Protokoll der Sitzung vom 24.05.2019

Die Staatsanwaltschaft ist also im Staatsgefüge der Exekutive zuzuordnen und nicht der rechtsprechenden Gewalt. Das ist der erste Unterschied. Sie unterfällt daher nicht den Artikeln 92 ff.des Grundgesetzes. Vielmehr ist sie in einen hierarchischen Behördenaufbau eingegliedert, an dessen Spitze der Justizminister des jeweiligen Landes steht. § 146 unseres Gerichtsverfassungsgesetzes bestimmt, dass die Beamten der Staatsanwaltschaft den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten nachzukommen haben.

Ausgeübt wird das Weisungsrecht gemäß § 147 des Gerichtsverfassungsgesetzes zum einen intern durch die Leiter der Generalstaatsanwaltschaften und Staatsanwaltschaften für ihren jeweiligen Geschäftsbereich oder hinsichtlich aller betreffenden staatsanwaltschaftlichen Beamten eines Landes durch den Justizminister oder – das geht dann auch – durch den von ihm bevollmächtigten Beamten, was dann wiederum – das hatten Sie angesprochen – als externes Weisungsrecht bezeichnet wird, da der Justizminister selbst kein Staatsanwalt ist. Das ist klar.

Gemäß Artikel 20 Abs. 2 Grundgesetz geht alle Staatsgewalt vom Volke aus. Daraus folgt wiederum, dass das Handeln der Staatsanwaltschaften als Exekutive einer parlamentarischen Kontrolle, für den Freistaat Sachsen also unserer Kontrolle, unterliegen muss. Seiner Verantwortung gegenüber dem Landtag als Volksvertretung kann ein Justizminister als oberste Fachaufsichtsbehörde durch das Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwälten gerecht werden.

Die Möglichkeit der Einzelfallweisung wird über interne Berichtspflichten der Staatsanwaltschaften sichergestellt.

Der Staatsanwalt hat über alle Verfahren und Angelegenheiten von besonderer Bedeutung im öffentlichen Interesse an die vorgesetzte Behörde und die Generalstaatsan

waltschaft zu berichten. Diese wiederum unterrichtet das Justizministerium in allen Verfahren von besonderer Bedeutung. Das Justizministerium kann aber auch selbst zwecks Unterrichtung entsprechende Berichte anfordern. Weisungen des Justizministers zu einer bestimmten Sachverhandlung in einem konkreten Verfahren werden allerdings so gut wie nie erteilt.

Im Koalitionsvertrag von CDU und SPD aus dem Jahr 2014 ist sogar ausdrücklich festgehalten worden, dass vom externen Weisungsrecht des Justizministers kein Gebrauch mehr gemacht wird.

(Sebastian Wippel, AfD: Da steht noch etwas ganz anderes drin!)

Zentraler Kritikpunkt des einzelfallbezogenen Weisungsrechts des Justizministers ist, dass es ihm die Möglichkeit der sachlich nicht gerechtfertigten und unter Umständen – das hatten Sie angesprochen – politisch motivierten Einflussnahme eröffnet. Darüber hinaus ist die fehlende Transparenz von externen Weisungen Gegenstand der kritischen Auseinandersetzungen. Das hatten Sie angesprochen.

Es gab zu diesem Thema in der Vergangenheit verschiedene Reformvorschläge und Arbeitsgruppen. Der Freistaat Sachsen hat zuletzt im Jahr 2015 eine Bund-LänderArbeitsgruppe initiiert und intensiv in ihr mitgewirkt. Die Arbeitsgruppe beschäftigte sich intensiv mit der Frage der generellen Abschaffung des externen Weisungsrechts im Einzelfall.

Der Freistaat Sachsen setzt sich also schon lange für eine solche Abschaffung ein. Bereits im Jahr 2013 gab es eine diesbezügliche Initiative des damaligen Justizministers. Ihr Antrag kommt also ein bisschen spät und zeugt von der mangelnden Kenntnis der Materie. In diesem Zusammenhang – und das ist wichtig – wurde auch eine intensive verfassungsrechtliche Prüfung vorgenommen.

Und jetzt kommen wir in unser Grundgesetz hinein: Die Vereinbarkeit der Abschaffung mit dem Grundgesetz wurde intensiv diskutiert, und es bestand Einigkeit unter den Teilnehmern, dass für eine generelle Abschaffung des externen Weisungsrechts eine – das ist der Knackpunkt – Änderung des Grundgesetzes – Herr Bartl, Sie sprechen es an – Änderung des Grundgesetzes notwendig sein dürfte.

Gut, das macht man mal schnell im Ausschuss bei uns, das habe ich jetzt von der AfD gelernt, aber es ist halt noch eine Zweidrittelmehrheit notwendig; und das ist eine Grundgesetzänderung, keine Verfassungsänderung im Freistaat Sachsen. Die parlamentarische Kontrolle über die Staatsanwaltschaften als Teil der Exekutive muss also gewährleistet sein, da der Justizminister gegenüber dem Landtag verantwortlich ist. Eine Abschaffung des externen Weisungsrechts könnte das nach Artikel 79 Abs. 3 unseres Grundgesetzes unabänderliche Demokratieprinzip aus Artikel 20 Abs. 2 des Grundgesetzes berühren, da dem Justizminister die Kontrolle über die Staatsanwaltschaften entzogen und damit auch uns eine parlamentarische

Kontrolle nicht mehr erreichen würde; und das Parlament entmachten – ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das wollen.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Nicht?)

Für eine Abschaffung des externen Weisungsrechts ist nach Ansicht der Länder bislang kein gesetzlicher Vorschlag absehbar, der den Sachverhalt rechtlich überzeugend lösen könnte. Wenn das externe Weisungsrecht also im Einzelfall auch Risiken birgt, dann wirft aber im Umkehrschluss die Abschaffung gravierende verfassungsrechtliche Probleme auf; und verfassungsrechtlich zulässige und praktikable Lösungen für eine Abschaffung sind für uns nicht in Sicht.

Die Befassungen mit diesem Thema im Kreis der Justizminister in den letzten Jahren haben gezeigt, dass eine solche Gesetzgebungsinitiative auf Bundesebene derzeit nicht durchsetzbar ist. Darüber hinaus drängen sich überhaupt keine sinnvollen und wirklich praxistauglichen Möglichkeiten zur bundesrechtlichen Modifizierung oder besseren Ausgestaltung des Weisungsrechts auf. Die Weiterverfolgung oder die Abschaffung und Umgestaltung des externen Weisungsrechts im Einzelfall ist derzeit nicht aussichtsreich.

Also, was soll der Antrag? Wollen Sie – so tut es sich ein wenig auf – die Gewaltenteilung mal kurz vertauschen? Oder wollen Sie das, was ich Ihnen gerade gesagt habe: im Rahmen der Verfassung die Rechte des Parlaments einschränken? Ich sage Ihnen ganz ehrlich: So geht es nicht. Herr Kollege Barth, hätten Sie mal ein wenig rechtliche Beratung in Ihre Möglichkeiten getan, dann hätte es nicht zu diesem Antrag kommen müssen. Wir lehnen Ihren Antrag ab.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Die Linksfraktion, Herr Abg. Bartl, bitte.

Vielen Dank. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich den Antrag gelesen habe, dachte ich zunächst, ich wäre im falschen Film. Es ist gerade reichlich zwei Monate her, Kollege Wippel, als unsere Fraktion am 13. März 2019 eine Aktuelle Debatte auf die Tagesordnung gesetzt hat, die eine besonders prägnante Aktion politisch hoch motivierter Weisungsrechtshandhabung zum Gegenstand hatte, nämlich die durch den Generalstaatsanwalt gegenüber den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten in Sachsen erlassene Rundverfügung. Diese bewusste Rundverfügung, die nach wie vor inhaltlich nicht bekannt, sondern geheim ist, war mit „Verschärfter Strafverfolgungskurs“ überschrieben. Das war die Anordnung.

Dass es etwas Politisches war, ist schon deshalb eindeutig, weil der Fakt der Rundverfügung am 14. Februar 2019 in einer gemeinsamen Pressekonferenz des Justizministers und des Generalstaatsanwalts vorgestellt wurde, wiederum mit der Überschrift „Schärfere Strafverfolgung für mehr Sicherheit in Sachsen“. Dass dies hochpolitisch

angebunden war, ist weiter dadurch bewiesen, dass der Herr Ministerpräsident in der Aktuellen Debatte selbst in die Bütt ging und kurzerhand bekannte, dass das Vorgehen des Generalstaatsanwalts der Linie der eigenen Regierung entspreche. Wörtlich der Ministerpräsident – ich zitiere –: „Wir stehen in der Pflicht vor den Menschen in diesem Land, den Rechtsstaat zu gewährleisten. Dafür braucht die Justiz, braucht die Polizei, brauchen die Gerichte die Instrumente von uns, die sie dafür haben müssen“, nachzulesen im Protokoll der 88. Sitzung vom 13. März, Seite 8626.

Dass es eine Weisung war, die auf konkrete Rechtsanwendung abzielte, dürfte ebenso außer Streit stehen: eine Weisung qua Rundverfügung, die bis zur Anordnung von Rechtsanwendungsparametern durch die Staatsanwaltschaft im materiellen und im formellen, im prozessualen Recht ging.

Der Redner Ihrer Fraktion, Herr Kollege Wendt, startete in dieser Debatte mit den Worten – Zitat –: „Glückwunsch an das Justizministerium und den Generalstaatsanwalt, dass rechtzeitig im Wahljahr harte Kante gegen Kriminelle gezeigt werden soll!“

(Vereinzelt Heiterkeit bei den LINKEN)

Im März befeiern Sie die komplexe politische Weisung des Generalstaatsanwalts mit ministeriellem Segen an die Staatsanwälte im Land. Nun kommen Sie im Mai mit einem Antrag um die Ecke, mit dem Sie das politische Weisungsrecht abschaffen wollen.

(Beifall bei den LINKEN –

Es geht aber

auch nur um Einzelweisung! –

Er hat es nicht verstanden! –

Im Einzelfall

abschaffen, verstehen Sie das, Herr Bartl?

Sie müssen es einmal genau lesen!)

Also, wie Sie zwischen 12-Uhr-Läuten und Mittagessen dreimal die Meinung wechseln, ist schon atemberaubend. Sie sind einfach gnadenlos beliebig, wirklich gnadenlos beliebig.

(Carsten Hütter, AfD: Er versteht es nicht!)

Um trotzdem in der Sache zu argumentieren: Unsere Bauchschmerzen mit der Praxis der Ausübung des Weisungsrechts – und zuständigkeitshalber speziell bezogen auf die Anwendungspraxis in Sachsen – werden ja seit Langem artikuliert. Vor knapp 16 Jahren, im September 2003, hat die damalige PDS-Fraktion einen Antrag zum Thema „Situation und Rechtsstellung der Staatsanwaltschaft in Sachsen“, nachzulesen in Drucksache 3/9251, in den Landtag eingebracht, der nachdrücklich dafür plädierte, mehr Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft zu wagen und endlich dem Fakt Rechnung zu tragen, dass die Staatsanwaltschaft im modernen Rechtsstaat einen wesentlichen Stellungswandel im Gefüge der Gewalten vollzogen hat.

Historisch gesehen entstand die Staatsanwaltschaft ja im Ergebnis der bürgerlichen, vor allem der Französischen Revolution. Bis dahin nahmen nämlich die Richter im Rahmen des sogenannten Inquisitionsverfahrens in Personalunion die Anklage und die Rechtsprechung wahr. Von dieser mit der Vorstellung eines unabhängigen Richters bzw. Gerichts unvereinbaren Konstellation wollte man weg, deshalb wurden die Staatsanwaltschaft und der Anklageprozess eingeführt, und deshalb kam auch der Gedanke der Gewaltenteilung hinein.

Dass wir aber momentan noch ein Gerichtsverfassungsgesetz haben, das im Grunde dieselbe Ausgestaltung, wie sie 1879 erfolgt ist, fortsetzt, hat mit den Entwicklungen, die inzwischen der moderne Gedanke des Strafprozesses genommen hat, nicht mehr allzu viel zu tun. Deshalb müssen wir über diese Materie sprechen; das ist unbestritten. Aber trotz unserer Auffassung, an der wir auch festhalten, können wir nicht verkennen – darin gebe ich meinem Kollegen Modschiedler völlig recht –: De lege lata ist die Staatsanwaltschaft im Kern nach wie vor zur Exekutive gehörig. Sie ist weisungsgebunden. Sie ist keine Recht sprechende Gewalt, selbst dann nicht, wenn sie etwa durch Einstellungsverfügung im Strafverfahren eigene Sachentscheidungen trifft. Dazu sind die §§ 146 und 147 Gerichtsverfassungsgesetz eineindeutig. Davon kommen wir nicht weg.

Worauf wir immer wieder rekurrieren, ist, dass die Staatsanwaltschaft eine Institution sui generis ist, also nicht verwaltet, sondern auf Rechtsprechung hinarbeitet und damit zum Funktionsbereich der Rechtsprechung gehört, sobald sie im konkreten Verfahren tätig wird. Dazu meinen wir: Wenn es im konkreten Verfahren passiert, wenn das Gerichtsverfahren läuft, hat ein Minister nicht mehr hineinzureden. Okay, dieser Auffassung sind wir auch, und man muss darüber nachdenken, wie man das Weisungsrecht begrenzt.

Das ist aber das Problem: So wie Sie es anstellen, dass Sie kurzerhand sagen, der Bund möge das ändern, da ist das Grundgesetz vor. Dabei müssten wir schlicht und ergreifend ins Grundgesetz eingreifen und dort den Artikel 92 ändern, der klipp und klar eine andere Stellung der Staatsanwaltschaft vorsieht. Das wird aber nicht so einfach zu bewerkstelligen sein, weil das eine Übung ist, die wirklich eine gründliche Prüfung des Für und Wider braucht,

(André Barth, AfD: Genau das wollen wir mit dem Antrag erreichen, lieber Herr Bartl! – Carsten Hütter, AfD: Wieder nicht verstanden!)

auch wegen der Frage der parlamentarischen Kontrolle, zumindest über den Teil Anklage – Behörde – Staatsanwaltschaft, der ja bleibt. Die parlamentarische Kontrolle darüber ist auch ein Rechtsgut und ein Wert für sich, überhaupt keine Frage.

Was Sie in Punkt 2 des Antrags wollen, in dem Sie kurzerhand sagen, die Staatsanwaltschaft solle qua Beschluss des Landtags verpflichtet werden, jede Weisung, die sie

gibt, zu dokumentieren und im Parlament bekannt zu geben, das geht nicht.

(André Barth, AfD: Dokumentation steht überhaupt nicht in dem Antrag drin! Was interpretieren Sie da hinein?)

Wenn ich in der Verfassung oder im Grundgesetz und im Gerichtsverfassungsgesetz eine klare Regelung habe, dass es das Weisungsrecht gibt, dann kann ich als Landtag natürlich nicht das Sächsische Staatsministerium der Justiz an die Leine legen und sagen: Ihr dokumentiert uns nachvollziehbar jede einzelne Weisung.

(André Barth, AfD: Wo steht denn das, Herr Bartl: dokumentieren? Zeigen Sie uns das mal!)

„[...], auf der Ebene des Freistaates bis zur Abschaffung des Weisungsrechts geeignete Verfahren zu entwickeln, die die parlamentarische Kontrolle der Weisungen des Justizministeriums und die Dokumentation aller Weisungen gegenüber der Staatsanwaltschaft sicherstellen.“ Klar! Was ist denn das? Hier steht es! Das ist Ihr Punkt 2. Dieser Punkt 2 nimmt gewissermaßen eine Gesetzesänderung auf Bundes- und Landesebene vorweg. So weit geht trotzdem die Macht und die Machtvorstellung der AfD nicht.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN – André Barth, AfD: Da haben Sie Gott sei Dank noch einen Ausweg gefunden!)