Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Abgeordnete des sächsischen Parlamentes! Der Bundesgesetzgeber hat mit der Verabschiedung des Bundesteilhabegesetzes normiert, dass die Länder zu dessen angemessener Umsetzung entsprechende Länderausführungsgesetze zu erarbeiten und zu verabschieden haben.
Auch aufgrund unseres heutigen sehr umfangreichen Programmes – wir sind beim Tagesordnungspunkt 11 von 21 Tagesordnungspunkten – möchte ich mich kurz fassen und nur auf das Wesentliche beschränken.
Die auf bundesgesetzlicher Ebene durch das Bundesteilhabegesetz vollzogene Trennung zwischen existenzsichernden Leistungen und Fachleistungen muss auf Landesebene nachvollzogen werden. Aufgabe der Länder gemäß § 94 Sozialgesetzbuch IX ist, die für die Durchführung des Sozialgesetzbuches IX, Teil 2, zuständigen Träger der Eingliederungshilfe zu bestimmen. Der Freistaat Sachsen wird gemäß § 94 Sozialgesetzbuch IX die kreisfreien Städte, die Landkreise und den Kommunalen Sozialverband als Träger der Eingliederungshilfe bestimmen. Das gestaffelte Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes bedingt auch eine gestaffelte Aufgabenübertragung auf die Träger der Eingliederungshilfe. Das ist wichtig, um die Notwendigkeit des Gesetzes noch einmal zu unterstreichen.
Mit dem Bundesteilhabegesetz ist in der Behindertenpolitik Deutschlands ein Paradigmenwechsel eingeleitet worden. Dieses Gesetz – davon bin ich zutiefst überzeugt – wird für die Menschen mit Behinderung eine deutliche Verbesserung ihrer Lebenslage bringen; denn es ist viel stärker personenzentriert, das heißt, der einzelne Mensch wird in den Mittelpunkt gerückt.
Natürlich führt eine solche umfassende Gesetzesänderung bei den Betroffenen zunächst zu einer gewissen Verunsicherung, zumal das Gesetzeswerk schrittweise bis zum Jahr 2020 eingeführt wird. Auch muss der Gesetzgeber bei so gravierenden Veränderungen in angemessener Zeit überprüfen, ob das Gesetz auch die Wirkung entfaltet, die der Gesetzgeber sich vorgestellt hat.
Das von mir Gesagte gilt ebenso für den uns heute zur Entscheidung vorliegenden Gesetzentwurf, der eine ganze
Reihe von Änderungen aus der Anhörung und der parlamentarischen Befassung des Ausgangsentwurfs enthält.
Selbstverständlich waren bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfes, seiner Anhörung im Ausschuss und vielen persönlichen Gesprächen die Menschen mit Behinderung über die Selbsthilfeorganisationen eingebunden. Eine nach meiner Einschätzung besonders wichtige Anregung und Bitte um Änderung betraf die Einrichtung einer Clearingstelle für die Streitfälle, aber nicht beim KSV. Die damit verbundenen Sorgen und Ängste der Menschen mit Behinderung kann man verstehen. Die Regierungsfraktionen haben sich mit dem Sozialministerium dazu positiv verständigen können, dieser wichtigen Bitte zu entsprechen.
Die Clearingstelle wird – so steht es im Gesetzentwurf – beim Beauftragten der Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung angesiedelt sein. Herr Pöhler soll strittige Entscheidungen nicht etwa korrigieren, sondern er soll koordinieren, dass die unterschiedlichen Auffassungen durch eine gerechte Beteiligung der jeweiligen Interessenvertreter möglichst ausgeglichen werden können. Unter seiner Federführung – davon bin ich überzeugt – wird das auch gelingen, aber sicherlich nicht in jedem Fall; denn das würde die Clearingstelle überfordern.
In den Änderungsanträgen ist sehr viel zum Kommunalen Sozialverband zu lesen. Es ist auch viel Sorge geäußert worden. Ich möchte deshalb abschließend zum Kommunalen Sozialverband nur einen Satz sagen: Er wird mir zu oft zu sehr verteufelt.
Im Kommunalen Sozialverband arbeiten Menschen sehr engagiert und gewissenhaft mit ihrem Direktor an der Spitze. Natürlich werden, wie immer, wo Menschen arbeiten, auch Fehler gemacht; auch bei uns selbst. Viele Jahre war ich Mitglied der Verbandsversammlung als Kreisrat des Kreises Mittelsachsen, sodass ich bei diesem Thema schon mitreden kann. Der Kommunale Sozialverband wird über den Verbandsausschuss und die Verbandsversammlung – vertreten sind alle Landkreise und die drei kreisfreien Städte durch ihre frei gewählten Abgeordneten – gesteuert, ist also völlig demokratisch. Wer den KSV schlechtredet, hat keine wirkliche Kenntnis über seine Struktur und redet gleichzeitig auch unsere Kreise und kreisfreien Städte schlecht.
Aber gerade weil uns die Menschen mit Behinderung wirklich wichtig sind und wir ihre Sorgen und Bedenken
ernst nehmen, wird zum Beispiel die Clearingstelle nicht wie im ersten Gesetzentwurf beim KSV, sondern beim Beauftragten eingerichtet.
Selbstverständlich werden auch wir in einem angemessenen Zeitraum den heutigen Gesetzentwurf evaluieren und, wenn nötig, Veränderungen dem Parlament vorschlagen. Für heute bitte ich Sie um Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf und danke gleichzeitig für die Aufmerksamkeit zu später Stunde.
Gernot Krasselt war das für die CDU-Fraktion. Jetzt spricht Herr Kollege Wehner für die Fraktion DIE LINKE.
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Nur gut, dass bald die sitzungsfreie Zeit beginnt, dann kann dieses Pult etwas Öl bekommen und man muss keine Angst mehr haben, dass irgendetwas einstürzen könnte.
Meine Damen und Herren! Herr Krasselt, ich hätte gut Lust, jetzt auf Ihre Rede zu reagieren und nicht den vorbereiteten Redebeitrag zu halten. Da fällt mir ein – bevor ich dazu komme –, ich finde es äußerst bedauerlich, dass wir im zuständigen Fachausschuss nicht die Gelegenheit hatten, speziell auch zu solchen Fragen zu sprechen, fachlichen Fragen, die Sie hier ansprechen. Wir haben in dem Ausschuss – lieber Herr Wendt, das muss ich Ihnen leider hier in dieser Runde sagen – eben nur über die Änderungsanträge gesprochen und keine fachliche Debatte zu dem hier in Rede stehenden Gesetzentwurf geführt. Ich halte es für eine ganz furchtbare Entwicklung im Sächsischen Landtag, wenn Gesetzentwürfe, auch von der Staatsregierung, eingebracht werden und keine fachliche Debatte dazu in den Ausschüssen geführt wird. Das ist einfach vertane Zeit. Heute ist es viel zu spät, und ich bedauere das zutiefst.
Meine Damen und Herren! Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung – kurz: dem Bundesteilhabegesetz – im Deutschen Bundestag am 23. Dezember 2016 fand ein langwieriges Ringen um neue rechtliche Regelungen zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Behinderung in Deutschland seinen vorläufigen Abschluss. Schon Jahre vorher war die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe in den Rechtskreisen der Sozialgesetzbücher IX und XII stark in der Diskussion. Der Druck zur Auseinandersetzung wurde mit der Annahme der UN-Behindertenrechtskonvention und ihrem Inkrafttreten in Deutschland seit dem 26. März 2009 deutlich verstärkt.
Eckpunkte für ein sogenanntes neues Teilhaberecht erarbeitet hatte, wurden diese durch die Arbeits- und Sozialministerkonferenz der Länder im Oktober 2010 entgegengenommen. Alle Beteiligten erwarteten nun selbstverständlich von der Bundesregierung, dass noch in der 17. Wahlperiode ein entsprechender Gesetzentwurf vorgelegt wird. Das kam bekanntlich nicht zustande.
Das war für mich auch nicht verwunderlich, denn die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ist ein sehr richtiger und gleichzeitig sehr hoher Maßstab. Kurz gefasst bedeutet er, Menschen mit Behinderungen unserer Gesellschaft nicht weiter als Objekte der Fürsorge, sondern als Subjekte im Sinne des Menschenrechts zu behandeln. Herr Krasselt, insoweit haben Sie völlig recht.
Diesem Anspruch wird die deutsche Sozialgesetzgebung nach unserer Ansicht nach wie vor nicht gerecht. Damals wurde zumindest die Umgestaltung der Sozialsysteme angekündigt und angegangen, nur waren die Grenzen von vornherein abgesteckt, oder? Denn wie, bitte, soll es gehen, wenn einerseits zwar gemäß UN-Behindertenrechtskonvention Personenzentrierung und Bedarfsgerechtigkeit als Ziel stehen, aber andererseits faktisch kein zusätzlicher Cent dafür aufgewendet werden soll, dies tatsächlich zu erreichen? Wie soll denn das gehen?
Vielleicht wäre es noch realistisch gewesen, wenn sich Deutschland schon vorher als Inklusionsweltmeister einen Namen gemacht hätte, aber Sie und ich wissen, dass das mitnichten der Fall war und ist. Apropos Weltmeister: Das hat sich ja seit heute ohnehin erledigt, meine Damen und Herren. Hier müssen wir uns völlig neu aufstellen.
Nachdem die 17. Wahlperiode des Bundestages verstrichen war, kam endlich am 12. August 2016 im Bundesrat und am 5. September 2016 im Bundestag der offizielle Gesetzentwurf mit dem eingangs genannten Titel in den Geschäftsgang. Bereits nach der Veröffentlichung des Referentenentwurfs wurde grundsätzlich Kritik laut, die in der Zeit der parlamentarischen Behandlung immer stärker wurde und zuletzt in Demonstrationen mündete – so viel zu den Beteiligungsrechten, lieber Herr Krasselt –, sodass wir in Deutschland in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 die seit vielen Jahren größten Aktionen von Menschen mit Behinderung und ihren Selbsthilfeorganisationen erlebten. Letztlich gaben meines Erachtens diese Demonstrationen den Ausschlag, dass am Vorabend der Beschlussfassung des Bundesteilhabegesetzes im Bundestag am 23. Dezember 2016 doch noch in einer Nacht- und Nebelaktion zahlreiche Änderungsanträge eingebracht und bestätigt wurden, die auch Verbesserungen brachten, zweifellos. Es war ein Erfolg der Behindertenbewegung, der nur unter Aufbietung aller, wirklich aller sowieso schon beschränkten Kräfte zustande kam.
Ich habe mir für diese kurze Chronologie Zeit genommen, weil dadurch eines deutlich wird: Es gibt noch große Defizite in unserem politischen System, wenn es um die selbstverständliche und gleichstellende Berücksichtigung der Interessen von Menschen mit Beeinträchtigungen und
Dieser Negativerfahrung hat die Sächsische Staatsregierung mit dem heute zur Behandlung stehenden Gesetzentwurf „Gesetz zur Regelung der Zuständigkeiten nach dem Sozialgesetzbuch und zur Zuständigkeit des Kommunalen Sozialverbandes Sachsen“ nach unserer Auffassung eine weitere hinzugefügt. Das will ich begründen.
Erstens. Wir haben es wieder mit einem Gesetz zu tun, das verspätet – diesmal ein halbes Jahr zu spät – verabschiedet wird. Ich weiß, dass es einen Beteiligungsprozess der Staatsregierung im Jahr 2017 gab, aber ich weiß auch, dass mindestens ein Beratungstermin der Arbeitsgruppe abgesagt wurde. Angesichts der engen Zeitschiene von nur einem Jahr bis zur rechtlichen Wirksamkeit eines Teils der Bundesregelung ist das eigentlich undenkbar, wie ich finde.
Zweitens. Wir haben es wieder mit einem Gesetzentwurf zu tun, der dem Landtag in einer Fassung übergeben wurde, die der des Referentenentwurfs sehr, sehr ähnlich war, obwohl es zahlreiche kritische Stellungnahmen vonseiten der Menschen mit Beeinträchtigungen, die in den Arbeitsgremien des Sozialministeriums beteiligt waren, gegeben hatte.
Drittens. Wir hatten es wieder mit einem Gesetzentwurf zu tun, der wegen der Überfälligkeit sehr schnell behandelt werden musste und deshalb zwischen Einreichungstermin der Drucksache und öffentlicher Anhörung im Sozialausschuss offiziell nicht einmal genügend Zeit für die Gewinnung von Sachverständigen war. Darauf, was die Diskussion im Ausschuss betraf, hatte ich schon hingewiesen.
Meine Damen und Herren, eigentlich ist es ein Unding; denn wenn Menschen im Rollstuhl mit der Bahn anreisen wollen, dann müssen sie das vorher organisieren. Wenn Menschen auf leichte Sprache angewiesen sind, um auch verstehen zu können, was mit ihnen passieren soll, dann brauchen sie eine entsprechende Aufbereitung, welche wiederum Zeit braucht.
Viertens. Wir hatten es wieder mit einem Gesetzentwurf der Staatsregierung zu tun, der in einer öffentlichen Anhörung eines Landtagsausschusses stark kritisiert wurde, insbesondere von denjenigen, die zum Kreis der Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger
gehören. Genau wie beim Bundesteilhabegesetz gab es immerhin einzelne Verbesserungen durch Änderungsanträge der Koalitionsfraktionen – vielen Dank dafür! –, aber an einigen grundsätzlichen Fragen haben diese Nachbesserungen überhaupt nichts geändert.
Eine dieser grundsätzlichen Fragen ist die Rolle oder, besser gesagt, die Nichtrolle der Staatsregierung als Verantwortungsträger in diesem Fall für die Umsetzung von Sozialgesetzbüchern im Freistaat Sachsen. Denn in diesem Gesetzentwurf fehlen zum Beispiel die Festlegungen des Sozialministeriums als Fach- und Rechtsaufsicht über den Kommunalen Sozialverband ebenso wie die
Verantwortungsübertragung für die landesweite Koordinierung der regionalen Sozialplanungen oder für die Entwicklung bzw. Weiterentwicklung der Instrumente und Strukturen der Eingliederungshilfe.
Es fehlen auch Festlegungen zur Überprüfung des Gesetzes, wodurch die Staatsregierung einer weiteren hoheitlichen Verantwortung entledigt wird, nämlich der Analyse der Instrumentarien und Strukturen, die sie selbst vorgeschlagen hat. Ich weiß, dass sich in anderen Bundesländern, zum Beispiel im Nachbarland Thüringen, die obersten Landessozialbehörden in solchen Fragen selbstverständlich in der Verantwortung sehen, und das ist richtig so.
Ich denke, das betrifft auch die Clearingstelle. So gut es gemeint ist, dass sie jetzt bei dem Behindertenbeauftragten – um das jetzt einmal so abzukürzen – angesiedelt ist; nach meinem Dafürhalten wäre es richtiger gewesen, sie wirklich bei der Staatsregierung anzusiedeln, meine Damen und Herren.
Die Staatsregierung und die sie tragende Regierungskoalition können keineswegs zufrieden sein mit diesem Gesetzentwurf. Es ist wahrlich kein Ruhmesblatt. Wenngleich es auf Betreiben der SPD noch Verbesserungen am ursprünglichen Text gegeben hat, wie zur Ansiedlung der Clearingstelle beim Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen statt beim KSV oder zur Stärkung der Interessenvertretung von Menschen mit Behinderungen, sage ich aber dennoch eindeutig: Ein Gesetz, das den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung nach gleichberechtigter und selbstbestimmter gesellschaftlicher Teilhabe gerecht werden würde, sähe nach meinem Dafürhalten grundlegend anders aus.
Allerdings ist es nicht die Aufgabe der Opposition, die Hausaufgaben der Staatsregierung zu machen, weshalb wir uns auf wesentliche Änderungsbegehren beschränkt haben. Einige Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, gerade was die Menschen mit Behinderungen betrifft, stehen ja noch aus und insofern bleibt es noch etwas spannend, was die wirkliche Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen betrifft.
Es sprach Herr Kollege Wehner für die Fraktion DIE LINKE. Jetzt gibt es eine Kurzintervention an Mikrofon 7. Bitte, Herr Kollege Wendt.
Vielen Dank, Herr Präsident! Herr Wehner, Sie haben recht, wir haben einmal die Anhörung gehabt im Ausschuss und dann haben wir über die Änderungsanträge im Ausschuss selbst debattiert. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass es den Fraktionen obliegt, eine Fachdebatte anzustoßen, und das ist ja im Ausschuss nicht geschehen. Aufgrund dessen konnte man sich auch nicht fachlich in der Tiefe mit der Thematik beschäftigen. Das wollte ich einfach noch einmal äußern. – Danke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Ich möchte sehr gern darauf erwidern, Sie sehen es mir nach, ich habe ja jetzt hier am Platz ein Mikrofon, dort ist es mir zu hoch.
Es hat jetzt der Abg. Wendt gesprochen. In meiner Debatte habe ich vorhin den Ausschussvorsitzenden gemeint, weil er die Ausschusssitzung leitet, und er sollte darauf achten, dass sie sowohl fachlich gerecht als auch inhaltlich korrekt geführt wird. Aber hier möchte ich nicht weiter Kritik äußern. Als Abgeordneter steht es Ihnen frei, sich hier zu äußern; das war aber nicht mein Gegenstand.
Gut. Jetzt fahren wir in der Rednerreihe fort. Als Nächstes spricht Frau Kollegin Kliese für die SPD-Fraktion.