Protokoll der Sitzung vom 12.03.2015

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 10. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags. Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Frau Clauß, Frau Kagelmann, Herr Dr. Meyer und Herr Panter.

Die Tagesordnung liegt Ihnen vor. Folgende Redezeiten hat das Präsidium für die Tagesordnungspunkte 3 und 6 bis 9 festgelegt: CDU 77 Minuten, DIE LINKE 53 Minu

ten, SPD 42 Minuten, AfD 37 Minuten, GRÜNE 28 Minuten, Staatsregierung 53 Minuten. Die Redezeiten der Fraktionen und der Staatsregierung können auf die Tagesordnungspunkte je nach Bedarf verteilt werden.

Ich sehe jetzt keine Änderungsvorschläge oder Widerspruch gegen die Tagesordnung. Die Tagesordnung der 10. Sitzung ist damit bestätigt.

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 1

Aktuelle Stunde

1. Aktuelle Debatte: 25 Jahre Stasi-Unterlagenbehörde – Bilanz und Ausblick

Antrag der Fraktionen CDU und SPD

2. Aktuelle Debatte: Der „Tillich-Brief“ ans schwedische Parlament –

Welche Rolle spielt die Staatsregierung beim Vattenfall-Kohleausstieg?

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat von ihrem Recht Gebrauch gemacht, das Thema ihrer Aktuellen Debatte entsprechend § 55 Abs. 1 Satz 4 unserer Geschäftsordnung zu ändern.

Die Verteilung der Gesamtredezeit hat das Präsidium wie folgt festgelegt: CDU 33 Minuten, DIE LINKE 20 Minuten, SPD 18 Minuten, AfD 14 Minuten, GRÜNE 15 Minuten und die Staatsregierung zweimal 10 Minuten, wenn gewünscht.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich an dieser Stelle noch einmal an die in der Geschäftsordnung festgelegten Grundsätze für die Aktuelle Debatte erinnern. Redebeiträge werden in freier Rede gehalten. Die Verwendung von Manuskripten zur Unterstützung des Redners, also Stichworte, sind zulässig. Es dürfen aber keine vorgefertigten Redebeiträge verlesen werden.

Meine Damen und Herren! Ich rufe auf die

1. Aktuelle Debatte

25 Jahre Stasi-Unterlagenbehörde – Bilanz und Ausblick

Antrag der Fraktionen CDU und SPD

Als Antragsteller haben zunächst die Fraktionen CDU und SPD das Wort. Die weitere Rednerreihe lautet wie folgt: DIE LINKE, AfD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Das Wort ergreift für die einbringende CDU-Fraktion jetzt – –

(Christian Piwarz, CDU: Zuerst die SPD!)

Es beginnt die SPD-Fraktion? – Ja, bitte. Frau Kollegin Kliese, ergreifen Sie das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vom protokollarischen Ablauf her wäre es schön gewesen, wenn an der Stelle

eine Begrüßung für Roland Jahn erfolgt wäre. Ich darf eigentlich nicht zur Besuchertribüne sprechen, aber ich mache es jetzt trotzdem.

(Beifall bei der SPD, der CDU, der AfD und den GRÜNEN)

Ich darf Sie trotzdem darauf hinweisen, Frau Kollegin, dass ich das hier entscheide, und zwar auch den Zeitpunkt, wann das passiert. Bitte fahren Sie fort.

Vielen Dank. – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der 2. Juni 1967 war ein schwar

zer Tag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. An diesem Tag erschoss der Westberliner Polizist Karl-Heinz Kurras unbedrängt mit einem Schuss ins Genick den Studenten Benno Ohnesorg. Die Ermordung Ohnesorgs wirkte gleichsam wie ein Katalysator im Radikalisierungsprozess der Studentenbewegung und mündete in eine Zeit, die wir heute als bleierne Zeit kennen. Erst im Jahr 2009 wurde klar, dass die Ermordung Ohnesorgs nicht nur ein Kapitel der westdeutschen Geschichte, sondern der gesamtdeutschen Geschichte sein muss. Durch einen Fund in der Stasi-Unterlagen-Behörde wurde bekannt, dass Karl-Heinz Kurras nicht nur ein Westberliner Polizist war, sondern auch Mitglied der SED und geheimer Mitarbeiter der Staatssicherheit.

Der Soziologe Oskar Negt, Mitglied der Achtundsechzigerbewegung und Schüler Adornos, spricht von einer gespenstischen Wende im Fall Ohnesorg durch den Aktenfund. Die Studentenbewegung, die die DDR oftmals völlig unkritisch betrachtete, musste nun mit ansehen, dass der Mann, der Benno Ohnesorg ermordete, von der DDR bezahlt wurde. Für die Mordtat beauftragt war er allerdings nach Aktenlage nicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Erkenntnis, die für unsere Geschichtsschreibung sehr wichtig ist, wäre ohne die Forschungsarbeit der Stasi-UnterlagenBehörde nicht möglich gewesen. Viele weitere wichtige Erkenntnisse folgten und sollen folgen. Beispielsweise haben wir dank der Forschungsarbeit der StasiUnterlagen-Behörde herausfinden können – das ist einer der jüngeren Fälle, den Sie sicher auch nachgelesen haben –, wie tief auch westliche Unternehmen in die Häftlingsarbeit in den DDR-Gefängnissen verstrickt waren. Bekannt ist der Fall IKEA, es folgten viele weitere: ALDI, VW usw. Westliche Konzerne waren Auftraggeber für die Arbeit in DDR-Gefängnissen, die nicht zuletzt von politischen Häftlingen erledigt wurde. Deshalb möchte ich die heutige Aktuelle Debatte auch nutzen, um ein Plädoyer für die Fortführung der wissenschaftlichen Forschungsarbeit des BStU zu halten. 25 Jahre sind nun vorbei und zur Zeit ihrer Einsetzung war die Behörde keineswegs unumstritten. Gegner befürchteten ein Anden-Pranger-Stellen der Stasi-IMs, eine Suizidwelle oder gar Fälle von Lynchjustiz. Nichts davon ist eingetreten, denn die Persönlichkeitsrechte, nicht zuletzt der Täter, werden gewahrt, und das ist gut so. Der Umgang mit den Akten ist restriktiv und sensibel.

Als Beispiel möchte ich die Ausstellung in Zwickau vor einigen Jahren nennen, bei der ein Stasi-Spitzel seinen Klarnamen genannt sah und deswegen vor Gericht ging. Die Ausstellung musste gestoppt werden. Der Klarname durfte nicht genannt werden. Ich weiß, dass damals in Zwickau viele Opfer sehr, sehr enttäuscht über dieses Gerichtsurteil waren. Ich glaube aber, dass uns dieses Gerichtsurteil freuen sollte, denn es zeigt die klare Überlegenheit der Demokratie gegenüber der SED-Diktatur, nämlich, dass ohne Ansehen der Person die Persönlichkeitsrechte für alle gelten. Das ist ein Verdienst der

friedlichen Revolution, über das wir sehr froh sein können.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der AfD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es sind nicht immer die prominenten Fälle, wie der Fall Kurras oder IKEA, die die Arbeit des BStU so wertvoll und wichtig, auch für die Zukunft, machen. Es sind vor allen Dingen Zehntausende Menschen, die jährlich Einblick in ihre Akten verlangen. Zu diesen Menschen gehören auch diejenigen, die zu DDR-Zeiten Opfer von Zwangsadoptionen geworden sind. Sie müssen bedenken, die politischen Häftlinge waren oftmals nicht nur Männer und Frauen, sondern Mütter und Väter. Ihre Kinder wurden zur Adoption freigegeben, und einige von ihnen haben bis heute Mühe, ihre Geschichte zu vervollständigen.

Die Arbeit des BStU sollte ihnen und wird ihnen dabei helfen. Deshalb ist es unsere moralische Pflicht, das auch für die Opfer und deren Angehörige zu gewährleisten. Mir ist wichtig, an dieser Stelle auch für eine wohnortnahe Aufarbeitung zu plädieren, also den Erhalt der Außenstellen, damit diesen Menschen die Wege nicht weiter erschwert werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben gestern hier in diesem Hause über den Bewertungsausschuss gesprochen. Es ist mir schwergefallen, nicht zu kommentieren, welche Personalauswahl an der einen oder anderen Stelle getroffen wurde. Ich möchte aber dazu sagen, dass ich mir wünsche, dass das Thema der Aufarbeitung von den Kommenden übernommen wird und sie das gesamte Erbe annehmen. Denn die kommende Generation hat das Privileg, dieses Thema ohne Zorn und Eifer sowie ohne Schuld zu betrachten.

Die Redezeit ist abgelaufen, Frau Kollegin.

Deswegen bedeuten für mich 25 Jahre BStU nicht nur einen Blick in die Vergangenheit, sondern auch einen Auftrag für die Zukunft.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Für die einbringende SPD-Fraktion war das Kollegin Kliese. Für die ebenfalls einbringende CDU-Fraktion spricht jetzt Kollege

Schiemann. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Selbstverständlich freue ich mich ganz besonders, dass der Bundesbeauftragte und unser Landesbeauftragter unter uns sind, mit denen uns sehr viel in diesem Freistaat Sachsen verbindet. Es macht mich sehr froh, dass Sie heute unter uns sind.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Große Ereignisse verbleiben in der Erinnerung. Besondere Ereignisse hinterlassen ihre Spuren in der Geschichte. Dazu gehört natürlich die Besonderheit der friedlichen Revolution von

1989 allemal. Aus Friedensgebeten in den Kirchen wurden Montagsdemonstrationen unter einem gemeinsamen Motto, das Hunderttausende Menschen – Arbeiter, Rentner, Jugendliche, Angestellte, Ingenieure und Techniker – zusammengeführt hat. Viele Menschen haben auf der Straße etwas Gemeinsames gefunden. Sie haben einen Grundkonsens für die Zukunft aus dieser friedlichen Revolution heraus erarbeitet. Hundertausende haben sich für Demokratie, Recht, Freiheit, Bewahrung der Schöpfung und Gerechtigkeit gegen die Diktatur der SED eingesetzt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ihnen allen, die sich für unsere Freiheit eingesetzt haben, gilt heute und morgen unser ganz besonderer Dank und Respekt für diese große Leistung.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Dies alles in einer kurzen Aktuellen Debatte darzustellen ist schwer möglich. Wichtig für den Bundesbeauftragten und dessen Arbeit nach 1990 ist die Besetzung der Stasizentralen. Wäre es nicht zu der Besetzung der Stasizentralen in Leipzig am 4. Dezember und am 5. Dezember in Dresden sowie Chemnitz gekommen, hätten wir nun nicht diese Form der Geschichte zur Aufarbeitung vorzuliegen und könnten den Menschen, die verfolgt wurden, keine Genugtuung zuteilwerden lassen. Die Besonnenheit der Demonstranten hat dazu geführt, dass es zu keinen Gewaltanwendungen in Leipzig, Dresden und Chemnitz kam, trotzdem aber die Zerstörung der Stasiunterlagen unterbunden und verhindert wurde. Das ist die wichtigste Botschaft auch für die Zukunft.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Jahr der Jubiläen – ein 25-jähriges Jubiläum – beginnt mit der Volkskammerwahl am 18. März. Das war ein bedeutender Meilenstein, der viel stärker in die Erinnerung gehört – gemeinsam mit der Währungsunion und der Entscheidung der Volkskammer am 24. August, das Gesetz über die Sicherung und Nutzung der personenbezogenen Daten des ehemaligen MfS/AfNS zu verabschieden. Die Volkskammer hat damit die Grundlage gelegt, dass die StasiUnterlagen-Behörde eine Geschichtsaufarbeitung leisten kann, die – später unter den Behördenbezeichnungen Gauck-Behörde, Birthler-Behörde und nun Jahn-Behörde – bis zum heutigen Tag eine sehr wichtige Arbeit mit den Mitarbeitern leistet.

Die Aufarbeitung ist für uns noch lange nicht abgeschlossen. Deshalb möchten wir Folgendes: Erstens muss diese Behörde auch für die Zukunft weiterhin eine Aufarbeitung und Befriedung in unserem Land leisten. Sie soll auf jeden Fall über das Jahr 2025 hinaus erhalten bleiben. Zweitens gilt dies in gleicher Form für die Außenstellen, die sich im Freistaat Sachsen befinden. Wir brauchen die Außenstellen in Leipzig, Chemnitz und Dresden. Wir brauchen sie für die Bürger, die einen Anspruch auf Auskunft und Befriedung ihrer eigenen Situation haben. Drittens müssen wir uns weiter der Aufarbeitung der deutschen Diktaturen stellen. Einen Schlussstrich darf es im Interesse der Opfer nicht geben.

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dabei geht es nicht um Schuld. Wir haben eine Verantwortung, Diktaturen niemals wieder zuzulassen. Viertens möchten wir den Bundesbeauftragten Jahn in seiner Arbeit stärken und den Deutschen Bundestag ermutigen, diese Arbeit als Brücke zur friedlichen Revolution im wiedervereinigten Deutschland zu erhalten.