Medizinische Erkenntnisse darüber, dass Frauen und Männer unterschiedliche Risikofaktoren für Krankheiten mitbringen, unterschiedliche Krankheitssymptome aufweisen und unterschiedlich auf Medikamente reagieren, haben wir nicht nur von Frau Schaper gehört, sondern es ist auch Allgemeinwissen. Vor einigen Jahren hat sich in Deutschland die Gesellschaft für geschlechterspezifische Medizin gegründet; die hier versammelten Medizinerinnen und Mediziner sind überzeugt, dass Menschen noch mehr von Prävention und Therapie profitieren, wenn geschlechterspezifische Unterschiede wahrgenommen
Aber wie sieht denn jetzt konkret die Situation im Freistaat Sachsen in diesem Bereich aus? Wenn ich mir die Stellungnahme der Staatsregierung anschaue: ziemlich schlecht, so unzureichend, wie die Bemühungen des Sozialministeriums auf dem Gebiet der geschlechterspezifischen Medizin und die entsprechende gesundheitliche Aufklärung hier tatsächlich sind. Abgesehen von Allgemeinplätzen, ausweichenden Verweisen oder schlicht inhaltsleeren Antworten offenbaren die Ausführungen von Staatsministerin Klepsch eher eine traurige Realität.
Wenn in vom Sozialministerium geförderten Projekten auch geschlechterspezifische Aspekte berücksichtigt
werden, dann scheint das eher ein Zufall zu sein. Geschlechterspezifische Fragen werden eventuell mitgedacht und abgehandelt – das kennen wir ja von der CDU: Frauen sind immer mitgedacht, aber konkrete Auswirkungen auf sie interessieren sie nur wenig. In der Gesundheitsberichterstattung spielt das Geschlecht nach Aussage von Frau Klepsch eine Rolle, wenn es bei der Datenerhebung berücksichtigt werden würde. Aber wann dieses Merkmal bei der Datenerhebung berücksichtigt wird und wer eigentlich darüber entscheidet, ob es eine Rolle spielt, das weiß keiner so richtig; und es ist völlig undurchsichtig, wie danach entschieden wird.
Die Antworten des SMS zu den medizinischen Fakultäten in Sachsen waren dagegen wirklich erschreckend. Gefragt nach den Lehrinhalten zu geschlechterspezifischer Medizin präsentierte die Universität Leipzig Karriereplanungen für Medizinerinnen. Ich begrüße natürlich als gleichstellungspolitische Sprecherin sehr, dass die Uni Leipzig da vorangeht. Aber das hat überhaupt nichts mit geschlechterspezifischer Medizin zu tun.
Dann wird noch auf urologische und gynäkologische Lehrinhalte verwiesen. In dem Antrag, den die Koalitionsfraktionen eingebracht haben, geht es weder um Karrierewege von Medizinerinnen noch um althergebrachte, natürlich bedingte, unterschiedliche Lehrinhalte. Es geht vielmehr darum, dass Gesundheitsforschung die gesundheitlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern in der Gesundheitsberichterstattung angemessen berücksichtigt, in der Entwicklung von Diagnoseverfahren und eben bei der Therapie. Die Universität Dresden ist zumindest im Bereich der Psychiatrie schon einen Schritt weiter.
Auf die Forderung der Koalitionsfraktionen nach einem ganzheitlich umfassenden und von allen Beteiligten gemeinsam erarbeiteten Konzept hat das Sozialministerium in der Stellungnahme geantwortet, dass perspektivisch weitere konzeptionelle Überlegungen absehbar seien. Also, Entschuldigung, unkonkreter und unmotivierter geht es ja kaum. Dabei werden doch tatsächlich unter dem Dach von Frau Staatsministerin Köpping erste Schritte getan. Wir haben es gehört: Im Gleichstellungsbeirat gibt es eine extra Arbeitsgruppe zur Frauen- und Männergesundheit. Aber offensichtlich kommunizieren die entsprechenden Referate nicht miteinander.
Liebe Frau Staatsministerin Klepsch, es braucht wirklich ein gutes Konzept für eine individuelle und damit geschlechterspezifische Prävention und Behandlung der Menschen in Sachsen. Deshalb unterstützen wir den Antrag von CDU und SPD.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sicherlich haben Sie alle schon einmal vom sogenannten Männerschnupfen gehört.
Eine Studie belegt, dass Männer im Vergleich zu Frauen häufiger und schwerer an Infekten erkranken. Und auch nicht erst die DAK hat in ihrem Gesundheitsreport 2016
erkannt, dass Männer und Frauen anders krank sind. Tja, Männer und Frauen sind verschieden. Ja, das hat Auswirkungen auf Gesundheit und Gesundheitsverhalten sowie Diagnostik und Therapie von Erkrankungen. Wir, die Abgeordneten der blauen Partei, begrüßen daher, dass heute das Thema geschlechtsspezifische Medizin auf der Tagesordnung unserer Plenarsitzung steht.
Rein biologisch betrachtet gibt es deutliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Das ist eine Tatsache.
Erst in den Neunzigerjahren gab es die ersten Studien in den USA. Es stellte sich heraus, dass die Medikamentierung ausschließlich an Männern getestet wurde. Meine Kolleginnen haben darauf bereits hingewiesen. Bis dahin beschränkte sich die Erkenntnis unterschiedlicher Bedarfe von Frauen lediglich auf die Fragen zum Thema Schwangerschaft, Geburt und weiblicher Zyklus. Daher ist es so wichtig, dass wir uns hier in Sachsen auch über den aktuellen Umsetzungs- und Erkenntnisstand, Ausbildungsinhalte, derzeitige Forschungsprojekte, spezielle Angebote sowie über alle Beteiligten zur geschlechtsspezifischen Gesundheitsförderung und –beratung in Sachsen, aber auch zum Vergleich bundes- und weltweit informieren.
Vor wenigen Tagen gab es eine neue Studie. Danach hat die Verbesserung der medizinischen Versorgung in den vergangenen 30 Jahren insbesondere in Ostdeutschland zu einer stark gestiegenen Lebenserwartung geführt. Das Statistische Bundesamt hat Anfang des Jahres festgestellt, dass die Lebenserwartung für Männer und Frauen in Baden-Württemberg am höchsten ist. Der Rostocker Demograf Sebastian Klüsener führte diese Unterschiede vor allen Dingen auf die ungleiche wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland zurück. Zitat: „Wirtschaftsstarke Regionen wie Baden-Württemberg locken beispielsweise viele Akademiker an, die durchschnittlich gesünder sind als andere Teile der Bevölkerung.“
Die Lebenserwartung der neugeborenen sächsischen Mädchen schneidet mit Platz 2 in der Studie und rund 83 Jahren im bundesweiten Vergleich deutlich besser ab. Die sächsischen Mädchen leben nämlich durchschnittlich fast so lange wie die Mädchen in Baden-Württemberg. Eine Erklärung hierfür wäre für mich auch einmal interessant. Andere Studien haben gezeigt, dass der deutliche Abstand in der Lebenserwartung von Frauen und Männern darauf zurückzuführen ist, dass Männer die Angebote der Gesundheitsförderung und -prävention nicht oder zu wenig nutzen. Frau Kuge hat gerade ein Beispiel gestartet.
Das muss sich natürlich ändern. Wir brauchen neue, kreative Gesundheitsansätze. Die Forderungen der CDU und SPD können wir grundsätzlich unterstützen; denn das Ziel muss sein, die sächsische Bevölkerung auch für geschlechtergerechtes Handeln und Behandeln in der Medizin zu sensibilisieren. Die Abgeordneten der blauen Partei werden diesem Antrag zustimmen.
Das war Frau Dr. Muster am Schluss der ersten Rederunde. Jetzt beginnt die zweite. Ich sehe keinen Redebedarf bei der einbringenden CDU-Fraktion. Gibt es weiteren Redebedarf? – Die miteinbringende SPD-Fraktion meldet sich zu Wort. Bitte, Frau Kollegin Raether-Lordieck.
Vielen Dank, Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem sich meine Kollegin Lang in der ersten Runde für eine differenzierte Betrachtung von Frauen- und Männergesundheit ausgesprochen hat, möchte ich nun auf ergänzende psychosoziale Aspekte eingehen.
Männer und Frauen sind gleichberechtigt; so steht es im Grundgesetz. Sätze wie „Es lebe der kleine Unterschied“ oder „Wann ist ein Mann ein Mann?“ machen nach wie vor die Runde. Was aber, wenn Rollenzuschreibungen belasten, gar krank machen? Das Konzept hegemonialer Männlichkeit kann krank machen. Männliche Sozialisation zielt auf Härte, Unverwundbarkeit, Unempfindlichkeit gegen Schmerzen, instrumentellen Körpereinsatz. Aus diesem Männlichkeitsbild ergibt sich ein Tabu, Hilfe zu suchen. Männer gehen seltener und später zum Arzt, leben risikoreicher – zum Beispiel beim Sport, beim Autofahren, beim Alkoholkonsum oder bei der Ernährung – und sterben durchschnittlich – wir haben es vorhin schon gehört – fünf Jahre früher als Frauen.
Äußerst bedenklich ist es, dass mit Beginn der Pubertät auch Suizidraten von Jungen und Mädchen auseinanderdriften. Bei der Altersgruppe 15- bis 25-Jähriger liegt die Selbstmordrate junger Männer um fast das 4,4-Fache über der junger Frauen.
Warum ist das so? Dieser Frage müssen wir nachgehen. Hierbei macht eine geschlechterdifferenzierte Gesundheitsbetrachtung absolut Sinn. Frauen und Männer werden sozialisiert, ihre Gefühle unterschiedlich zu zeigen. Während Männer tendenziell eher externalisieren, richten Frauen Aggressionen eher gegen sich selbst. Gewaltbereitschaft junger Männer wird gesellschaftlich weitgehend legitimiert. Ab wann wird es aber symptomatisch?
Bekannt ist, dass einige psychische Erkrankungen mit einem verstärkten Gewaltverhalten korrelieren. Häufig kommt es auch innerhalb des Gender-Diskurses zu einer eindimensionalen Betrachtung. Gesundheitsbildung, die sich nur problematisierend gegen Männlichkeitskonzepte stellt, nützt nichts. Sie bringt allenfalls neue Konflikte. LAG Jungen- und Männerarbeit Sachsen e. V. setzt sich hier in vorbildlicher Weise mit der Thematik „Männergesundheit“ auseinander.
Die weitverbreitete Geschlechterblindheit führt dazu, dass Frauen mit gesundheitlichen Problemen wiederum häufiger nicht ernst genommen werden bzw. sich nicht ernst genommen fühlen. Laut Techniker-Krankenkasse fühlen
sich 29 % der Männer häufiger bzw. ständig gestresst, Frauen dagegen zu 35 %. Das wird nachvollziehbar, sobald wir an Doppel- und Dreifachbelastung insbesondere alleinerziehender Frauen denken, nicht selten kombiniert mit immens hohem Anspruch an sich selbst.
Essstörungen als Übererfüllung überzogener Weiblichkeitsnormen: ein weiterer, nicht zu unterschätzender psychosozialer Krankheitsfaktor. Allgegenwärtige Werbung kolportiert das Frauenideal: makellose Figur, Idealmaße 90 – 60 – 90 – wenn das überhaupt reicht. Der Dokumentarfilm „Embrace“, ein fantastischer Film gegen Body Shaming, deckt auf, wie diese überzogenen Weiblichkeitsnormen Frauen sukzessive vom gesunden Leben entfernen und langfristig regelrecht zerstören können. Luxusproblem? Vielleicht, aber sehr real und weitverbreitet. Vergessen wir aber nicht, dass auch das soziale Umfeld und die Gesellschaft mit verantwortlich sind.
Ein weiteres Beispiel verdeutlicht ein Kommentar auf SPIEGEL-Online im März dieses Jahres. Der Titel: „Bitte, schön still. Und schlucken“. Bestürzt zeigt sich der Frauenärzteverband angesichts gestiegener Abtreibungszahlen. In der Tat, im Jahr 2017 stieg die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche um 2,5 %. Auch so ein Frauenthema? Warum eigentlich?
Für die gestiegenen Abtreibungszahlen sieht der Ärzteverband im Wesentlichen zwei Gründe: Erstens. Die „Pille danach“ ist seit dem Jahr 2015 ohne Rezept in der Apotheke zu bekommen. Zweitens. Es wird offener über teils gravierende gesundheitsschädliche Nebenwirkungen der Antibabypille gesprochen. Ärgerlich ist aber, dass der Eindruck entsteht, Frauen müssten bei der Notfallverhütung der „Pille danach“ wieder an die Hand genommen werden und dass sie überfordert seien mit Verhütungsmethoden jenseits der Antibabypille. Welche Ignoranz! Vielmehr wären hierbei Information, Einfühlungsvermögen, Aufklärung und Begleitung aller Beteiligten gefragt, wenn Frau aus Gesundheitsgründen beispielsweise natürliche Methoden der Familienplanung praktizieren möchte. Richtig angewandt sind diese vergleichbar sicher. Liegt es vielleicht auch an der deutlich geringeren Vergütung für Beratungsleistungen, dass Ärzte dieser Entwicklung derart kritisch gegenüberstehen? Machen wir endlich Schluss mit diesem unsäglichen moralischen Druck auf Frauen. Das kränkt. Oder soll ich sagen: Das macht krank?
Wir brauchen dringend eine geschlechterdifferenzierte Gesundheitsbetrachtung, denn Frauen sind anders, Männer auch.
Für die SPD-Fraktion war das Frau Kollegin Raether-Lordieck. Gibt es weiteren Redebedarf aus den Fraktionen? – Das kann ich nicht feststellen. Das Wort erhält jetzt die Staatsregierung und wird ergriffen von Frau Staatsministerin Klepsch.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Vieles ist bereits gesagt worden – daher von mir noch ein paar Gedanken dazu. Dass es Unterschiede bei der Gesundheit von Männern und Frauen gibt und dass es quasi auch in der Natur der Sache liegt, hat Frau Abg. Schaper bereits treffend in ihren einführenden Worten gebracht. Auch unter den Frauen bzw. Männern gibt es nicht „die eine Gesundheit“.
Die Frage nach der Gesundheit stellt den Menschen als Individuum in den Mittelpunkt, charakterisiert durch seine jeweiligen individuellen Merkmale. Das Geschlecht ist letztlich nur eines davon. Wer für die Gesundheit forscht oder wer Medizin praktiziert, wird genau das immer in den Blick nehmen. Gruppenbildung oder Kategorisierung ist eine notwendige Methode, aber die Methode gibt ein Mehr an Gesundheit für den Einzelnen unter dem Stichwort „individualisierte Medizin“. Letztlich würde das doch zu einem weiteren, ebenfalls wichtigen Thema führen.
Wir wissen, der Blick auf die geschlechtsspezifischen Besonderheiten muss fester Bestandteil der Aus- und Fortbildung in Pflegeberufen, von Pflegekräften und Ärzten sein. Sie müssen erlernt und gelehrt werden.
Werte Damen und Herren Abgeordnete! Genau das sehe ich in den Ausbildungs- und Approbationsordnungen auch so verankert. Nehmen wir die Altenpflege- und Prüfungsordnung. Danach sind alte Menschen personen- und situationsbezogen zu pflegen. In den Vorgaben für die Pflegeberufe wird ausdrücklich darauf abgestellt, dass die Ausbildung eine entsprechende individuelle Pflege und damit auch geschlechtsspezifische Pflege umfasst.
Veränderungen an der Ausgestaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen liegen nur bedingt in unserer Hand, in der Hand des Freistaates Sachsen. Die gesetzlichen Regelungen zur Alten- und Krankenpflege, das Gesetz über die Berufe in der Krankenpflege und auch das im letzten Jahr verabschiedete Gesetz über die Pflegeberufe sind allesamt Bundesgesetze. Deshalb ist der Spielraum bei der Ausgestaltung der Ausbildung auf Landesebene doch sehr begrenzt. Im Bereich der Forschung und Lehre greift die Staatsregierung die vielfältigen konzeptionellen Ansätze bei der Weiterentwicklung des professionellen Lehrens und Lernens in breiter Vielfalt aktiv auf.
Nicht nur als Gesundheitsministerin, sondern auch als Familienministerin freue ich mich ganz besonders darüber, dass wir an unseren sächsischen Universitäten auch
aus Sicht der Studierenden selbst geschlechtsspezifische Bedürfnisse auf dem Weg ins Berufsleben ernst nehmen und auffangen. Das Beispiel wurde schon zitiert. Ich finde es doch erwähnenswert, dass am Hochschulmedizinstandort in Leipzig regelmäßig das Wahlpflicht-Curriculum „Karriereplanung für Medizinstudentinnen und -studenten“ angeboten wird und mit weiblichen Studierenden geschlechterdifferenzierte Wege und Optionen für die berufliche Laufbahn diskutiert werden.
Meine Damen und Herren! Zum Abschluss möchte ich sagen: In der Medizin steht immer der Mensch im Mittelpunkt. Das verlangt einen klaren Blick auf den Einzelnen mit seinen jeweiligen individuellen Eigenheiten und Besonderheiten. Dazu gehört, dass wir als Menschen geschlechtsspezifische Bedürfnisse haben und ein Menschenrecht auf ihre Beachtung.