Protokoll der Sitzung vom 13.03.2019

und das, was in der Rundverfügung in die Welt kommt, ist irgendwo schon ein – na ja – Herangehen, das jedenfalls in weiten Juristenkreisen als ausgesprochen merkwürdig empfunden wird. Wir haben jetzt zwei Tage Plenum. Wir haben heute die Aktuelle Debatte und morgen eine Fachregierungserklärung, die offensichtlich angemeldet ist, in Reaktion auf unsere Aktuelle Debatte.

(Dr. Stephan Meyer, CDU: Nein! – Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Stephan Meyer, CDU)

Sie war ja im Grunde genommen in der Präsidiumssitzung noch nicht einmal auf der Tagesordnung, die beschlossen wurde. Das können Sie doch nicht verneinen. Jetzt wollen Sie die Offensive. Nun hören wir mal die zwei Tage zu.

Die Regierungserklärung soll offensichtlich eine Generalrechtfertigung für den neuen Strafverfolgungskurs starten, der darauf gerichtet ist, mehr oder weniger vor allem im Bereich der Bagatell-, der Kleinkriminalität Muskeln zu zeigen. Worum es heute geht, das ist der ebenso aktuelle wie gewichtige Vorwurf, dass die in den letzten Tagen qua Ukas – russisch für „Erlass des Zaren“ – ins Leben gesetzten Weisungen in der Rundverfügung des Generalstaatsanwalts

(Heiterkeit des Abg. Dr. Stephan Meyer, CDU)

über eine laut Überschrift in der Medieninformation des Justizministers vom 14. Februar 2019 „Schärfere Strafverfolgung für mehr Sicherheit in Sachsen“ handfest an den maßgeblichen Festen des Rechtsstaates rühren.

Was genau in dieser am 1. März in Kraft getretenen Rundverfügung steht, wissen wir bis heute nicht; denn der Herr Generalstaatsanwalt behandelt es offensichtlich wie ein Geheimpapier.

(Dr. Stephan Meyer, CDU: Nein!)

Auch die Richterinnen und Richter kennen es nicht. Sie spüren dem hinterher, damit sie sich für die Zukunft eine Erklärung zurechtlegen können, warum der Staatsanwalt in der Verhandlung auf einmal so tickt.

(Zuruf des Abg. Martin Modschiedler, CDU – Weitere Zurufe von der CDU)

Sie haben diese Rundverfügung nicht.

(Martin Modschiedler, CDU: Na und?)

Was heißt „na und“? Das hängt mit dem Rechtsstaat zusammen.

(Heiterkeit und Beifall von den LINKEN – Martin Modschiedler, CDU, steht am Mikrofon. – Zurufe von der CDU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Jederzeit, Herr Kollege.

Bitte.

Herr Bartl, ich wollte auch mal versuchen, Ihnen in der ersten halbe Minute eine Frage zu stellen; denn sonst ist es immer umgekehrt. Diesmal geht die Frage an Sie: Können Sie uns kurz einmal erklären, was denn eine Rundverfügung, eine Richtlinie, eine Richtschnur ist, die der Generalstaatsanwalt gegeben hat? Könnten Sie uns erläutern, wie Sie das verstehen?

Unter einer Rundverfügung, die in die Rechtsprechung eingreift, verstehe ich ein Dokument, dass denjenigen, die die Rechtsprechung anwenden, zugänglich sein muss. Damit meine ich die Staatsanwälte, die zuallererst Adressat sind. Damit meine ich die Richter, die mit dem Verhalten der Staatsanwälte und mit deren Anträgen, Rechtsmitteln etc. umgehen müssen. Damit meine ich die Verteidiger, die dies wegen der Waffengleichheit auch kennen müssen.

Sie müssen ja darauf eingestellt sein, dass Sie in Zukunft für jeden, der mit 3 bis 5 Gramm Crystal aufgegriffen wird und von dem sie denken, er könne damit handeln, nur noch eine Freiheitsstrafe von minimal einem Jahr beantragen können.

(Carsten Hütter, AfD: Sehr gut! – Zuruf des Abg. Svend-Gunnar Kirmes, CDU)

Wenn der Staatsanwalt in Sachsen auf einmal mit so einem martialischen Strafantrag kommt, der in SchleswigHolstein, Buxtehude oder wo auch immer völlig undenkbar ist, dann muss das doch im Grunde genommen wenigstens für die Richter oder für die Verteidiger nachvollziehbar sein. Dass dieses Dokument wirklich wie ein Geheimpapier gehandhabt wird, ist schlicht und ergreifend ein Verständnis von einem Rechtsstaat, wie ich es selbst in meinen 38 Jahren noch nie so erlebt habe.

(Zurufe von der CDU – Beifall von den LINKEN)

Die Marschrichtung lautet: null Toleranz. Die in der Strafprozessordnung als Bundesrecht und in den bundeseinheitlichen Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren, genannt RiStBV, Herr Kollege Modschiedler, kennen Sie doch. Der Bund gibt doch einheitliche Richtlinien vor. In diesen bundeseinheitlichen Richtlinien gibt man vor allem den Staatsanwälten entsprechende Orientierung zur Auslegung vom Strafgesetz und von strafprozessualen Normen. Sie legen klar fest, dass der Staatsanwalt in bestimmten Fällen nach § 153 einstellen kann, nach § 153 a mit Auflagen und nach § 154, weil eine zu erwartende Strafe neben einer bereits verhängten

nicht ins Gewicht fällt. Diese Richtlinien setzen Sie jetzt für Sachsen außer Kraft!

(Martin Modschiedler, CDU: Nein!)

Selbstverständlich! Sie setzen sie für Sachsen außer Kraft und sagen in Zukunft: Jede Diebstahlshandlung, jeder Schokoladenriegel aus dem Laden, der mehr als 10 Euro kostet – –

(Unruhe im Saal)

Bis zu 10 Euro.

(Zuruf des Abg. Carsten Hütter, AfD)

Sorry, es gibt auch Edelschokolade aus der Schweiz oder Belgien.

(Heiterkeit und Beifall von den LINKEN)

Jeder Schokoladenriegel ab 10 Euro ist in Zukunft allenfalls noch nach § 153 a einstellbar.

(Martin Modschiedler, CDU: Gab es das vorher nicht?!)

Nein, 25 Euro waren die Grenze, die bundesweit galt, Herr Kollege. Sie galt bundesweit

(Beifall bei den LINKEN)

und jetzt gilt sie für Sachsen, für unseren größten Freistaat.

(Geert Mackenroth, CDU: Justiz ist Ländersache, Herr Kollege!)

Bundesweite Rundverfügungen werden in der Richtlinie entsprechend festgelegt. Grundsätzlich kommt unter den Pflug Ihrer Nulltoleranz die Strafrechtspolitik. Ist der Schaden bei dem Diebstahl oder beim Schwarzfahren höher als 10 Euro, fällt § 153 aus. Bislang waren es 25 Euro. Bei 50 Euro Schadenswert gibt es keine Einstellung mehr unter Geldauflagen oder Sonstigem nach § 153, nicht einmal mehr das. Das heißt letztendlich in der Regel Strafbefehl oder Anklage. Die Anwendung der Verfahrenseinstellung bei reinem Besitz von Betäubungsmitteln auch nur in geringen Mengen wird absolut heruntergefahren. Beim Besitz von Betäubungsmitteln in geringen Mengen wird das Strafmaß erheblich angehoben. Wie gesagt, bis 5 Gramm Crystal wird die Mindeststrafe von bislang sechs Monaten auf ein Jahr erhöht.

Unter der Hand kreiert der Generalstaatsanwalt damit einen Verbrechenstatbestand. Ab einem Jahr ist es ein Verbrechen. Weiterhin verordnet der Generalstaatsanwalt qua amtsgeborener Selbstherrlichkeit die massenhafte Anwendung des Fahrverbots.

Die Redezeit ist abgelaufen, Herr Kollege Bartl.

Sofort, Herr Präsident. Welche Wirkungen die massenhafte Anwendung des Strafverbots bei allgemeinen Straftaten hat, wohin das

führt und was das am Rechtsstaat rührt, besprechen wir weiter in der nächsten Runde.

Danke schön.

(Beifall bei den LINKEN)

Die zweite Aktuelle Debatte ist eröffnet durch die einbringende Fraktion, Herrn Kollegen Bartl. Es folgen CDU, SPD, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Für die CDU-Fraktion ergreift das Wort Herr Kollege Modschiedler.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gut, das ist jetzt die zweite Debatte der LINKEN, habe ich mir gedacht. Über die Substanz und die Frage des Inhalts und vor allem des Niveaus habe ich mir Gedanken gemacht.

Ich muss sagen: Wow! Angesichts der Wortwahl des Antrags, Herr Kollege Bartl, sage ich: Sie sind seit 30 Jahren in diesem Parlament. Sie sind Strafverteidiger. Sie sind Anwalt, wie ich auch. „Gehabe des Generalstaatsanwaltes ist Gift für den Rechtsstaat“ – wie man sich als Anwalt so im Ton vergreifen kann, das tut mir leid. Das macht man meiner Ansicht nach nicht.

(Beifall bei der CDU und den fraktionslosen Abgeordneten)

Gut, ich habe mir geschworen: Wir sind in der Fastenzeit und setzen uns sachlich mit diesem Thema auseinander. Es geht wohl um diese Rundverfügung des Generalstaatsanwaltes Strobl. Er ist übrigens nicht Mitglied der Exekutive – nur dass wir das einmal wissen, denn das ist der zweite Teil dieses Satzes.

Am 1. März 2019 ist die Rundverfügung in Kraft getreten. Sie dient der Strafverfolgungspraxis, nicht der Urteile des Richters und der Strafzumessung.