Protokoll der Sitzung vom 31.08.2017

Das war Herr Wendt, er sprach für die AfD. Jetzt hätten die GRÜNEN die Möglichkeit. Sie haben noch Redezeit – aber keinen Redebedarf.

Wir könnten in eine dritte Rederunde eintreten. Die einbringende CDU-Fraktion wäre an der Reihe. – Sie reagiert mit Kopfschütteln, also kein Redebedarf. Ich schaue somit zur SPD-Fraktion. – Dort ist es ganz genauso. Gibt es aus irgendeiner Fraktion weiteren Redebedarf in einer möglichen dritten Runde? – Das kann ich nicht erkennen. Damit kommt die Staatsregierung zu Wort. Das Wort ergreift jetzt Herr Staatsminister Dulig.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich die Entwicklung der Armutsgefährdungsquote für Sachsen anschaut, dann kann man Folgendes erkennen: Sie ist auf 17,7 % gesunken. Wenn man sich die Kinderarmutsgefährdungsquote in Sachsen anschaut, dann kann man weiterhin erkennen, dass sie in den vergangenen Jahren sogar deutlicher gesunken ist: auf 22,2 %. Trotz dieser positiven Entwicklung muss man noch einmal ganz klar sagen: In einem reichen Land wie Deutschland ist Kinderarmut einfach nur beschämend.

(Beifall bei der SPD – Beifall des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE, und der Staatsministerin Dr. Eva-Maria Stange)

Es geht um jedes einzelne Kind. Jedes einzelne ist es wert, dass es die beste Förderung bekommt.

Wenn wir über Kinderarmut reden, dann hat das unterschiedliche Dimensionen. Wer meine politische Biografie ein bisschen kennt, weiß, dass ich auch in der Zeit, bevor ich Staatsminister geworden bin, gemeinsam mit EvaMaria Stange an diesem Thema aktiv gearbeitet habe. Wir haben zum Beispiel einen Sammelband „Kinder stärken hier für Sachsen“ herausgegeben, in dem wir gemeinsam mit unterschiedlichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Praktikerinnen und Praktikern nach Lösungen gesucht haben.

Deshalb verwundert es Sie sicherlich nicht, dass es mir durchaus ein Herzensanliegen ist, über dieses Thema zu reden und die unterschiedlichen Dimensionen von Kinderarmut zu beleuchten. Das hat auch etwas mit der Frage zu tun, inwieweit wir zum Beispiel Bildungszugänge für alle zur Verfügung stellen. Ebenso ist auch die Frage entscheidend, inwieweit Bildung dazu geeignet ist, sogar mehr Chancen für Kinder zu ermöglichen. Wie steht es um die Teilhabe von Kindern am gesellschaftlichen und kulturellen Leben?

Weiterhin gilt es auch, das Thema der emotionalen Armut zu beleuchten. Emotionale Armut ist keine soziale Armut. Es gibt beispielsweise auch eine Wohlstandsverwahrlosung in bestimmten Bereichen. Es gibt völlig unterschied

liche Dimensionen, wenn wir uns diesem Thema ernsthaft nähern möchten.

Das große Problem in Deutschland ist, dass wir nur über die Problemlagen reden. Wenn wir über Kinder reden, dann geschieht das meistens im Zusammenhang mit Problemen. Ich kann Folgendes nur wiederholen: Es ist das Recht jedes einzelnen Kindes, die besten Startbedingungen im Leben vorzufinden. Dafür tragen wir die Verantwortung, indem wir die geeigneten Rahmenbedingungen schaffen. Ausgangspunkt muss das Wohl aller Kinder sein, egal, ob sie Probleme haben oder nicht. Jedes Kind ist gleich viel wert.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den LINKEN und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz allem ist die soziale Dimension die entscheidende. Klar ist, dass Elternarmut sehr häufig Kinderarmut ist. Das Gleiche gilt ebenso umgekehrt. Deshalb besteht natürlich der Zusammenhang zwischen der Frage nach dem Einkommen bzw. guten Löhnen und der Frage, ob Familien arm sind. Wenn die Löhne nicht zum Leben reichen, dann ist das auch ein fatales Signal an die Kinder: Leistung lohnt sich – anscheinend – nicht. Deshalb ist es politisch unser Ziel, niedrige Löhne zurückzudrängen, damit folgendes Signal klar ist: Leistung ist Anerkennung und sie lohnt sich.

In Sachsen haben rund 250 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2015 profitiert. Sie können an der Tarifentwicklung teilhaben. Der Mindestlohn hat aber ebenso einen Effekt für die anderen Lohnklassen gehabt. In Sachsen haben 10 % der Betriebe aufgrund des Mindestlohnes die Löhne oberhalb der Mindestlohngrenze angehoben. Die Löhne und Gehälter steigen wieder. Im Jahr 2016 sind sie in Sachsen um 3,6 % und damit bundesweit am stärksten angestiegen. In den vergangenen sechs Jahren betrug der Anstieg in Sachsen 19,6 %. Das ist Platz 4 im Ländervergleich. Ich bin mit dem großen Lob jedoch etwas vorsichtiger. Das Ausgangsniveau war sehr niedrig, sodass der Aufholprozess enorm ist. Wir können uns über die positive Entwicklung freuen. Es gibt wahrlich aber noch viel zu tun.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den LINKEN – Beifall bei der Staatsregierung)

Deshalb wundert es Sie sicher nicht, wenn ich Folgendes sage: Für eine verbesserte Lohnentwicklung ist meiner Meinung nach auch eine Erhöhung der Tarifbindung notwendig. Wir hoffen, dass wir in Sachsen weiter vorangehen. Wir vonseiten des Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr haben Anreize, zum Beispiel bei der betrieblichen Investitionsförderung, geschaffen, indem wir den Unternehmen, die nach Tarif bezahlen, einen Förderbonus geben. Die neuesten Zahlen des Betriebspanels des IAB zeigen, dass es in Sachsen zumindest eine leicht positive Stabilisierung gibt – zwar auf niedrigem Niveau, aber immerhin. Es ist ein Anstieg beim

Anteil der tarifgebundenen Betriebe um 2 % zu verzeichnen. Das ist zumindest eine Entwicklung in die richtige Richtung.

Die gute Arbeitsmarktlage ist auch eine Chance. Die Arbeitsmarktsituation in Sachsen hat sich deutlich verbessert. Die aktuellen Zahlen wurden bereits präsentiert. Mit aktuell 6,4 % ist es der niedrigste Wert seit der Wiedervereinigung. Es zeichnet sich weiterhin die Zunahme an gemeldeten freien Stellen ab.

Herr Wendt, Sie dürfen sich nicht nur die Zahlen heraussuchen, die in Ihre Ideologie passen. Sie müssten sich vielleicht einmal mit den Unternehmen unterhalten, die Ihnen reihenweise sagen, welche Probleme sie damit haben, ausreichend Auszubildende und Fachkräfte zu finden. Wir reden nicht über prekäre Beschäftigung. Unterhalten Sie sich einmal mit den Leuten aus Ihrer eigenen Fraktion, die vielleicht mehr Ahnung von Wirtschaft haben.

(Zuruf des Abg. Volkmar Zschocke, GRÜNE – Vereinzelt Heiterkeit)

Auf der anderen Seite müssen wir den Arbeitsmarkt hier in Sachsen kritisch beleuchten. Es entwickelt sich nämlich auch ein harter Kern an Langzeitarbeitslosen bzw. an Langzeitbeziehern mit sogenannten multiplen Vermittlungshemmnissen, die auch bei guter Arbeitsmarktsituation schwer vermittelbar sind. An die Stelle der Bewältigung der Massenarbeitslosigkeit treten heute vielfältige individuelle Probleme. Arbeitslosigkeit ist zunehmend von einem hohen Alter, Langzeitarbeitslosigkeit und fehlender Qualifikation geprägt. Speziell in Familien wächst die Gefahr der Vererbung von Langzeitarbeitslosigkeit und Hartz-IV-Biografien. Es ist unsere Aufgabe, dies zu durchbrechen. Wir dürfen nicht zulassen, dass der Berufswunsch von Kindern in Hartz-IV-Familien

Hartz IV ist. Wir brauchen positive Rollenvorbilder. Wir brauchen klare Tagesstrukturen und Perspektiven, gerade für diese Kinder und Jugendlichen.

(Beifall bei der SPD und der Staatsministerin Dr. Eva-Maria Stange)

Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit ist deshalb auch Prävention. Kinderarmut ist nicht ausschließlich eine materielle Frage. Arme Eltern sind nicht gleich schlechte Eltern. Das gilt auch umgekehrt. Deshalb möchten wir Familien konkret unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe leisten, sofern sie Hilfe benötigen.

Am heutigen Tag wird der Projektaufruf „TANDEM Sachsen“ im Amtsblatt veröffentlicht. Mit „TANDEM Sachsen“ setzen wir auf eine bessere Betreuung und Vernetzung der vorhandenen Hilfestrukturen. Mit diesem Programm steht – im Unterschied zu anderen Beschäftigungsprojekten – die gesamte Familie im Fokus. Es richtet sich gezielt an arbeitslose Elternpaare und Allein

erziehende, die mit ihren Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Durch eine beschäftigungsorientierte Förderung der einzelnen Familienmitglieder verbessern wir die gesellschaftliche Teilhabe. Dies geschieht, wenn möglich, indem erwerbsfähige Eltern in eine Beschäftigung vermittelt werden oder die Beschäftigungsfähigkeit erhöht wird. Die Kinder profitieren von einer verbesserten Bildungskompetenz. Dafür stellen wir Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds und aus Landesmitteln in Höhe von 9,2 Millionen Euro in den kommenden drei Jahren zur Verfügung. Alle Jobcenter, die gemeinsam mit dem zuständigen Jugendamt ihr Interesse bekundet haben, können teilnehmen.

Darüber hinaus werden wir in Kürze dem Kabinett den Entwurf einer Förderrichtlinie für einen sozialen Arbeitsmarkt vorlegen. Geplant ist die Verbindung einer engen individuellen Betreuung mit Beschäftigungs- und Eingliederungsangeboten. Wir werden einen Schwerpunkt auf die Langzeitarbeitslosen mit Kindern setzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen niemanden zurücklassen und brauchen jedes Talent. Ein Instrument dafür ist die Jugendberufsagentur. Darüber haben wir hier in diesem Hause häufig gesprochen. Auch die Stärkung der Schulsozialarbeit kann praktische Hilfe sein. Sicher kann man noch viele Punkte anführen, wie wir aktiv gegen Kinderarmut vorgehen können. Deshalb könnte man die Bezeichnung der Aktuellen Debatte besser formulieren mit „Starke Wirtschaft – starke Löhne – Kinderarmut bekämpfen“, weil das eine permanente Aufgabe ist.

Eines ist auch klar: Wir haben schon vieles erreicht, aber gerade bei unseren Kindern sollten wir ehrgeizig sein und einen hohen Anspruch an uns selbst stellen. Mit „TANDEM Sachsen“ stellen wir uns dem Anspruch mit praktischer Politik. Wir reden nicht nur darüber, wir handeln.

(Beifall bei der SPD und der Staatsministerin Dr. Eva-Maria Stange)

Das war Herr Staatsminister Dulig. Er sprach für die Staatsregierung. Er hat die Redezeit um 4 Sekunden überzogen.

(Zuruf von der CDU: Unverschämtheit!)

Wenn jetzt eine Fraktion den Antrag stellt, dann wissen Sie, es könnte eigentlich eines Ihrer Mitglieder fünf zusätzliche Redeminuten gewinnen. – Aber ich sehe jetzt keine Antragstellung. Damit können wir die Erste Aktuelle Debatte abschließen. Wir sind ganz korrekt – meine Schriftführerin und ich. Das habe ich jetzt noch einmal demonstriert.

Wir kommen nun zu

Zweite Aktuelle Debatte

Wasserbelastung durch Nitrat wirksam reduzieren –

Umwelt und Verbraucher schützen

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Als Antragstellerin hat die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort und eröffnet die Aktuelle Debatte. Das Wort ergreift Kollege Zschocke.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die EU hat Deutschland wegen zu hoher Nitratwerte im Grundwasser verklagt. Das war 2016. Im Juni dieses Jahres warnte dann das Bundesumweltamt vor steigenden Trinkwasserpreisen durch die Nitratverschmutzung. Der Verband der Wasserwirtschaft schlägt Alarm. Es gibt einen aktuellen Bericht vom WWF, der vor massiver Grundwasserbelastung in der Region Leipzig warnt. Seitdem wird die Debatte sehr emotional geführt. Die Verbraucher fühlen sich verunsichert. Die Bauern fühlen sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. Deshalb haben wir genau analysiert, wie die aktuelle Belastung in Sachsen ist, um hier eine sachliche Debatte zu ermöglichen.

Zunächst, meine Damen und Herren: Nitrat im Boden ist wichtig. Es gehört zu den Hauptnährstoffen, lässt Pflanzen besser wachsen, sorgt für höhere Erträge. Der Stoff kommt überwiegend über Gülle, Stallmist, aber auch über Mineraldünger in die Böden. Aber zu viel Nitrat führt allerdings dazu, dass es nicht abgebaut werden kann. Dann sammelt es sich im Boden und Grundwasser an. In größeren Konzentrationen ist es schädlich für Umwelt und Mensch und führt zu übermäßigem Algenwachstum, das die Artenvielfalt gefährdet. Es kann natürlich auch Auswirkungen auf die Gesundheit haben, für Schwangere, insbesondere auch für Kleinkinder. Deshalb gibt es in der EU diese Obergrenze von 50 Milligramm für das Trinkwasser.

Wenn man sich die Belastung in Sachsen genau anschaut – dafür hat mir der Umweltminister die aktuellen Werte zusammengestellt –, dann sieht man erst einmal, dass ein großer Teil des sächsischen Grundwasserkörpers im Hinblick auf Nitrat in einem schlechten chemischen Zustand ist. In 41 Postleitzahlenbereichen von insgesamt 222 wird der Nitratgrenzwert nach dieser Trinkwasserrahmenrichtlinie überschritten, in sieben Postleitzahlenbereichen sogar um mehr als das Doppelte. Negativer Spitzenreiter ist Riesa mit 180 Milligramm, gefolgt von Großenhain und Kriebstein mit 170 sowie 160 Milligramm pro Liter. Vier der sieben eklatanten Grenzwertüberschreitungen sind im Landkreis Meißen zu finden, zwei in Mittelsachsen, eine in Nordsachsen. Trotz der einzelnen Schwankungen hat sich am Problem der zu hohen Nitratwerte in den letzten Jahren nicht viel geändert. Die Trinkwasserqualität bleibt trotzdem hoch, weil die Wasserversorger bei zu starker Nitratbelastung Gegenmaßnahmen treffen, indem sie zum Beispiel mit

unbelastetem Rohwasser verdünnen, die Brunnen vertiefen oder auf andere Brunnen ausweichen.

In den letzten Jahren mussten auch in Sachsen Trinkwasserbrunnen wegen Nitratverschmutzung geschlossen

werden, zum Beispiel im Versorgungsgebiet des Wasserverbandes Döbeln-Oschatz. Dort beliefen sich die Mehrkosten für den Bau einer Ersatzleitung für Trinkwasser sowie weitere Investitionskosten infolge des Brunnenausfalls auf über 600 000 Euro. Es wurden Darlehen aufgenommen. Die Kreditverpflichtungen sind angestiegen. Die Zeche zahlen am Ende natürlich die Wasserkunden. Teuer kann es auch werden, wenn im Wasserwerk ein technologisches, technisches, biologisches Reinigungsverfahren notwendig wird, weil man nicht mehr mit unbelastetem Rohwasser mischen kann. Das kann bis zu 70 Cent Mehrkosten pro Kubikmeter verursachen, die die Wasserkunden bezahlen müssen. Oder die Wasserversorger verfolgen präventive Maßnahmen, indem sie Flächen ankaufen oder Kooperationen mit den Landwirtschaftsbetrieben zum Gewässerschutz im Einzugsgebiet vereinbaren.

All das, meine Damen und Herren, verursacht Ausgaben, die kostendeckend auf den Trinkwasserpreis umgelegt werden müssen. Wenn Sie jetzt sagen, das sei das Problem der kommunalen Wasserzweckverbände, und fragen, was wir als Landtag tun sollen, dann passiert das, was die Verbraucher so wütend macht: Die Folgekosten aus der Gülleverschmutzung werden an die Wasserkunden durchgereicht. Genau das, meine Damen und Herren, wollen wir in Sachsen vermeiden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Nitrat macht nicht an Landesgrenzen halt. Deshalb ist zunächst eine bundesweite Strategie notwendig. Vor Ort hier in Sachsen müssen allerdings die Quellen der Verschmutzung stärker eingedämmt werden. Das ist zwar schwierig, weil es viele diffuse Quellen, unterschiedliche Verdünnungs- und Konzentrationseffekte gibt. Die Nitratbelastung kann auch über Jahrzehnte im Boden verbleiben.

Aber, meine Damen und Herren, mit wirksamem Gewässerschutz und umweltverträglicher Landwirtschaft kann verhindert werden, dass am Ende die Verbraucher draufzahlen. – Kollege Günther wird in der zweiten Runde darstellen, was hier konkret getan werden kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das war die einbringende Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Es sprach Herr