Protokoll der Sitzung vom 15.11.2017

(Beifall bei den LINKEN)

Die Landespolitik steckt in einer Legitimationskrise. Nicht nur die Wählerinnen und Wähler laufen der Politik in Scharen davon. Viele von ihnen bekunden ihren Unmut mit den Regierenden offen auf der Straße. Ein gesellschaftlicher Rechtsruck hat sich ereignet, der das politische Klima vergiftet und Gewalt, ob spontan oder organisiert, als ein Mittel der politischen Auseinandersetzung praktiziert.

(Zurufe von der CDU)

Deshalb muss die Landesregierung sofort umgebildet werden und nicht erst im Dezember.

(Zurufe von der CDU)

Das Land steckt in einer schweren politischen Krise. Es braucht deshalb eine handlungsfähige Regierung. Die innerparteilichen Querelen in der CDU dürfen nicht über dem Wohl des Landes stehen. Im Übrigen hätte ich aus dem Mund des sächsischen Ministerpräsidenten schon einmal gern vernommen, was er denn meint mit: „Wir stehen heute vor großen gesellschaftlichen Herausforderungen.“ Welche Herausforderungen meint er damit? Am 18. Oktober sagte der amtierende Ministerpräsident noch Folgendes: „Ich bin davon überzeugt, für eine gute Zukunft Sachsens sind neue Antworten wichtig. Es braucht den Mut, gebotene Bahnen zu verlassen. Wir dürfen nicht im Gestern und Heute gefangen sein.“

Na, da stimme ich doch dem amtierenden Regierungschef so was von zu! Nur für wen hat er diese Aussage getroffen? Die CDU-Fraktion mit ihrem Fraktionsvorsitzenden Kupfer kann damit nicht gemeint sein. Denn nach der Klausur der CDU-Fraktion am vergangenen Freitag sagte der Fraktionsvorsitzende Kupfer: „Wenn wir jetzt eine 180-Grad-Wende machen würden, dann hieße das, wir haben 27 Jahre die falsche Politik gemacht. Das haben wir aber nicht.“ Also keine neuen Antworten, keinen Mut, gewohnte Bahnen zu verlassen, wie es der amtierende Ministerpräsident am 18. Oktober gefordert hatte. Es ist ja auch nur der Rücktritt des Ministerpräsidenten.

Da hat jemand scheinbar Verantwortung übernommen, und Sie von der CDU können weitermachen wie bisher: also alle Entscheidungen der Staatsregierung mittragen, alle Entscheidungen noch verteidigen, selbst als es in Ihren Reihen klugen Politikern schon aufgefallen ist, dass

es in eine Sackgasse geht. Aber im Stile einer echten Staatspartei haben Sie Ihre eigene falsche Politik auch noch verteidigt, als Sie längst wussten, dass sie falsch ist.

Wenigstens Herr Kupfer hätte sich zumindest an einen Spruch erinnern können, nämlich den: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Schließlich soll der gefallen sein. Auch wenn er nicht von Gorbatschow stammt, er ist auf jeden Fall richtig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Land braucht einen echten Neuanfang. Der ist mit der Personalie Michael Kretschmer nicht möglich. Der langjährige CDUGeneralsekretär ist mitverantwortlich für die politische Misere in Sachsen.

(Sebastian Wippel, AfD: Jawohl!)

Er verkörpert die Krise und keinen Neuanfang, und deshalb kann bei der Klausur auch nichts anderes herauskommen. Meine eigene Einschätzung: Ihre Eckwerte sind Realsatire pur.

(Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Sie belegt vor allem, dass bei der CDU-Landespolitik nichts mehr rundläuft.

(Beifall bei den LINKEN)

Sie verkünden, man werde weiterhin in Bildungseinrichtungen, Verkehr, Polizei, Justiz und Breitband investieren. Der Personalnotstand in den Justizvollzugsanstalten, der Lehrermangel, geschlossene Polizeireviere, der Rückstand beim schnellen Internet und riesige Löcher im Netz eines bedarfsgerechten öffentlichen Personennahverkehrs auf dem Land stellen unter Beweis: Von „Weiterhin“ kann überhaupt keine Rede sein. Sie müssten endlich einmal richtig anfangen, meine Damen und Herren von der CDU.

(Zurufe von der CDU)

Unser Antrag benennt in neun Punkten die aktuelle Agenda, die jetzt von der Staatsregierung abzuarbeiten wäre: Sicherstellung der Lehrerinnen und Lehrer und der Unterrichtsversorgung an allen sächsischen Schulen, die Gewährleistung der Erfüllung der Daseinsvorsorge in den ländlichen Räumen einschließlich eines öffentlichen Nahverkehrs mit einheitlichen Tarifsystemen sowie des bezahlbaren und barrierefreien Wohnens in allen Orten, die Absicherung der landesweiten gesundheitlichen und fachärztlichen Versorgung, flächendeckende digitale

Versorgung mit mindestens 50 MBit – eigentlich 100 MBit – als Datenautobahn, Umgang mit den komplexen Folgen und dem Wirken des demografischen Wandels in allen gesellschaftlichen Bereichen, uneingeschränkte Gewährleistung der rechtsstaatlichen Funktionen und Aufgaben der sächsischen Polizei, der Justiz und des Strafvollzugs durch eine dazu erforderliche, deutlich verbesserte Personal-, Sach- und Finanzausstattung sowie die Entwicklung und den Ausbau einer starken Demokratie statt eines starken Staates, die Ergreifung von wirksamen Maßnahmen gegen das Erstarken der extremen Rechten und die Überwindung der nach wie vor beste

henden Benachteiligung des Ostens und der ostdeutschen Bevölkerung.

(Carsten Hütter, AfD: Die Linksextremen bitte nicht vergessen!)

Wie antwortet das „Weiter so!“ der Fraktionsklausur der CDU mit dem designierten Ministerpräsidenten Kretschmer? Sie verkünden frei von jeglichem Selbstzweifel im Brustton der Autosuggestion, Ihr Ziel sei: „gleichwertige Lebensverhältnisse und gleiche Chancen für alle Sachsen, jung und alt, Stadt und Land.“ Von den gleichwertigen Lebensverhältnissen überall in Sachsen ist das Land nachweislich weiter entfernt als jemals zuvor. Entweder wollen Sie immer noch der Bevölkerung etwas vorgaukeln, oder Sie haben immer noch nicht begriffen, dass Ihre bisherige Leuchtturmpolitik die Spaltung des Landes vorangetrieben hat. Beides ist gleich peinlich.

Und dann kommen Sie wieder mit ihrem Mantra von der Investitionsquote. Das zeigt Ihre verengte Weltsicht, weil Sie jeden Zentimeter Beton als Investition verbuchen, aber zum Beispiel Lehrer und Polizeikräfte als Konsum abwerten. Diese Sicht ist überholt. Es bringt auch nichts, starke Kommunen zu proklamieren, wenn man den Verantwortlichen vor Ort in einem Dickicht aus Fördermittelregeln festhält. Sachsen braucht Regionalbudgets zur selbstverantwortlichen Verwendung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sachsen braucht für die hier lebenden Menschen ein eigenes, seinen Besonderheiten und Stärken entsprechendes Profil nachhaltiger wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen. Der Sächsischen Staatsregierung mangelt es seit Langem daran. Sie verfügt über keine schlüssige Gesellschaftsperspektive, die über das Dogma von der Selbstregulierung durch die Märkte und die Politik des Zurückschneidens des Staates zugunsten des Marktes, den Abbau der Staatsverschuldung durch Senkung der Staatsausgaben hinausweist. Die sächsischen Christdemokraten müssen ihren politischen Alleinvertretungsanspruch endlich aufgeben und die zivilgesellschaftlichen Kräfte in diesem Land stärken bzw. ihnen nun endlich die Chance geben, sich zu entwickeln.

Um Sachsen wieder aus der politischen Krise herauszuführen, braucht es keine sogenannten deutschen Werte, was immer das auch sein mag, und auch keinen starken Staat, wie Michael Kretschmer oder Frank Kupfer behaupten. DIE LINKE setzt nicht auf das Modell des starken Staates, sondern des kooperativen Staates. Das heißt, wir wollen eine Schwerpunktverlagerung von administrativen zu kooperativen Handlungsformen des Staates erreichen. Das Land braucht dazu ein entsprechend aufgeschlossenes geistiges Klima, ein Klima von Innovation und Gerechtigkeit in der Gesellschaft, für das die Politik und die Medien große Verantwortung tragen.

Weil Innovation und technologischer Fortschritt ohne den Austausch von Ideen über kulturelle und fachliche Grenzen hinweg heute nicht mehr denkbar sind, unterstützt DIE LINKE den grenzüberschreitenden Austausch und

heißt alle engagierten und kreativen Menschen im modernen Bildungs- und Kulturland Sachsen herzlich willkommen.

Was wir brauchen, sind Strukturen der Reflexion, eine Akzeptanz und Toleranz des Protestes. Was wir brauchen, sind soziale Räume für kulturelle Lernprozesse und selbstbestimmte Praktiken, die geschaffen und erhalten werden müssen. Diese Räume sind Räume des Möglichen, in denen Erfahrungen ausgetauscht werden können. Es sind Räume, in denen sich eine widerständige solidarische Alltagspraxis entfalten kann. Es sind Orte, an denen Neues entstehen kann.

Es ist Aufgabe einer modernen Kulturpolitik, strukturelle, also institutionelle und personelle Voraussetzungen dafür zu schaffen. Wir wollen, dass sich die Kreativität der Bürgerschaft entfalten und Unvorhergesehenes ereignen kann. Was wir aber nicht brauchen, ist das Pflegen von landsmannschaftlichem Zusammenhalt, der auf Stolz fußt, Stolz als Vorreiter der ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung in Ostdeutschland, wie es die CDU seit Anfang der Neunzigerjahre getan hat. Dieser sächsische Chauvinismus, der mit der Überhöhung der eigenen Gruppe und damit der Abwertung von Fremden einhergeht, ist die Grundlage des ausufernden Rassismus, gerade hier im Freistaat Sachsen.

Die CDU hat Sachsen in die schwerste politische Krise seit 1989 gestürzt und tut nun so, als sei die Debatte über Auswege aus der Misere die Privatangelegenheiten des Noch-Ministerpräsidenten Tillich und des VielleichtNachfolgers Kretschmer. Das, wie auch das dürftige Ergebnis Ihrer Fraktionsklausur zeigt: Die Sächsische Union hat ihre Staatsparteiattitüden noch längst nicht abgelegt. Stattdessen setzt sie weiter auf ein Weiter-so, egal wie. Deshalb hat die Linksfraktion für heute eine Regierungserklärung gefordert.

Glück auf!

(Beifall bei den LINKEN – Christian Piwarz, CDU: Das war schon alles?)

Herr Kollege Gebhardt sprach für die Fraktion DIE LINKE. Es folgt nun Herr Kollege von Breitenbuch für die CDU.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der LINKEN lautet „Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zur Regierungsfähigkeit der Staatsregierung bei der Lösung der drängendsten Probleme in Sachsen.“ Dazu ist vonseiten der CDU-Fraktion Folgendes zu sagen; ich möchte fünf Bemerkungen machen:

Erstens. Heute Morgen hat Frau Dippmann im MDRRadio die Sache erkannt, nämlich als Theater. Sie hat darin „Warten auf Godot“ erkannt, als Theater des Absurden von Samuel Beckett.

(Heiterkeit bei der CDU)

Es ist ja auch absurd. Sie wissen ganz genau: Der Ministerpräsident ist auf Reisen. Das ist lange bekannt. Daher ist die Adresse einfach falsch und deswegen auch absurd, Herr Gebhardt.

Zweitens. Warum beantragen Sie keine Aktuelle Debatte oder stellen einen Prioritätenantrag? Was soll dieser tänzelnde und dünne, peinliche Antritt des sogenannten Oppositionsführers?

(Beifall bei der CDU – Marco Böhme, DIE LINKE: Weil Tillich nicht hier ist!)

Was soll auch dieses Nachtreten?

(Unruhe bei der CDU und den LINKEN)

Drittens. Die Regierung arbeitet. Sie werden es gleich auch von Hanka Kliese hören: Die Koalition arbeitet.

Viertens. Im Dezember ist eine Regierungserklärung zu erwarten, wenn sich uns die neue Ministerpräsidentin oder der neue Ministerpräsident vorstellt, ihre oder seine Mannschaft hier vorstellt und selbstverständlich etwas zum Programm sagen wird. Diese zeitliche Nähe ist natürlich auch absurd – weil Sie genau wissen, dass das im Dezember passieren wird –, das noch im November zu verlangen.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Ich weiß nicht, was im Dezember passieren wird, ihr vielleicht?)

Meine fünfte Bemerkung ist eine persönliche Bemerkung zu Ihrer Art und Weise, diesen Antrag zu stellen. Stanislaw Tillich – ich bitte um Ruhe! – Entschuldigung, Herr Präsident!

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Ihre Leute hören nicht zu, irgendwie!)

Stanislaw Tillich hat seit 1989/90 politisch gearbeitet, in Europa, im sächsischen Kabinett und zuletzt neun Jahre als Ministerpräsident. Das sind 27 Jahre, ein großer Teil seines Lebens, die angefüllt waren mit Terminen und Terminen, mit Menschen und Menschen, mit Problemen und Problemen, Konflikten und Konflikten und natürlich auch mit den Früchten dieser Arbeit für dieses Land. Dass Sie nicht die Größe haben, diese Lebensleistung – wir sprechen heute auch über diese –, bei aller Unterschiedlichkeit der Meinungen für Sachsen und für uns alle, mit Respekt und Anerkennung zu versehen, und jetzt noch mit diesem kleinlichen Antrag versuchen, die Sache komisch zu drehen, das wundert uns nicht.

(Kerstin Köditz, DIE LINKE: Der ist doch nicht kleinlich!)

Das erstaunt uns nicht, nein, es bestätigt uns – ganz klar.

(Nico Brünler, DIE LINKE: Genauso, wie Sie das gewünscht haben, haben wir die Leistung gewürdigt mit diesem Antrag!)