Protokoll der Sitzung vom 11.03.2015

Tagesordnungspunkt 8

Richtlinien für die Tätigkeit des Bewertungsausschusses nach

§ 1 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder

des Sächsischen Landtages (Abgeordnetengesetz)

Drucksache 6/1069, Antrag der Fraktionen CDU und SPD

Die Fraktionen nehmen wie folgt Stellung: CDU, SPD, DIE LINKE, AfD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Die Staatsregierung hat für diesen Tagesordnungspunkt keinen Redebedarf angezeigt. Wir beginnen mit der Aussprache. Bei der Fraktion CDU gibt es keinen Redebedarf, bei der SPD ebenfalls nicht. Die Fraktion DIE LINKE hat auch keinen Redebedarf. Für die Fraktion AfD ergreift Herr Abg. Beger das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten! Mit der aktuellen Drucksache 6/1069 liegt dem Hohen Haus ein Antrag der Fraktionen CDU und SPD vor. Die Richtlinien für die Tätigkeit des Bewertungsausschusses des Sächsischen Landtages nach § 1 des Abgeordnetengesetzes erhalten mit diesem Antrag ein noch einmal verbessertes rechtsstaatliches Fundament.

Die AfD-Fraktion begrüßt diese Richtlinien und diesen Antrag. Jedoch steht für uns die Frage nach dem praktischen Nutzen im Raum. Kann die Verbesserung dieser Richtlinie wirklich dazu dienen, dass Abgeordnete dieses Hohen Hauses, die gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben oder für den Staatssicherheitsdienst tätig waren, mit einer Anklage beim Verfassungsgerichtshof rechnen müssen?

Ich bin Realist genug, um mit Blick auf die letzten 25 Jahre zu erkennen, dass auch eine verbesserte Verfahrensvorschrift keinen Einfluss auf das inhaltliche Verfahren haben wird. Zu fragen ist allerdings, warum die einbringenden Fraktionen den Artikel 118 unserer Landesverfassung nicht stringenter gefasst haben.

Mir als Mensch und Abgeordneter liegt sehr viel daran, die damaligen Täter aus unserem Landtag fernzuhalten. Ich selbst wurde im Jahr 1988 inhaftiert, weil ich es gewagt hatte, von dem Menschenrecht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen und versuchte, die DDR illegal zu verlassen.

In der Zeit meiner Inhaftierung wurde nicht nur ich, sondern auch meine Familie, Freunde und enge Vertraute von DDR-Behörden tyrannisiert, massiv unter Druck gesetzt und eingeschüchtert. Diese Erlebnisse hinterlassen bis heute Spuren in der Seele eines Menschen. Aus diesem Grund werde ich mich mit Herz und Leidenschaft persönlich dafür einsetzen, dass der Bewertungsausschuss eine gute Arbeit leisten wird und leisten kann.

An dieser Stelle muss jedoch klar gesagt werden, dass von diesem Ausschuss auch eine Außenwirkung ausgeht.

Besonders die Opfer der SED-Diktatur werden genau hinsehen, was dieser Ausschuss tut und vor allem, wer es tut. Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren von der Linkspartei, wundert es mich sehr, dass Sie einen Abgeordneten in den Bewertungsausschuss entsandt haben, der unter dem IM-Decknamen „Andreas Förster“ für die Stasi arbeitete und bis zur Wende als Abteilungsleiter bei der Chemnitzer Bezirksleitung der SED unter anderem für das Zurückdrängen von Ausreiseanträgen zuständig war. Damit haben Sie den Bock zum Gärtner gemacht.

(Beifall bei der AfD)

Man muss auch kein Hellseher sein, um zu wissen, was damals mit Menschen passierte, die eine andere politische Meinung vertraten, deshalb einen Ausreiseantrag stellten und als letzte Alternative nur noch die illegale Flucht in Betracht zogen, weil der Ausreiseantrag abgelehnt worden war. Diese Menschen landeten gegen alle Normen der Rechtsstaatlichkeit auf der Anklagebank, wurden wie Schwerverbrecher nach § 213 Strafgesetzbuch der DDR verurteilt, mit kriminellen Straftätern zusammen in eine Zelle gesteckt und verrichteten Schwerstarbeit im Strafvollzug. Weiterhin wurden sie bei geringsten Vergehen von den Wärtern drangsaliert, geschlagen und in Einzelhaft gesteckt. Jeder dieser vom SED-Regime verurteilten Menschen kann seine eigene Geschichte erzählen, Sie hörten gerade meine.

Sie, meine Damen und Herren von der LINKEN, beleidigen und verhöhnen mit Ihrer Personalie für den Bewertungsausschuss einmal mehr die Opfer der SED-Diktatur. Sie zeigen einmal mehr, dass Sie in unserer Demokratie noch nicht angekommen sind. Sie nehmen das Leid der Opfer des SED-Regimes nicht einmal ansatzweise ernst. Vielleicht liegt das in Ihren Biografien begründet, nach denen viele von Ihnen das Unrechtsregime der DDR aktiv unterstützt haben. Gerade Sie, die Worte wie Zivilcourage nicht oft genug bemühen können, sollten sich schämen. Menschen, die in der DDR Zivilcourage zeigten, mussten um ihre Freiheit fürchten und wurden von Ihnen und Ihren politischen Vorgängern drangsaliert.

(Beifall bei der AfD und der CDU)

Zivilcourage gibt es bei Ihnen nämlich nur dann, wenn sie von vermeintlich richtiger Seite kommt. Ihr verqueres Rechtsstaatsverständnis zeigt sich dort, wo Sie Nötigung und Landfriedensbruch als bürgerschaftliches Engagement bezeichnen.

(Beifall bei der AfD und vereinzelt bei der CDU)

Ich bin gespannt, wann Ihr Lernprozess in Sachen Demokratie abgeschlossen sein wird.

Wie eingangs schon angemerkt, werden wir als AfDFraktion diesem Antrag zustimmen und alles daran setzen, Personen aus diesem Haus zu entfernen, die hier nach Artikel 118 der Verfassung nichts zu suchen haben.

(Beifall bei der AfD und vereinzelt bei der CDU)

Ich möchte meinen Redebeitrag mit einem Zitat von Bertolt Brecht beenden, das den Kern dieser Rede trifft: „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD und vereinzelt bei der CDU)

Nun die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Frau Abg. Jähnigen, Sie haben das Wort.

Sehr verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich am Anfang herzlich bei allen Fraktionen für Ihr Vertrauen bei der Wahl meiner Person als Sprecherin des Bewertungsausschusses bedanken.

Ich hoffe, dass dieser Ausschuss keine Arbeit hat; dass wir nicht darüber reden müssen, dass gegen Abgeordnete wegen neu bekannt werdender Belastungen ein Abgeordnetenanklageverfahren erhoben werden muss. Das ist die Besonderheit an diesem Ausschuss.

Nun komme ich zur Richtlinie, nach der wir arbeiten sollen. Wir werden ihr als Fraktion zustimmen. Es ist keine neue Richtlinie, sondern die des vorigen Sächsischen Landtages, die sich aus unserer Sicht bewährt hat, und zwar einschließlich der notwendigen Hinzuziehung des Landesbeauftragten für Stasi-Angelegenheiten, den wir von Amts wegen dringend brauchen, um uns mit unseren verschiedenen Biografien eine objektive Bewertung bei der Umsetzung des Verfassungsauftrages nach Artikel 118 unserer Verfassung zu ermöglichen. Das wird im Zweifel nicht ganz einfach werden, glaube ich, und zwar auch vor dem Hintergrund, dass bisher der Sächsische Verfassungsgerichtshof in vier Fällen die Abgeordnetenanklagen – auch gegen Herrn Bartl, das war am 6. November 1998 – aus Verfahrensgründen abgelehnt hat. Es ist gar nicht so einfach: Diese Klagen können wir nicht noch einmal aufnehmen. Der fünfte Fall – das war, Sie wissen es, gegen Herrn Goliasch von der CDU – hatte sich erledigt, weil dieser kein Mandat mehr hatte. Das wird der Hintergrund sein, vor dem wir arbeiten.

Der Aufarbeitungsauftrag, den Sie, Herr Kollege Beger, gerade zu Recht eingefordert haben, ergibt sich aus Artikel 117 unserer Landesverfassung. Es ist ein gemeinsamer Auftrag des ganzen Staates, des Landtages. Er erstreckt sich nicht nur auf die DDR, sondern auch auf andere Fragen. Als Stichwort nenne ich den NSU-Terror.

Auch diesen müssen wir beachten. Aber das ist nicht Aufgabe des Bewertungsausschusses. Aufgabe des Bewertungsausschusses ist nur, im Fall der Belastung von Abgeordneten mit einer Zweidrittelmehrheit, die Herr Bartl übrigens nicht blockieren kann, zu entscheiden, ob eine Abgeordnetenanklage vorgeschlagen wird oder nicht.

Das Abgeordnetengesetz regelt, dass die Fraktionen selbst entscheiden, wen sie in den Ausschuss delegieren. Ich habe das hier als Sprecherin des Ausschusses nicht zu kommentieren. Ich werde es auch nicht machen. Sie wissen, dass meine Biografie eine andere ist.

Ich glaube, wir müssen in dem Ausschuss unsere Arbeit machen. Wir dürfen das nicht mit dem allgemeinen Aufarbeitungsauftrag aus unserer Verfassung verwechseln. Das will ich auch nicht verwischen.

Bitte stimmen Sie mit uns diesen Richtlinien zu, und zwar in der Hoffnung, dass wir den Ausschuss nicht brauchen.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, den LINKEN und der SPD)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Ich schaue in die Reihen. Gibt es Redebedarf für eine zweite Runde? – Für die Fraktion DIE LINKE spricht Herr Abg. Bartl.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Beger, das ist zutreffend. Ich habe vor dem Sächsischen Landtag seit 1991 in mehreren Reden die Tatsache, dass ich als 17- bis 19-Jähriger für das Ministerium der Staatssicherheit als Inoffizieller Mitarbeiter gearbeitet habe, dass ich dienstliche Kontakte hatte, immer offengelegt. Vorher tat ich das am Runden Tisch des Bezirkes Karl-Marx-Stadt, dessen Teilnehmer ich war. Meine Biografie war immer transparent. Ich habe das immer mit der Erklärung verbunden, dass ich das mitnichten als Zierde meines Lebenslaufes sehe und dass ich mich bei jedem, der davon betroffen war, entschuldige, was ich auch getan habe.

Ich bin seit 1990 in diesem Parlament, nicht, weil ich mich irgendwo in Listen eintragen konnte oder mich gemeldet habe, sondern weil ich von Bürgerinnen und Bürgern gewählt worden bin. In meinem Wahlkreis hatte ich regelmäßig das zweitbeste Wahlergebnis um 28 bis 30 %. Die Bürgerinnen und Bürger haben darüber entschieden, und zwar im Wissen um meine Biografie. Ich habe es immer so gehalten, dass ich meine, dass es ehrbarer ist, wenn man dafür in der Öffentlichkeit geradesteht und sich nicht in die Büsche schlägt. Dass betroffene Menschen damit schwer umgehen können, akzeptiere ich.

Ich bin seit zwei Wahlperioden Mitglied des Bewertungsausschusses. Das ist so entschieden worden, nachdem der Verfassungsgerichtshof über meinen Fall beraten hat. Und er hat nicht nur in der Frage der Zulässigkeit beraten, er hat auch in der Frage der inhaltlichen Begründetheit gesprochen. Er hat genau das, was Sie vorher gesagt haben, also eine Untragbarkeit wegen unterhaltener

Kontakte oder Verstöße gegen die Menschlichkeit, nicht bejaht. Die Entscheidung ist damit gefallen. Seither ist im Landtag immer akzeptiert worden, dass genau der Artikel 118 in dem Fall zur Anwendung kam und das vom Verfassungsgericht so entschieden worden ist. Deshalb kann ich nicht einsehen, dass ich trotz des Umstandes, dass ich mit diesen Problemen immer offen umgegangen bin, nicht für dieses Gremium benannt werden kann. Ich bin dafür benannt worden und habe in dem Gremium in den letzten beiden Wahlperioden offen und korrekt mitgearbeitet. Ich werde das auch in der jetzigen Wahlperiode tun.

Danke.

(Beifall bei den LINKEN und der Abg. Sabine Friedel, SPD)

Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das ist nicht der Fall. Wird ein Schlusswort gewünscht? – Das ist auch nicht der Fall. Damit lasse ich über die Drucksache 6/1069 abstimmen. Wer zustimmen möchte, zeigt das bitte jetzt an. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Bei zahlreichen Stimmenthaltungen ist der Drucksache mehrheitlich entsprochen worden, meine Damen und Herren. Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

(Klaus Bartl, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Herr Bartl, bitte.

Herr Präsident! Ich wollte zum Abstimmungsverhalten der Fraktion eine Erklärung abgeben.

Bitte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE hat sich bei der Abstimmung über diese Richtlinie der Stimme enthalten. Wir sind durchaus für diese Richtlinie und halten sie für richtig und für korrekt. Das unterscheidet sich auch bei der Herangehensweise in anderen Bundesländern.

Das Problem ist, dass in dieser Richtlinie in Ziffer 1 Buchstabe g eine Bestimmung enthalten ist, wonach der Bewertungsausschuss zu allen Sitzungen auch den Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes beiziehen kann, der ein Rede- und Fragerecht gegenüber den Abgeordneten hat. Nach allen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und der Verfassungsgerichtshöfe der Länder ist bereits die Überprüfung ein Eingriff in das freie Mandat. Deshalb hat das Verfassungsgericht gesagt, dass die Ausgestaltung des Verfahrens einer Regelung in hoher Formbedürftigkeit bedarf, regelmäßig auf der Ebene eines Gesetzes.

Wir haben ein Abgeordnetengesetz, das im § 1 Abs. 3 klar beschreibt, wer im Bewertungsausschuss ist. Wir haben ein Landesbeauftragtengesetz, das klar beschreibt, welche Aufgaben der Landesbeauftragte hat. Das Letztere beschreibt nicht, dass er im Bewertungsausschuss mitwirkt; auch das Abgeordnetengesetz sieht das nicht vor. Wir haben also rechtliche Bedenken, dass es im Rahmen einer Richtlinie geht, und aus diesem Grund haben wir uns der Stimme enthalten.