an den Reichskanzler Max von Baden, dem Verlangen der Frauen nach einem Wahlrecht zu entsprechen. Am 9. November 1918 rief Philipp Scheidemann die Republik aus. Vorgestellt wurde ein Regierungsprogramm, das in einer großen Wahlrechtsreform auch das Frauenwahlrecht enthielt.
Eine der ersten weiblichen Abgeordneten wurde Marie Juchacz. Als Sozialreformerin hatte sie für das Frauenwahlrecht gekämpft. Hier ein Auszug aus ihrer ersten Rede vor der Nationalversammlung: „Ich möchte hier feststellen, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit. Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“
Damals – vor 100 Jahren – lag die Frauenwahlbeteiligung bei über 80 %, und 37 Frauen zogen in die Nationalversammlung ein. Immerhin, auf Anhieb fast 9 %. Und heute – 100 Jahre später? Im Deutschen Bundestag liegt der Frauenanteil aktuell nur bei 30 %. In vielen Ländern weltweit lässt sich zudem ein Backlash-tradierter Rollen- und Familienbilder beobachten. Was einmal erkämpft wurde, kann auch wieder verloren gehen.
Schauen wir 50 Jahre zurück: Hier bei uns in Sachsen wurden Frauen als Arbeitskräfte in der Industrie gebraucht und bereits 1962 gesetzlich gleichgestellt. Die Erwerbstätigkeit der Frau führte zwangsläufig zu einer Veränderung der Geschlechterverhältnisse – auch im Privatbereich. Im Westen hatte bis 1976 der Mann das alleinige Entscheidungsrecht über die Familie. Die verheiratete Frau durfte nur arbeiten, wenn sie ihre häuslichen Pflichten nicht vernachlässigte. Zur gleichen Zeit wurde im Osten die Fristenregelung erlassen, und die Frau hier konnte selbstbestimmt über ihren Körper und über Schwangerschaft entscheiden.
In den Verhandlungen zur Wiedervereinigung wurde dieses Recht mit den Zähnen verteidigt. Die Frauen wussten, was hier auf dem Spiel stand. In den ersten Jahren nach der Wende befanden sich unsere Frauenrechte im freien Fall. Das Recht auf Arbeit – Zahlen der Bundesagentur für Arbeit besagen: 1991 lag die Frauenarbeitslosigkeit um 60 % über der der männlichen ehemaligen Kollegen. Und sie stieg weiter, bis 1994 auf über 100 %. Arbeit fanden die jungen, gut ausgebildeten Frauen im Westen der Republik. Andere gingen in Rente oder verabschiedeten sich resigniert aus dem Berufsleben. Der Begriff „hohe Erwerbsneigung der Frauen im Osten“ machte die Runde. Wie euphemistisch! Frauen wurden wieder zunehmend von ihren Männern abhängig. Partnerschaftliches Geschlechterverhältnis in Beziehung und Familie adé!
Aber zum Glück: Die Erziehung der nächsten Generation scheint noch geprägt von gleichberechtigten Lebensverhältnissen im Alltag. So sind es heute zum Beispiel die jungen Väter, die in Sachsen bundesweit zum Spitzenreiter in Sachen Elternzeit aufsteigen. Heute wissen wir, dass gleiche Rechte auf dem Papier nicht ausreichen. Gleich
stellung kann nur gemeinsam im wohlgemeinten Zusammenleben aller Geschlechter miteinander tatsächlich und real im Alltagsleben ankommen. Seien wir uns dessen bewusst, und arbeiten wir daran!
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit einem Zitat beginnen, das so wichtig ist, dass ich es noch einmal vortragen möchte, auch wenn es gerade genannt worden ist: „Ich möchte hier feststellen, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit. Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“ Das waren die Worte der Frau, die am 19. Februar 1919 als erste Frau überhaupt in der Weimarer Nationalversammlung das Wort ergreift. Ihr Name war Marie Juchacz.
Das ist knapp 100 Jahre her. Deswegen begehen wir jetzt allerorten den Festakt zu „100 Jahre Frauenwahlrecht“. Ich möchte trotzdem an dieser Stelle die Frage stellen: 100 Jahre Frauenwahlrecht – ist das überhaupt ein Grund zum Feiern? Das, was Marie Juchacz als Selbstverständlichkeit betitelt hat, das war – das wusste sie natürlich selber – nur zu gut das Ergebnis eines langen, eines schweren und eines erbitterten Kampfes. Denn die Forderung nach dem Frauenwahlrecht ist schon viel älter; sie begann schon in der Französischen Revolution. Dort trat neben den großen Begriffen wie der Freiheit und der Gleichheit dann der Begriff der Brüderlichkeit, der die Männer im Fokus hatte und die Frauen ausgeschlossen hat. Das wusste auch Olympe de Gouges, die schon 1791 – also noch im Zuge der Französischen Revolution – eine Streitschrift für das Frauenwahlrecht geschrieben hat, die sie zwei Jahre später teuer mit ihrem Leben bezahlt hat, nämlich auf der Guillotine. Nach ihr haben Generationen von Frauen gekämpft. Sie haben Verfolgung und harte Strafen in Kauf genommen.
Wenn es einen Grund zum Feiern gibt, dann möchte ich diese Heldinnen feiern: Louise Otto-Peters, Hedwig Dohm, Clara Zetkin, Minna Cauer, Anita Augspurg – um nur einige zu nennen. Denn ihnen ist es zu verdanken, dass wir als Politikerinnen hier in diesem Haus und anderswo sprechen dürfen.
Um es ganz genau zu nehmen, ist das Wahlrecht in Deutschland aber nicht 100 Jahre alt, denn schon 1933 verlieren die Frauen nach der Machtübernahme der NSDAP das passive Wahlrecht schon wieder – sie durften
weiter wählen, aber nicht mehr gewählt werden. Erst nach der Befreiung vom Nationalsozialismus erhalten sie es wieder zurück. Um bei dem passiven Wahlrecht zu bleiben: Danach war auch der Weg der Frauen in die Mandate und Ämter ein langer und mühsamer. Erst 1961 war die erste Frau Teil des Kabinetts der deutschen Bundesregierung: Elisabeth Schwarzhaupt, eine CDUPolitikerin.
Erst 1993 gab es mit Heide Simonis eine erste Ministerpräsidentin, und – daran erinnern sich wahrscheinlich noch mehr Leute; das ist präsenter – 2005 gab es erst die erste Bundeskanzlerin mit Angela Merkel. Selbst das war noch ein kleines politisches Erdbeben.
Nach 100 Jahren sind also die Frauen in der Politik nicht mehr die Ausnahme, aber auch längst noch nicht die Regel. Bis heute hat es noch nie, noch nicht einmal ein Parlament in Deutschland gegeben, das paritätisch besetzt gewesen wäre, oder vielleicht eins, bei dem es mehr Frauen als Männer gegeben hätte, um den Männerüberhang in allen anderen Parlamenten auszugleichen.
Im Bundestag sind wir bei einer Quote von 30,9 %, auf Landesebene im Schnitt bei 30 %, auf kommunaler Ebene sind es gerade einmal 25 %. Auch das ist ein Durchschnittswert, denn es gibt immer noch Kommunalparlamente, in denen keine einzige Frau vertreten ist. Dann höre ich immer: Ja, das braucht alles Zeit. Aber ich frage mich: Wie viel Zeit denn noch? 100 Jahre sind eine lange Zeit. Wie lange sollen wir noch warten?
In 100 Jahren hat sich einiges entwickelt, aber aktuell erleben wir eine Stagnation und einen Rückgang – auch auf Bundesebene. Das ist ganz interessant, denn nach mehreren Jahrzehnten hat sich die Frauenrepräsentanz auf niedrigem Niveau gehalten und stieg dann an. Das hatte nur einen Grund, nämlich die selbstverpflichtenden Quotierungsregelungen der Parteien. Ohne diese Selbstverpflichtung sähe es mit der Repräsentanz auch hier im Haus noch viel düsterer aus.
Die größte Schwierigkeit stellen dabei die Direktwahlkreise dar. Das fällt aktuell auch der sächsischen CDU auf die Füße – nein, ich korrigiere mich, nicht der sächsischen CDU insgesamt, aber doch den Frauen in der sächsischen Union, der Frauenunion. So titelte die DNN am 04.12. dieses Jahres: „CDU-Frauen begehren auf“. Der Grund ist die niederschmetternde Bilanz, dass bis dahin nur acht der 57 Direktwahlkreise mit Frauen nominiert worden sind. Ich beglückwünsche die sächsische Frauenunion zu diesem Aufbegehren ganz ohne Spott.
Ernüchternd ist hier das Zitat des Generalsekretärs, der sich vor der Frauenunion erklären musste und der dann sagte bzw. in der Zeitung zitiert wurde: „So etwas lässt sich nicht zentral steuern.“
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Wir debattieren über den 100. Jahrestag des Frauenwahlrechts als einen Auftrag für die Zukunft. Es ist zu hoffen, dass alle deutschen Frauen diesen Jahrestag gefeiert haben, zumindest sollten sie das. Wenn wir, die hier in Sachsen gewählten Frauen, in diesem Parlament an dieses Pult treten, dann erfüllen wir immer auch den Auftrag unserer Vorkämpferinnen, die Zukunft der Frauen und der Familien in unserem Land zu gestalten. Denn beides, die Zukunft der Frauen und der Familien, ist untrennbar miteinander verbunden.
Heute haben alle sächsischen Frauen gleichberechtigt Zugang zu Bildung, Ausbildung und Studium. An unseren Universitäten sind die Studentinnen längst keine Minderheit mehr, außer in den MINT-Fächern – da gibt es nur wenige, vielleicht zu wenige. Dafür haben wir viel mehr Frauen in den Pflegeberufen, in Kinderbetreuung und Grundschule – klassische Frauenberufe.
Auch das ist heute: Dresden und Leipzig wechseln sich ab, die Geburtenhauptstädte Deutschlands zu sein. Seit 2011 wird in Sachsen wieder mehr geheiratet, Ehescheidungen sind rückläufig. Ehepartner kümmern sich häufig gleichberechtigt um Kinder und Haushalt. Das Vertrauen zwischen Mann und Frau, die sich aufeinander verlassen, ermöglicht das.
Aber die Entscheidung für Kinder und die damit verbundenen fast zwangsläufigen zeitlichen und finanziellen Einbußen für die Arbeitstätigkeit sind heute noch ein wesentliches Diskriminierungsmerkmal. Das betrifft
zumeist Frauen, nicht nur Alleinerziehende, was aber nicht an dem mangelnden Willen der Männer liegt, Verantwortung für die Kinder zu tragen. Es liegt nicht an fehlender Arbeitsplatzsicherheit oder fehlendem Wohnraum, sondern an der staatlichen Benachteiligung oder den schlechten finanziellen Rahmenbedingungen für Familien.
Denn heute führt der Staat tatsächlich einen Krieg gegen Familien und fordert für sich über die Ganztagsbetreuung den Großteil der Kindererziehung.
„Wir wollen die Lufthoheit über den Kinderbetten erobern“, sagte Olaf Scholz schon 2002 und weiter: Statt Förderung der Frauen in der Familie und Gleichberechtigung von Mann und Frau soll eine sogenannte Gleichstellung durch diskriminierende Quotierungen erreicht werden. Aktuelles Beispiel: Katarina Barley möchte das Wahlgesetz ändern, um eine Parität von Männern und
Frauen im Bundestag zu erreichen, oder Andrea Nahles will mehr und jüngere Frauen auf den SPD-Wahllisten.
Heute sind derartige Quoten noch rechtswidrig, weil undemokratisch. Wenn es nach mir geht, sollen sie es auch bleiben.
Nach dem jahrhundertelangen harten Kampf der Frauen für Unabhängigkeit und gleiche Rechte erleben wir heute ein Rollback. Frauen trauen sich nachts nicht mehr allein auf die Straße, sogar am helllichten Tag werden sie belästigt, bestohlen oder viel Schlimmeres.
Plötzlich befassen wir uns mit Morden, Ehrenmorden, Kinderehen oder auch nur damit, dass man Lehrerinnen nicht mehr die Hand gibt.
In manchen deutschen Städten gibt es wieder Schwimmbäder mit nach Geschlechtern getrennten Badezeiten. Diskriminierung von Frauen, als dem wertlosen Geschlecht, ist plötzlich wieder ein brennendes Thema.
Gerade als Frauen im Parlament sollten wir uns weniger Gedanken um Quotierungen machen, sondern darüber, dass die Kellnerin abends oder nachts auf ihrem Weg nach Hause unbehelligt bleibt. Das wäre eine ganz natürliche, ich betone: menschliche Solidarität. Jenseits des Vertrauensverhältnisses zwischen Mann und Frau als Voraussetzung der ehelichen Partnerschaft ist aber das Grundvertrauen zwischen Männern und Frauen heftig gestört. Ich bin sicher die Letzte, die verneinen würde, dass es sexuelle Übergriffe gibt, aber es ist eine Unmöglichkeit, den Mann als solchen zu bekämpfen und „überwinden“ zu wollen.
Die historische Benachteiligung der Frau kann nicht dadurch geheilt werden, dass nun die Männer diese Rolle übernehmen. Man kann keinen Frieden stiften, indem man einen neuen Krieg beginnt.