Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dabei geht es nicht um Schuld. Wir haben eine Verantwortung, Diktaturen niemals wieder zuzulassen. Viertens möchten wir den Bundesbeauftragten Jahn in seiner Arbeit stärken und den Deutschen Bundestag ermutigen, diese Arbeit als Brücke zur friedlichen Revolution im wiedervereinigten Deutschland zu erhalten.
Durch Erinnerung Zukunft gestalten: Deshalb werden wir im Freistaat Sachsen die Änderungen des Landesbeauftragtengesetzes vorantreiben und die nötigen Gespräche führen. Wir werden an dem Punkt anschließen, an dem wir gemeinsam mit Dr. Gerstenberg unterbrochen haben, und möchten, dass es zu einem Grundkonsens bei diesem Gesetzentwurf kommt, der von vielen getragen wird.
Die friedliche Revolution ist nicht die Besonderheit aus dem Antiquariat. Sie ist das Porzellan der Demokratie, das in diese Deutsche Einheit eingebracht wurde.
Das war für die einbringende CDU-Fraktion Herr Kollege Schiemann. – Jetzt spricht für die Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Scheel.
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine hochverehrten Damen, meine Herren! Ich gebe zu, dass dies keine einfache Debatte für meine Fraktion und Partei ist, da unsere Vorgängerorganisation – die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands – in der Frage des Umgangs mit den Bürgerinnen und Bürgern in der Deutschen Demokratischen Republik sich einiges an Schuld aufgeladen hat. Diese Schuld tragen wir natürlich
als Organisation, auch ich persönlich, am Ende mit. Wir dürfen, müssen und werden uns natürlich auch weiterhin mit dieser Frage auseinandersetzen.
Insofern darf ich auch meinen Dank für eine solche Debatte hier im Sächsischen Landtag zum Ausdruck bringen. Ich denke, es tut uns allen gut, immer wieder zu reflektieren, dass auch große Ideen nicht immer richtige Dinge tun. Vor allem rechtfertigen große Ideen nicht, dass in ihrem Namen Unrecht geschieht – ob in der DDR oder anderswo.
Meine Damen und Herren! Wir haben meines Erachtens in den letzten 25 Jahren vieles aufgearbeitet. Natürlich geht es heute an einem solchen Tag und in einer solchen Debatte auch darum, Lehren zu ziehen. Unseres Erachtens ist es richtig, dass unfreie Wahlen, Willkür, auch die Einbindung von Kollaborateuren, Mitarbeitern und Zusammenarbeitern und auch eine Institution wie die Staatssicherheit – so wie es im Machterhaltungsregime am Ende in der damaligen DDR der Fall war – keine Instrumente einer demokratischen Kultur sein dürfen.
Politik und auch Regierungsmacht braucht Legitimität. Sie braucht Vertrauen. Sie braucht aber auch die Fähigkeit, mit Widerspruch und Widerstand umgehen zu können. Das bedeutet wiederum, dass sie sich auch immer wieder dem Vertrauen der Bürger stellen können muss.
Deshalb ist aus unserer Sicht auch die Demokratie und damit die Abwählbarkeit eine der großen Lehren auch aus unserer Geschichte. Eine weitere große Lehre ist, dass – wie viele soziale Errungenschaften ein Staat auch immer wieder haben mag – ohne Freiheitsrechte und bürgerliche Rechte diese sozialen Rechte auch leider nur die eine Seite der Medaille sind. Wir müssen aber an beide Seiten der Medaille denken, also an die Freiheitsrechte und sozialen Rechte,
und dass wir sehr vorsichtig sein müssen, wenn es um Allmachtsfantasien von Parteien geht, wenn gesellschaftliche Durchdringung, wenn Honorieren von Anpassung und Sanktionieren von Widerstand und anderen Meinungen Raum greifen.
Zum Thema der heutigen Debatte, zur Staatssicherheit: Aus unserer Sicht ist es notwendig gewesen und auch gut, dass die Akten geöffnet wurden, und zwar aus einem Grund: weil die Opfer von Unterdrückung, teilweise auch von Gewalt und Unrecht, ein Recht auf Erklärung haben, ein Recht auf Offenlegung auch zur Einordnung der eigenen Biografie. Allerdings ist in den letzten Jahren, vor allem in den ersten Jahren nach der friedlichen Revolution, die Frage der Staatssicherheit auch zu einem Instrument der Dämonisierung geworden. Das heißt, eine Gleichsetzung von Staatssicherheit und DDR war ein einfaches Mittel der Auseinandersetzung um die Hinterlassenschaften der Deutschen Demokratischen Republik.
Ich glaube, diese Dämonisierung hat der Debatte insgesamt nicht gutgetan, weil sie den Blick auf die gesamtsystematischen Zusammenhänge verstellt hat auf dem Appa
rat, der dort stattgefunden hat. Er hat am Ende auch niemandem sonst gutgetan, der meinte, dieses Ziel erreichen zu können.
Ich darf Herrn Geert Mackenroth zitieren, damals noch als Staatsminister der Justiz, in seiner Stellungnahme zum Antrag von CDU und SPD: „Tätigkeit als Landesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR“ vom 15. Mai 2009. Hier schreibt er: „Bildung und Information für Jugendliche über die Wirkung und die Folgen der SED-Diktatur sind insbesondere dann erfolgreich, wenn sie in eine breite und umfangreiche Auseinandersetzung mit der alltäglichen Realität in der DDR eingebettet sind.“
Meine Damen und Herren! Wer versucht, Stasi und DDR gleichzusetzen, der wird den Weg versperren, dass wirkliches Verständnis stattfindet, und der wird vor allem eben nicht dem gerecht, dass wirklich auch draußen das, was wir hier so proklamieren, bei den Menschen auch angenommen wird und ankommt. Wir müssen es auch immer in die Realität einbetten, die vorhanden war, und diese war nicht der permanente Kontakt mit dem MfS, weil die Menschen auch in der DDR den Kontakt mit dem Ministerium für Staatssicherheit vermieden haben.
Natürlich müssen wir auch über die Frage, wie sich die Zusammenarbeit gestaltet hat, reden. Vielleicht besteht nach 25 Jahren auch die Möglichkeit, ohne Wut, vielleicht auch ohne Hass in Debatten zu gehen und zu ermöglichen, dass wir mit den Widersprüchen und Brüchen in Biografien besser umgehen können – genauso wie auch die Kollegen, zum Beispiel wie Herr Tillich und Herr Kupfer, die mit den Widersprüchen ihrer Biografien umgehen müssen; denn das ermöglicht uns am Ende eine wirkliche Debatte zur Demokratie. Dazu gehören Mitmenschlichkeit, Kommunikation, Ehrlichkeit, Verständnis und Klarheit.
Das war Kollege Scheel für die Fraktion DIE LINKE. Ich erinnere nochmals an unsere Redezeit von 5 Minuten und bitte diese einzuhalten. – Jetzt spricht für die AfD-Fraktion Herr Kollege Spangenberg.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin ja ein Betroffener. In meinem Bekannten- und Verwandtenkreis sind allein sechs Leute mit Haftstrafen belegt worden. Trotzdem muss ich sagen, als ich das erste Mal meine Akten sah, war ich entsetzt. Es kam ein Wagen herein, Sie kennen ihn ja, eine Art Teewagen, und im oberen Fach und überall waren sieben oder acht dicke Ordner darauf. Ich war fassungslos, was man alles zusammengeschrieben hatte. Als ich dann Einsicht nahm, war darin viel Blödsinn enthalten. Das muss ich ganz ehrlich sagen.
Aber 111 Kilometer Aktenlänge ist doch schon ein Beispiel, wie ein Geheimdienst arbeitet. 1,4 Millionen Fotos
wurden gemacht, meine Damen und Herren, unfassbar! Mittlerweile sind wohl über drei Millionen Anträge bereits gestellt worden, um diese Akteneinsicht zu benutzen.
Ich habe mir einmal einige Zahlen herausgesucht, die die Geheimdienste betreffen. Der NKWD – der ist Ihnen ja bekannt, Narodni Kommissariat Wnutrennich Djel – hatte pro 500 Einwohner einen Geheimdienstmann angesetzt. Die Gestapo bei den Nazis hatte auf tausend Einwohner einen angesetzt, und die Staatssicherheit hatte auf 108 Bürger einen Mitarbeiter angesetzt. Das ist eine gewaltige Steigerung der Bespitzelung innerhalb eines Staates.
Wir brauchen diese Unterlagenbehörde noch, wir brauchen sie noch viele Jahre, weil die Nachfrage nach den Unterlagen nicht abreißt. Wir hatten in den letzten Jahren immer eine Entwicklung von circa 80 000 Nachfragen. Diese ist zwar leicht zurückgegangen, aber immer noch auf hohem Niveau: in den letzten Jahren über 60 000 und davor 80 000 – bisher, wie gesagt, schon über drei Millionen insgesamt.
Diese Unterlagen zeigen ein interessantes Bild nicht nur der Gesellschaft, sondern auch der Charaktere. Viele Menschen, die gelesen haben, sind entsetzt, wie sie dort von eigenen Familienangehörigen, von Geschwistern, Freunden, selbst von Ehepartnern in irgendeiner Form hintergangen worden sind. Zum Glück habe ich diese Erfahrung nicht machen müssen, aber vielen ist dort klar geworden, wie sie betrogen wurden, aber viele haben auch den Beweis bekommen, dass sie sich auf Leute verlassen konnten.
Das heißt, meine Theorie ist ganz einfach: Es ist nicht das System, welches die Charaktere so schlecht macht, es sind die Menschen selbst. Das System gibt nur diesen Leuten die Möglichkeit, sich in dieser Form zu produzieren. Das heißt also, dass diese Leute weiter unter uns sind. 1945 waren nicht die Nazis verschwunden, und 1989 waren auch nicht alle Kommunisten verschwunden. Sie sind nach wie vor unter uns, sie denken auch so, sie können nur nicht mehr so handeln. Es ist das Verdienst der Demokratie, dass diese Leute mit diesem Charakter sich nicht austoben können, sondern gezwungen sind, sich aufgrund unserer Gesetze vernünftig zu verhalten.
Das ist meines Erachtens einer der wesentlichen Gründe für die Demokratie. Wir kennen ja alle den Begriff der Demokratie, der in der DDR auch etwas merkwürdig formuliert wurde. Demokratie war alles das, was man sagen durfte, was erlaubt war. Das war Demokratie der DDR. Insofern sieht man das auch in den Unterlagen der Staatssicherheit, wie dort gearbeitet wurde.
Es gibt mittlerweile sehr viele Dokumente darüber, in denen man nachlesen kann. Wir sind der Meinung, dass wir diese Unterlagenbehörde noch brauchen. Wir haben noch 15 000 Säcke mit solchen Schnipseln, die noch aufgearbeitet werden müssen. Wer weiß, was da noch alles offenbart wird. Schon aus diesem Grund ist noch
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Diskussion im Vorfeld zum Beschluss des Stasi-Unterlagen-Gesetzes hat bereits einen Ausblick darauf gegeben, dass die Art dieser Aufarbeitung in Deutschland und vielleicht auch international ein beispielhafter Prozess ist. Sie ermöglichte von Anfang an, sich unmittelbar mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, ganz individuell und auch mit schmerzhaften Erfahrungen.
Ich habe die Erfahrung 1992 gemacht. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, viel zu zeitig. Ich hätte mehr Abstand gebraucht. Aber die Mitarbeiter in der Behörde haben mich nicht alleingelassen. Ich hätte die ganzen aufwallenden Fragen und Gefühle nicht verarbeiten können. Dafür möchte ich stellvertretend für die Tausenden Antragsteller an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Außenstellen hier einmal Dank sagen.
Ich kann verstehen, dass andere viele Jahre gewartet haben, ehe sie den Blick in die Akten gewagt haben. Deswegen sage ich ganz deutlich, dass die Behörde noch weitere Jahrzehnte dringend nötig ist, denn die Antragszahlen sind nach wie vor hoch. Darauf haben die Vorredner hingewiesen. Noch immer gibt es Opfer, die weder ausreichend Gehör noch Wiedergutmachung erfahren haben. Es wird auch deshalb künftig eine hohe Fachkompetenz in den Außenstellen nötig sein, die über Archivfragen hinausgeht, um das Verstehen der Zusammenhänge zu fördern, um auch auf das Aufbrechen alter Narben sensibler reagieren zu können.
Deswegen möchte ich ganz klar sagen, dass die Opfer und die Angehörigen weiterhin einen privilegierten Zugang zu den Akten haben, um schnell Klarheit zu den Decknamen zu erhalten. Die menschlichen Aspekte der Bewältigung von Geschichte haben weiterhin eine sehr hohe Bedeutung. Dazu kommt die historische Dimension, die Behörde auch für künftige Generationen so zu gestalten, dass sie eine Bedeutung bekommt für die Gestaltung einer freiheitlich-demokratischen Zukunft. Deswegen ist der Zugang zu den Akten auch künftig für die Medien, für die regionale Erinnerungskultur, für Forschung, für geschichtliche Aufarbeitung und politische Bildung wichtig.
Der Aktenbestand der Staatssicherheit steht auch stellvertretend für viele vernichtete oder gefährdete Aktenbestände der DDR. Die Parteiarchive sind nur teilweise erhalten. Die Jugendhilfeakten spiegeln oft den politischen Hintergrund staatlicher Repressionen gar nicht wider. Deshalb