Protokoll der Sitzung vom 18.05.2017

Auch bei der Währungsunion sollte genau nachgedacht werden, diese im Euroraum zu vertiefen, und zwar dann, wenn die volkswirtschaftlichen Eckpunkte dies angezeigt erscheinen lassen. Darüber ist zu reden. Hier gibt es eine unmittelbare Beziehung zwischen der volkswirtschaftlichen Entwicklung der Regionen und der Währungsunion.

Der dritte Punkt, der konkret genannt werden kann, ist: Wir sind als Freistaat Sachsen unmittelbar darauf angewiesen, dass unsere Innovationspolitik, die wir in den letzten 27 Jahren betreiben konnten, fortgesetzt werden kann. Das wird auch Gegenstand der Verhandlungen der Staatsregierung in Brüssel sein, und darüber werden wir sprechen müssen.

Als nächster Punkt ist mir noch wichtig, einige Flexibilisierungen anzusprechen, um auch noch einmal zu sagen,

was schon alles passiert ist, was nach vorn weiterentwickelt werden kann. Nehmen wir einmal die Industriepolitik. Es ist durch das Konstrukt des „Important Project of Common Europaen Interest“ gelungen, das Beihilferecht zu dispensieren. Industriestaaten können also in Schlüsselindustrien Förderungen auf den Weg bringen, ohne dass sie strengen beihilferechtlichen Regelungen unterliegen.

Ich wollte mich nicht zur Arbeit des Landtags äußern, weil das unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung auch nicht angezeigt ist. Aber wichtig ist schon einmal zu sagen: Die Subsidiaritätsrügen haben funktioniert. Wir haben bei der Datenschutzgrundverordnung in der letzten Legislaturperiode eine Subsidiaritätsrüge erhoben, die zu einer Veränderung des Legislativvorschlags der Europäischen Union geführt hat.

Das Gleiche gilt für die AVMD-Richtlinie, die wir aktuell bearbeitet haben. Das Instrument der Subsidiaritätsrüge funktioniert. Die Europäische Kommission hat jetzt die Vorschriften zum Aufsichtsrecht im Bereich der audiovisuellen Medien verändert.

Schließlich möchte ich Herrn Thomas Schmidt erwähnen, der mit seiner ELER-Flexibilisierung europaweit mit Vereinfachungsvorschlägen nicht nur wahrgenommen wird, sondern auch gern gesehener Gast auf Podien der Europäischen Kommission und der Mitgliedsstaaten ist. Ich höre auch, dass diese Vereinfachungsvorschläge, die zum ELER erarbeitet werden, in der Europäischen Kommission sehr geschätzt werden.

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Sehr gern.

Herr Staatsminister, würden Sie mir recht geben, dass sich andere Bundesländer seitens der entsprechenden Landesregierungen und auch seitens der Parlamente viel häufiger sowohl in Subsidiaritätsangelegenheiten als auch über den Weg des politischen Dialogs beteiligen?

Das kann ich so nicht bestätigen. Was mir auffällt, ist, dass sehr viele Landesvertretungen in Brüssel sehr viele Veranstaltungen machen, bei denen ich mir die Frage stelle, ob das eigentlich von dem Mandat einer Landesregierung noch erfasst ist. Wir diskutieren zwar im Europaausschuss auch immer über allgemeinpolitische Sachverhalte, aber die Arbeit des Ausschusses muss am Ende ja eine Rückbindung zu der landespolitischen Aufgabe behalten.

Aus diesem Grunde – so ist jedenfalls meine Wahrnehmung, Herr Stange, um auch auf Ihre Kritik gegenüber dem Kollegen Schiemann eine Replik zu wagen – ist

mein Eindruck, dass wir schon versuchen, die landespolitischen Themen zum Gegenstand der Beratung im Ausschuss zu machen. Das hat uns nach meinem Eindruck bisher auch nicht davon abgehalten, allgemeinpolitisch zu diskutieren. Ich möchte einmal daran erinnern, dass wir die niederländische Botschafterin zu Besuch hatten, die das Kommissionsprogramm vorgestellt hat, das unter der Ratspräsidentschaft der Niederlande erarbeitet werden sollte.

Meine Damen und Herren! Ein Stichwort noch zum Haushalt. Es ist, glaube ich, mittlerweile Konsens, dass weniger Geld zur Verfügung stehen wird und mehr Aufgaben in Europa anstehen. Das wird eine künftige Debatte auch in diesem Landtag sein. Im Juni werden wir das Reflexionspapier der Europäischen Kommission erhalten und es damit im Haushalt dann auch zum Gegenstand weiterer Beratungen hier machen können.

Eine letzte Bemerkung, meine Damen und Herren. Wir sprechen von einem Europa der Bürger. 50 % der Deutschen waren bisher nicht in den neuen Bundesländern.

Wie viele von den Bürgern Europas, die in Brest waren, waren schon einmal in Brünn? Wie viele, die in Kopenhagen waren – und in Kopenhagen läuft sehr viel an Tourismus –, waren schon in Catania? Ich halte es für unglaublich wichtig, dafür Sorge zu tragen, dass die Menschen in Europa Europa auch als Ganzes empfinden, was mit den Regionen, den Hauptstädten, den Menschen, aber auch mit der Kultur zu tun hat. Dann ist mir um Europa nicht bange.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Mit den Ausführungen des Herrn Staatsministers Jaeckel ist die Aussprache zu diesem Teil des Tagesordnungspunktes beendet. Ich sehe keinen weiteren Redebedarf aus den Fraktionen. Die erste Aktuelle Debatte ist abgeschlossen.

Wir kommen nun zum zweiten Teil dieses Tagesordnungspunktes:

Zweite Aktuelle Debatte

Solarindustrie: weltweit im Steigflug, in Freiberg vor dem Absturz?

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Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Als Antragstellerin hat zunächst die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Herr Kollege Lippold, Sie sprechen für Ihre Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wollen über Konsequenzen aus der SolarWorld-Insolvenz diskutieren. Es geht in Freiberg um etwa 1 200 Arbeitsplätze in Produktion, Forschung und Entwicklung. Aber es geht um noch viel mehr.

SolarWorld, meine Damen und Herren, ist nicht einfach ein Solarmodulmassenproduzent. Es ist das letzte große Unternehmen in Europa, das die gesamte Technologiekette der industriellen Fotovoltaik vom Rohstoff bis zum fertigen Solarsystem und darüber hinaus bis zum Recycling beherrscht und in über eineinhalb Jahrzehnten mit Tausenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie einem ganzen Netz von Forschungs- und Entwicklungspartnern einen großen Schatz an Know-how und Entwicklungspotenzial erarbeitet hat. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass in Freiberg und Arnstadt die letzten europäischen Schatzkisten dieser Industrie stehen, gefüllt mit industrieller Zukunftsfähigkeit bei den Basiskomponenten des solaren Energiezeitalters. Nun ist mehr bedroht als der jeweilige Produktionsstandort. Es droht der endgültige Verlust von nationaler und europäischer Kompetenz in einer der entscheidenden Schlüsselindustrien des

21. Jahrhunderts.

Herr Minister Dulig, wir erheben nicht die Forderung, die Staatsregierung möge das Unternehmen irgendwie in der heutigen Form und Struktur retten. Eine Insolvenz ist eine harte Zäsur. Doch oft ist sie auch eine Chance, Strategie und Struktur neu zu denken und entschuldet neue Ziele anzusteuern. Entscheidend ist aber an dieser Stelle, dass die neuen Wege auch bei uns hier in Sachsen gegangen werden und dass dabei diese Innovationsschatzkiste nicht ausgeräumt wird. Die Lösungssuche von Verwaltern und von Gläubigern in der Insolvenzsituation berücksichtigt nämlich nicht automatisch auch bereits die Interessen des Standortes, der vielfältig vernetzten Kooperationspartner und strategischer Entwicklungsziele des Freistaates. Damit das geschieht, muss der Freistaat diese Interessen klar vertreten, und zwar nicht erst irgendwann im Insolvenzverfahren, sondern von Anfang an, denn sie müssen Teil von Abwägungs- und Entscheidungskriterien heutiger und potenzieller künftiger Eigentümer sein.

Dazu muss man diese Interessen zunächst einmal selbst definieren, dann klar formulieren und als Bekenntnisse zu den Standortbedingungen kommunizieren. Sich kümmern ist das Gebot der Stunde – unter Nutzung aller Netzwerke, Kontakte und Kanäle in den Bund, zu den betroffenen Ländern, in Richtung EU, zu Unternehmen und Investoren, und zwar in einem engen Zeitfenster.

Wirklich überraschen konnte diese Insolvenz niemanden, der Zahlen lesen kann. Quartalsberichte und Jahresabschlüsse sind ja öffentlich zugänglich. Dort war deutlich zu sehen, dass bei Zweifeln an der Fortführungsprognose

sofort der Insolvenzgrund der Überschuldung virulent werden würde. Die Krise kam auch nicht plötzlich, sie hat sich über Jahre aufgebaut.

Wirklich überrascht hat mich, Herr Minister, dass Sie sich davon überrascht gezeigt haben: Es habe Sie kalt erwischt. Wie konnte das passieren? Kalt erwischt, wie Sie nach eigener Aussage waren, sind Sie letzte Woche dann nach Freiberg geeilt, um anschließend zu verkünden, Sie könnten nichts sagen, Ihnen fehle die nötige Information, die müssten Sie sich erst vom Insolvenzverwalter geben lassen. Spätestens vor einigen Monaten, als die Krisenzeichen deutlich sichtbar an der Wand standen, wäre der richtige Zeitpunkt gewesen, sich über Risiken und Chancen informieren zu lassen, und zwar in Diskussionen mit dem Management des Unternehmens, mit Eigentümern und Partnern an Standorten und darüber hinaus, und damit nicht einen Autopsiebericht anzufordern, sondern sich um eine Diagnose zu kümmern, solange der Patient noch lebt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Um in diesem Bild zu bleiben, Herr Minister: Für den Anspruch, Wirtschaftspolitik zu machen, reicht es nicht aus, sich um Geburtshilfe und Palliativversorgung zu kümmern; es braucht auch ab und an Therapievorschläge und ansonsten Gesundheitsvorsorge für die sächsische Wirtschaft.

Natürlich hat kein Unternehmen Interesse daran, ständig irgendwelche Fragebögen zur Lage auszufüllen. Aber, Herr Minister, Unternehmen erwarten sehr wohl von einem Wirtschaftsministerium, dass es auf dem aktuellen Stand ist hinsichtlich der Markt- und Wettbewerbssituation, der prognostizierbaren Risiken und Chancen in wesentlichen Bereichen seiner ansässigen Industrie und deren Zukunftsperspektiven und dass es sich dann auch proaktiv einbringt, wenn Gewitterwolken aufziehen und es um Tausende Jobs geht.

Dass man das leisten kann, wenn man es leisten will, und dass auch die Staatsregierung das leisten kann, wenn sie es will, dafür möchte ich in der zweiten Runde Beispiele nennen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Zweite Aktuelle Debatte ist durch die einbringende Fraktion durch Herrn Dr. Lippold eröffnet worden. Jetzt spricht Herr Kollege Rohwer für die CDU.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie uns doch einmal auf die „Gesundheitsvorsorge“ eingehen, die Herr Dr. Lippold angefordert hat. Ich möchte Ihnen zuerst einmal ein paar Zahlen vor Augen führen; denn bei Insolvenzen geht es natürlich auch um Zahlen. Was ich aber nicht machen werde, ist, mich zu Zahlen des Unternehmens auszulassen. Ich denke, das kann der Insolvenzverwalter besser.

Gern gehe ich einmal auf die öffentlichen Zahlen ein. Das Bundesministerium für Wirtschaft hat ausgerechnet, dass

es für 2017 mit 24,5 Milliarden Euro EEG-Differenzkosten rechnet, die an Ökostromerzeuger fließen – die erste Zahl. Die zweite Zahl: Davon gehen mehr als 9 Milliarden Euro in diesem Jahr als Subventionen an die Solarbranche – 9 Milliarden Euro. Seit dem Jahr 2000, dem Jahr der Einführung der EEG-Umlage durch RotGrün im Bund, haben wir 64 Milliarden Euro für die erneuerbaren Energien ausgegeben. Laut RWI LeibnizInstitut für Wirtschaftsforschung erhält die Solarbranche dreimal so viel Subventionen wie Windkraft und fünfmal so viel, wie an der Energiebörse für konventionell erzeugten Strom gezahlt wird.

Was will ich damit sagen? Ich möchte sagen: Die Anschubfinanzierung war ordnungspolitisch richtig, und ich sage auch ganz deutlich: wichtig.

(Jörg Urban, AfD: Falsch!)

Auf die Phase der Anschubfinanzierung muss aber jetzt die Branche ihre Konkurrenzfähigkeit herstellen. Wir dürfen eben keine parallelen Märkte und Doppelstrukturen haben und auch keine weiteren schaffen. Deshalb kann ich nur für meine Fraktion sagen – und Kollege Ittershagen wird aus der regionalen Sicht auch gleich noch ausführen –: Jede Unterstützung für den Insolvenzverwalter, damit innovative Unternehmen wie SolarWorld vor Ort –

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Sofort, Herr Präsident, ich will nur den Satz zu Ende bringen.

damit innovative Unternehmen wie SolarWorld vor Ort weiter durch uns begleitet werden können.

Bitte, Herr Dr. Lippold.

Kollege Rohwer, können Sie bitte noch einmal kurz erläutern, was Ihre Ausführungen mit der aktuellen Lage bei SolarWorld zu tun haben? Das Unternehmen hat über 85 % Exportquote. Die Fotovoltaik gewinnt zurzeit weltweit eine Ausschreibung nach der anderen, wenn es um technologieoffene Stromlieferungen geht, weil das die günstigste Art geworden ist, Strom zu erzeugen. Das ist viel billiger als der Bau eines neuen fossilen Kraftwerkes. Was hat das mit der aktuellen Lage bei SolarWorld zu tun, wenn Sie hier die EEGUmlage diskutieren, die überwiegend aus Förderungen in den Jahren 2009 bis 2012 resultiert?

Das kann ich Ihnen erklären. In der Zwischenzeit – darauf wollte ich gerade verweisen – hat sich in China eine andere Art des Produzierens von Solarzellen entwickelt. Da stehen wir natürlich im globalen Wettbewerb.