Protokoll der Sitzung vom 24.05.2019

hierherkommen. Deshalb können wir diesen Wettbewerb mit niedrigen Löhnen nicht bestehen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Sebastian Fischer, CDU)

Es ist einfach so, dass dort, wo Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit geregelten Tarifverträgen arbeiten, die Löhne und die Arbeitsbedingungen besser sind, aber gleichzeitig die Leistungsfähigkeit der Unternehmen nicht darunter leidet – im Gegenteil: Dort, wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die Ausrichtung eines Unternehmens mitentscheiden, wo es Mitbestimmung gibt, werden auch für das Unternehmen nachhaltige Entscheidungen gefällt, da natürlich auch die Beschäftigten ein Interesse an einer langfristigen Entwicklung ihres Unternehmens haben. Was Tarifbindung verhindert, das ist kurzfristige Gewinnmaximierung, das ist der kurzfristige Erfolg. Aber das langfristige Interesse teilen die Unternehmen mit den Beschäftigten, und das organisiert Tarifbindung und Mitbestimmung, deshalb müssen wir genau dies in Sachsen stärken.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Deshalb ist das Ziel, dass Sachsen Tarifland wird, richtig. Es gibt für mich noch einen anderen Punkt, der an dieser Stelle nochmals erwähnt werden muss: Wir sind als Land Sachsen ein Industrieland. Wir sind auch das Land der kleinen und mittleren Unternehmen, ohne Frage, aber wir sind auch ein Industrieland, und diesen Status dürfen wir nicht hergeben. Es gab Zeiten, in denen wir dafür verlacht wurden, dass wir überhaupt noch auf Industrie gesetzt haben statt auf Dienstleistung. Nein, es war richtig. Wir sehen es heute, denn es sind Wachstumskerne um die großen Industrieunternehmen herum. Dort findet ohne Frage gute Arbeit statt. Aber wissen Sie, was ich nicht mehr möchte? Ich möchte nicht mehr, dass große Industrieunternehmen in Sachsen zum Beispiel Straßenbahnen und andere Industriegüter herstellen, diese aber hier nicht gekauft werden können, weil ein Vergabegesetz den Billigen bevorteilt. Das können wir uns nicht leisten.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Sebastian Fischer, CDU)

Deshalb ist eine Tarifbindungsklausel auch immer eine Sachsenklausel. Wenn man sich dann auf die Position zurückzieht zu sagen, das sei einzig und allein eine Frage der Tarifpartner, das müssten die Beschäftigten in den Unternehmen selbst klären: Wir stehen dazu, dass wir die Mitbestimmung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern stärken wollen, und ich finde, es kann nicht sein, dass es in sächsischen Unternehmen – das ist aber die Ausnahme – wie der Nudelfabrik in Riesa, der Magna in Meerane oder der SAXAS in Werdau Kündigungen und Freistellungen gibt, weil dort Beschäftigte versuchen, einen Betriebsrat zu gründen, oder für einen Tarifvertrag kämpfen. Das darf nicht sein. Die Gründung von Betriebsräten ist ein garantiertes Recht in diesem Land, deshalb können wir uns als Staat nicht zurückziehen,

wenn dort das Recht der Beschäftigten ausgehöhlt wird. Dafür steht auch die Politik in der Verantwortung.

(Beifall bei der SPD)

Dahinter steckt auch ein Kulturwandel. Natürlich müssen betriebliche Mitbestimmung und Tarifbindung in Sachsen selbstverständlich werden. Darin steckt für uns eine riesengroße Chance. Sie besteht darin, dass wir in einer Partnerschaft zwischen Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Politik die großen Veränderungen, vor denen wir auf dem Arbeitsmarkt stehen, positiv gestalten können. Niemand kann doch besser beurteilen, wie wir Digitalisierung in der Arbeitswelt verankern können, wie wir Arbeit 4.0 und Wirtschaft 4.0 gestalten, als die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die Unternehmen vor Ort. Das kann Mitbestimmung organisieren, es kann in Tarifverträgen gestaltet, ausgestaltet und geregelt werden. Wenn wir diese Chance nutzen, dann können wir auch die Digitalisierung zu einem Erfolgsprojekt für die Beschäftigten und Unternehmen in diesem Land machen. Deshalb: Lassen Sie uns das angehen, es ist der richtige Weg.

Der zweite Schwerpunkt: Ich finde, dass es zuallererst eine Frage der Haltung ist, wenn wir über die Zukunft des Freistaates Sachsen sprechen. Die klare Haltung, die wir vertreten müssen und die sich in all unseren Maßnahmen widerspiegeln muss, heißt: Wir brauchen jede und jeden.

(Staatsminister Prof. Dr. Roland Wöller: Ja!)

Wir wollen, dass jeder Mensch in diesem Land eine Zukunft hat, dass jeder Mensch von seiner eigenen Arbeit würdig leben kann. Deshalb bin ich dankbar dafür, dass wir im Freistaat Sachsen in den letzten Jahren im Bereich der Arbeitsmarktförderung innovative Wege gegangen sind, zum Beispiel mit dem Projekt TANDEM. Ich gebe zu, dass wir uns dazu – zumindest ein Stück weit – von Baden-Württemberg haben inspirieren lassen, aber wir haben es weiterentwickelt. Dahinter steckt ein wirklich wichtiger Ansatz: wenn es Menschen aufgrund unterschiedlicher Lebensumstände nicht mehr schaffen, im Arbeitsleben Fuß zu fassen, sie nicht einfach nur allein zu lassen und ihnen nicht immer wieder mit Jobangeboten zu kommen, sondern einen Schritt weiter zu gehen und sich genau anzuschauen, wenn ein arbeitsuchender Mensch ein Jobangebot ablehnt: Warum ist das eigentlich so? Welche Hemmnisse gibt es? Hat dieser Mensch vielleicht familiäre Umstände, die dem im Weg stehen? Gibt es andere persönliche Umstände, die verhindern, dass dieser junge oder erwachsene Mensch wieder ins Arbeitsleben einsteigt? Genau diese Probleme werden angegangen, zum Beispiel in Verbindung mit Schuldnerberatung, Familienhilfe oder besserer Kinderbetreuung.

Deshalb – das ist das Großartige in diesem TANDEMProjekt – schaffen wir es ganz praktisch – und nach unserer Erfahrung sogar vor allem alleinerziehende Mütter –, den Wiedereinstieg ins Erwerbsleben zu organisieren, weil wir bereit sind, nicht nur etwas anzubieten, sondern sie dabei zu unterstützen, diese Angebote anzunehmen. Das ist eine großartige Sache. Diesen Weg

müssen wir unbedingt weitergehen, und wir dürfen nicht denselben Fehler machen wie 2010, als das Projekt Kommunal-Kombi, das die SPD auf den Weg gebracht hatte, abgebrochen wurde und die Menschen im Stich gelassen wurden, denn hier zeigt sich der Erfolg. Die schwierigste Arbeitslosigkeit ist die Langzeitarbeitslosigkeit. Wir haben es in den letzten Jahren sogar geschafft, diese von 67 920 im Jahr 2015 auf 46 185 im Jahr 2018 zu senken. Das ist richtig schwierig. Dabei geht es um konkrete Schicksale. Es geht aber auch um Chancen, um diese Leute zurück in das Berufsleben zu führen. Das haben wir gemeinsam geschafft, und das ist ein wichtiger Erfolg, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Der dritte Punkt – neben guter Arbeit, einer klaren Haltung und dem Ziel, allen Menschen in diesem Land eine Chance geben zu wollen – ist für uns das Thema Zuwanderung. Ich wundere mich über die eine oder andere Argumentation schon, denn wir müssen auch einmal ehrlich sein an dieser Stelle.

Rein demografisch gesehen ist Deutschland nach Japan das demografisch zweitälteste Land der Welt. Der Freistaat Sachsen ist innerhalb Deutschlands das drittälteste Bundesland. Das heißt, wir sind das drittälteste Bundesland im zweitältesten Land der Welt. Dann gibt es tatsächlich Leute, die glauben, wir kommen ohne Zuwanderung aus. Das ist absurd.

Deshalb ist es wichtig, dass wir auf der einen Seite ein gutes Zuwanderungsgesetz in Berlin bekommen und dass wir auf der anderen Seite aber auch in Sachsen unseren Teil dazu beitragen, dass die Menschen, die hierhergekommen sind, die sich an die Regeln halten und fleißig arbeiten, auch hierbleiben dürfen. Das ist sehr wichtig für den Wirtschaftsstandort und auch für den einzelnen Betroffenen. Deshalb will ich noch einmal klar sagen: Was uns in der Frage der zukünftigen Fachkräftesicherung überhaupt nicht hilft, ist Kleingeistigkeit.

Ich habe mit einem Unternehmer gesprochen. Er ist Geschäftsführer eines Hidden Champions und arbeitet mit mehreren Werken auf der Welt. Er hat viel Geld dafür ausgegeben, Fachkräfte nach Sachsen zu holen. Er sagte, einige von ihnen hätten anschließend wieder gekündigt, weil sie sich hier nicht willkommen fühlten. Sie hatten keine andere Hautfarbe und auch keinen anderen Pass. Das waren Kolleginnen und Kollegen aus Bayern, die sich hier nicht willkommen fühlten.

Ich betone es noch einmal: Kleingeistigkeit, egal ob gegenüber Leuten aus anderen Bundesländern oder gegenüber Leuten, die aus anderen Ländern hierherkommen, um hier zu arbeiten, hilft uns in keiner Weise weiter, sondern wir müssen Heimat sein für die Menschen, die hier leben. Ich möchte, dass niemand Sachsen verlassen muss, weil er sich nicht gut genug bezahlt fühlt. Ich möchte aber auch, dass jeder, der dazu beitragen kann, hierherkommen kann. Deshalb ist es wichtig, auch über Fachkräftezuwanderung, Kleingeistigkeit und Rassismus

weiter zu diskutieren, weil das zentrale Punkte für die Zukunft unseres Freistaates sind.

Ein letzter Punkt. Ich denke, dass Staatsminister Martin Dulig es richtig gemacht hat, indem er den großen Bogen gespannt hat. Wenn man über Fachkräfte spricht, kann man nicht nur die Arbeitsmarktpolitik betrachten, sondern man spricht über einen ganzheitlichen Ansatz, über Bildung, über Infrastruktur und – wie Herr Heidan gesagt hat – auch über Steuern. Ich möchte Kollegen Heidan an einer Stelle ausdrücklich recht geben: Die Lohnnebenkosten sind in Deutschland traditionell sehr hoch. Das liegt aber auch daran, dass in Deutschland die Besteuerung von hohem Vermögen traditionell besonders niedrig ist.

(Beifall bei der SPD – Lachen des Abg. Martin Modschiedler, CDU)

Wenn man über die Senkung von Lohnnebenkosten sprechen möchte, dann kann man das gern tun. Dann sprechen wir aber auch über die höhere Besteuerung von Vermögen.

(Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU: 42 %!)

Sie können gern damit anfangen. Das Erste wäre – der Vorschlag liegt auf dem Tisch –: Wir sind bereit, den Soli für alle kleinen und mittleren Einkommen abzuschaffen. Wir können auch in Sachsen unseren Beitrag dazu leisten, indem wir die Sonderbeiträge für den Buß- und Bettag abschaffen und dabei trotzdem den Feiertag behalten.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben viele Möglichkeiten im Bund und im Land für die Zukunft des Freistaates Sachsen. Gehen wir es an!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und des Staatsministers Martin Dulig)

Kollege Homann hatte gerade das Wort für die SPD-Fraktion. Jetzt ist die AfDFraktion an der Reihe und ich erteile das Wort Herrn Kollegen Beger.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir von der AfD befassen uns aus Prinzip gern eingehend mit den Fakten, bevor wir uns öffentlich äußern. Das sollte für alle anderen Fraktionen ebenso eine Selbstverständlichkeit sein. Letztendlich geht es um Respekt – nicht nur um Respekt voreinander aus den Institutionen, die Demokratie möglich machen sollen, sondern es geht auch um Respekt vor dem demokratischen Prozess selbst.

Wenn sich die Regierung einen Spaß daraus macht, ihre 92 Seiten umfassende Strategie dem Parlament vorzuenthalten, dann muss man sich schon fragen, welches Verhältnis diese Regierung zum unmittelbar vom Volk gewählten Parlament hat.

(Beifall bei der AfD)

Das gilt umso mehr, als man das Pamphlet, das Gegenstand der Regierungserklärung ist, schon am Mittwoch vor der Presse erläutert hat. Es wäre eine Bringschuld der Regierung, das Parlament vor einer solchen Aussprache so früh wie möglich über ihre Pläne in Kenntnis zu setzen.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wir von der AfD können uns aufgrund unserer Expertise zu allen Themen der Staatsleitung auch spontan äußern. Darum sind wir nicht verlegen. Aber eine Regierung, die das Parlament ernst nimmt und auch bereit ist, Lehren vom Parlament anzunehmen, handelt anders. Sie würde die Gegebenheiten schaffen für eine ernst zu nehmende parlamentarische Sacharbeit in allen Dingen. Ich erwähne das ausdrücklich kritisch an dieser Stelle, da wir nicht möchten, dass sich die Attitüde der Regierung zur Volksvertretung noch weiter in eine nicht angemessene Richtung verschiebt.

Nun zum Thema. Selbstverständlich haben wir recherchiert, was die Staatsregierung wohl unter dem Thema „Sachsen: Heimat für Fachkräfte“ verstehen mag. Dabei sind wir auf eine relativ flott gestaltete Webseite des Titels gestoßen, auf der Herr Minister Dulig mehr oder weniger in der Pose eines Dressmans präsentiert wird: locker angelehnt an einer Wand aus modernem Sichtbeton – ein Bild wie aus dem Katalog.

(Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Schön!)

An dieser Stelle frage ich mich natürlich, welche Schwerpunkte die Mitglieder dieser Regierung haben, in einem Land, das durchaus Probleme hat.

(Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Herr Beger, wollen wir mal Ihre Fotos bewerten?!)

Die Bevölkerung erwartet von ihrer Regierung zu Recht, dass sie ernsthaft an diesen Problemen arbeitet. Man denkt an das, was die Briten in der Endphase der Regierung von Tony Blair über dessen Mannschaft gesagt haben: „All style, no substance“ – alles Stil, keine Substanz.

Herr Minister Dulig wird auf seiner hippen Seite mit den Worten zitiert: „Sachsen soll Heimat für Fachkräfte werden. Wir sind offen für jede und jeden, der sich in Sachsen entwickeln möchte und seine Zukunft hier schmieden will.“ Aus der Presse erfuhren wir dann in großen Lettern, dass Herr Dulig die Anzahl ausländischer Fachkräfte verdoppeln will.

(Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Ja!)

Unsere Vorstellungen von der Behebung des Fachkräftemangels sind sehr viel bodenständiger als die der Staatsregierung.

(Lachen bei den LINKEN – Zuruf des Abg. Marco Böhme, DIE LINKE)

Sie setzen hier bei uns, in Sachsen, an, nicht in der weiten Welt.

(Zuruf des Abg. Marco Böhme, DIE LINKE)

Erste Priorität hat für uns, dass wir hier im Land unsere Hausaufgaben machen. Dafür ist eine Regierung da, nicht für Weltreisen auf der Suche nach Fachkräften.

(Beifall bei der AfD – Antje Feiks, DIE LINKE: Welche Vorstellungen haben Sie denn?!)

Die Staatsregierung hat mit ihrer Fachregierungserklärung „Sachsen: Heimat für Fachkräfte“ Sachsen faktisch zum Einwanderungsland für Fachkräfte aus aller Welt erklärt. Das ist unrealistisch.