Protokoll der Sitzung vom 30.01.2019

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Das war die AfDFraktion. Jetzt könnte BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN noch einmal das Wort ergreifen. – Kein Redebedarf. Wir können eine dritte Rederunde eröffnen und tun das auch. Das Wort hat erneut Herr Kollege Schiemann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass die Debatte gezeigt hat, wie wichtig der Handelspartner, aber auch der Partner Vereinigtes Königreich für uns ist – für den Besuch von Menschen, für das Kennenlernen von Menschen, aber existenziell auch für die Arbeitsplätze. Ich bedauere, dass niemand darauf hingewiesen hat, wie viele Arbeitsplätze im Vereinigten Königreich schon seit 2016 bedroht sind. 20 % hat das Pfund gegenüber dem Euro verloren. Wer muss diese Auswirkungen aushalten?

Das sind die Arbeiter. Das sind diejenigen, die mit wenig Lohn diese Spanne ergänzen müssen. Ich glaube, dass es wichtig ist, noch einmal für uns festzustellen, dass wir eine Außenhandelsbilanz von 42 Milliarden Euro haben, davon 2,7 Milliarden Euro mit dem Vereinigten Königreich. Das sind viele Arbeitsplätze. Ich weiß von den

Unternehmen im Freistaat Sachsen, dass viele schon Notfallpläne gemacht und sich vorbereitet haben. Produktion ist auf Lager gefahren worden. Das heißt, dass man jetzt schon Produkte in das Vereinigte Königreich gebracht hat. Aber die Unternehmen brauchen eine Sicherheit für die Zukunft, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Ich beende meine Rede mit dem Appell: Wir brauchen Unterstützung für die sächsischen Unternehmen bei diesem Verfahren. Aber wir sollten Frieden, Freiheit, Demokratie und fairen Handel nicht geringschätzen. Das ist die Grundlage für die Europäische Union. Sir Winston Churchill hat 1946 in seiner Züricher Rede vor der Universität gesagt, dass dieses Europa eine Chance hat, wenn es in Frieden, Freiheit und Demokratie einen neuen Weg beschreitet. Das sollten wir mit dem Vereinigten Königreich nach dem Brexit weiter tun.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Das war noch einmal Kollege Schiemann. Ich schaue in die Runde. Gibt es weiteren Redebedarf aus den Fraktionen heraus? – Den kann ich nicht erkennen. Damit spricht jetzt für die Staatsregierung Herr Staatsminister Schenk. Bitte, Herr Staatsminister.

Oliver Schenk, Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten und Chef der Staatskanzlei: Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, man kann sagen, mit dem Brexit bahnt sich Historisches an. Erstmals will ein Mitgliedsstaat die Europäische Union verlassen. Deshalb will ich auf die Anfänge der Europäischen Union zurückblicken.

Im Mai 1950 stellt der damalige französische Außenminister Robert Schuman seinen Plan für die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl in einer Pressekonferenz vor. Er schloss mit den Worten: Frankreich unterbreitet hiermit einen Vorschlag, aber wir haben keine Ahnung, was daraus wird. Es liegt an Europa, jetzt Antworten zu geben. Ein Journalist fragte daraufhin: Das ist also ein Sprung ins Ungewisse? Schuman antwortete, ja, ein Sprung ins Ungewisse.

Heute steht die Europäische Union wieder vor einem Sprung ins Ungewisse. Nur beim Brexit hegt zumindest hier auf dem Kontinent und bei uns kein Verantwortlicher die Hoffnung, es könnte dabei etwas Gutes herauskommen. Die Hoffnungen und Versprechungen der Befürworter eines harten Brexit sind illusionär. Die Hoffnungen auf einen geregelten Brexit sind nach dem gestrigen positiven Votum des Unterhauses weiterhin vorhanden.

Meine Damen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde gibt mir die Gelegenheit, Sie über ein aktuelles Gesetzgebungsvorhaben der Staatsregierung zu informieren. Gestern haben wir im Kabinett über den Entwurf eines sächsischen Gesetzes für den Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien

und Nordirland aus der Europäischen Union diskutiert, haben es beschlossen und dem Sächsischen Landtag zugeleitet.

Der Freistaat Sachsen wird für seinen Teil mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes auf einen geordneten Austritt des Vereinigten Königreichs hinreichend vorbereitet. Jetzt ist auf Bundesebene, meine Damen und Herren, und in den Ländern eine juristische Diskussion darüber entbrannt, ob derartige Übergangsgesetze materiell notwendig oder lediglich zur Klarstellung nützlich sind.

Unser Anliegen ist es, mit diesem Gesetzentwurf für Rechtsklarheit zu sorgen. Die Klarstellung bezieht sich auf jene Bestimmungen, die im Landesrecht verankert sind und auf eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union Bezug nehmen. Die Klarstellung hat zum Inhalt, dass für den Übergangszeitraum nach einem geordneten Austritt und seiner etwaigen Verlängerung alle Regelungen des Landesrechts gegenüber Großbritannien weiter gelten mit der Ausnahme des aktiven und passiven kommunalen Europawahlrechts für britische Staatsbürger, die in Sachsen leben. Wir wollen auf diese Weise von vornherein Rechtsunsicherheit über die rechtlichen Folgen des Brexit verhindern.

Wir haben in zahlreichen Veranstaltungen mit den Industrie- und Handelskammern, mit German Trade and Invest und mit den von mir in die Staatskanzlei eingeladenen britischen Unternehmen über die Folgen für deren Engagement bei uns im Freistaat und die damit verbundenen Konsequenzen diskutiert.

Ich glaube, damit haben wir deutlich gemacht, dass wir diese Aufgaben sehr ernst nehmen, uns mit den Folgen auseinandersetzen und uns bestmöglich vorbereiten wollen. Zugleich senden wir damit ein Signal an unsere britischen Freunde und Partner: Wir haben alle Vorkehrungen für einen geordneten Austritt getroffen. Setzt den politischen Willen des britischen Volkes ebenso rational um und arbeitet auf einen geordneten Austritt hin!

Klar ist selbstverständlich, dass die Staatsregierung einen anderen Ausgang des Referendums und damit einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU vorgezogen hätte. Denn der Brexit, meine Damen und Herren, hat weitreichende nachteilige Folgen nicht nur wirtschaftlicher Art.

Großbritannien und der Kontinent sind mit der EU in den vergangenen 45 Jahren eng zusammengewachsen und wirtschaftlich, politisch und sozial vielfach verflochten. Die Rückabwicklung dieser Verflechtungen hat Folgen für Frieden, Demokratie und freien Handel in Europa.

Nein, es steht kein Krieg zu befürchten. Aber wie Reuters berichtet, befinden sich zumindest die britischen Unternehmen in der Vorbereitung auf eine Art Kriegszustand. Sie horten massenhaft Lebensmittel und Industriegüter vom Kontinent. Großbritannien wandelt sich in ein gigantisches Warenlager, um vorbereitet zu sein für einen harten Brexit, der zu tagelangen Staus am Zoll führen wird. Das macht deutlich, wie ernst die Situation ist. Das

ist ein Plädoyer dafür, den Brexit geordnet zu vollziehen und die Verflechtungen zwischen Großbritannien und dem Kontinent in den nächsten zwei Jahren Schritt für Schritt zu lösen, statt sie mit einem Schlag zu durchtrennen.

Ich habe den Eindruck, dass sich diese Sicht auch im Unterhaus durchsetzt. Einen ungeordneten Austritt kann keine Seite wirklich wollen. Schon der Brexit an sich kennt keine Gewinner, sondern nur Verlierer.

Großbritannien war 2017 für unsere Wirtschaft der fünftgrößte Exportmarkt nach den USA, Frankreich, China und den Niederlanden.

Aber, meine Damen und Herren, der Brexit wird nicht nur nachteilige wirtschaftliche Folgen haben. Seine politischen und strategischen Konsequenzen dürften langfristig noch einschneidender sein. Wir verlieren ein großes und wichtiges EU-Mitglied, das mit seinen Nettozahlungen an den EU-Haushalt bisher europäische Programme ermöglicht hat, die Wohlstand und Beschäftigung gemehrt haben.

Mit dem Vereinigten Königreich geht aber auch ein Partner in solchen Bereichen wie Sicherheit, Terrorismusbekämpfung und Verteidigung. Auch deshalb ist eine weitere enge Zusammenarbeit nach dem Austritt sehr wichtig.

Es wird uns mit dem Vereinigten Königreich aber vor allem ein ordnungspolitischer Partner und ein an nüchternen empirischen Befunden orientiertes Korrektiv fehlen. Durch den Austritt der Briten wird das Gleichgewicht in der EU verschoben werden. Zusammen mit Großbritannien hatten die an haushaltspolitischer Stabilität und Freihandel stärker orientierten Mitglieder, insbesondere Deutschland, die Niederlande, Österreich und Finnland, eine Sperrminorität. Durch den Brexit schrumpft der Block der Freihandelsbefürworter.

Der Austritt der Briten ist also nicht nur ein großer Einschnitt. Er führt zu einer Verschiebung der Gewichte in der EU. Das kann uns nicht gefallen, weil er am Ende zu einer Schwächung der EU als Ganzes führt. Die deutsche Reaktion auf den Brexit kann also nur rational und interessengeleitet sein.

Für eine stabile und international starke EU ist eine Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich auch nach dessen Austritt unverzichtbar. Nach dem 29. März verschwindet Großbritannien nicht von der Landkarte. Die Briten sind und bleiben unsere Partner und auch Freunde. Hierfür setzt sich die Staatsregierung ein. Dass die britische Regierung dies erfreulicherweise ähnlich sieht, zeigen ihre Pläne zur Eröffnung eines neuen Generalkonsulats bei uns im Freistaat.

So bleibt der Brexit für beide Seiten ein Sprung ins Ungewisse. Aber an der Freundschaft zwischen den Menschen auf beiden Seiten des Ärmelkanals ändert er hoffentlich nichts.

Vielen Dank

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Mit den Ausführungen von Herrn Staatsminister Schenk sind wir, so ich keine

gegenteiligen Signale empfange – es gibt keinen weiteren Redebedarf –, am Ende der Ersten Aktuellen Debatte angelangt. Wir können diese abschließen.

Wir kommen nun zu

Zweite Aktuelle Debatte

Kohleausstieg ökologisch und sozial verträglich gestalten –

Strukturentwicklung in der Lausitz koordinieren und

zusammen mit den Menschen vor Ort in die Hand nehmen!

Antrag der Fraktion DIE LINKE

Die einbringende Fraktion eröffnet die Debatte. Das Wort ergreift Frau Kollegin Dr. Pinka.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Kohlekommission hat in einem Bericht den Kohleausstieg bis zum Jahr 2038 empfohlen. Die Kommission hat die Zeitpunkte für die Abschaltung der Kohlekraftwerke definiert. Die Kohlekommission hat 40 Milliarden Euro für den Strukturwandel in den betroffenen Regionen empfohlen, davon allein 18 Milliarden Euro für die Lausitz.

Wir als Linksfraktion tragen grundsätzlich diese Ergebnisse mit. Dass wir im Klimaschutz im Jahr 2019 so weit gekommen sind – auch wenn ich selbst meine, wir hätten anspruchsvoller sein können –, haben wir nicht dieser Staatsregierung zu verdanken und nicht dem Ministerpräsidenten, der noch vor fünf Wochen von einem Ausstiegsjahr 2050 schwadronierte. Wir haben das vielen Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern zu verdanken. Wir haben es den Umweltaktivistinnen und -aktivisten vom Hambacher Forst bis in die Lausitz zu verdanken. Ich möchte mich im Namen meiner Fraktion insbesondere bei den Schülerinnen und Schülern und dem Lehrpersonal bedanken, die in den letzten Tagen auf den Demos vor dem Landtag gestanden und für den Klimaschutz gestritten haben. Sie haben ein Zeichen gesetzt.

(Beifall bei den LINKEN)

Wir als Linksfraktion erheben natürlich auch den Anspruch, ein Puzzleteil zur Erreichung dieses Klimaschutzzieles gewesen zu sein. Vor Jahren forderte unsere Partei den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2040. Dafür wurden wir hier angefeindet. Das Weltklima hat sich seitdem weiter verschlechtert. Deshalb ist es gut, dass die Kohlekommission jetzt ein früheres Datum empfiehlt. Wir müssen auf diese Veränderungen reagieren.

Hingegen scheint es in der Riege der Bequemlichkeitstäter und der Klimaleugner in Deutschland noch immer unverbesserliche, sturköpfige, ja sogar erstarrte Positionen zu geben. Diese Politiker, bestehend aus Teilen der CDU, wenn ich das gestern von der Bundestagsfraktion richtig mitbekommen habe, aber auch der FDP und der gesamten AfD, bekommen offenbar ihren Hintern erst hoch, wenn das Elbehochwasser durch die Wohnstube

rauscht oder wenn vor der Haustür die Landschaft völlig verbrannt ist.

Ob Ministerpräsident Kretschmer ein Zukunftsträger für kommende Generationen in Sachsen oder ein planloser Bequemlichkeitstäter ist, das werden Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, die Öffentlichkeit, aber auch die gesamten Medien in den nächsten Tage sehen. Die Staatsregierung wird mit dem Bund, den betroffenen Regionen in Sachsen und der Kohleindustrie konkrete Verträge und Maßnahmen vereinbaren.

Ich persönlich sehe fünf Prüfsteine, die die Sächsische Staatsregierung im Blick haben und an denen sie sich messen lassen muss: Das sind die Tagebauerweiterungen. Das ist der Ausbau der erneuerbaren Energien. Das ist die Gestaltung des Strukturwandels. Das sind die Entschädigungsleistungen für die Industrie und natürlich – darüber haben wir sehr oft diskutiert – die Wiedernutzbarmachung der Bergbaufolgelandschaften.

Ich komme zu den ersten beiden Prüfsteinen: Tagebauerweiterung. Der Kohleausstieg kann nämlich nur erfolgreich sein, wenn es keine Tagebauerweiterungen gibt. Wir haben so viele genehmigte Tagebaue, dass wir stattdessen über Tagebauverkleinerungen sprechen müssten. Es wäre an Sinnlosigkeit nicht zu übertreffen, wenn jetzt noch neue Dörfer oder Wälder abgebaggert werden müssten.