Protokoll der Sitzung vom 15.11.2017

(Nico Brünler, DIE LINKE: Genauso, wie Sie das gewünscht haben, haben wir die Leistung gewürdigt mit diesem Antrag!)

Wir dagegen in der CDU-Fraktion zeigen großen Respekt für seine Arbeit, für den Einsatz für dieses Land über

lange Jahre, für die Entbehrungen, die er persönlich wie auch seine Familie in dieser langen Zeit hatten.

(Zuruf der Abg. Anja Klotzbücher, DIE LINKE)

Ich will das hier ganz bewusst auch so sagen; denn es war ein psychischer, ein physischer, auch ein seelischer Einsatz, der hier von ihm geleistet worden ist. Das sollten wir schon hier anerkennen können.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD)

Wir sind nicht bereit, Ihr Theater mitzuspielen. Um bei Beckett zu bleiben: nicht als Estragon und auch nicht als Wladimir.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Das war Herr von Breitenbuch, CDU-Fraktion. Jetzt spricht Frau Kollegin Kliese für die SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte um Ruhe und um ein wenig Nachsicht; denn Sie müssen heute ein bisschen genauer hinhören.

(Hanka Kliese, SPD, spricht aufgrund einer Erkältung sehr leise.)

Auch vielen Dank für Ihre Geduld im Voraus.

„Mit Demut und Nachdenklichkeit“ – so heißt es in einem Interview in der „Leipziger Internet Zeitung“ – „hat Rico Gebhardt die Ergebnisse der Bundestagswahl aufgenommen. Es sei nicht gelungen, den Protest gegen Merkel zu bündeln. Stattdessen fand der Protest Ausdruck im Ergebnis der AfD.“

Das Gefühl von Demut und Nachdenklichkeit können – so glaube ich – sehr viele Demokraten hier im Raum gut nachvollziehen. Das ging wohl vielen nach der Bundestagswahl so. Insofern greift der Antrag zu kurz. Es sind nicht nur die Regierungsfraktionen vor große Aufgaben gestellt.

Im Antrag heißt es: „Angesichts der komplexen Herausforderungen muss die Fraktion DIE LINKE feststellen, dass der Ministerpräsident“ usw. usf. „sich der Verantwortung für die anstehenden Probleme zu entziehen versucht.“

Es ist sicherlich gar nicht so schwer, einem scheidenden Ministerpräsidenten am Ende seine Versäumnisse noch hinterher zu werfen. Sie haben auch schon in der Oppositionszeit Ihre Kritik geübt, andere erst dann, als es in Mode kam. Dennoch finde ich den Vorwurf der Verantwortungslosigkeit nicht fair; denn ein Rücktritt kann auch die Übernahme von Verantwortung sein.

(Beifall bei der SPD und der CDU – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Es ist nur die Frage, wofür er die Verantwortung übernimmt. Das hat er bisher nicht gesagt!)

Stanislaw Tillich hat einmal im Plenum ganz klare Worte zu den Ereignissen in Heidenau gefunden. Er hat gesagt: „Rassismus ist eine Schande.“ Auf eine solche Äußerung hatten damals sehr viele gewartet, ich auch. Sicherlich war damit der Wunsch verbunden, dass es in diesem Themenbereich eine Kurskorrektur in Sachsen gibt. Die blieb leider aus. Von „das sind keine Menschen“ bis zu „die CDU muss weiter nach rechts rücken“ ist es ein weiter Sprung, der auch für meine Fraktion schwer nachvollziehbar war.

Nach der Bundestagswahl mehrte sich die Kritik am Ministerpräsidenten. Er hat letztlich eine Konsequenz gezogen, die eine ganz persönliche Entscheidung darstellt, aber nicht zwangsläufig mit einer Regierungskrise einhergehen muss. Denn der Koalitionsvertrag, der auch in Teilen von Fachpolitikern aus der Opposition anerkannt wurde, steht weiter und wird weiter abgearbeitet. Die Koalition arbeitet auf allen Ebenen und ist sehr fleißig. Ich glaube nicht, dass Sie in den letzten Wochen aufgrund des Rücktritts von Stanislaw Tillich mit irgendeiner Arbeitsebene weniger Kontakt haben konnten, weniger Auskünfte bekommen haben. Es haben alle weiter ihre Arbeit geleistet. Dafür vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Rücktritt von Stanislaw Tillich ist schmerzhaft, nicht weil er eine Regierungskrise nach sich zieht, sondern weil er Mechanismen des politischen Betriebs offenlegt, mit denen wir alle in unserer täglichen Arbeit zu kämpfen haben. Das ist ein Betrieb, der vielen von uns persönlich viel abverlangt, ein Betrieb, in dem der entgegengebrachte Respekt nicht immer proportional zu der hohen Arbeitsleistung ausfällt. Häme oder Effekthascherei sind daher nicht angebracht. Deshalb wähle ich meine Worte zu Stanislaw Tillich inhaltlich kritisch, aber auch mit Respekt gegenüber dem Arbeitspensum, das er in den letzten Jahren für den Freistaat absolviert hat.

Für meine Fraktion ist es nicht so wesentlich, wer den Posten des Ministerpräsidenten zukünftig besetzt, sondern ob derjenige an entscheidender Stelle von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen wird. Die Themen dazu liegen auf der Straße. Einige davon stehen in Ihrem Antrag: Bildung, Gesundheit, Digitalisierung, Justiz, Polizei und politische Bildung. Das haben Sie alles aufgeführt. Ich glaube, hier wird fraktionsübergreifend ein Handlungsbedarf erkannt, wenn das auch zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschah. Das Erkennen trat bei dem einen früher und bei dem anderen später ein.

Zwei Komponenten, die uns als SPD besonders wichtig sind und die in Ihrem Antrag nicht so stark zur Geltung kommen, sind die Stärkung der Kommunen und das Thema Pflege.

Die Kommunen hat Herr Gebhardt angesprochen. Wir müssen sie stärken, damit sie mehr eigenverantwortlich

handeln können. Wir müssen ihnen mehr Vertrauen entgegenbringen. Wenn schon hauptberufliche Verantwortungsträger von „denen da oben in Dresden“ sprechen, da läuft etwas falsch. Es gibt Änderungsbedarf in der Förderpolitik. Der Kofinanzierungsanteil darf nicht so hoch angesetzt werden, dass finanzschwache Kommunen von der Förderung ausgeschlossen sind. Die Beantragung und Abwicklung von Fördermaßnahmen muss unbürokratisch und zeitnah erfolgen. Wir müssen auch über das Stichwort Pauschalzuweisungen als Option nachdenken. Die Kofinanzierung von Bundesprogrammen durch den Freistaat muss sichergestellt werden. Den Kommunen muss es weiterhin möglich sein, eigenverantwortliche Entscheidungen über ihre Zukunft zu treffen.

Ein zweites Thema, das mir besonders wichtig ist, ist das Thema Pflege und soziale Arbeit. Es gibt im Freistaat Sachsen Themen- und Politikbereiche, die reine Kostenfaktoren sind. Das heißt, sie erwirtschaften kein Geld. So sind sie immer behandelt worden. Doch gerade in diesen Bereichen der sozialen Arbeit finden wir genau das, was unsere Gesellschaft zusammenhält: Fürsorge, Zusammenhalt und Nächstenliebe.

Natürlich kann eine Begegnungsstätte für psychisch kranke Menschen keine Gewinne abwerfen. Aber ist ihre Arbeit deswegen weniger wert als die eines erfolgreichen Unternehmens? Ich möchte in einem Freistaat leben, in dem die Arbeitsleistung derer, die sich sozial oder gesundheitlich benachteiligter Menschen annehmen, genauso hoch geschätzt wird wie die Arbeit eines Facharbeiters im Automobilkonzern.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Auch wenn die Ergebnisse nicht alle sichtbar sein werden, müssen wir etwas gegen die prekären Bedingungen in der Pflege unternehmen. Die Menschen, die darunter leiden, leben heute. Sie haben keine Alternative, als in dem System von Pflege und Fürsorge zu leben, das wir ihnen in der Gegenwart anbieten.

Ich habe Sozialpolitik, seit ich seit acht Jahren im Freistaat Sachsen hauptberuflich Politik machen darf, in gewissen Teilen des Apparates zu oft als einen Akt der Gnade erlebt, bei dem jene, die besonders harte Arbeit leisten, zu Bittstellern gemacht wurden. „Mit Gnade“, so schrieb Heribert Prantl in einem sehr schönen Artikel zum Martinstag, „kann man jeden gering machen.“ Genau darin besteht der Wandel, in der Abkehr von der Gnade hin zur Wertschätzung.

Wir haben keine Krise, wir haben eine Chance bekommen. Die Zufriedenheit der Menschen im Freistaat steht und fällt damit, ob und wie wir diese Chance zu nutzen wissen. Wir werden das mit unserem Koalitionspartner gemeinsam tun, wenn eine Bereitschaft für Veränderungen in den genannten Bereichen für uns spürbar wird.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU und den LINKEN)

Frau Kliese hatte gerade das Wort für die SPD-Fraktion. Jetzt folgt Herr Urban für die AfD.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wir sprechen zum Antrag der Linksfraktion „Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zur Regierungsfähigkeit der Staatsregierung bei der Lösung der drängendsten Probleme in Sachsen“.

Was haben Herr Tillich und Herr Gebhardt gemeinsam? Beide werfen hin, Herr Tillich sein Amt als Ministerpräsident, Herr Gebhardt sein Amt als Parteivorsitzender.

Bei der Seefahrt heißt es: „Der Kapitän geht als Letzter von Bord.“ Das Zurücklassen von Hilfsbedürftigen kann bei den Seestreitkräften wie Fahnenflucht als Kapitalverbrechen gewertet werden.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Bei Ihnen ist wohl keiner von Bord gegangen? – Zurufe von und Lachen bei der CDU und den LINKEN)

Mit solchen Strafen muss man in der Politik natürlich nicht rechnen. Herr Gebhardt hat nicht ganz Unrecht, wenn er Herrn Tillich vorwirft – ich zitiere –, „schwierigen Problemen einfach aus dem Weg zu gehen, sondern sich zudem der ihm obliegenden und von ihm übernommenen politischen Verantwortung zur Lösung der anstehenden Probleme zu entziehen versucht.“ Noch kritischer kommentiert Alt-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf den Rückzug von Stanislaw Tillich, indem er sagt, Herr Tillich sei für das Amt des Ministerpräsidenten eigentlich nie geeignet und vorgesehen gewesen.

Ja, Herr Tillich zieht sich vom Amt des Ministerpräsidenten zurück – in einer Zeit, die für Sachsen alles andere als ruhiges Fahrwasser ist. Im Gegenteil, die Bundestagswahl wurde für die sächsische CDU nicht ohne Grund zum Desaster, sondern weil die Menschen in Sachsen mit der Bundespolitik und zusätzlich mit der Landespolitik der CDU unzufrieden sind.

Der Antrag der LINKEN umreißt ja auch die größten politischen Baustellen in Sachsen, zum Beispiel die Sicherstellung der Lehrer- und Unterrichtsversorgung an allen sächsischen Schulen. Dazu hat die AfD einige Anträge eingebracht, die auch durch DIE LINKE abgelehnt wurden. Schön, dass Sie jetzt unsere Forderungen vertreten!

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Abartig, ehrlich! – Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Oder die uneingeschränkte Gewährleistung der rechtsstaatlichen Funktionen und Aufgaben der sächsischen Polizei, der Justiz und des Strafvollzuges durch verbesserte Personal-, Sach- und Finanzausstattung. Was meine Fraktion dazu alles initiiert hat, erspare ich mir aufzuzählen – zuletzt unser Antrag für die Zukunftsfähigkeit der Justiz vom August dieses Jahres. Diese Anträge der AfD

wurden im Landtag abgelehnt, auch von der LINKENFraktion.

Oder die Überwindung der nach wie vor bestehenden Benachteiligung des Ostens und der ostdeutschen Bevölkerung. Ja, es stimmt, Strukturschwächen sind auch politische Schwächen. Sie erzählen von demontierten Infrastrukturen und fehlenden Strategien. Ich freue mich also auf Ihre Zustimmung zu unserem Enquete-Antrag.

Einerseits hinterlässt Tillich vor allem im öffentlichen Dienst, insbesondere bei Lehrern und Polizisten, aber auch bei Richtern und Gefängniswärtern riesige Defizite. Er verantwortet den rigiden, staatsschädigenden Sparkurs, die Konzentration auf Dinge statt auf Menschen. Andererseits macht die Landesregierung insgesamt einen äußerst instabilen Eindruck.

(Lachen des Abg. Christian Piwarz, CDU)

Die Kultusministerin Frau Kurth hat aufgegeben und musste ausgetauscht werden. Die Gerüchte um die Absetzung des Innenministers Herrn Ulbig reißen nicht ab. In den Medien kritisieren sich die Regierungsparteien CDU und SPD gegenseitig – und nun will auch der Ministerpräsident von Bord gehen und seinen Platz einem Wahlverlierer überlassen.

(Beifall bei der AfD – Christian Piwarz, CDU: Ihnen sind mal eben fünf Abgeordnete abhandengekommen!)

Ja, wir als AfD-Fraktion sind der Meinung, dass die sächsischen Bürger und Wähler in dieser Situation eine Regierungserklärung verdient hätten – von dem Mann, der sich über fast zehn Jahre als Landesvater bezeichnen ließ und maßgeblich mitverantwortlich ist für die heutigen Lebensumstände in Sachsen, für den Zustand der sächsischen CDU und die Arbeitsfähigkeit der CDU/SPDRegierungskoalition. Deshalb wird die AfD-Fraktion, obwohl DIE LINKE Probleme auflistet, für die die AfD bereits in Anträgen Lösungen beantragt hatte, die jedoch von den LINKEN abgelehnt wurden, dem vorliegenden Antrag auf eine Regierungserklärung zustimmen.

(Beifall bei der AfD)