Protokoll der Sitzung vom 31.08.2017

Das ist Angstmacherei. Die CDU/CSU-geführte Koalition hat doch gerade erst – Frau Dr. Petry hören Sie zu – im Bundestag das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen beschlossen.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Da gibt es nicht viel!)

Die AfD aber sieht mit Betroffenheit – jetzt kommen wir wieder auf Herrn Poggenburg zurück–, dass bald der Magdeburger Dom geheiratet werden könne. Das hat er in seiner Zeitung geschrieben. Wissen Sie, dieser polemische Quatsch ist unter der Gürtellinie.

(Zurufe von der AfD)

Sie können ihn doch in Sachsen-Anhalt auf die Tagesordnung setzen, dann kann man sich dort mit Artikel 93 des Grundgesetzes befassen. Wir hier sind ein seriöses Haus in Sachsen. Wir lassen uns nicht vor den Karren spannen. Nein, danke!

(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Das war Herr Kollege Modschiedler für die CDU. Jetzt kommt Frau Buddeberg für die Fraktion DIE LINKE zu Wort.

(Präsidentenwechsel)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der demokratische Beschluss des Bundestages, die Ehe zu öffnen, war noch taufrisch, da kündigt die AfD vollmundig an, eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zu prüfen. Wir haben es eben schon gehört. Sie hat sich mit diesem Ansinnen reichlich lächerlich gemacht. Die Prüfung ergab lediglich, dass sie als Partei gar nicht klagen kann. Nun behelligt sie uns in ihrer Hilflosigkeit mit dem vorliegenden Antrag.

Die Frage, ob die getroffene Gesetzesänderung verfassungswidrig ist, ist auch für mich als Nichtjuristin eine sehr spannende Frage. Im Kern geht es darum, wie der im Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes aufgeführte Begriff der Ehe zu interpretieren ist. In der Antragsbegründung ihres Antrages heißt es: „Der Parlamentarische Rat hielt es bei der Erarbeitung des Grundgesetzes nicht für notwendig, eine Legaldefinition der Ehe zu entwickeln.“ So weit, so richtig.

Um die Frage aber zu beantworten, warum der Parlamentarische Rat es nicht für notwendig befunden hat, eine Geschlechterordnung in der Ehe festzulegen, ist es unerlässlich, sich den historischen und gesellschaftlichen Kontext zu vergegenwärtigen. Es ist nämlich naheliegend, dass eine andere Option als die Ehe zwischen Mann und Frau nicht in Erwägung gezogen wurde. Das ist nicht verwunderlich ist, weil zu diesem Zeitpunkt zum Beispiel § 175 StGB noch gültig war, der die Homosexualität zwischen Männern unter Strafe stellte. Der sogenannte Schwulenparagraf wurde erst im Jahr 1994 abgeschafft. Die Betroffenen streiten noch heute um ihre Rehabilitierung und Entschädigung. Die Weltgesundheitsorganisation beschloss auch erst im Jahr 1990, Homosexualität aus dem Diagnoseschlüssel der Krankheiten zu streichen. Vor diesem Hintergrund ist der Gedanke naheliegend, dass den Verfasserinnen und Verfassern des Grundgesetzes die Option einer gleichgeschlechtlichen Ehe gar nicht in den Sinn kam.

Seitdem hat sich die Gesellschaft sehr gewandelt – zum Positiven hin. Mit Blick auf das BGB wird aber deutlich, dass der Ehebegriff, der damals vorherrschte, heute völlig überholt ist – das gilt auch für den Ehebegriff zwischen Mann und Frau.

(Sebastian Fischer, CDU: Das ist falsch!)

Ich nenne in diesem Zusammenhang folgende Stichwörter: eigenes Bankkonto und keine Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe. Wenn man sich das anschaut, dann zeichnet dies ein zeitgenössisches Bild einer patriarchali

schen Geschlechterordnung mit klarer gesetzlicher Rollenzuschreibung.

Es sieht der blauen Fraktion ganz ähnlich, dass sie sich in diese Welt zurückwünscht. Dafür bräuchten Sie eine Zeitmaschine und keine Anträge, die an der Realität vorbeigehen.

(Beifall bei den LINKEN, den GRÜNEN, der SPD und des Abg. Patrick Schreiber, CDU)

Der eigentliche Kern der durch und durch homofeindlichen AfD-Ideologie findet sich in der Begründung mit folgender Behauptung: „Nur aus einer Ehe von Mann und Frau können Kinder entstehen.“ Das ist objektiv falsch. Die Frage der Entstehung von Kindern hat nichts mit der Ehe zu tun. Es mag sein, dass Sie das nicht wissen, weil Sie keine ordentliche Sexualaufklärung genossen haben.

(Dr. Kirsten Muster, AfD: Wir waren schon auf der Welt, da waren Sie noch nicht da!)

Davon halten Sie auch nichts.

(Zurufe von der AfD: Wie bitte?)

Vielleicht fragen Sie vertrauensvoll Ihre Fraktionsvorsitzende, die sich damit bestens auskennt.

(Beifall bei den LINKEN, vereinzelt bei der SPD und des Abg. Patrick Schreiber, CDU)

Die Konsequenz aus dieser falschen Behauptung bei Ihnen lautet wie folgt: Daher ist jedes Aufweichen des Ehebegriffs und die Erweiterung des staatlichen Schutzes auf andere Lebensformen abzulehnen. Erstens, auch wenn das nicht neu ist, lässt es tief blicken, dass die blaue Fraktion andere Lebensformen für nicht schützenswert hält. Zweitens ist eine Beziehung zwischen zwei Personen des gleichen Geschlechts eben keine andere Lebensform als eine Beziehung zwischen zwei Personen verschiedenen Geschlechts. Die Form ist eben nicht verschieden, anderes als zum Beispiel bei Patchworkfamilien oder Alleinerziehenden. Deshalb hieß eine Initiative, die in Sachsen schon vor Jahren die Öffnung der Ehe forderte: Zwei gleich zwei. Für diese Einsicht sind Sie offensichtlich zu engstirnig.

Es ist auch nicht so, dass die bisherige Gesetzgebung die formalisierte und institutionalisierte Zweierbeziehung gleichgeschlechtlicher Paare rechtlich nicht vorsieht. Die sogenannte Homo-Ehe – mit dem griffigen Behördentitel eingetragene Lebenspartnerschaft – gab und gibt es noch immer, im Jahr 2001 eingeführt als paralleles Rechtsinstitut und ursprünglich mit massiven Benachteiligungen gegenüber der Ehe, vor allem unterhalts- und güterrechtlich. Im Laufe der Zeit wurde sie immer wieder durch die Rechtsprechung verändert, weil die Ungleichbehandlung gegenüber der Ehe – Achtung – als verfassungswidrig gewertet wurde. Letztlich blieben nur die Knackpunkte Adoptionsrecht und assistierte Reproduktion, wie zum Beispiel die künstliche Befruchtung, übrig.

Nun kommen wir zu einem Punkt, den ich hochgradig absurd finde. Von konservativer Seite wird angeführt, dass

die Ehe deshalb nur zwischen Mann und Frau bestehen kann, weil sie an Kinder geknüpft ist. Zugleich wird von konservativer Seite alles darangesetzt, zu verhindern, dass es in gleichgeschlechtlichen Beziehungen Kinder geben kann, nach dem Motto: Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.

(Sebastian Fischer, CDU: Aus sehr gutem Grund! – Zuruf aus dem Plenum: Nehmen Sie Baldrian!)

Es ist durchschaubar, was die AfD heute mit diesem Antrag erreichen möchte, der sehr gut zu ihrem homofeindlichen Wahlprogramm passt. Ich tue Ihnen nicht den Gefallen, daraus zu zitieren. Für Ihr billiges Wahlkampfgetöse sorgen Sie gestern und heute selbst.

Ich möchte stattdessen dafür plädieren, den Blick nach vorn zu richten und sich darum zu bemühen, Rechtssicherheit zu schaffen und weiterhin bestehende Diskriminierungen abzubauen. Ich meine nicht das Softwareproblem bei den Standesämtern, darüber haben Sie heute vielleicht im Pressespiegel gelesen. Ich meine stattdessen, welche Änderungen im BGB notwendig sind, zum Beispiel im Abstammungsrecht. Es gibt beispielsweise eine weiterhin bestehende Diskriminierung lesbischer Paare, die nach wie vor eine Mitmutterschaft nur durch die Stiefkinderadoption erreichen können. Das sind Probleme, um die sich die Juristinnen und Juristen kümmern sollten.

(Beifall bei den LINKEN und der Abg. Katja Meier, GRÜNE)

Verfassungsrechtliche Bedenken teilen wir nicht. Deshalb hat die Bundestagsfraktion der LINKEN geschlossen für die Öffnung der Ehe gestimmt. Eine Ehe definiert sich nicht dadurch, dass sie eine Verbindung zwischen Mann und Frau ist. Eine Ehe ist eine rechtliche Form der Verantwortungsgemeinschaft, in der sich Partnerinnen und Partner auf Dauer gegenseitigen Beistand versprechen.

(Jörg Urban, AfD: Wo steht das?)

Das gilt sowohl in sozialer als auch in finanzieller Hinsicht. Das ist unabhängig vom Geschlecht. Der Ehebegriff des Grundgesetzes ist für eine Pluralisierung offen, die den gesellschaftlichen Wandel nachvollzieht. Wir lehnen Ihren Antrag ab, weil wir keinen Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz haben.

Ich möchte aber eines klarstellen: Sollte eine Prüfung erfolgen und diese wider Erwarten ergeben, dass keine Konformität mit der Verfassung besteht, dann ist es nur eine Frage der Zeit, ich bin mir sicher, bis eine Mehrheit eine Verfassungsänderung beschließt. Die Realität sieht einfach anders aus. Der gesellschaftliche Wandel hat sich bereits vollzogen. Herr Lippmann hat es bereits gestern gesagt. Wenn Sie gestern in der Debatte um die Vollverschleierung Bevölkerungsumfragen als Argument heranziehen, dann schauen Sie sich besser noch einmal die Umfragewerte zur Eheöffnung an. Eine große Mehrheit in diesem Land ist dafür.

Ich möchte allen ewig Gestrigen in diesem Haus einen Rat mit auf den Weg geben. Damit Sie nicht gleich wieder aufjaulen, wenn eine Fremdsprache bemüht wird, übersetze ich diesen Rat als kleine Serviceleistung für Sie: Einige Leute sind Homos, kommen Sie damit klar – Some People are Gay. Get Over it!

(Beifall bei den LINKEN, den GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Für die SPDFraktion spricht Herr Baumann-Hasske, bitte.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Über die durchsichtigen Hintergründe, die die AfD dazu veranlasst haben mögen, diesen Antrag zu stellen, ist hinreichend gesprochen worden.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Ach, Herr Baumann-Hasske!)

Ich möchte es nicht wiederholen. Ich kann mich meinen Vorrednern uneingeschränkt anschließen.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Fällt Ihnen nichts Neues ein!)

Ich möchte Ihnen im Folgenden kurz begründen, warum ich meine, dass die sogenannte Ehe für alle nicht verfassungswidrig ist, und ich es für politisch verfehlt halte, wenn unsere Staatsregierung zu einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung gedrängt werden würde.

Artikel 6 Abs. 1 des Grundgesetzes stellt die Ehe und Familie unter den besonderen Schutz des Staates. Manche ziehen schon aus dieser schlichten Formulierung den Schluss, dass mit dem Wort Ehe bei den Beratungen zum Grundgesetz nur die Ehe zwischen Frau und Mann gemeint gewesen sein könne. Weil die Ehe unter einen besonderen Schutz gestellt werden sollte, dürfe die Ehe anderer Paare nicht der Ehe von Frau und Mann gleichgestellt werden.

Es gelte deshalb ein Abstandsgebot oder ein Gleichstellungsverbot. Für diese Auffassung hat die AfD bei Begründung ihres Antrages eine Reihe von Beispielen zitiert. Meine Damen und Herren! Die historische Auslegung ist in der Rechtswissenschaft nur ein Hilfsmittel, wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass mit einer wörtlichen oder einer systematischen Auslegung der Vorschriften nicht zum Ergebnis zu kommen ist. Trotzdem bin ich gern bereit, zunächst einmal auf diese historischen Argumente einzugehen.

Bei der historischen Auslegung einer Verfassungsnorm muss zunächst sorgfältig geklärt werden, auf welcher Abstraktionsebene die verfassungsgebende Gewalt ihre Festsetzungen treffen wollte. Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt festgestellt, dass der Verfassungsgeber von 1949 keineswegs seine eigenen konkreten Vorstellungen über die Anwendung der einzelnen Verfassungsnormen für maßgeblich gehalten hat. Vielmehr hat er sich nach grundlegender Analyse für ein Wertesystem

entschieden, das sich aus den Menschen- und Bürgerrechten und der Erfahrung von deren Abschaffung im Dritten Reich, aus der Notwendigkeit eines Schutzes und der Achtung von Minderheiten unter dem Eindruck der systematischen Unterdrückung und Vernichtung von Minderheiten im Nationalsozialismus speiste. Es wurden Grundsätze normiert, die den Rahmen für eine gesellschaftliche Entwicklung bilden sollten, ohne dass deren künftige Anwendung an die konkreten Vorstellungen gebunden sein sollte, die die Verfassungsgeberinnen und -geber im Einzelnen hatten.

Ich will gerne zugestehen, dass eine Ehe für gleichgeschlechtliche Paare mit hoher Wahrscheinlichkeit jenseits des Vorstellungshorizontes der weitaus meisten Mitglieder des Parlamentarischen Rates und der Volksvertretungen der Länder lag, in denen 1949 über die Annahme des Grundgesetzes entschieden wurde.

Wozu wurde dann der besondere Schutz für die Ehe normiert? Man kann den Protokollen das Zitat des Vorsitzenden des Ausschusses für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates, Hermann von Mangold, entnehmen, dass sich der Schutz der Ehe gegen das Konkubinat, also die sogenannte wilde Ehe ohne Trauschein, richten sollte. Abstrahiert man aus dieser Vorstellungswelt den rechtlichen Gehalt der Regelung, kommt man zwangsläufig zu dem Schluss, dass die Ehe als ein Vertrag zwischen zwei Menschen geschützt werden sollte, die darin geloben, lebenslang füreinander einstehen zu wollen, gegen eine Lebensform ohne einen solchen Vertrag. Einen solchen den rechtlichen Rahmen für einen Grundbaustein der Gesellschaft absichernden Vertrag können aber auch Personen gleichen Geschlechts schließen.

Privilegiert, Frau Dr. Petry, würde hier die lebenslange Verbindlichkeit und nicht unbedingt der Vertrag zwischen Mann und Frau. Nun wird eingewandt, dass der Parlamentarische Rat wohl die Ehe für alle auch von der Gleichstellung ausgeschlossen hätte, wenn er denn eine Vorstellung davon gehabt hätte. Damit löst man sich aber von einer rein historischen Auslegung und bewegt sich eher spekulativ in einem Bereich, indem man ein Gesetzgebungsvorhaben von heute in den Kontext der Vorstellungen des personifizierten Verfassungsgebers von damals stellt.

Wer eine tatsächlich gebotene dynamische, systematische Verfassungsauslegung vornimmt, darf nicht spekulieren. Er muss den abstrakten Gehalt und das Wertesystem der Verfassung auf den Lebenssachverhalt anwenden, wie er sich heute darstellt. Wenn Artikel 6 Abs. 1 Grundgesetz die Ehe gegenüber der wilden Ehe ohne Vertrag privilegiert, steht dies der Gleichstellung einer gleichgeschlechtlichen Ehe mit Vertrag nicht entgegen. Dies gilt umso mehr, als es der Lebenswirklichkeit in unserem Land und der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung entspricht.