Protokoll der Sitzung vom 22.06.2017

Das sage ich doch gar nicht! Ich stelle nur fest, dass es so war.

(Ah! von den LINKEN)

Die ehemalige Labour-Abgeordnete Gisela Stuart war führend in der Kampagne zum Verlassen des Euro. In einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“ vor dem Brexit sagte sie wörtlich: „Ich bin ein Demokrat. Ich bin der Meinung, dass meine Rolle ist, der Volksmeinung zum Ausdruck zu geben. … Für mich ist aber Demokratie am wichtigsten. Für mich ist es am allerwichtigsten, dass ich weiß, wer welche Entscheidungen trifft und dann am Ende auch die Leute, die die Entscheidungen treffen, wieder loswerden kann.“ Herr Piwarz, besser kann man kaum ausdrücken, was Demokratie ist.

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Ich frage Sie: Wie weit sind die EU und die EU-Institutionen heute von wirklicher Demokratie entfernt?

(Sebastian Fischer, CDU: Nicht so weit wie Sie auf alle Fälle!)

Gute Nachbarschaft Sachsens mit Polen und Tschechien und ihr weiterer Aufbau findet im Antrag der GRÜNEN ebenfalls Erwähnung. Das begrüßen wir.

(Zuruf von der CDU)

Die Zusammenarbeit mit den osteuropäischen Nachbarn ist ein wesentlicher Grundpfeiler der sächsischen Politik. Dies beinhaltet aber auch, an deren Seite zu stehen, wenn sie wie jetzt im Zusammenhang mit der EU-Asylpolitik einen womöglich vernünftigeren Politikansatz vertreten, als dies in weiten Teilen der übrigen EU der Fall zu sein scheint.

Schließlich ist es positiv, wenn die GRÜNEN möchten, dass proeuropäische Impulse aus der sächsischen Zivilgesellschaft für den Zusammenhalt und die Weiterentwicklung der EU begrüßt werden. Proeuropäische Impulse können aber vielfältig sein. Es ist ein ausgesprochener proeuropäischer Impuls, die traditionellen Kulturen der EU-Mitgliedsstaaten schützen und nicht in einem EUEinheitsbrei aufgehen lassen zu wollen. Es ist proeuropäisch, die deutsche Sprache oder auch die europäischen Sprachen zu schützen und einer Verdrängung der jeweiligen nationalen Sprache durch das Englische vorzubeugen. Es ist proeuropäisch, die Mitgliedsstaaten der EU wahren zu wollen, denn nur ein guter Franzose, ein guter Spanier, ein guter Portugiese, ein guter Tscheche, ein guter Pole usw. kann auch ein guter Europäer sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

All solche Impulse aus der Zivilgesellschaft sind proeuropäisch – –

Die Redezeit ist zu Ende, Herr Kollege.

(Allgemeiner Beifall und Heiterkeit)

Das war Herr Kollege Barth von der AfD-Fraktion. Jetzt frage ich: Gibt es weiteren Redebedarf aus den Fraktionen heraus? – Das kann ich nicht feststellen. Damit hat die Staatsregierung das Wort. Herr Staatsminister Jaeckel, bitte, das Pult gehört Ihnen.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Sächsischen Landtags! Mir kommt jetzt die Aufgabe zu, als letzter Redner vor dem Eintritt in die Sommerpause zu Ihnen zu sprechen. Deshalb möchte ich es kurz machen. Mit dem vorliegenden Antrag möchte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Europäische Union mitgestalten. Das ist grundsätzlich ein richtiger Ansatz, und das ist grundsätzlich auch das, was wir aus Sicht der Staatsregierung tun wollen.

Man muss sich aber hinsichtlich der Möglichkeiten der Mitgestaltung auch und vor allen Dingen seiner eigenen Möglichkeiten bewusst sein, und diese sind – es wurde in einigen Redebeiträgen mir gegenüber ja kritisiert – zunächst einmal verfassungsrechtlich begrenzt. Ich will nicht über die auswärtige Gewalt sprechen, über die Rolle der Länder in der Europapolitik, Europaministerkonferenzen usw. Das ist ja nicht das, was Sie mit mir hier machen wollen. Das wäre eine rechtliche Debatte, Sie wünschen eine politische, und deshalb lassen Sie mich darstellen, wie ich Kernpunkte Ihres Antrags politisch einschätze.

Sie fordern, dass die Bürgerinnen und Bürger in einen Dialog über Europa einbezogen werden. Dieser Dialog findet doch statt. Der Ministerpräsident führt für die Staatsregierung diesen Dialog zuerst. Er hat die Dialogforen ins Leben gerufen, und es gibt dort die Möglichkeit der Bürgerinnen und Bürger, europapolitische Themen anzusprechen. Das findet auch statt.

Das SMWA führt mit sächsischen Unternehmen Gespräche zum Brexit – die Staatskanzlei tut das ebenfalls. Wir reden mit Auszubildenden und Schülern an den EUProjekttagen – übrigens eine sehr interessante und sehr informative Veranstaltung, weil man nämlich merkt, dass sich die Bürgerinnen und Bürger in Sachsen sehr vertieft mit europapolitischen Fragestellungen beschäftigen und als Diskussionspartner interessante Impulse einbringen.

Schließlich reden alle Landtagspolitiker, die direkt gewählte Abgeordnete sind, mit Mitbürgerinnen und Mitbürgern in allen erdenklichen Formaten – in ihren Sprechstunden, im Wahlkreis … –; es finden also Sprechstunden und Dialoge statt.

Ich finde es nicht ganz fair, Frau Dr. Maicher, uns vorzuhalten, dass ich darauf hinweise, dass ein gesellschaftspo

litisch breiter Dialog stattfindet. Ich kann mich an Redebeiträge in diesem Haus erinnern, bei denen wir insbesondere immer einfordern, dass ein breiter gesellschaftlicher Dialog stattfindet.

(Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU)

Der EU-Dialog des Auswärtigen Amtes im Hygienemuseum zum Beispiel am 26. Januar „Welches Europa wollen wir?“ hat Bürger aller Altersklassen in Dresden angesprochen. Er war durchgeführt worden – ich habe es mir noch einmal herausgesucht – von „DNN“ und Auswärtigem Amt. Der EU-Bürgerdialog der CDU-Fraktion zu Handwerk und Dienstleistungsrichtlinien mit der Europäischen Kommission hat dazu beigetragen, dass der Vertreter der Europäischen Kommission in Berlin jederzeit zu Debatten in Dresden, in Sachsen zur Verfügung stehen will.

Wir haben im ICC ein EU-Forum der CDU-Fraktion mit 400 Teilnehmern zur Zukunft der Europapolitik gemacht. Außerdem bin ich auf Bitten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu einer Diskussionsveranstaltung mit Herrn Bütikofer gekommen, auf der wir an dem Abend auch 40 Gäste hatten. Ich finde, dass man kaum mehr machen kann.

Zweitens fordert der Antrag die Staatsregierung auf, sich gegenüber der Bundesregierung dafür einzusetzen, dem Europäischen Parlament in den EU-Verträgen ein Initiativrecht in der Gesetzgebung und im Bereich der Wirtschafts- und Währungsunion zu gewähren.

Ich möchte auch in Richtung von Herrn Stange noch einmal klar sagen: Es ist doch nicht so, dass sich die Staatsregierung dieser Debatte irgendwie verweigern würde. Es ist nur so, dass wir als Staatsregierung auch auf die politische Umgebung schauen müssen, was in dieser Frage wirklich passiert. Nach derzeitiger Einschätzung der Staatsregierung ist das Thema Institutionen gerade nicht das drängendste Problem der EU – aus Sicht der Mitgliedsstaaten ebenfalls nicht. Es gibt, und zwar europaweit – ich habe es recherchiert, ich habe mich beim Mountbatten Institute umgeschaut, ich habe auf die Website der Europauniversität in den Niederlanden geschaut –, keine intellektuelle Debatte zur institutionellen Reform, und ob dafür der Landtag der richtige Ort ist, das wage ich auch noch zu bezweifeln;

(Beifall der Abg. Marko Schiemann und Ines Springer, CDU)

und zwar nicht, weil wir uns nicht intellektuell damit beschäftigen könnten,

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das finde ich jetzt gut!)

sondern weil es eigentlich nicht das ist, was wir tun müssen. Wir müssen den Bürgern die Europapolitik erläutern und in ihren Grundfesten immer wieder darauf hinweisen, wie wichtig Europa für Frieden und Freiheit für uns alle ist.

Deshalb, meine Damen und Herren, gibt es keine Debatte zu einer institutionellen Reform, ich will das noch einmal wiederholen. Die Führung der Kommission hat zweitens darauf hingewiesen, dass Legislativakte derzeit eher zurückhaltend in den Geschäftsgang gegeben werden, weil wir uns in einer Neujustierung der Europapolitik befinden. Ich nenne hier nur kurz Frankreich und Deutschland, nachdem Herr Macron eine stabile Regierung in Frankreich bilden konnte. Brexit und die Regierungskrisen auf dem Balkan haben zurzeit eine andere Agenda in der EU veranlasst.

Das Demokratiedefizit wurde angesprochen; auch das ist keine neue Debatte. Das Demokratiedefizit wird diskutiert, seitdem es das Europäische Parlament gibt.

Schließlich muss ich dem Ansinnen widersprechen, dass sich die Staatsregierung gegenüber der Bundesregierung und der Europäischen Kommission dafür einsetzen soll, die Beteiligungshürden für die europäische Bürgerinitiative herabzusetzen, indem unter anderem Jugendliche ab einem Alter von 16 Jahren Initiativen unterstützen dürfen. Der Grundsatz „Volle Rechte – volle Pflichten“ sollte auch an dieser Stelle nicht durchbrochen werden. Es wäre in sich widersprüchlich, lägen das Wahlalter und das Alter, ab dem man eine Bürgerinitiative unterstützen darf, auseinander. Es wäre ebenso widersprüchlich, lägen das Wahlalter für Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen auseinander.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sächsische Staatsregierung wird sich auch weiterhin für ein geeintes Europa einsetzen und im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten die Zukunft mitgestalten.

Der nächste für uns relevante Punkt ist das unmittelbar bevorstehende Kohäsionsforum, an dem Herr Ministerpräsident Tillich als Redner und Panelteilnehmer am 26./27. Juni teilnehmen wird. Unmittelbar nach dem Kohäsionsforum erwarten wir von der Kommission ein Reflexionspapier zur Zukunft der EU-Finanzen und ich glaube, dass dieses europapolitische Thema den Landtag als Nächstes beschäftigen wird.

Herr Stange, es ist nicht so, dass wir uns nicht mit dem Weißbuch beschäftigt hätten. Ich kann mich an eine Debatte im Ausschuss erinnern, wonach wir uns dazu ausgetauscht haben. Ich bedanke mich auch bei Ihrer Fraktion, dass Sie ein weiteres fachliches Interesse zu diesem Thema angemeldet haben; wir werden das im Ausschuss miteinander besprechen können.

Zusammenfassend möchte ich gern Folgendes ans Ende meines Beitrags stellen:

Es gibt einen schönen Satz: Wenn es konkret wird, ist keiner mehr zuständig. – Nein, umgekehrt gilt es für die Staatsregierung: Wenn es für Sachsen konkret wird, dann ist die Staatsregierung zuständig und kümmert sich.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Herr Staatsminister Dr. Jaeckel sprach für die Staatsregierung. Aber er war weder der letzte Redner noch hatte er das letzte Wort vor der Sommerpause. Wir erwarten jetzt ein Schlusswort von Frau Dr. Maicher, die für die einbringende Fraktion GRÜNE sprechen wird. Dann möchte ich Sie gern in die Sommerpause entlassen.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Aber wir stimmen schon noch über den Antrag ab?)

Über den stimmen wir ab; das ist klar.

Aber wir sind die beiden letzten Redner, Frau Kollegin. Bitte, Frau Dr. Maicher.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal herzlichen Dank für die intensive Debatte. Ich halte es für außerordentlich wichtig, dass wir sie hier im Parlament führen – anhand eines Antrags und von Vorschlägen, die meine Fraktion hier vorgelegt hat.

Ich glaube nicht, dass es sehr zielführend ist, wenn Sie, Herr Staatsminister, wieder auf den Europaausschuss und auf begonnene Debatten verweisen. Sie wissen selbst, in welchem Rahmen wir dort die Debatten führen. Es ist ein nicht öffentlicher Ausschuss.

(Enrico Stange, DIE LINKE: Ja!)

Zu einem Vorschlag, der vorgelegt worden ist, kann man inhaltlich unterschiedlicher Auffassung sein; so ist Demokratie. Wir wollen aber erreichen, dass die Menschen erst einmal sehen, was vorgelegt worden ist, das heißt, welche Vorschläge die jeweiligen Fraktionen eingebracht haben. Darüber zu diskutieren, das halten wir für den Sinn dieser Debatte.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)