Protokoll der Sitzung vom 15.03.2017

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 50. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags.

Zuerst gratuliere ich Frau Staatsministerin Dr. Eva-Maria Stange zum 60. Geburtstag – ich sage es einfach –

(Beifall des ganzen Hauses)

und Herrn Kollegen Jörg Vieweg zum ganz normalen Geburtstag.

(Heiterkeit – Beifall des ganzen Hauses)

Meine Damen und Herren! Der bisherige Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion DIE LINKE, Herr Sebastian Scheel, der zum neuen Berliner Staatssekretär für Wohnen ernannt wurde, hat mir gegenüber den Verzicht auf sein Landtagsmandat mit Ablauf des 21. Februar 2017 erklärt.

Das im Landeswahlgesetz vorgesehene Verfahren zur Nachfolgeregelung wurde durch mich veranlasst. Der Landeswahlleiter hat mir mitgeteilt, dass Herr René Jalaß als Listennachfolger seit dem 22. Februar 2017 Mitglied des Landtags ist.

Für ihn gilt zukünftig die in § 2 unserer Geschäftsordnung formulierte Verpflichtungserklärung. Sie lautet wie folgt: „Die Mitglieder des Sächsischen Landtags bezeugen vor dem Lande, dass sie ihre ganze Kraft dem Wohle des Volkes im Freistaat Sachsen widmen, seinen Nutzen

mehren, Schaden von ihm abwenden, die Verfassung und die Gesetze achten, die übernommene Pflicht und Verantwortung nach bestem Wissen und Können erfüllen und in der Gerechtigkeit gegen jedermann dem Frieden dienen werden.“

Die Geschäftsordnung sieht weiterhin vor, dass später eintretende Mitglieder in der ihrer Berufung folgenden Sitzung durch Handschlag verpflichtet werden. Diese Verpflichtung möchte ich nun abnehmen und bitte dazu Herrn René Jalaß zu mir nach vorn. Die übrigen Anwesenden erheben sich bitte von ihren Plätzen.

(Verpflichtung des Abg. René Jalaß, DIE LINKE – Beifall bei allen Fraktionen)

Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Frau Klotzbücher, Herr Prof. Dr. Wöller, Herr Heidan und Frau Schaper.

Die Tagesordnung liegt Ihnen vor. Folgende Redezeiten hat das Präsidium für die Tagesordnungspunkte 3 und 5 bis 9 festgelegt: CDU 90 Minuten, DIE LINKE 60 Minuten, SPD 48 Minuten, AfD 42 Minuten, GRÜNE 30 Minuten, Staatsregierung 60 Minuten. Die Redezeiten der Fraktionen und der Staatsregierung können auf die Tagesordnungspunkte – je nach Bedarf – verteilt werden.

Meine Damen und Herren! Ich sehe jetzt keine Änderungsvorschläge oder Widerspruch gegen die Tagesordnung. Die Tagesordnung der 50. Sitzung ist bestätigt.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 1

Fachregierungserklärung zum Thema:

„Mobilität für Sachsen: bezahlbar, verlässlich, innovativ“

Ich erteile Herrn Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, unserem Kollegen Martin Dulig, das Wort. Bitte, Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute werden wir über die Mobilität von Menschen, von Dienstleistungen und von Waren sprechen, von den Menschen im Freistaat und ihren berechtigten Ansprüchen an eine Regierung, die für ihre Bürgerinnen und Bürger einsteht.

„Mobilität“ beschreibt das Bedürfnis der Menschen, über den unmittelbaren Raum ihres Erlebens hinaus miteinander in Beziehung zu treten. Sie ist Notwendigkeit einer modernen Zeit und Grundbedürfnis zugleich. Die Menschen verbinden positive und negative Gedanken mit dem Begriff „Mobilität“. Die einen denken an Freiheit, an Flexibilität, an Unabhängigkeit, die anderen an weite Arbeitswege mit Staus und Stress.

„Mobilität“ beschreibt auch das Wesen von Dienstleistungen, die nicht nur den Nachbarn erbracht werden sollen. Sie ist Ausdruck einer Gesellschaft, die an allen möglichen Orten Dinge erfindet, herstellt und zu den vielfältigen Märkten tragen will. So verstehe ich Mobilität: als Netz vielfältiger Verbindungen, die aus Ideen Produkte machen, aus ersten Plänen Innovationen wachsen sehen und Menschen damit in all ihren Formen der Kreativität verbindet, als Unternehmer und Kunden, als Anbieter und Nachfragende, als Erfinder und Konsumenten. Dies ist allein der ökonomische Aspekt.

Auf der anderen Seite steht, was diese Beziehung des Handelns erst möglich macht: das Bedürfnis des Menschen nach guter Arbeit, nach Begegnung, nach Freizeit und der Erkundung der näheren und ferneren Umgebung.

Für mich bedeutet gute Mobilitätspolitik, vom Menschen und seinen Bedürfnissen her zu den Strukturen zu denken und nicht umgekehrt, nicht den Menschen abzurichten für

eine beschleunigte Gesellschaft, sondern Mobilität für den Menschen.

Die Verkehrspolitik schafft die Grundlage für eine mobile Gesellschaft. Die Erwartungen der Menschen sind klar: Sie wollen bezahlbar mobil sein, ob im Individualverkehr oder im öffentlichen Verkehr. Sie verlangen verlässliche Angebote und eine solide Infrastruktur, und sie wollen heute schon die Bewegung der Zukunft durch innovative Konzepte und neue Antriebe erleben.

Die Pflicht des Staates für eine funktionierende Infrastruktur liegt in seiner Grundaufgabe: der Daseinsvorsorge. Wer klug und überlegt in Straßen und Wege, in Kommunikationskanäle und Transportmöglichkeiten investiert, der investiert in die Zukunft der Menschen. Er arbeitet für diejenigen, die morgen noch besser als heute bei uns leben und arbeiten wollen, die Arbeitsplätze erhalten und schaffen, die zu uns in den Urlaub fahren und mit ihren Kindern eine lebendige Bildung und Freizeit erleben wollen.

Denn vergessen wir nicht: Mobilitätspolitik ist mehr als die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur. Sie ist Wirtschaftspolitik, wo sie Ansiedlungen durch bessere Standortbedingungen erleichtert. Sie ist gute Arbeit, wo sie den Weg zur Arbeit verkürzt und so mehr effektive Zeit für Familie und Hobbys schafft. Sie ist erfahrbare Digitalisierung, wo sie mithilfe moderner Technologien und Apps günstigere, schnellere und passgenauere Mobilität ermöglicht.

Deshalb sehen wir im Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr die Mobilitätspolitik als übergreifendes Thema an. Dieser Aufgabe hat sich die Staatsregierung gestellt. Auf vielen Gebieten haben wir Ideen angestoßen, Finanzmittel investiert und Förderprogramme aufgelegt.

Lassen Sie mich auf einzelne Bereiche eingehen. Zuerst will ich den Blick in die Zukunft der Antriebstechnologie wagen, die im Freistaat Sachsen gegenwärtiger ist als in den meisten anderen Regionen. Die Zukunft heißt Elektromobilität. Elektromobilität leistet heute einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen und ökologischen Gestaltung nicht nur des Individualverkehrs, sondern auch des ÖPNV.

Wir haben zusammen mit dem Freistaat Bayern im Rahmen des Schaufensters „Elektromobilität verbindet“ vorbildliche Konzepte gefördert, darunter die Elektrobuslinie 79 in Dresden und den E-Bus „Butterfly“ in Leipzig. Auf der Schiene unterstützen wir den EcoTrain der Erzgebirgsbahn, ein Hybridschienenfahrzeug mit alternativen Speicherkonzepten und innovativem Energiemanagement. Mit diesem Zug wird Zukunft – nicht zuletzt des Unternehmens Bahn – geschrieben; denn mit diesem Zug und einem gerade im Aufbau befindlichen Testfeld soll teilautomatisches Fahren erstmals in die Praxis umgesetzt werden.

Genauso wichtig sind die Initiativen zur Elektromobilität beim Automobil. Die Gläserne Manufaktur Dresden wird

ab dem nächsten Monat den Elektro-Golf produzieren. In Leipzig laufen die BMWs i3 und i8 und der Porsche Panamera Plug-in-Hybrid vom Band. In Kamenz entsteht eine Batteriefabrik für Elektromobile.

Auf vielen Ebenen nimmt unser Land seine Verantwortung ernst. Immer mehr Verwaltungen und Institutionen im Freistaat beschaffen Elektrofahrzeugflotten. Auch mein Dienstwagen fährt mit Hybrid-Antrieb. So wird sichtbar, was ökologisch sinnvoll ist.

Auch wenn ich die Elektromobilität als Zukunft beschrieben habe – genauso sind Wasserstoff- oder Brennstoffzellantriebe zu sehen. Wir sollten uns nicht auf eine Variante festlegen. Unterschiedliche Infrastrukturen verlangen unterschiedliche Lösungen. Gerade als Exportland müssen wir wissen, dass wir nicht überall dieselben Infrastrukturen haben. Ich bin deshalb der Meinung, dass man auch in die herkömmlichen Antriebstechnologien weiter investieren und diese weiterentwickeln muss.

Intelligente Verkehrssysteme, vernetzte Mobilität und automatisiertes Fahren – der Freistaat unterstützt diese Initiativen und ist mit seiner lebendigen Forschungs- und Industrielandschaft mittendrin im stetig wachsenden Zukunftsmarkt. Unsere Hochschulen und unsere außeruniversitären Forschungseinrichtungen begleiten diese Themen wissenschaftlich auf höchstem Niveau. Das geplante digitale urbane Testfeld Dresden für das automatisierte Fahren ist ein herausragendes Zeichen dafür.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen aus Befragungen und aus dem täglichen Gespräch, dass die öffentlichen Verkehrsmittel den Menschen in Sachsen am teuersten sind. Sie wünschen ein verlässliches Angebot zu bezahlbaren Preisen. Was das angeht, stehen wir vielerorts gut da. Das Beratungsunternehmen Civity hat für mehr als 50 große deutsche Städte die Abfahrten aller Busse und Bahnen von allen Haltestellen zusammengezählt und durch die Anzahl der Einwohner geteilt. Das klingt kompliziert, hat aber ein einfaches Ergebnis: Den dritten Platz belegt Dresden. In der Frage, wie viel ÖPNV man für sein Geld bekommt, ist Dresden Spitzenreiter in ganz Deutschland. Auch Leipzig und Chemnitz sind mit ihren Platzierungen im Mittelfeld in einer hervorragenden Position. Diese Ergebnisse verdanken wir klugen und innovativen Menschen in den Verkehrsbetrieben,

(Beifall bei der SPD und der CDU)

die wir darin nach Kräften unterstützt haben und weiterhin unterstützen werden.

Bestes Beispiel dafür ist der gerade erst erfolgte Baubeginn zur neuen Stadtbahntrasse Löbtau – Strehlen in Dresden. Auch konnte ich die Investitionsförderung für den Öffentlichen Personennahverkehr in Höhe von rund 130 Millionen Euro für 2017 freigeben. Damit führen wir unser Engagement auf hohem Niveau fort und geben den Akteuren Planungssicherheit für die Zukunft sowie neue Ideen.

Dazu gehören Fahrzeugbeschaffungen für die Straßenbahnunternehmen in Leipzig, Chemnitz und Plauen, aber

auch ÖPNV-Großprojekte wie das erwähnte Stadtbahnprojekt in Dresden oder das Chemnitzer Modell, welches die Verknüpfung von Eisenbahn und Straßenbahn vom Umland bis direkt in die Innenstadt bringt.

Doch nicht nur Fahrzeuge werden in diesem Zusammenhang gefördert. Von vernetzter und intelligenter Mobilität habe ich gesprochen. Immer mehr nutzen wir diese Angebote selbstverständlich im Alltag. Wir erkundigen uns per Telefon nach dem Fahrplan. Wir buchen unser Ticket für den Zug, die Straßenbahn oder den Bus mit dem Handy und haben die elektronische Fahrkarte dabei. E-Ticketing ist bereits ein Erfolgsmodell in den Ballungszentren. Nun muss es darum gehen, dies auch in den ländlichen Räumen zu realisieren. Wir fördern diese moderne Entwicklung und setzen damit auf die Zukunft des ÖPNV.

Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Sonnenseiten des ÖPNV sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Reformbedarf gibt. Ein kundenfreundlicher, leistungsfähiger, innovativer und wirtschaftlicher öffentlicher Nahverkehr ist eine Herausforderung, der sich auch die ÖPNV-Strategiekommission stellt. Sie wurde 2015 gegründet. In dem Bewusstsein unserer gemeinsamen Verantwortung habe ich alle Fraktionen dieses Hauses dazu eingeladen, darin mitzuarbeiten.

In 35 Sitzungen behandelten die fünf Arbeitsgruppen Zukunftsthemen des ÖPNV. Zentrale Projekte sind die Weiterentwicklung des Angebots, die Harmonisierung der Beförderungsbedingungen und die Schaffung von Grundlagen für einen Sachsen-Tarif. Wir haben uns unter anderem mit der wichtigen Frage der Barrierefreiheit befasst, die wir bis 2022 erreicht haben wollen, und diskutieren über weitere Möglichkeiten der Digitalisierung. Wir prüfen auch, wie viele Aufgabenträger sinnvoll sind. Fünf Zweckverbände sind zu viel.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Für die sehr konstruktive Zusammenarbeit bedanke ich mich bereits jetzt bei allen Kommissionsmitgliedern. Zum Ende dieses Jahres wird die Strategiekommission konkrete und machbare Empfehlungen erarbeiten und diese dem Sächsischen Landtag und den kommunalen Aufgabenträgern übergeben. Wenn dort Entscheidungen gefallen sind, werden wir diese so schnell wie möglich in die Tat umsetzen; denn die Verantwortung bleibt bei uns.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein kluger und effizienter ÖPNV ist unabdingbare Voraussetzung für die weitere ökonomische und ökologische Entwicklung unseres Landes.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Im Koalitionsvertrag haben wir die Erschließung des ländlichen Raums und die Weiterentwicklung attraktiver und leicht zu nutzender Tarifsysteme festgelegt. Auch den Schienen- und Busverkehr wollen wir weiterentwickeln. Das ist leicht gesagt, kostet aber Geld, wie wir alle wissen.

Nach harten Verhandlungen haben wir erreicht, dass die Regionalisierungsmittel des Bundes insbesondere für die fünf Ost-Flächenländer nochmals um 200 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt werden, und das zuzüglich einer Dynamisierung. Damit haben wir spürbar Luft für die von mir angesprochenen Innovationen bekommen.