. Sie erinnern sich sicherlich an AfD-Chef Gauland. Er wollte Merkel jagen. Ich habe danach häufiger gehört, dass das ja metaphorisch gemeint gewesen sein soll oder eben ein ganz übliches sprachliches Bild sei. Da möchte ich Sie mal fragen: Was ist denn das für ein sprachliches Bild? Wofür steht denn diese Metapher?
Für einen inhaltlichen Diskurs steht diese Metapher ganz bestimmt nicht. Präzisiert hat dieses Zitat – –
Herr Hütter, Sie können eine Zwischenfrage stellen, aber Sie können nicht so laut hineinrufen, dass ich nicht mehr weiterreden kann.
Nein, das mache ich bei Ihnen überhaupt nicht. Ich kann gar nicht so laut rufen.
Außerdem interessiert mich das gar nicht besonders.
Das ist meine Redezeit und ich würde sie gern weiter für mich nutzen.
Präzisiert hat dieses Zitat – da ist man zunächst nicht zurückgerudert – Herr Fest von der AfD. Er verkündete schließlich für alle, die die Intention dahinter noch nicht verstanden haben, er wolle Frau Merkel nicht jagen, sondern er wolle sie erlegen. Vielleicht ist der Begriff „erlegen“ jetzt auch wieder total freundlich gemeint gewesen, aber im Duden steht dazu „ein Tier töten oder durch einen Schuss niederstrecken“.
AfD-Chef Gauland wollte derweil Aydan Özoğuz, die übrigens aus Hamburg kommt, in Anatolien entsorgen.
„Entsorgen“ ist ein Verb, das wir ausschließlich im Zusammenhang mit Müll und dessen Beseitigung kennen.
Einen ganz offenen Umgang mit Gewalt pflegt indessen Beatrix von Storch. Für den von ihr geäußerten Wunsch, Flüchtlinge, auch Kinder, sollten an der Grenze erschossen werden, kam sie ganz ohne sprachliche Bilder aus.
Neben diesen Einlassungen aus der ersten Reihe lehnt sich auch die Mitarbeiterinnen- und Mitarbeiterfraktion der AfD weit aus dem Fenster. Beliebte Chats aus BadenWürttemberg offenbaren Folgendes: „Ich wünsche mir so sehr einen Bürgerkrieg und Millionen Tote. Frauen, Kinder – mir egal. Hauptsache, es geht los. Es wäre so schön.“
Ebenfalls in Baden-Württemberg äußerte der Mitarbeiter Torben Schwarz
zum Mord des chilenischen Diktators Pinochet an Kommunisten, die aus seinem Helikopter geworfen wurden: „So muss das.“
Von Gewalt betroffen sind viele Parteien, aber eine derartige Anhäufung von Gewalt verherrlichenden und Gewalt verharmlosenden Reden gibt es eben nur bei Ihnen. So etwas gibt es nur in der AfD.
Genau deshalb ist die AfD kein Opfer, sondern Teil dessen, was es salonfähig macht, in diesem Land politische Gegner gewaltsam zu bekämpfen. Wenn Sie jetzt ein Problem damit haben, dann muss ich Sie fragen: Warum muss man denn von Jagen und von Erlegen sprechen? Warum macht man denn das? Es ist nicht derjenige, der das thematisiert, ein Hetzer, sondern die Hetze geht doch von Ihren Worten aus.
Es gibt ein Plakat, das den Autovermieter Sixt plagiieren soll. Darauf ist das Konterfei von Angela Merkel zu sehen. Angela Merkel hat darauf ein blau geschlagenes Auge und der Spruch dazu lautet „Kein Bock auf Bahnhof“. Sixt prüft derzeit dagegen rechtliche Schritte. Gepostet hatte dieses Plakat der AfD-Abgeordnete Magnitz.
Ich werde hier keinen Spott und keine Häme über seine Kantholzfantasien ausschütten. Der Mann ist gezielt verletzt worden und das ist schlimm. Schlimm ist aber auch, was Sie daraus gemacht haben, meine Damen und Herren von der AfD. Es zeigt eben, dass es Ihnen nicht um den Gesundheitszustand dieses Abgeordneten ging, sondern um den größtmöglichen Skandal, der sich daraus konstruieren ließ. Noch bevor Sicherheit über Fakten besteht, werden Falschmeldungen wie Lauffeuer verbreitet und in den Köpfen verängstigter Menschen fest verankert. Einholen lässt sich so etwas durch die Wahrheit nur noch schwer, und genau das wollen Sie.
Von der AfD nicht erwähnt wurde, dass Magnitz couragierte Hilfe vor Ort erhielt, nämlich von einem DeutschLibanesen. Dieser Handwerker war für ihn da, als er seinen Schrei hörte, und half ihm. Ein Dankeschön gab es nicht, stattdessen völlig verquere Darstellungen.
Dabei feiert doch gerade die AfD so gern Helden des Alltags, etwa, wenn sie sich Ausländern entgegenstellen, die unsere deutschen Frauen belästigen. Aber das sollte wohl ein Privileg des deutschen Mannes bleiben, wenn es nach Ihnen ginge.
Die AfD versucht sich in einer Erkenntnisdebatte von eigenen Gewalt verherrlichenden und Gewalt verharmlosenden Äußerungen reinzuwaschen, doch sie ist und bleibt nicht glaubwürdig. Ihre Ablehnung von Gewalt kann ich Ihnen nicht glauben.
Dazu noch ein letzter Beleg, diesmal vom AfD-MdL Sandro Hersel: „Brennende Flüchtlingsheime sind kein Akt der Aggression, sondern ein Akt der Verzweiflung gegen Beschlüsse von oben.“ Dieser Freifahrtschein zur Tötung von Asylbewerbern stammt von der AfD. Was sagen Sie dazu? Sehen Sie das auch so? Dann ist Ihre Ablehnung von Gewalt nichts wert.
Widersprechen Sie dem doch heute in diesem Hause und sagen Sie hier einmal, dass Gewalt gegen Flüchtlinge für Sie genauso abzulehnen ist wie Gewalt gegenüber Ihren Abgeordnetenkollegen! Darauf bin ich gespannt.
Distanzieren Sie sich von diesem Zitat! Sie sind herzlich dazu eingeladen. Ich habe das schon einmal gemacht, danach kam nichts mehr.
Ja.
Haben Sie nicht gehört, was ich Ihnen gerade vorgelesen habe?
Frau Wilke – –
Frau Wilke, ich meine, dass ich verstanden habe, Sie wüssten nicht, wie ich darauf käme.
Ich kann Ihnen jetzt nicht die Rückfrage stellen, ob Sie mir vorhin zugehört haben. Aber ich kann das Zitat noch einmal wiederholen. Ein Mann aus der AfD, ein Abgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern, sagte: „Brennende Flüchtlingsheime sind kein Akt der Aggression, sondern ein Akt der Verzweiflung gegen Beschlüsse von oben.“ Brennende Flüchtlingsheime sind Gewalt gegen Flüchtlinge!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gewalttätige Angriffe auf Politikerinnen und Politiker sind in jedem Fall zutiefst schockierend. Sehr bewegt hat mich persönlich – vielleicht hat jeder von Ihnen solch einen Fall, der ihn besonders berührt hat – im Jahr 2003 der Mord an der schwedischen Ministerin Anna Lindh. Anna Lindh war eine ganz tolle Ministerin, und sie hat es nicht so sehr gemocht, mit Leibwächtern unterwegs zu sein. Sie ist ohne Leibwächter einkaufen gegangen und in einem Kaufhaus niedergestochen worden.
Auch unsere Minister und in Ernstfällen auch Abgeordnete sind zum Teil auf Personenschutz angewiesen.
Die Arbeit der Personenschützer ist sehr wichtig, aber ich wünschte mir oft, wir bräuchten sie gar nicht erst. Gewaltsame Übergriffe sind immer nur die Spitze des Eisbergs. Davor stehen Verleumdungen, Hetze und brachiale Rhetorik.
Die AfD ist nicht die Kraft, die das beenden will – sie ist ein treibender Keil in dieser negativen Entwicklung. Politische Gewalt verhindert man nicht durch Anträge, politische Gewalt verhindert man durch Verständigung und Solidarität. Genau dafür stehen Sie nicht.
Vielen Dank. Ich möchte gerne antworten. Zum einen nehme ich Ihr Bekenntnis gegen Gewalt gegenüber Flüchtlingsheimen zur Kenntnis. Ich muss Ihnen aber auch sagen, dass all das, was Sie mit Ihren Fake News, die Sie verbreiten – – Sie verbreiten zum Beispiel auch Nachrichten, in denen Sie Menschen zur Last legen, die Flüchtlinge sind, dass sie Frauen angegriffen haben, obwohl das noch gar nicht polizeilich belegt ist. Sie sind also mehrfach daran beteiligt gewesen, Fake News gegen Flüchtlinge zu verbreiten. Das alles schürt Aggression. Das alles schürt Zorn und führt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Da müssen Sie also bitte auch den Schritt davor unterlassen.
Der zweite Punkt ist Ralf Stegner. Ich wurde vorhin – darauf reagiere ich auch gern noch – auf Andrea Nahles angesprochen; darauf möchte ich zuerst eingehen, weil ich das Zitat kenne. Andrea Nahles hat in einer politischen Auseinandersetzung gesagt: Ab Morgen gibt es auf die Fresse. Ich habe am selben Tag bei Facebook einen Post gemacht, dass ich das für keinen guten Stil halte und dass mir diese Art und Weise, miteinander zu sprechen, nicht gefällt.
Ich glaube trotzdem, dass „auf die Fresse“ eine andere Qualität ist als der Begriff „entsorgen“. Ich glaube, dass es da deutliche Qualitätsunterschiede gibt.
Dazu möchte ich noch einmal sagen: Komischerweise habe ich es von Ihnen noch nie erlebt, dass sich mal jemand gegenüber irgendeiner Äußerung oder irgendeinem Post distanziert hätte.
Wir haben Sie mehrfach in diesem Hause angesprochen zum Beispiel zum „Fliegenschiss“, zum „Mahnmal der Schande“ – da kamen immer nur billige Ausreden.
Soll ich jetzt in Sachsen bleiben oder zu Ralf Stegner antworten?
Ich kann jetzt entweder in Sachsen bleiben oder zu Ralf Stegner antworten, da müssen Sie sich jetzt einig werden.
Okay, ich bleibe in Sachsen und setze mich hin.
Vielen Dank, Herr Präsident! Frau Dr. Petry hat in ihrer Rede etwas sehr Interessantes gesagt, und zwar einen Satz, den ich für unsere Demokratie tatsächlich als sehr wichtig erachte. Sie hat gesagt, dass die Verächtlichmachung des politischen Gegners schädlich für unsere Demokratie sei. Ich bin seit fast zehn Jahren in diesem Landtag, und ich habe in diesem Hause noch nie einen Menschen erlebt, der mehr mit den Mitteln der Verächtlichmachung gearbeitet hat als Sie, Frau Dr. Petry. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der so verachtend und arrogant mit politisch Andersdenkenden umgegangen ist. Ich wünsche mir sehr, dass Sie Ihre Worte für unsere Zusammenarbeit einmal verinnerlichen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin seit vielen Jahren Mitglied im Club Heinrich. Der Club Heinrich ist ein Freizeitclub für Menschen mit Handicap in Chemnitz. In diesem Freizeitclub können die Menschen mit Handicap das machen, was Menschen ohne Handicap auch gern in ihrer Freizeit tun. Sie können kochen, sie können Englisch lernen, sie können Zumba tanzen oder Filme anschauen. All das wird ihnen in diesem Club von der Stadtmission ermöglicht.
Ich selbst gehe hin und wieder dahin, um mit den Menschen zu kochen oder zu diskutieren. Manchmal schauen wir auch gemeinsam einen Film. Wenn ich mich dann mit den Leuten, die im Club Heinrich die Gäste sind und von
denen einige tatsächlich einen Betreuer haben, über Politik unterhalte, weil sie viele Fragen haben und neugierig sind, was ich so mache, dann merke ich an den Fragen immer wieder, dass ihr politisches Interesse enorm ist und dass sie durchaus in der Lage sind, politische Geschehnisse gut zu beurteilen.
Neulich fragte mich zum Beispiel jemand: „Warum bekommen wir in unserer Werkstatt eigentlich keinen Mindestlohn?“ Ich halte das für eine gute Frage. Es war gar nicht so einfach zu erklären, warum das so ist. Die Frage allein zeigt, dass der Diskurs sehr wichtig und in diesem Zusammenhang durchaus machbar ist.
Das ist die eine Ebene, weshalb Wahlrechtsausschlüsse für Menschen mit Betreuern abgeschafft werden sollten. Die andere ist natürlich die rein menschenrechtliche. Das Recht zu wählen ist ein Menschenrecht. Ich sehe keinen Grund, diesen Menschen dieses Recht zu verwehren.
Bereits im Koalitionsvertrag auf Bundesebene haben sich CDU und SPD darauf geeinigt, die Wahlrechtsausschlüsse abzuschaffen. Es steht so im Vertrag. Momentan liegt allerdings auf Bundesebene trotz diverser Absichtsbekundungen noch kein konkreter Gesetzentwurf vor.
Die Bundesländer, die das bereits geschafft haben, sind Brandenburg, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Sie sind diesen Schritt bereits gegangen.
Warum ist Sachsen hier nicht ein bisschen progressiver und macht das auch? Warum erscheint Sachsen im Zusammenhang mit Inklusion immer ein bisschen zögerlich? In diesem Fall ist es so, dass wir mit dem Inklusionsgesetz, in dem – wie es schon erwähnt wurde – die Wahlrechtsausschlüsse geregelt sein sollen, so lange gewartet haben, bis das Bundesteilhabegesetz fertig war. Das heißt, wir waren darauf angewiesen, dass der Bund das Teilhabegesetz, das ein sehr großes Gesetz mit vielen positiven Veränderungen ist, beschließt. Danach sollte das Inklusionsgesetz folgen. Das ist der einzige Grund, weshalb es ein bisschen länger gedauert hat. Allerdings – das muss man so sagen – ist damit jetzt die Chance vertan, dass wir die Änderung der Wahlrechtsausschlüsse über das Inklusionsgesetz, das jetzt kommen soll, zur Kommunalwahl bewirken können. Das bedaure ich sehr und finde es unnötig. Es hätte meines Erachtens eine Möglichkeit gegeben, hier schneller voranzukommen.
Ich gehe davon aus, dass wir es noch schaffen werden, dass die Regelung der Wahlrechtsausschlüsse mit der Landtagswahl wirksam wird. Es ist schade, dass heute niemand vom Ministerium da ist, um diese Botschaft noch einmal eindringlich zu versenden. Hier geht es um ungefähr 6 000 Menschen, für die ich mir sehr wünschen würde, dass sie die Möglichkeit zu wählen bekommen.
Ich habe von Ministerpräsident Kretschmer ein sehr schönes Zitat auf einem Sharepic letzte Woche gelesen, das mir sehr gefallen hat. Herr Kretschmer hat gesagt: „Wenn Gesetze und Grenzwerte von der Bevölkerung nicht als Schutz, sondern als Bevormundung verstanden
werden, wird es gefährlich.“ Das finde ich sehr gut, und es stimmt. Ich möchte hinzufügen: Wenn Menschenrechte als nachrangig oder aufschiebbar gelten, dann leider auch.
Amt. Präsident Thomas Colditz: Vielen Dank, Frau Kliese. Es folgt die AfD-Fraktion mit Herrn Wendt.
Vielen Dank, Herr Präsident. Auch ich möchte mein Abstimmungsverhalten erklären, möglicherweise auch für Teile meiner Fraktion. So ganz genau kann ich das nicht sagen. Wie Sie vielleicht hier im Hause wissen, ist das Thema Hartz IV eines, das die Sozialdemokratie zutiefst gespalten hat und bis heute spaltet. Aber woran sich die wenigsten erinnern, ist: Als Hartz IV damals gemeinsam mit den GRÜNEN eingeführt wurde, war schon allein die Aussicht darauf ein Grund, weshalb Gerhard Schröder zum zweiten Mal Kanzler werden konnte, weil es damals als ein ganz großer Wurf galt. Heute ist es vielmehr ein Grund, weshalb ein Sozialdemokrat kein Kanzler mehr werden kann.
Es ist meiner Ansicht nach so, dass es ein guter Prozess ist, dass die Sozialdemokratie jetzt über Versäumnisse diskutiert, auch über das Thema Sanktionen. Ich stimme Henning Homann mit seinem Wortbeitrag sehr zu. Was mir allerdings gefehlt hat – –
Könnte ich bitte – – Herr Stange, ich würde mich gern erklären. Ich glaube, es wäre fair, wenn Sie jetzt zuhören.
Es ist einfach wahnsinnig schwer, sich dabei zu konzentrieren. – Was ich sagen wollte: Der ganze Prozess der Diskussion ist in der SPD jetzt erst in Gang gekommen. Deshalb ist es nicht möglich, dass hier ein Redner für die SPD eine einheitliche Meinung für alle abgibt.
Aber was Henning Homann getan hat, war: Er hat als einziger Redner tatsächlich das Thema Sanktionen aufgenommen, was das Thema Ihrer Debatte war. Das fand ich genau richtig. Das ist auch das, worüber wir meines Erachtens diskutieren müssen, welche Sanktionen sinnvoll sind und welche abgeschafft werden müssen. Das wäre mein Wunsch.
Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich am heutigen Tage hier über Sanktionen abstimmen darf, sondern darüber, ob ich ein guter oder ein schlechter Mensch bin, und darüber, ob ich einem Hartz-IV-Kind ein gutes oder ein schlechtes Weihnachtsfest wünsche, oder ob ich ein guter oder ein schlechter Christ bin. Diese Art der Debattenführung finde ich ziemlich daneben. Es gefällt mir nicht, dass wir in diesem Hause so miteinander umgehen.
Was mir auch nicht gefällt, ist, dass wir alle, die jetzt dagegengestimmt haben, so dargestellt werden, als hätten wir kein Herz, als würden wir keine Menschen kennen, die von Hartz IV betroffen sind. Wir sind alle nicht als Abgeordnete auf die Welt gekommen. Wir haben alle einen Lebensgang hinter uns. Wir kennen Menschen in unserer Verwandtschaft, in unserem Freundeskreis, die auf Hartz IV angewiesen sind. Das hat uns alle zu einem unterschiedlichen Schluss geführt.
Ich bitte darum: In einer Debatte in der heutigen Zeit, in der es ständig um das schlechte Ansehen von Politik und Politikern geht – das betrifft uns alle hier im Raum – sollten wir aufhören, uns ständig gegenseitig Weltfremdheit vorzuwerfen; denn das beschädigt uns alle.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin eine Quotenfrau. Warum ist das so? Ich möchte Ihnen das gern unter Zuhilfenahme der Persönlichkeit Wolfgang Kubicki erklären. Wolfgang Kubicki wurde vor wenigen Tagen in einer Talkshow gefragt: Trauen Sie sich Kanzler zu? Er antwortete wie aus der Pistole geschossen: Ich traue mir alles zu.
Genau das ist der springende Punkt. Es gibt Menschen, die wie Herr Kubicki mit einer sonnigen Selbstwahrnehmung gesegnet sind, und es gibt andere Menschen, die manchmal an sich zweifeln. Sie sind sich nicht ganz sicher, ob sie das wirklich können. Solche Menschen sind oft Frauen.
Ich war auch so, als ich zum ersten Mal in den Landtag gewählt wurde. Obwohl ich schon zehn Jahre ehrenamtlich Politik gemacht und einiges geleistet habe, hätte ich nie für mich in Anspruch genommen, einen der ersten Listenplätze belegen zu dürfen.
Die Quote hat mir die Möglichkeit dazu gegeben. Die Quote hat mir die Möglichkeit gegeben hier zu zeigen, was ich kann, und Selbstbewusstsein zu entwickeln. Darüber bin ich sehr froh.
Viele finden die Quote unsexy, unnötig, langweilig, empfinden sie als Zwang. Deswegen sollten wir auch über Alternativen nachdenken. Einen sehr schönen Vorschlag hat Rita Süssmuth gemacht. Rita Süssmuth sagte: Wer die Quote nicht will, der muss die Frauen wollen. Wenn das von den Fraktionen, die ein Problem mit der Quote haben, konsequent zu Ende gedacht und verinnerlicht würde, könnten wir uns vor Frauen gar nicht retten.
Leider ist das aber nicht der Fall. Diejenigen, die das größte Problem mit der Quote haben, haben auch die wenigsten Frauen in ihren Fraktionen. Genau da liegt das Problem. Genau deshalb werden wir auf die Quote in absehbarer Zeit nicht verzichten können.
Hundert Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts gibt es zwar eine gewisse Gleichheit; in der Politik werden Frauen und Männer aber dennoch oftmals ungleich behandelt. Frauen und Männer werden oftmals mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen. Frauen müssen sich andere Fragen gefallen lassen, etwa zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Jede Frau in diesem Parlament, die schon einmal schwanger war, weiß, wie es sich anfühlt, wenn man überall gefragt wird, wie man das alles denn überhaupt schaffen wolle. Währenddessen bekommen Männer reihenweise Kinder, ohne dass ihnen diese Frage jemals gestellt wird. Diese Ungerechtigkeit ist ein Beispiel, an dem wir sehen, Kollege Modschiedler, dass es mit der Gleichheit noch nicht so ganz hinhaut.
Ein sehr schönes Lehrstück für diese Ungleichbehandlung: Am Wochenende wurde auf dem CDU-Parteitag bei
der Wahl von Annegret Kramp-Karrenbauer häufiger moniert, dass „schon wieder“ eine Frau gewählt worden sei. Wahnsinn! Die letzten Jahrzehnte habe ich nie gehört, dass irgendjemand beklagt hätte, dass schon wieder ein Mann gewählt worden sei.
Einige hatten etwas Verdruss – Herr Patt, jetzt rede ich –,
weil tatsächlich nicht etwa Friedrich Merz gewählt worden ist, sondern eben eine Frau. Denn von Friedrich Merz versprach man sich, so war überall zu lesen, „endlich einen Macher“. Da frage ich mich doch: Wie kann es sein, dass man angeführt wird von einer Frau, die sich zu Recht „Leader of the free World“ nennen darf, und sich dann nach einem „Macher“ sehnt? Was ist ein „Macher“? Suchen Sie vielleicht einen Macker? Ich habe es nicht verstanden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bestimmt kennen Sie Franz Josef Wagner. Er ist Kolumnist für die „Bild“Zeitung. „Post von Wagner“, hat das schon einmal jemand gehört? Das ist eine Art Selbsthilfegruppe für gesellschaftspolitisch Zurückgebliebene.
Wagner schreibt entsprechende Briefe. Der letzte Brief, den er verfasst hat und den ich sehr beeindruckend fand, war an Angela Merkel gerichtet. Darin hat er ihr erst einmal ganz generös bescheinigt, dass sie in ihrer Amtszeit nicht alles falsch gemacht habe, aber eben doch sehr viel, zum Beispiel dass unter ihrer Ägide der Rechtspopulismus Einzug gehalten habe – ein Phänomen, das, wie wir wissen, ja ausschließlich in Ländern vorkommt, die von Frauen regiert werden.
Am Ende schrieb er, er wolle ihr aber trotzdem einen Blumenstrauß schenken – nein, sogar viel mehr: einen ganzen Blumenladen. Das hat mich sehr beeindruckt. Was Franz Josef Wagner wahrscheinlich nicht weiß: Die Suffragetten haben bereits im Jahr 1913 Gewächshäuser angegriffen und zerstört. Ich persönlich lehne jede Form von Gewalt ab, auch gegenüber Blumen.
Das hatte unter anderem den Hintergrund, dass sie dem gängigen Frauenbild widersprechen wollten, wonach eine Frau zu sein habe wie eine Blume: zart, verletzlich und dekorativ. An dieser Stelle möchte ich sagen: Liebe Männer, wir möchten eure Blumen nicht, solange sie von dem Hauch von etwas Gönnerhaftem umweht sind. Wir
wollen in diesem Hause nicht mehr und nicht weniger als euren Respekt.
Abschließend möchte ich mich an dieser Stelle bei allen Männern bedanken, die uns bereits mit diesem Respekt begegnen. Sie finden sich in den verschiedensten Fraktionen. Ich hoffe, dass es immer mehr werden.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Jeder Angriff gegen jüdisches Leben ist ein Angriff auf uns alle.“ Das sagte Außenminister Heiko Maas im April 2018 anlässlich verschiedener antisemitischer Ausfälle in Berlin. Aber ist das wirklich so? Wer empfindet das denn tatsächlich von uns allen als einen Angriff auf sich selbst? Wer von uns hat die antisemitischen Straftaten, deren Zahl in den letzten Monaten angestiegen ist, so verinnerlicht, dass er deswegen selbst Probleme hatte, vielleicht schlechter geschlafen hat oder sich Sorgen um die jüdischen Gemeinden gemacht hat? Wie stark verinnerlichen wir Sätze unserer Erinnerungskultur?
Wir haben das historische Datum der 80. Jährung der Reichspogromnacht zum Anlass genommen, mit der heutigen Aktuellen Debatte zunächst – das ist das Wichtigste – der Opfer zu gedenken und außerdem auf Antisemitismus in der Gegenwart aufmerksam zu machen. Ich möchte auch die Rituale unserer Erinnerungskultur auf ihre Wirksamkeit überprüfen und kritisch hinterfragen.
In der Nacht des 9. November 1938 wollte Goebbels einen Volkszorn inszenieren. Was zufällig wirken sollte, war von langer Hand geplant. Nach Hassreden von Goebbels griffen Funktionäre zu den Telefonapparaten und wiesen im ganzen Reichsgebiet an, gegen Juden vorzugehen. Die tragische Bilanz des größten Pogroms der Neuzeit in Mitteleuropa liest sich so: 91 Juden wurden ermordet, 1 400 Synagogen brannten und wurden zerstört bzw. verwüstet, 7 500 Geschäfte wurden geplündert.
Wir reden heute viel über die Zivilgesellschaft. Was hat eigentlich die Zivilgesellschaft am 9. und am 10. November 1938 getan? Die evangelische Kirche verzichtete auf einen öffentlichen Protest. Einzelne Pfarrer allerdings zeigten Courage und mussten für ihre Solidarität bitter bezahlen, wie beispielsweise der Pfarrer Albert Schmidt, der selbst in ein Konzentrationslager kam, weil er sich mit den Juden solidarisierte. Katholische Bischöfe schwiegen. Der Domprobst Bernhard Lichtenberg war der einzige katholische Priester, der offen gegen das Anzünden der Synagogen predigte. In der Nacht des 9. November 1938 ist von ihm folgendes Zitat überliefert: „Was heute geschehen ist, haben wir erlebt. Draußen brennt die Synagoge. Das ist auch ein Gotteshaus. Großes Schweigen lag über unserem Land, nachdem so viel Unrecht geschehen war.“ Auch das ist eine Mahnung, die uns dieser Tag mitgibt, Unrecht nicht zu übergehen, Unrecht nicht zu verschweigen.
Natürlich sind nicht nur die Kirchen die Zivilgesellschaft. Wie sah es denn mit den Menschen in anderen Orten, zum Beispiel in unserer Umgebung, in unserer Nähe aus? Ich habe ein Beispiel aus der schönen Stadt Erfurt gefunden. Am 10. November 1938 feierte die Stadt das Martinsfest, als sei nichts geschehen. Ein Zeitzeuge berichtet: „Auf der Freitreppe zwischen Dom und Severikirche feierte die Stadt ihr Martinsfest. Auf dem Weg dorthin müssen die Menschen die Glassplitter unter ihren Füßen gespürt haben. 197 jüdische Erfurter waren verhaftet, in die Turnhalle des Humboldt-Gymnasiums getrieben, dort geschlagen und getreten und anschließend in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht worden. Das zum Anzünden der Synagoge verwendete Benzin sowie den Abriss der ausgebrannten Ruine musste die jüdische Gemeinde selbst bezahlen. Menschen haben die Splitter unter ihren Füßen gespürt, aber sie haben nichts getan, nichts gesagt und nichts in Frage gestellt.“
Auch heute gibt es Splitter von eingeworfenen Scheiben, Spuren von Hakenkreuzen und offene Angriffe auf Juden. Was können wir tun? Hinsehen, hingehen und die Stimme erheben. Unsere Erinnerungskultur ist heute an einem sensiblen Punkt angelangt: Wir müssen schmerzlich feststellen, dass jahrzehntelanges Gedenken nicht zwangsläufig mit einer Immunisierung gegen Antisemitismus einhergeht. Gut gemeinte kernige Aussagen – wie keine Toleranz den Intoleranten – verfehlen ihre Wirkung, weil sie phrasenhaft sind oder zu abstrakt wirken, weil Vorurteile sich längst wieder breit gemacht haben. Ich zitiere aus einer Aussage des Sachsenmonitors: „Juden versuchen heute Vorteile daraus zu ziehen, dass sie während der Nazizeit Opfer gewesen sind.“ Dieser Aussage stimmten laut Sachsenmonitor 39 % aller sächsischen Beamten zu. Hätte ich heute meine Rede mit dem Satz begonnen „Ein Angriff auf die Juden ist ein Angriff auf uns alle“, hätte vielleicht der eine oder andere wohlmeinend und entschlossen applaudiert. Aber hätten wir das tatsächlich verinnerlicht?
Ich komme zum Ende. Vielen Dank.
Damals hätten viele Juden überleben können, wenn sie zeitiger Deutschland verlassen hätten. Auch heute fragen sich Menschen, ob sie Deutschland wieder verlassen sollen – nicht nur Juden. Wir sind heute aufgeklärter, unsere Demokratie ist stabiler. Doch genau darin liegt unsere große Verantwortung.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer dem Kollegen Wippel, auch wenn es schwer war, aufmerksam von Anfang bis Ende zugehört hat, der hat genau wahrgenommen, dass er stets und ganz bewusst von deutschen Juden gesprochen hat. Frau Springer hat in ihrem Redebeitrag angesprochen, dass es letztlich um die Juden in ganz Europa geht, die verfolgt wurden und umgebracht worden sind.
Genau das unterscheidet uns von Ihnen. Wir trauern um Menschen, Sie trauern um Deutsche.
Das ist eine Aufkündigung eines Verfassungsgrundsatzes. Natürlich sind europäische Juden zu betrauern, auch an diesem historischen Datum, denn auch in anderen europäischen Ländern wurden sie verfolgt. Es geht uns überhaupt nicht darum, an dieser Stelle eine Wertigkeit aufzumachen. Genau das tun Sie immer und immer wieder. Sie rühren immer und immer wieder an der fundamentalen Gleichheit der Menschen, und das lassen wir Ihnen nicht durchgehen!
(Beifall bei der SPD, der CDU, den LINKEN und den GRÜNEN – Jörg Urban, AfD: Das ist billige Hetze! Schämen Sie sich! Ist das ein Gedenktag oder ein Hetztag? – Unruhe)
Herr Urban, Sie enttarnen sich letztlich nur selbst.
Charlotte Knobloch sprach in einer besonderen Rede vor diesem Haus, der übrigens nicht alle Mitglieder dieses Hauses bereit waren, bis zum Ende zuzuhören, weil ihnen nicht jedes ihrer Worte gefallen hat, wichtige Worte. Sie sagte, dass sie auch wegen Zuwanderern aus muslimischen Hintergründen Sorgen hätte. Diese Sorgen nehmen wir natürlich ernst, denn wir wissen, dass es auch dieses Phänomen gibt. Was Sie tun, ist aber nicht Ernst nehmen, was Sie tun, ist, die Verantwortung abwälzen. Es sind Politiker Ihrer Partei, die stetig und immer wieder mit kleinen und großen Sticheleien, Zitaten und besonderen Redewendungen an dem Großen und Ganzen, an dem Konsens des „Nie-wieder“ in diesem Hause rühren, der uns allen ein Gebot sein sollte.
Wenn Sie ein bisschen Respekt vor diesem Thema hätten, dann würden Sie mich ausreden lassen.
Die Statistiken, bei denen Sie nun Quellenkritik üben, weil sie ausnahmsweise nicht das gewünschte Ergebnis für Sie bringen, zeigen vor allem eines: Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Und genau von dieser Warte aus sollten wir uns dem Thema in der Bekämpfung nähern.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Sodann, ist auch Ihnen bekannt, dass es sich bei der Bewerbung von verschiedenen Projekten um Fördermittel stets um einen Wettbewerb handelt, bei dem es abgelehnte und auch mindestens genauso viele angenommene Bewerberinnen und Bewerber gibt?
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Immer, wenn in diesem Hause gerade im Kulturbereich ein Antrag zu lesen ist oder eine Debatte stattfindet, von der ich denke, ach, das tut einmal
gut, hier gibt es eigentlich nur Gutes zu berichten, ein schönes Thema, kommt Herr Sodann und ruft die kulturpolitische Apokalypse aus.
Das ist okay. Das ist Ihr gutes Recht. Aber ich möchte doch an der einen oder anderen Stelle die Dinge etwas schärfen. Bevor ich zu dem komme, was ich eigentlich zur kulturellen Bildung zu sagen habe, möchte ich gern auf zwei sehr pauschale Vorwürfe, die Sie gebracht haben, eingehen, um einige Schattierungen hineinzubringen, weil ich glaube, sie werden einigen Dingen, die wir in den letzten Jahren gemacht haben, und auch einigen Menschen aus dem Kulturbereich nicht ganz gerecht.
Das eine ist das, was Sie in puncto Gehälter gesagt haben. Ja, das ist ein sehr wichtiges Thema. Was ist eine angemessene Bezahlung? Wir wissen auch, dass es im Kulturbereich gerade außerhalb der Orchester noch viele Schwachstellen gibt, was die Gehälter betrifft. Ich muss Ihnen sagen: Wir haben hier in diesem Hause vor dem Sommer eine Lösung für die Orchester verabschiedet, die es ermöglicht, von jahrelangen Haustarifverträgen zum Flächentarif zurückzukehren, eine Bezahlung nach Flächentarif, eine Rückkehr in die Fläche. Das ist für mich mitnichten verpufft. Das ist ein ganz großer Fortschritt, ein Paradigmenwechsel in der Kulturpolitik. Das bitte ich zu würdigen.
Des Weiteren haben wir die Gelder für die Landeskulturverbände aufgestockt, die dadurch die Möglichkeit erhalten haben, an der einen oder anderen Stelle die Leute, die tatsächlich unter prekären Bedingungen gearbeitet haben, besser zu bezahlen. Ich nenne als Beispiel den Literaturrat in Leipzig. Das ist für jeden Einzelnen eine vernünftige Lösung und ein Fortschritt und eben nicht verpufft, gerade wenn man die Leute einmal individuell befragt.
Ein zweites Thema sind die nicht ausgebildeten Musiklehrerinnen und -lehrer. Das haben Sie angesprochen. Ja, das ist so. Der Lehrermangel betrifft auch die Fächer Kunst, Sport und Musik. Ich glaube aber, dass es gerade in diesen Fächern nicht unbedingt ein Nachteil sein muss. Natürlich ist eine didaktische, eine pädagogische Ausbildung sehr wichtig. Aber ich möchte Ihnen einmal an einem Beispiel erklären, warum das – auch wenn es ein Notbehelf ist, dass wir diese Seiteneinsteiger haben – ein großer Gewinn für eine Schule sein kann.
In Chemnitz gibt es die Robert-Schumann-Philharmonie. Die Robert-Schumann-Philharmonie ist ein wunderbares Orchester, ein A-Orchester. Dort gab es eine Solohornistin. Die Solohornistin bekam irgendwann ein Nervenleiden an ihrem Mund. Das ist bei Musikern, die Solo spielen müssen, relativ üblich, denn das ist eine sehr anstrengende Aufgabe. Sie hat daraufhin vom Solo ins Tutti zurückgehen müssen und irgendwann festgestellt,
dass sie diesen Beruf nicht mehr ausüben kann. Sie ist heute Musiklehrerin. Ich kenne sie und kann nur sagen, ich könnte mir für mein Kind keine bessere Musiklehrerin vorstellen. Ich finde es einfach nicht fair, dass immer, wenn in diesem Hause über Seiteneinsteiger gesprochen wird, die persönliche Ebene, nämlich dass das tolle Leute sind, die eine tolle Arbeit machen können, mit dem bildungspolitischen Missstand vermengt wird. Das finde ich diesen Leuten gegenüber nicht in Ordnung.
Jetzt komme ich aber zu meiner Rede.
Kulturelle Bildung ist ein dem Menschen innewohnendes Grundbedürfnis. Wenn Sie Kinder beobachten oder selbst Kinder haben, wissen Sie, was ich meine. Es wird gesungen und getanzt. Es werden sich Geschichten ausgedacht, und es wird in andere Rollen geschlüpft. Warum machen Kinder das? Weil sie sich über diese zunächst rudimentären kulturellen Ausdrucksformen die Welt erschließen, weil sie sich ausprobieren, weil sie Freude am Entdecken haben, weil sie die Welt in ihrer Komplexität verstehen wollen, weil sie neugierig sind. Manchmal passiert es, dass Kindern diese angeborene Neugier, die Fähigkeit abtrainiert wird, ihnen vielleicht auch die Lust, die Freude genommen wird, vielleicht, weil das selbstgemalte Bild nicht perfekt war oder ein Ton auf dem Instrument falsch klang.
Zu meiner Schulzeit – übrigens mit ausgebildeten Musiklehrerinnen – wurden reihenweise Jungs in meiner Klasse gebeten, den Text zur Musikleistungskontrolle mit dem Argument, sie könnten sowieso nicht singen, nur anzusagen und nicht zu singen. So kann man ganze Generationen junger Männer vergraulen, was das Thema Musizieren und Singen angeht. Das, finde ich, wird heute besser gemacht.
Dann gibt es noch eine ganze Reihe von Gründen, warum manche Kinder schlichtweg nicht die Möglichkeit haben, diese Fähigkeiten zu entwickeln, zum Beispiel weil kein Bus zum Museum fährt, weil die Eltern das Musikinstrument nicht bezahlen können, weil in der Familie generell nicht ins Theater gegangen wird oder weil das Kind im Rollstuhl sitzt und die kulturelle Einrichtung oder das Jugendzentrum keine Rampe hat. Das ist schade, denn kulturelle Bildung ist non-formale Bildung fernab von jedem Leistungsdruck. Das ist das Schöne daran und gerade deshalb so unglaublich wirksam, sowohl für die persönliche Entwicklung als auch im gesellschaftlichen Miteinander für den Zusammenhalt.
Unsere Aufgabe ist es: Wir müssen die Freude am Entdecken der Welt erhalten, und wir müssen die Freude selbst gestalten lassen und fördern. Genau das bedeutet es, wenn ich die Überschrift „Wir müssen der Zukunft den Rücken stärken“ lese. Deshalb setzt das Konzept „Kulturelle Bildung“ zunächst erst einmal bei Kindern und Jugendli
chen an. Dennoch glauben wir, dass es eine Aufgabe des lebenslangen Lernens ist, also für alle Generationen.
Das Thema kulturelle Bildung ist auch in Sachsen kein neues. Im Jahr 2008 haben wir im Kulturhaushalt das erste Mal einen eigenen Fördertitel „kulturelle Bildung“ eingeführt, damals unter Frau Dr. Stange. Anliegen dieses Titels war es, nicht nur einzelne Projekte zu fördern. Vor allem ging es darum, eine Netzwerkstelle zu schaffen, damit Vermittler zwischen den verschiedenen Systemen, dem Schulbereich und dem Kulturbereich, arbeiten und aktiv werden können. Wir können mit Stolz sagen, dass dieser Haushaltstitel von Jahr zu Jahr angewachsen ist. Auch im jetzigen Haushaltsentwurf findet sich wieder ein Aufwuchs.
Wir haben das Projekt „Jedem Kind ein Instrument“, wir haben das Landesprogramm KOST – Kooperation Schule und Theater. Mit dem letzten Haushalt haben wir einen Instrumentenfonds aufgelegt, damit Instrumente angeschafft und ausgeliehen werden können. Wir haben bei der Kulturstiftung eine neue Fördersparte eingerichtet, die Fördersparte „Internationaler kultureller Dialog“.
Kunst und Kultur helfen, Unwissenheit und Vorurteile abzubauen, und zwar sowohl bei den ankommenden als auch bei den bereits „dagewesenen Menschen“. Es geht um die Förderung von Neugier, Offenheit und Respekt. Das alles sind wichtige Ressourcen, um ein friedliches Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen zu gestalten.
Seit Juli 2018 haben wir in Sachsen beim Landesverband Soziokultur eine zentrale Beratungsstelle für das Bundesprogramm „Kultur macht stark“. Es gibt auch die Landeskulturverbände, die mit ihrer fachlichen Expertise in den Regionen als Berater tätig sind und damit für einzelne Projekte vor Ort die Qualität der kulturellen Bildung verbessern. Auch hier haben wir in der Koalition in den Haushalten für eine Verbesserung der Finanzierung gesorgt und wollen es weiterhin tun.
Im letzten Haushalt haben wir auch die Mobilitätsfrage angeschoben. Die Menschen müssen zur Kultur hinkommen können. Alles Geld nützt nichts, wenn die einzelnen Zahnräder nicht ineinandergreifen. Wir haben als Land viel auf den Weg gebracht, aber wir müssen auch die Dinge miteinander verbinden, damit keine Reibungsverluste entstehen.
Das ist der Grund, weshalb wir ein strategisch ausgerichtetes Konzept der kulturellen Bildung brauchen. Das haben wir gemeinsam mit dem Regierungspartner im Koalitionsvertrag bereits so verankert. Denn neben Geld müssen wir alle miteinander wissen, in welche Richtung wir laufen und warum wir das tun.
Abschließend möchte ich noch ein paar Worte zu den fünf Zielen, die Frau Dr. Stange bereits vorgestellt hat, sagen. Ich möchte auf zwei ausgewählte Aspekte eingehen, um nicht zu ausführlich zu werden.
Einmal geht es um den Abbau von räumlichen, bildungspolitischen und sozialen Hürden. Der Aspekt von freiem
Eintritt zu den kulturellen Angeboten ist uns ein sehr wichtiger. Dies sollte eines der wichtigsten mittelfristigen Ziele sein. Der Zugang zur Kultur und zu kultureller Bildung darf keine Frage der sozialen Herkunft sein, und dieser Satz darf wiederum keine Phrase sein, sondern er muss gelebt werden. Gelebt wird er zum Beispiel in Chemnitz. Bei der schon erwähnten Robert-SchumannPhilharmonie kann jedes Kind bis zu 18 Jahren, also auch Jugendliche in Begleitung eines Erwachsenen, kostenfrei an einem wunderbaren Konzert eines A-Orchesters teilnehmen, wenn es das möchte.
Das Thema Inklusion liegt mir ebenso am Herzen. Ich denke, dass gerade das SMWK sehr wenig Flanken für Kritik aufmacht. Deshalb habe ich mich gewundert, dass dieser Zungenschlag auch kam; denn das SMWK ist meines Erachtens außer dem Sozialministerium das einzige Ministerium, das bereits zum zweiten Mal mit einem eigenen Haushaltstitel eigens zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention aufwartet und dafür 1 Million Euro einstellt. Wo man an dieser Stelle noch etwas aussetzen kann, das ist mir verborgen geblieben, aber vielleicht erklären Sie es mir noch, Herr Sodann.
Es gibt die Beratungsstelle für Inklusion im Kulturbereich, das heißt die Servicestelle beim Landesverband Soziokultur. Sie machen eine ganz tolle Arbeit, die aus diesen Mitteln gefördert wird. Ich kann Ihnen nur empfehlen, einmal einen Tag die Leute bei ihrer Arbeit zu begleiten, die Inklusion im Kulturbereich auch in der freien Szene ermöglichen.
Der zweite Punkt, der mir wichtig ist, ist die Verlässlichkeit. Es ist wichtig, dass wir nicht ständig neue Projekte auflegen, sondern dass wir die vorhandenen Projekte auch kontinuierlich fördern, denn auch Kinder und junge Menschen brauchen zur Herausbildung von Fähigkeiten kontinuierliche Ansprechpartner und Verlässlichkeit. Dass kulturelle Modellprojekte bis zu drei Jahren gefördert werden können, finde ich eine sehr gute Idee, denn ich möchte, dass man auch langfristige Perspektiven schaffen kann.
Ein wichtiger Punkt für uns sind die ordentlichen und fairen Stundensätze. Wie diese konkret ausgestaltet sind, darüber können wir auch noch ins Gespräch kommen. Ich verstehe Ihre Kritik, dass Sie das gern etwas genauer formuliert haben wollten. Ich glaube aber, das ist nicht der richtige Rahmen, in einem solchen Konzept hineinzustellen, ob es sich um eine E-12- oder E-13-Stelle handelt. Das sollte an anderer Stelle geschehen.
Abschließend freue ich mich, dass künftig die kulturelle Bildung im Freistaat Sachsen inklusiver wird, gestärkt wird und vor allem aus einem Guss stattfinden wird. Ich könnte mir auch vorstellen, dass der eine oder andere von Ihnen in der Familie, im Freundes- oder Bekanntenkreis das sogar merkt und feststellt. Ich wünsche uns allen, dass wir die Augen aufhalten, wenn es bei Kindern und jungen
Menschen Früchte trägt und wie kulturelle Bildung bei uns im Freistaat auch verankert wird, wie sie auf Menschen wirkt und den Zusammenhalt zwischen jungen Menschen, Kindern, aber auch älteren Generationen stärken kann. Vielen Dank, Frau Dr. Eva-Maria Stange, für den Einsatz.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Würden Sie die Haushaltsentwicklung des SMWK der letzten Jahre bitte auch in absoluten Zahlen nennen?
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich mit 19 Jahren meine erste eigene Wohnung bezogen haben, hängte ich dort stolz ein Plakat auf. Ich hatte es mir in Straßburg bestellt und darauf stand: „Human rights are yours and mine“ – Menschenrechte gehören dir und mir. In den folgenden Jahren habe ich mich dann viel mit dem Thema Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen befasst, beispielsweise mit der Unterdrückung der indigenen Bevölkerung in Südamerika, mit dem sogenannten Verschwindenlassen durch die Farc oder auch durch rechtsgerichtete Milizen in Kolumbien, über die Situation von Frauen, die in Brasilien in Gefängnissen sitzen ohne einen Rechtsbeistand.
Diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit berühren mich sehr, doch sie sind für uns alle auch sehr weit weg. In Deutschland könnte man den Eindruck gewinnen, wir seien über so etwas erhaben. Doch das stimmt nicht und deswegen ist es gut, dass es diesen Antrag heute gibt. Denn der Antrag verweist zu Recht darauf, dass wir nicht müde werden dürfen, auch Menschenrechte in Sachsen und in Deutschland zu schützen, sei es zum Beispiel mit einem klaren Widerspruch gegen die Vorratsdatenspeicherung, wie ihn der SPD-Landesverband einst gegen den Bundestrend einlegte, oder mit einem Engagement für Familiennachzug, worin wir nicht nachlassen sollten. Auch das sind menschenrechtlich relevante Fragen.
Die Antragstellerin erklärt zu Recht, dass Flucht kein Verbrechen ist. Es ist noch gar nicht lange her, da wurden Fluchtversuche in unserem Land durch Selbstschussanlagen und Mauerschützen geahndet. Auch das bewegt mich, wenn ich über Menschenrechte in Deutschland nachdenke.
Ihrem Antrag als grundlegendes Bekenntnis zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zuzustimmen wäre unproblematisch. Im Gegenteil, es gäbe überhaupt keinen Grund, es nicht zu tun. Sie knüpfen allerdings das Bekenntnis an einen Bericht, den wir nicht für sinnvoll halten. Einerseits handelt es sich bei den kritischen Themen, wenn man sich zum Beispiel die AmnestyBerichte anschaut, ausschließlich um Bundesthemen. Andererseits ist die Gefährdungslage durch regelmäßiges Anzeigen von Verstößen so in Deutschland nicht gegeben.
Diese Anzeigen liegen bei uns in dem Maße, dass sie einen Bericht rechtfertigen, einfach nicht vor. Es ist trotzdem gut, dass Sie darauf aufmerksam machen, dass in unserem Land bezüglich der Wahrnehmung der Menschenrechte nicht alles selbstverständlich ist. Es steht uns nicht gut zu Gesicht, mit erhobenem Zeigefinger in Richtung Türkei oder anderer Länder zu zeigen. Es steht uns gut zu Gesicht, zu prüfen, was wir besser machen können.
„Human rights are yours and mine“, so stand es auf meinem Plakat. Menschenrechte gehören dir und mir. Dass uns Menschenrechte gehören, dass wir ein Recht darauf haben, darin sind wir uns hier im Raum alle ganz sicher. Jeder von uns will sein Recht auf Unversehrtheit, sein Recht auf Meinungsfreiheit etc. jederzeit gewahrt wissen. Doch sind wir auch bereit, es jederzeit auch allen anderen zuzugestehen? Bedingungslos? Dann kämen wir an den Punkt, zum Beispiel Artikel 19 der Meinungsfreiheit, dass diese zum Beispiel für Herrn Wendt, dem ich nicht gern zuhöre, genauso gilt wie für Frau Neukirch, der ich sehr gern zuhöre. Auch das bedeutet Wahrung der Menschenrechte.
Ich hatte ein paar Gedanken, als ich Ihren Antrag gelesen habe, in Bezug auf das Thema Flucht, die mir in letzter Zeit häufiger durch den Kopf gegangen sind. Ich denke dabei immer an ein Plakat, das es zu den Montagsdemonstrationen in Leipzig gab, worauf stand – vielleicht kennt es der eine oder andere –: „Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh‘n wir zu ihr!“
Diese Menschen haben für sich in Anspruch genommen, aus wirtschaftlichen Gründen ihr Land zu verlassen – völlig legitim. Heute tun sich manche davon schwer, Menschen aus anderen Ländern genau das zuzugestehen. Sein Land zu verlassen, sein Glück im Wohlstand zu suchen, das war für manchen DDR-Bürger ein Ziel. Solche Träume haben auch Menschen in Afrika.
Ja, das war mir klar, dass das jetzt kommt. Das sind alles Menschen! Darum geht es!
Ihnen das zuzugestehen, nicht dem stattzugeben, das können wir rechtlich nicht, das ist auch Achtung von Menschenrechten. Ich glaube, auch ohne einen Bericht können wir alle einmal in uns gehen und uns fragen, wie tolerant und wie gerecht wir tatsächlich sind. Damit meine ich nicht gerecht gegenüber uns selbst, sondern gegenüber anderen. Dafür ist der Antrag ein guter Anlass.
Vielen Dank. Frau Buddeberg hat schon viel zum Thema „Häusliche Gewalt geht alle an“ gesagt und dass es genauso von Deutschen wie von anderen Männern ausgeht. Trotzdem ist es sehr interessant, Herr Hütter, dass die Antwort auf alle Themen in diesem Hause, die Ihnen nicht gefallen, immer etwas mit Flüchtlingen ist. Es ist auch in diesem Fall wieder so gewesen. Besonders bemerkenswert fand ich, dass Sie an dieser Stelle Ihre Doppelmoral deutlich offengelegt haben.
Wir hören sehr oft aus Ihrer Ecke, dass man gern die Familien und die armen Frauen aus Syrien und den anderen Ländern, denen es so schlecht geht, herholen und gern unterstützen würde, aber die gewalttätigen Männer usw. möchte man nicht haben. Wenn Ihre These stimmen würde, dass wir besondere Probleme mit diesem Kulturkreis haben werden und es besonders viele Frauen gibt, die unterstützt werden müssten, dann frage ich mich, wo Ihre Solidarität mit diesen Frauen bleibt. Sie ist offensichtlich nicht vorhanden.
Meine These ist: Es gibt genauso in diesem Kulturkreis wie in unserem Probleme mit Gewalt gegen Frauen, und diese Frauen verdienen genauso Unterstützung. Sie hätten zeigen können, dass für Sie alle Menschen und alle Frauen gleich viel wert sind, indem Sie sich klar positioniert hätten. In dem Moment haben Sie aber eine Abstufung aufgemacht, dass es für diese Frauen nicht so wichtig ist, vor Gewalt geschützt zu werden. Das finde ich schon bemerkenswert.
Sehr geehrte Frau Staatsministerin! Vielen Dank für die Möglichkeit, hier Fragen stellen zu können. Meine Fraktion wollte sich nach dem aktuellen Stand der Vorbereitungen für das Jahr der Industriekultur erkundigen, weil dazu verschiedene Fragen aus der Bevölkerung auf uns zukommen. Vielleicht können Sie uns diesbezüglich ein wenig weiterhelfen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Während mir in meiner Heimatstadt Chemnitz gerade etliche Menschen erklären wollen, Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik seien schuld daran, dass Menschen auf der Straße derart entgleisen, denke ich zurück an die 1990er-Jahre in Sachsen und was danach folgte.
Es war noch kein Flüchtling zu sehen, als es bereits Rassismus gab – übrigens nicht nur in Sachsen. Im Jahr 2004 bereits ging ein Aufschrei durch die Republik, als die NPD mit 9,2 % in dieses Haus gewählt wurde. Der Satz von Kurt Biedenkopf ist 20 Jahre alt – das ist richtig –, und er war damals schon nicht zutreffend. Früher hatten wir Ausländerfeindlichkeit ohne Ausländer, heute
haben wir Ausländerfeindlichkeit mit Ausländern. Wir haben kein Problem mit Trauernden, wir haben auch kein Problem mit Spinnern und Chaoten. Das trifft es nicht. Exakt muss es heißen: Wir haben ein Problem mit Rechtsextremismus; und ich danke dem Ministerpräsidenten, dass er das heute so klar formuliert hat.
Wer das heute noch leugnet oder als Sachsen-Bashing abtut, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Ich finde es gut, dass wir beginnen, aus Fehlern zu lernen. Eine Analyse der Vergangenheit ist wichtig; denn sie ist die Grundlage, um die Dinge besser zu machen. Dabei müssen auch wir als SPD uns fragen: Sind unsere Strategien und Instrumente im Kampf gegen Rechtsextremismus noch zeitgemäß? Das können wir gemeinsam mit den vielen Akteuren und Initiativen tun, die in den letzten Jahren an dieser Front hart gearbeitet haben, nicht immer – mit Verlaub, Herr Ministerpräsident – mit Unterstützung der Staatsregierung. Wer allerdings die Zeit nutzen will, um die Fehler der Vergangenheit hoch- und runterzubeten, muss sich fragen lassen, ob er ernsthaft an einer Veränderung der Verhältnisse interessiert ist oder sich bereits im Beklagen eingerichtet hat. Auch das kann bequem sein, und die Rede von Herrn Gebhardt war dafür der beste Beleg.
Der Ausgangspunkt der Geschehnisse in Chemnitz ist ein Tötungsdelikt, das uns tief betroffen macht, so wie es bei jeder Tötung der Fall sein sollte, ob das Opfer jung oder alt, schwarz oder weiß, reich oder arm, männlich oder weiblich ist. Wir müssen alle in uns gehen und uns fragen, ob wir diesen wichtigen Grundsatz der Gleichheit des Menschen tatsächlich in jedem Fall durchhalten. Ich wünsche mir, dass wir das schaffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben sicher in den letzten Tagen ebenfalls unheimlich viele Nachrichten bekommen, besorgte Nachrichten, was hier in Sachsen los sei, aber auch andere. Nicht wenige Leute schrieben mir: Es ist schlimm, wie Sachsen in der Presse dargestellt wird. Kann man denn dagegen nichts machen? Darauf möchte ich erwidern: Ich bin sehr glücklich, in einem Land zu leben, in dem Politik dagegen nichts machen kann.
Pressefreiheit ist für mich nicht verhandelbar. Wir brauchen in diesem Problembereich auch keine Schaffung ungarischer Verhältnisse.
Geärgert habe ich mich freilich auch ab und zu. So sagte am Samstagnachmittag in Deutschlandradio Kultur ein Studiogast, man müsse doch jetzt auch über die Demonstrationen hinaus an die armen Menschen denken, die in der Stadt Chemnitz leben müssen. Dazu muss ich Ihnen – als erste Chemnitzerin, die hier sprechen darf – sagen: Ich
muss überhaupt nicht in Chemnitz leben. Ich liebe meine Stadt und ich lebe gern dort, weil diese Stadt eine hohe Lebensqualität hat. Wir haben ein Fünfspartentheater mit einer fantastischen Robert-Schumann-Philharmonie. Wir haben ein Fraunhofer-Institut, eine überregional bekannte Kunstsammlung, eine Sammlung Gunzenhauser und hervorragende Sportvereine. Wir sind kein Moloch, sondern wir sind eine fantastische Stadt. Ich habe diese Stadt bewusst gewählt, um meine Tochter dort aufwachsen zu lassen, denn sie ist genau richtig.
Chemnitz bewirbt sich als Kulturhauptstadt. Warum? – Weil wir es können.
Die Erzählung für die Bewerbung zur Kulturhauptstadt muss nun neu geschrieben werden. Das muss sie nicht, weil Angela Merkel die Flüchtlinge hereingelassen hat. Das muss sie, weil Rechtsextremismus und Gewalt sich in dieser Stadt an zwei Tagen entladen haben. Die Bilder wurden überall gezeigt – nicht, um Sachsen zu schaden, sondern weil es sie gab.
Gerade deshalb ist es wichtig, dass das Blatt in der Berichterstattung sich inzwischen gewendet hat, um zu schauen, was an Positivem in der Stadt geschieht und was wächst, zum Beispiel das Konzert am Montagabend. Dazu muss ich sagen: Das sind nicht die engagierten Chemnitzerinnen und Chemnitzer, um die es gehen sollte, sondern das waren auch viele Gäste.
Egal, welche Bilder Sie gesehen haben, das müssen Sie bedenken: Sie haben niemals die Mehrheit der Chemnitzerinnen und Chemnitzer gesehen. Die Spaltung der Stadt wird nicht durch Demonstrationen überwunden, so wichtig es ist, jetzt Flagge zu zeigen. Wir können die Spaltung nur überwinden, wenn wir einander als Menschen begegnen, die Respekt haben, Respekt vor Menschen anderer Herkunft, die sich jetzt bedroht fühlen, aber auch Respekt vor der alten Dame, die sich abends nicht mehr auf die Straße traut. Angst ist ein Gefühl, das wir nicht mit einer Statistik oder mit Sachargumenten beseitigen können. Gefühle sind nie lächerlich und sollten nie arrogant von außen bewertet werden.
Das, was mich schon länger besorgt macht in Bezug auf die Spaltung der Gesellschaft, ist die Abwertung politischer Parteien. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben in einem Land, in dem das Engagement in jedem Kaninchenzüchterverein als ehrenwerter für unsere Demokratie gilt als das in einer politischen Partei.
Was für eine Gesellschaft soll das sein, in der politische Parteien als Fremdkörper wahrgenommen werden? Die AfD hat mit ihrem Altparteiengeschwafel kräftig dazu beigetragen. Ich bitte Sie, nicht hier im Parlament, sondern außerhalb: Erkennen Sie das Engagement derer an,
die sich in Parteien ehrenamtlich und hauptamtlich für unsere Demokratie engagieren.
Gestern las ich in einer großen deutschen Zeitung: „Wir sollen hoch vom Sofa und die Politiker setzen sich.“ Ich habe solche Politiker nicht gesehen, nicht in den letzten Monaten, nicht in den letzten Tagen. Ich sehe hier Leute, die tagelang mit ihren Referenten im Dauerstressmodus sind, kaum Schlaf haben und kaum ihre Familien sehen. Sie müssen dafür nicht bemitleidet werden und sie müssen auch nicht gelobt werden, aber ich bitte darum, dass auch diese Seite gesehen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich in meiner Stadt Chemnitz in den letzten Tagen manchmal gefühlt wie vor einer Gespensterkulisse. Am Bahnhof waren so viele Polizeiwagen, wie ich sie noch nie auf einmal gesehen habe. Ich sehe Chemnitz viel lieber ohne all das. Die Gottesdienste, die Konzerte waren schön, aber alle, die das veranstaltet haben, wussten ganz genau: Die richtige Arbeit liegt noch vor uns.
Es ist leicht, mit 65 000 Menschen im Chor „Nazis raus!“ zu rufen. Schwerer ist es, an einem Tisch 30 aufgebrachten Bürgern zu erklären, warum straffällig gewordene Asylbewerber nicht sofort abgeschoben werden können. Der Justizminister Sebastian Gemkow hat es im Rahmen des Sachsendialogs letzten Donnerstag getan. Ich saß mit an seinem Tisch und es waren tolle Gespräche. Bei den anderen Ministerinnen und Ministern ging es ganz ähnlich zu. Ich bin sehr zuversichtlich, dass ein solcher Dialog es sein kann und viele andere Dialoge, die wir außerhalb dieses Formats führen, die dazu führen, dass die Menschen einander wieder respektvoller begegnen.
Ein Plakat auf einer Demonstration, was mir besonders gut gefallen hat, trug die Aufschrift: „Hass ist krass, Liebe ist krasser.“ Ich mochte das sehr. Einander zuhören, den anderen ausreden lassen, Mut zur Differenzierung haben – darauf wird es in den nächsten Monaten ankommen. Es sind schwere Zeiten für alle, die mehr sehen wollen als schwarz oder weiß. Es sind schwere Zeiten für die Feinheiten, die gerade in diesen Tagen so wichtig sind.
Momentan versammeln sich viele Menschen unter dem Hashtag „Wir sind mehr“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß nicht, ob wir mehr sind. Ich weiß auch nicht, ob es eine kluge Idee ist, Quantität zu einem Qualitätskriterium zu erheben. Wir alle haben es jetzt in der Hand, woran man sich in zehn Jahren bei dem Gedanken an Chemnitz erinnern wird: an einen Schandfleck oder an einen positiven Wendepunkt.
Vielen Dank, sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Gedenken an die Opfer von Diktaturen und die Auseinandersetzung mit einer menschenunwürdigen Geschichte sind heute wichtiger denn je, um ein friedliches Europa – Europa ist übrigens ein Wort, das mir heute ein bisschen zu selten gefallen ist – zu gestalten.
Wir hatten im Jahr 2012 einen breiten parlamentarischen Konsens, das Sächsische Gedenkstättenstiftungsgesetz zu novellieren; meine Kollegin Aline Fiedler ist schon darauf eingegangen. Mit diesem Konsens haben wir ein teilweise auch unwürdiges Kapitel und einen langen Konflikt beenden können – dank vieler kluger Vermittlerinnen und Vermittler.
Wir haben mit dieser Gesetzesnovelle den Auftrag und die Aufgaben der Stiftung erweitert. Das haben wir getan, weil eine aktive demokratische Erinnerungskultur kein statisches Moment sein kann. Sie muss sich entwickeln. Sie muss auf neue Herausforderungen und auf den gesellschaftlichen Wandel reagieren. Es ist Aufgabe der Stiftung, diesen Gesetzesauftrag zu erfüllen. Das erfordert eine entsprechende Entwicklungskonzeption. Dazu gehört zum einen, dass die Stiftung Perspektiven für die Orte und Gedenkstätten in eigener Trägerschaft entwickelt. Dazu gehört aber auch, dass die Stiftung die Entwicklung und den Aufbau neuer Gedenkstätten begleitet.
Ein Punkt, der mir an dieser Stelle ganz besonders wichtig ist, betrifft die Zusammenarbeit mit den ehrenamtlichen Fördervereinen. Es ist Aufgabe der Stiftung, diese ehrenamtliche Arbeit kooperativ zu unterstützen. Die Vereine sind keine Konkurrenz, sondern ein wichtiger Pfeiler einer demokratischen Erinnerungskultur. Wir brauchen diese Vereine. Wir brauchen das bürgerschaftliche Engagement an den Gedenkorten – mit den Opferverbänden, mit den verbliebenen Zeitzeugen. Sie helfen uns, das kollektive Gedächtnis authentisch zu gestalten.
Diese Vereine, die lokal verwurzelt sind, bilden einen wichtigen Teil des zivilgesellschaftlichen Engagements gegen das Vergessen und gegen eine beängstigende Tendenz der Geschichtsrelativierung und -leugnung. Deshalb ist es auch Aufgabe der Stiftung, für die im Aufbau befindlichen und institutionell neu geförderten
Einrichtungen in einem kooperativen Miteinander Vermittlungs- und Förderziele festzulegen.
Eine der großen Herausforderungen einer demokratischen Erinnerungskultur ist es, neue Perspektiven für eine gedenkstättenpädagogische Vermittlungsarbeit zu definieren. Gedenkstättenpädagogik kann heute nicht mehr so funktionieren wie vielleicht noch vor 20 Jahren. Damals gab es noch deutlich mehr Zeitzeugen, die Geschichte persönlich greifbar und begreifbar machen konnten. Zumindest für die Zeit des Nationalsozialismus werden diese altersbedingt immer weniger.
Damit hängt ein weiterer Aspekt zusammen: Immer weniger junge Menschen haben aus ihrer eigenen Biografie oder aus ihrer unmittelbaren Familiengeschichte persönlichen Bezug zu einer Diktaturgeschichte, oder sie begreifen ihn nicht als solchen. Das bedeutet: Wir müssen heute andere, neue pädagogische Wege gehen, um diesen persönlichen Bezug zu schaffen – an das Erinnern, das Gedenken und damit das Begreifen dessen, was Menschen fähig sind zu tun, und daran, dass jeder Einzelne Verantwortung trägt für ein friedliches und demokratisches Europa.
Der dritte Aspekt ist die Digitalisierung. In dem Maße, in dem der persönliche Bezug wegfällt, eröffnet die Digitalisierung neue Momente des Zugangs. Es gibt ganz spannende Möglichkeiten durch „Augmented Reality“. Vielleicht hat sich der eine oder andere dieses Angebot schon angeschaut. Es ist sehr wirkungsvoll und beeindruckend.
Solche neuen Formen der Vermittlungsarbeit lassen sich aber nicht allein im stillen Kämmerlein entwickeln. Dazu braucht es ein Ausprobieren, ein Weiterentwickeln, den Erfahrungsaustausch auch mit anderen Bundesländern und Best-Practice-Beispiele. Es braucht den Blick über den Tellerrand hinaus und die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren. Es braucht einen fachlichen Austausch. Auch ein wissenschaftlicher Austausch ist vonnöten. Es braucht auch unkomplizierte Wege, damit Schülerinnen und Schüler zu den Gedenkstätten und -orten kommen können, wie es jetzt mit der Einrichtung der Landesservicestelle Gedenkstättenfahrten durch das SMK geplant ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits im Koalitionsvertrag haben wir unterstrichen, dass die Weiterentwicklung der Stiftungskonzeption für uns wichtig ist. Innerhalb der Stiftung und des Stiftungsrates ist man hierzu in der Diskussion und in einem Prozess. So hat der Stiftungsrat im Januar des letzten Jahres eine Evaluation beauftragt, deren Ergebnisse in die Entwicklungskonzeption einfließen sollen.