Protokoll der Sitzung vom 11.04.2019

Man könnte es auch anders formulieren: Könnten alle Menschen auf der ganzen Welt diese Technologie haben und nutzen, und, wenn ja, wie würde diese Welt dann aussehen, und wäre sie dann besser? Viele dieser Fragen lassen sich so beantworten: Ihre Technologien, Herr Minister, lohnen sich doch nur für große Betriebe, die große Flächen zur Verfügung haben. Die Technologien brauchen Öl und andere Rohstoffe aus anderen Erdteilen in erheblichem Umfang, enorm spezialisiertes Wissen der Menschen, die damit umgehen oder diese Technik reparieren müssen.

Es gibt also zahlreiche Abhängigkeiten und Hürden. Freilich kann der Boden geschont werden, wenn der Traktor immer auf derselben Spur fährt und den Reifendruck anpasst, und freilich wird gegebenenfalls weniger Gülle auf Böden mit geringerer Grundwassergeschütztheit ausgebracht. Aber sind das nicht alles Maßnahmen gegen selbst verursachte Probleme? Ist das nicht alles Symptombekämpfung? Anders formuliert: Für welchen Preis haben wir mit Ihrer Strategie zukünftig beispielsweise saubereres Grundwasser als jetzt? Welche Aufgaben werden dennoch nicht durch die neue innovative Technologie gelöst? Haben wir nicht also eigentlich andere Aufgaben zu lösen, die uns die digitale Welt nicht abnimmt?

Ich beginne hier mit der Analyse dessen, was in den letzten Monaten eine hohe öffentliche Aufmerksamkeit erlangt hat und eine Grundlage jedes landwirtschaftlichen Erfolgs und im Übrigen auch jeder Volkswirtschaft ist. Die Artenvielfalt in der Kulturlandschaft ist das Ergebnis aus einer Verschiedenartigkeit der Standorte, Strukturen, der Bewirtschaftungsmethoden und der angebauten Pflanzenarten. Je einheitlicher und strukturärmer die Landschaft, desto artenärmer ist sie. Die infolge der mangelnden Strukturvielfalt eingetretenen Schäden

betreffen die Nutzungs- und Funktionsfähigkeit des gesamten Naturhaushalts und damit uns alle unmittelbar.

Mehrfach haben wir uns mit dem Problem der Situation von Flora und Fauna beschäftigt. Ich darf insbesondere an die Diskussion um das Insektensterben erinnern, das aus meiner Sicht weder von der Ursachenforschung noch vom Monitoring intensiv angegangen wird. Das Unglaubliche an der nicht zufriedenstellenden Situation im Artenschutz ist eigentlich, dass wir seit Jahren wahrscheinliche Ursachen und Wirkungen kennen, aber das Umweltministeri

um lieber weiter seinen Lobbyisten in der Land- und Waldwirtschaft folgt, und sei es in eine Sackgasse. Da die Bestäubung durch Insekten gerade jetzt im Frühling existenziell ist, möchte ich mich darauf und auf die Probleme in der landwirtschaftlichen Praxis beschränken.

Rund 50 % der Fläche Sachsens werden landwirtschaftlich genutzt, knapp 30 % sind Wald. Rein faktisch sind die Land- und Waldwirtschaft, also die größten Flächennutzerinnen, zuerst gefragt, wenn es um Artenschutz, Umwelt- und Ressourcenschutz in der Fläche geht.

Wie sieht es mit Vielfalt in der Landwirtschaft aus, zum Beispiel beim Anbau von Kulturpflanzen? Absolut ist der Anbau von Gemüse im Freiland seit 1990 um die Hälfte zurückgegangen. Heute gibt es auf 90 % der Freilandgemüseanbaufläche in Sachsen Gemüseanbau von nur sechs Gemüsearten: Frischerbsen, Pflückbohnen, Blumenkohl, Zwiebeln, Spinat und Spargel. Beim Gemüseanbau unter Folienzelten bestreiten vier Arten 80 % der Artenvielfalt. 2017 wurden drei Viertel der Ackerfläche in Sachsen mit Getreide, Raps und Mais bestellt.

Hinzu kommt, dass die Hektarerträge stetig steigen. Das ist die Folge von immer intensiverem Anbau und von Züchtungsfortschritten. Wir haben also immer mehr von immer weniger. Die Landschaft und die Landwirtschaft werden zunehmend monotoner und intensiver genutzt. Es ist also kein Wunder, dass die Artenvielfalt nicht nur bei den Insekten auf der Strecke bleibt. Dabei rede ich noch nicht einmal über die Pflanzenschutzmittel, das Nährstoffüberangebot, die Einengung der Feldfruchtwahl, die Vergrößerung der Ackerfläche und den damit verbundenen Rückgang von Randstrukturen und Blühstreifen.

Wenn wir hier nicht politisch und strukturell gegensteuern, sehr geehrter Herr Minister Schmidt, können Sie sich beim nächsten China-Ausflug einmal die dortigen Bestäubungspraktiken anschauen.

(Vereinzelt Beifall bei den LINKEN)

Das wäre dann wahrscheinlich auch unsere Perspektive. Wir müssen nämlich alles tun, damit uns das nicht ereilt.

(Beifall bei den LINKEN)

Der Beweis, dass Ihre Roboterlandschaft, Herr Minister, hier eine Verbesserung bringt, also ein Mehr an Strukturvielfalt oder ein Mehr an Artenvielfalt, steht doch noch aus. Unter diesem Aspekt habe ich mir auch die Vorträge Ihrer Fachkonferenz simul+InnovationHub angeschaut. Immer wieder kann ich herauslesen, dass es mit der angestrebten Innovation um eine verstärkte Industrialisierung der Landwirtschaft geht, die Sie hier als Nachhaltigkeit verkaufen wollen.

Zum nächsten Punkt, dem Oberflächenwasser- und Grundwasserschutz. Oberflächenwasser und Grundwasser wurden viele Jahre in Sachsen nicht so geschützt, wie es die EU vorschreibt, wie ich bereits sagte. Stattdessen wurde die teilweise massive Überdüngung von Böden und Gewässern hingenommen und enorme Stickstoffüberschüsse toleriert wurden. Erst die nun aus Brüssel dro

henden Strafzahlungen bringen offensichtlich Bewegung in die Sache.

Aber was macht jetzt Sachsen? Es gibt eine Presseerklärung des Ministers mit der Überschrift „Freistaat intensiviert Wissenstransfer zur Verminderung landwirtschaftlicher Nitratausträge in das Grundwasser“. Darin heißt es unter anderem: „Rund 20 % der sächsischen Ackerfläche liegen in sogenannten Nitratgebieten, also Gebieten, in denen im Grundwasser Nitratwerte gemessen werden, die den Schwellenwert von 50 Milligramm pro Liter überschreiten.“

Das Kind liegt also sprichwörtlich schon im Brunnen, und zahlreiche Trinkwasserfassungen sind in einigen sächsischen Gebieten gefährdet.

Was ist in den Nitratgebieten jetzt angeordnet? Nährstoffuntersuchungen, Bodenuntersuchungen, eine Verlängerung der Sperrfrist für die Aufbringung von Festmist. Wie vorbildliche Landwirtschaft in überdüngten Gebieten aber aussehen müsste, können Sie sich im Wassergut Canitz anschauen. Dort wird seit 1994 auf 750 Hektar Fläche bewusst zum Schutz der Trinkwasserressourcen im Einzugsgebiet der Leipziger Wasserwerke in Canitz, Thallwitz und Naunhof entsprechend gewirtschaftet. Dort wird nicht ein bisschen weniger mit Computerunterstützung ausgebracht, sondern es wird grundlegend anders gewirtschaftet – mit Erfolg und mit weniger Technik und Ressourceneinsatz.

Es ist möglich, dass die Untersuchungen überhaupt nichts bringen, sehr geehrter Herr Minister Schmidt, weil beispielsweise die Nitratgehalte in den Bodenschichten, die untersucht werden, nicht so hoch sind und die neuerlichen und nun erlaubten Stickstoffeinträge die Grundwasserqualität weiter verschlechtern. Bei den wenigen Messstellen kann ich zudem nicht unterscheiden, wer richtig und wer falsch wirtschaftet. Am Ende werden noch Biobetriebe mit drakonischen Maßnahmen überzogen, obwohl sie alles richtig gemacht haben.

Zum dritten und letzten Beispiel, dem Tierwohl. Ich zitiere: „Sensoren werden den Zustand von Tier, Pflanze, Produkten und Umwelt besser beschreiben“, heißt es in einem der simul+-Vorträge. Da wird also die schöne neue Computerwelt über das Tierwohl wachen und auch den letzten Liter Milch noch möglichst effizient aus der Kuh herauspressen. Ich zitiere: „Im Prüfjahr 2017/2018 konnten unsere milchviehhaltenden Betriebe eine Steigerung der Milchleistung auf 9 794 Kilogramm je Kuh und Jahr erreichen.“ So heißt es im Jahresbericht des Landeskontrollverbandes.

Erschreckend ist dabei, dass die Kühe in Sachsen im jugendlichen Alter von knapp über zwei Jahren zum ersten Mal kalben. Eigentlich ist das Ziel, die Altersstruktur der Kuhherden zu erhöhen, weil noch bis zur neunten Laktation im Durchschnitt mehr Milch erzeugt wird als in der ersten Laktation. Dennoch liegt der Durchschnitt in Sachsen nur bei 2,5 Laktationen. Danach sind die Kühe fertig und müssen geschlachtet werden.

Wenn Minister Schmidt also das Tierwohl erhöhen möchte, sollte er ausschließlich Tierhaltungsverfahren fördern, die in besonderem Maße das Tierwohl erfüllen, wie wir das schon vor Jahren gefordert haben. Tatsächlich werden mit simul+ Roboteraugen über die jugendlichen Kühe wachen und dafür sorgen, dass faule Fresser rechtzeitig und effizient aus dem Futter kommen.

Allein mit der Förderung des Labels „Regional“ machen Sie die Landwirtschaft auch kein bisschen besser. Dass Sie dann auch noch ohne Umschweife den Bogen zu Effizienzsteigerung und Wettbewerbsfähigkeit schlagen, lässt endgültig erkennen, dass der Umweltschutz nur eine Alibifunktion in der Landwirtschaft der CDU hat. Es ist gut und richtig, an die nächste EU-Förderperiode zu denken, aber bitte mit Programmen, die tatsächlich an den Umwelt-, Klima- und Ressourcenschutz anknüpfen und nicht nur ein Feigenblatt für den Geldtransfer darstellen.

(Beifall bei den LINKEN)

Was ist also zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen? Um weltweite katastrophale Umweltveränderungen zu vermeiden, sollten auch wir Sachsen ökologische Belastungsgrenzen im Blick haben. Ein Forscherteam publizierte 2009 neun für das System Erde essenzielle ökologische Dimensionen. Wird eine der planetaren Grenzen überschritten, besteht die Gefahr irreversibler und plötzlicher Umweltveränderungen, die die Bewohnbarkeit der Erde für die Menschheit einschränken. Die planetaren Grenzen sind beim Artenschutz, beim Stickstoff und beim Klima bereits seit 2008 überschritten, und wir können diese Auswirkungen spüren.

Ich will einen Weg beschreiben, der Mut und nicht Hoffnungslosigkeit erzeugt. Wie würde eine Welt aussehen, in der die Vielfalt von Tieren und Pflanzen zunimmt, die genetische Vielfalt gemehrt wird, viel weniger Stickstoff oder Phosphor freigesetzt wird, also weniger Wasser und Luft verschmutzt wird, Wälder weniger krank sind, viel weniger Klimagase ausgestoßen werden und Extremwetterereignisse nicht weiter zunehmen? Wie wäre eine Welt, in der wertvolle Landflächen und Böden unversiegelt bleiben und so genutzt werden, dass auch kommende Generationen von Landwirten dort noch gute Erträge erzielen können?

Die Landwirtschaft wäre abwechslungsreicher. Die Menschen würden nicht mehr so viel Fleisch essen und Tiere ethisch besser behandeln. Das Wasser aus Quellen wäre ohne Bedenken zu trinken. Die Wälder wären grün, die Felder im Frühjahr nicht mehr gelb, im Sommer gäbe es wieder ausreichend Niederschlag und im Winter wieder Schnee für die Kinder, auch vor der Haustür. Das Leben wäre langsamer, die menschlichen Kontakte intensiver und wertschätzender. Kurz: Für mich wäre die Welt etwas schöner.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, kann das ein Ergebnis von simul+ und der damit verbundenen Digitalisierung samt intensivem Ressourceneinsatz sein? Erinnern Sie sich noch an meine Eingangsfrage? Könnten alle Men

schen auf der ganzen Welt diese Technologie haben und nutzen, und wenn ja, wie würde diese Welt dann aussehen, und wäre sie dann besser?

Hören Sie in der Union endlich auf, den kapitalistischen Versprechen hinterherzurennen, wonach einfach nur neue Produkte am Markt zu platzieren und die Probleme der alten Produkte zu beseitigen sind. Ihre Roboterfarm ist in erster Linie ein Verkaufsprodukt. Stattdessen sollten wir gemeinsam neue Wege für eine verträgliche Nutzung des Landes gehen.

Die Lösungen sind bekannt und warten auf Umsetzung. Dazu gehören für mich beispielsweise ein aktiver und nachhaltiger Umweltschutz, freie und umfassende Umweltinformationen, die Beendigung des vorherrschenden Freiwilligkeits- und Kooperationsprinzips in der Landwirtschaft angesichts der bestehenden Umweltschäden, die konsequente Fortschreibung von FFH-Managementplänen und eine rasche Umsetzung der Maßnahmen, eine Förderabgabe auf die Braunkohle zur Finanzierung von Umweltschutzprojekten. Aber auch Fördermittel an tatsächlichen und sinnvollen Umweltschutz zu knüpfen und Projekte für Diversität, gegen das Artensterben und Stärkung des Ökolandbaus zu intensivieren, Umweltbehörden mit breiter Fachkompetenz auf allen Ebenen, die auch wirtschaftlich unliebsame Maßnahmen umsetzen wollen, können und dürfen, zu etablieren, die Kreislaufwirtschaft wirklich nachhaltig zu gestalten, aber auch die Versiegelung von Flächen zu minimieren, das sind weitere Aufgaben für die nahe Zukunft.

Das alles braucht abrechenbare Ziele und Indikatoren. Für mich steht jedenfalls fest: Leider ist Sachsen nicht Vorreiter für eine nachhaltig moderne Umweltpolitik, kann es aber noch werden – für diese und für zukünftige Generationen.

Glück auf!

(Beifall bei den LINKEN)

Frau Kollegen Dr. Pinka hat für die Fraktion DIE LINKE gesprochen. Jetzt ergreift für die CDU-Fraktion Herr Kollege Hippold das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Umweltpolitik im Freistaat Sachsen war zu Beginn der Neunzigerjahre gekennzeichnet durch ein alleiniges staatliches Handlungsmonopol im Umweltschutz und insbesondere geprägt durch Gefahrenabwehr und Sanierung der DDR-Hinter

lassenschaften, obwohl ich nach der Rede von Frau Dr. Pinka irgendwie der Meinung bin oder davon ausgehen muss, dass es zwei Deutsche Demokratische Republiken gegeben hat.

(Beifall bei der CDU)

Die, in der ich gelebt habe, war eine vollkommen andere als die, die Sie hier vorn skizziert haben.

(Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Vielleicht ist das genau das Problem! – Zurufe von den LINKEN)

An dieser Stelle sei noch gesagt: Einen Pessimismus, wie er in Ihrer Rede mitschwang, habe ich wirklich selten erlebt. Ich finde, das Bild, das Sie vom Freistaat Sachsen gezeichnet haben, entspricht in keiner Weise der – zumindest nicht meiner – wahrgenommenen Realität. Das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von den LINKEN)

Zurück zu den Anfängen der Neunzigerjahre: Aufsicht, Reglementierung und Anordnungen waren die Instrumente, um die gewaltigen ökologischen Probleme als Folge ökonomischer Fehlentwicklungen der DDR zu bewältigen. Das war in Anbetracht der besonderen Umstände nach der friedlichen Revolution ein zwar umstrittener, aber im Nachhinein betrachtet sehr erfolgreicher Weg; denn nur durch ein klares Durchgreifen und eine gezielte Umweltpolitik konnten enorme Verbesserungen der Umweltsituation bei Luft, Wasser, Boden und Natur in vergleichsweise kurzer Zeit erreicht werden.

Heute ist die sächsische Umweltpolitik eingebettet in den bundesdeutschen, europäischen und globalen Kontext. Staatliches Handeln gibt die Rahmenbedingungen vor. Dabei bauen wir aber mehr als früher auf Partnerschaft und Kooperation mit den Umweltnutzern und auf unternehmerisches Risikomanagement.

(Dr. Jana Pinka, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Selbstverständlich gestatte ich eine Zwischenfrage.

Bitte, Frau Dr. Pinka.

Vielen Dank. – Geben Sie mir recht, dass es Schadstoffe in verschiedenen Schutzgütern gibt, die man nicht sehen oder schmecken kann, die aber trotzdem eine sehr große Auswirkung auf den menschlichen Organismus haben?

Selbstverständlich gebe ich Ihnen darin recht, Frau Dr. Pinka, dass es Schadstoffe gibt, die man nicht sehen kann. Es kommt immer ein bisschen auf die Dosis an. Es gibt zum Beispiel heute noch in den Gewässern Schadstoffe, die aus DDR-Hinterlassenschaften resultieren. Es gibt natürlich auch heute in unserer modernen Gesellschaft Entwicklungen, bei denen man sagen muss, dass wir uns bemühen müssen, etwas zu ändern. Aber der Vergleich, den Sie gebracht haben, mit dem Ende der DDR-Zeit und wie dort die Zustände gewesen sind, das ist das, was ich gemeint habe. Das hat nach meiner Einschätzung überhaupt nicht der Realität entsprochen.