Außerdem machen Sie Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsbedenken hinsichtlich des vorgesehenen Katastrophenschutzpools geltend und kritisieren, dass die Europäische Kommission künftig über den Einsatz dieser Bewältigungskapazitäten entscheiden soll. Richtig ist, dass die Kommission künftig Kapazitätsziele festlegen wird und die Bewältigungskapazitäten bei Hilfeersuchen zur Verfügung stellt, also über deren Einsatz entscheidet. Es bleibt jedoch dabei, dass die Mitgliedsstaaten die Bewältigungskapazitäten auf freiwilliger Basis ermitteln und registrieren und diese im Falle der Entsendung unter Führung und Kontrolle der Staaten stehen, die sie zur Verfügung stellen.
Sie vergessen zu erwähnen, dass die Bewältigungskapazitäten, die den Mitgliedsstaaten für die europäischen Notfallbewältigungskapazitäten zur Verfügung stehen, ihnen jederzeit für nationale Zwecke zur Verfügung stehen müssen und dann nicht eingesetzt werden können, wenn ein Mitgliedsstaat diese Kapazität selbst dringend benötigt. Von dem viel proklamierten Eingriff ist daher nicht mehr viel übrig geblieben.
Das bedeutet, dass die von Ihnen kritisierte letzte Entscheidung der Europäischen Kommission an eine Reihe von Voraussetzungen geknüpft ist. Mit den Ausnahmen wird auch unserer Auffassung nach eine ausreichende Abwägung zwischen den Aufgaben der EU und ihren Mitgliedsstaaten getroffen.
Drittens, Sie befürchten zudem, dass mit dem Aufbau einer operativen Kapazitätsreserve „rescEU“ weitere Kompetenzen für Einsätze auf die Europäische Kommission übertragen und damit Doppelstrukturen geschaffen werden. Auch hier teilen wir die Bedenken nicht. Die Kapazitätsreserve betrifft lediglich Kapazitäten zur Waldbrandbekämpfung aus der Luft, für Hochleistungspumpen, für Rettungsmaßnahmen in städtischen Gebieten sowie für Feldlazarette und Notfallteams. Hierbei von einer Übertragung von Entscheidungs- und Durchführungskompetenzen zu reden, ist aus unserer Sicht doch etwas übertrieben. Nur weil zukünftig statt einer zwei Hochleistungspumpen zur Verfügung stehen, hat man hier noch keine unnützen Doppelstrukturen, sondern im Gegenteil eine wie auch vorgesehene ergänzende Struktur.
Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe Ihnen vollkommen recht, dass die besondere Eilbedürftigkeit in Katastrophenlagen eine Verantwortung für die Bewältigung solcher Lagen auf lokaler Ebene erfordert. Daran ändert auch der Beschlussvorschlag nichts. Sein Ziel ist vielmehr, die Koordinierung und die Bewältigung von Katastrophenlagen in den Fällen zu verbessern und sicherzustellen, in denen die lokalen Verantwortlichen an den Rand ihrer Kapazitäten und Leistungsfähigkeiten geraten.
Auch Sachsen kann über kurz oder lang in eine solche Situation geraten und auf die Hilfe nicht nur anderer Bundesländer und Nachbarstaaten angewiesen sein. Damit diese Hilfe gewährleistet ist, kann aus unserer Sicht eine Fortentwicklung und Verbesserung des Kata
strophenschutzverfahrens verhältnismäßig sein und auch mit dem gegenwärtigen Recht vereinbart werden. Wir werden den Antrag daher ablehnen.
Wir sind am Ende der ersten Rederunde angekommen. Gibt es aus den Fraktionen heraus den Bedarf, eine zweite Runde zu eröffnen? – Die einbringende CDU-Fraktion? – Kein weiterer Redebedarf aus den Fraktionen? – Damit hat jetzt die Staatsregierung das Wort. Das Wort ergreift Herr Staatsminister Prof. Wöller.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Europa ist in keinem guten Zustand.
Das hat der Präsident der EU-Kommission vor einiger Zeit deutlich gemacht. Die Herausforderungen sind klar und werden heftig diskutiert. Ich denke, Europa sollte sich auf seine Wurzeln konzentrieren und auf das, was es groß gemacht hat. Dazu gehört ein Prinzip, nämlich das Subsidiaritätsprinzip.
Das Subsidiaritätsprinzip kommt aus der christlichen katholischen Soziallehre. Es bedeutet im Kern Selbstbestimmung, es bedeutet im Kern Eigenverantwortung und damit auch ein Maß an Freiheit, was die Voraussetzung dafür schafft, dass wir die Herausforderungen gemeinsam bewältigen können.
Dieses Prinzip, meine Damen und Herren, hat Europa groß gemacht. Es ist ein Prinzip, das die notwendige Zentralisierung mit der Kraft der Regionen verbindet. Genau darum geht es. Europa, meine Damen und Herren, wächst von unten. Das haben mein Kollege Schiemann und Herr Kollege Baumann-Hasske, die antragstellenden Koalitionsfraktionen, deutlich gemacht. Dieses Prinzip wird hin und wieder verletzt.
Starke Regionen bilden ein festes Fundament für das europäische Haus. So hat das Kabinett vor zwei Wochen einer Kampagne des Ausschusses der Regionen, der Interessenvertretung der europäischen Regionen, zur Allianz für eine starke Kohäsionspolitik nach dem Jahr 2020 ausdrücklich zugestimmt und ist dieser beigetreten.
Es ist ein guter Brauch, dass die Staatsregierung den Landtag über die Prüfung sämtlicher Frühwarndokumente der Europäischen Union auf ihre Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip informiert und mögliche Verstöße mitteilt. Heute geht es um den „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung des Beschlusses Nr. 1313/213/EU über ein Katastrophenschutzverfahren der Union“. Hierzu ergab
Der Katastrophenschutz obliegt den Mitgliedsstaaten, in Deutschland den Ländern und damit auch dem Freistaat Sachsen. Und, meine Damen und Herren, das ist gut so, und das soll so bleiben. Dazu gehört auch die Bestimmung über das Ob und Wie von Gefährdungsabschätzungen, Vorsorgeplanungen, weiteren Maßnahmen der Vorbereitung und des Zusammenwirkens in der Katastrophenbekämpfung.
Der jetzige Vorschlag – auch das wurde ausgeführt – sieht einen Katastrophenschutzpool vor, auf dessen Einheiten die EU zukünftig unmittelbar zugreifen will. Damit könnte die EU-Kommission den unmittelbaren Verwaltungsvollzug an sich ziehen. Dies steht dem Grundsatz der Subsidiarität diametral entgegen. Letztlich würde es dazu führen, dass beispielsweise der Freistaat Sachsen an einer Entscheidung über einen auswärtigen Einsatz sächsischer Einheiten im Katastrophenschutzpool nicht mehr zu beteiligen wäre.
Mit der Schaffung von EU-eigenen Katastrophenschutzeinheiten, den sogenannten „rescEU“-Einheiten, sehe ich einen wesentlichen Eingriff in die Gesetzgebungskompetenz des Landtags. Hierdurch würden Parallelstrukturen geschaffen. Die bestehende Organisation des Katastrophenschutzes in Länderhoheit ist ein ausgezeichnetes Beispiel für ein gelebtes Subsidiaritätsprinzip.
Die Katastrophenbewältigung erfolgt von unten nach oben. Bei einem Katastropheneinsatz wird vor Ort entschieden. Wenn die Gefahrenlage aufwächst, gibt es von unten nach oben Einsatzleitungen, die über die Bewältigungskapazitäten entscheiden. Es hat sich – zuletzt während des Hochwassers 2013 – bewährt, dass die Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung möglichst nah an den Betroffenen anzusiedeln ist.
Dabei soll es auch bleiben. Ich vermag – auch mit viel Fantasie – nicht zu erkennen, wie ein bei der EU zentralisiertes System schneller und flexibler auf Katastrophen reagieren könnte. Will die EU im Extremfall abwägen und eine Entscheidung treffen, ob eine länderübegreifende Hochwasserkatastrophe in Mitteleuropa oder eine Waldbrandkatastrophe in Südeuropa wichtiger ist? Besonders Sachsen verfügt aber über ein funktionierendes Katastrophenschutzsystem, das sehr gut mit anderen Ländern und mit unseren Nachbarregionen Polen und Tschechien vernetzt ist.
Wir können aus eigener Erfahrung sprechen: Die katastrophalen Hochwasserereignisse in den letzten beiden Jahrzehnten sind ein lebendiger Beweis dafür. Ich möchte an dieser Stelle auch unseren polnischen und tschechischen Nachbarn herzlich für ihre Zusammenarbeit in den letzten Jahren danken.
Es gab viele Maßnahmen, zum Beispiel die flächendeckende Einrichtung der Wasserwehren, aber auch die Vereinbarungen mit Polen und mit Tschechien im Bereich des Katastrophenschutzes. Wir haben aus der Jahrhundertflut im Jahr 2002 gelernt und konnten es auch im Jahr 2013 zeigen, dass wir gut aufgestellt sind. Der Verlauf der Katastrophenbewältigung war viel professioneller. Sachsen hat bei Hochwasserkatastrophen und auch nach dem Orkan „Kyrill“ im Jahr 2007 wie kaum eine andere Region in Deutschland Solidarität erfahren. Bundesweit und über die Grenzen hinweg kamen im Jahr 2002 zum Beispiel Tausende freiwillige oder professionelle Helfer nach Sachsen.
Gleichzeitig profitiert Sachsen unter anderem vom Aufbauhilfefonds Hochwasser 2002 in Milliardenhöhe und von der nationalen und internationalen Spendenbereitschaft. Von daher sind wir im besonderen Maße zur Solidarität gegenüber anderen in der Europäischen Union verpflichtet.
Meine Damen und Herren! Wir stehen mit unserer Position nicht alleine da. Alle Länder verständigen sich im Rahmen der Abstimmung zu dem Vorschlag auf eine weitere Stärkung der Solidarität der Mitgliedsstaaten. Das bestehende UCPM-Verfahren legt die Solidarität der Mitgliedsstaaten fest. Dennoch ist es aufgrund von Kapazitätslücken weiterhin wichtig, daran zu arbeiten und die Solidarität weiter auszubauen.
In der Empfehlung der Bundesratsausschüsse heißt es – ich zitiere –: „Der Bundesrat bekennt sich zu der im Bevölkerungsschutz notwendigen europäischen Solidarität.“ Weiter heißt es: „Dessen ungeachtet erachtet der Bundesrat die solidarische Hilfeleistung der Mitgliedsstaaten untereinander als selbstverständlich, sie ist eine tragende Säule der Gemeinschaft, kann jedoch nationale Anstrengungen nicht ersetzen, sondern diese im Bedarfsfall lediglich wirksam ergänzen. Diesem Ziel dient das geltende EU-Katastrophenschutzverfahren … Der Bundesrat befürwortet eine weitere Verbesserung dieser gegenseitigen Unterstützung. Die Verantwortung der Mitgliedsstaaten zur Verhütung und Bewältigung von Katastrophen sowie das Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprinzip müssen aber strikt beachtet werden.“
Die Empfehlung für das Bundesratsplenum sowie der Antrag der Koalitionsfraktionen bestätigten das Vorliegen eines Subsidiaritätsverstoßes. Der Freistaat Sachsen war Mitantragsteller in den vorberatenden Ausschüssen des Bundesrates. Die Staatsregierung wird dieser Empfehlung in der Plenarsitzung des Bundesrates am 2. Februar 2018 zustimmen.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal deutlich machen: Ich denke, wir sollten uns in Europa auf die wirklich wichtigen Dinge konzentrieren.
Wir brauchen nicht mehr Europa, sondern wir brauchen ein Europa der Bürgerinnen und Bürger, und wir brauchen vor allem ein Europa der Regionen. Europa brauchen wir alle. Wir müssen dieses Europa stärken. Dieses Europa wird dann stark, wenn es sich auf die wirklich wichtigen Aufgaben konzentriert: die Sicherheit seiner Bürger, eine gemeinsame Außengrenzensicherung mit Frontex und vor allem eine gemeinsame Migrations- und Flüchtlingspolitik. Dann wächst wieder Vertrauen, und dann haben wir auch wieder ein starkes Europa mit starken Regionen.
(Beifall bei der CDU und des Staatsministers Sebastian Gemkow – Enrico Stange, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)
Für die Staatsregierung sprach Herr Staatsminister Prof. Wöller. Ich sehe eine Kurzintervention von Herrn Kollegen Stange an Mikrofon 1; bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident! Zunächst stelle ich fest, dass der Herr Staatsminister in Fragen des Katastrophenschutzes auf Migration, Frontex und andere Institutionen abhebt, das nach meinem Dafürhalten ziemlich bedeutsam ist – was man so alles als Katastrophen ansehen kann.
(Dr. Stephan Meyer, CDU: Das hat er nicht gesagt! – André Barth, AfD: Das hat er nicht gesagt! Das ist eine Unterstellung! – Weitere Zurufe)
Zweitens will ich feststellen, dass die Solidarität in der Europäischen Union mit „rescEU“ – mit diesem Pool – durchaus – –
Auch mit „rescEU“ bleibt die Solidarität durchaus eine Gabe der Mitgliedsstaaten; denn die Mitgliedsstaaten haben auch bei „rescEU“ – also diesem Pool – das Recht, ihre dort zur Verfügung gestellten Kapazitäten und Hilfskräfte zurückzubehalten, wenn das vonnöten ist.