Protokoll der Sitzung vom 24.05.2019

Da es nicht die erste Fachkräftestrategie ist, sondern eine Fortschreibung, und daraus nicht zum ersten Mal Maßnahmen und Richtlinien resultieren, sondern es schon welche gibt, kann man einmal genauer hinschauen. Dann wurden und werden eben mit einer Fachkräfterichtlinie, über die die Landkreise mit Budget ausgestattet werden, bisher auch Projekte gefördert, die nicht nachhaltig waren oder sind. Die x-te Internetplattform für Rückkehrer oder Busfahrten zu regionalen Unternehmen, bei denen außer Busfahrer und Veranstalter niemand mitgefahren ist, sind nur zwei Beispiele.

Als weiteren Kritikpunkt hört man draußen mangelnde Transparenz zu den Kriterien für die Förderwürdigkeit der Projekte. Völlig unverständlich ist, wie Institutionen, die über die Förderwürdigkeit bestimmen, selbst Projektträger werden können. Es kann doch nicht im Sinne der Förder

politik des Freistaates sein, Schlupflöcher zu schaffen, mit denen es möglich wird, sich selbst auf Staatskosten mit Projektmitteln auszustatten.

Es ist viel Wichtiges und Richtiges geschrieben und gesagt worden, Herr Minister Dulig – über gute Löhne und Tarifbindung, über Schule und Ausbildung und viele andere Themen –; die Probleme sind identifiziert und es gibt Ziele und viele Handlungsansätze in dieser Strategie, um die Ziele zu erreichen.

Nur auf einen einzigen Punkt will ich die Aufmerksamkeit noch einmal näher richten, weil er mir bei der Suche nach gangbaren und vor allem sofort wirksamen Wegen zur Minderung des Fachkräftemangels wirklich zu kurz gekommen ist: Fachkräfte kann man neu ausbilden, man kann sie auch anwerben – man kann aber auch mit den am besten Ausgebildeten und den Erfahrensten besser arbeiten.

Ich hatte eingangs erwähnt, dass in den nächsten zehn Jahren jeder fünfte Beschäftigte in Sachsen in die Rente geht. Doch diese Zahl spiegelt nur einen Teil des Themas wider. Bereits unter den 60- bis 65-Jährigen, meine Damen und Herren, geht nur noch knapp die Hälfte einer Beschäftigung nach. Damit scheidet ein erheblicher Teil der Älteren bereits einige Jahre vor Erreichen der Regelaltersgrenze – je nach Jahrgang zwischen 65 und 67 Jahren – aus dem Erwerbsleben aus. Oftmals spielen gesundheitliche Gründe eine Rolle.

Mitunter fehlen aber den Arbeitgebern Konzepte, um älteren Beschäftigten erfüllende Perspektiven zu bieten. Das muss doch wirklich besser gehen. Die Fachkräftestrategie beschreibt das auch kurz mit dem Ziel 8: Beschäftigte sind entsprechend den Voraussetzungen ihres Arbeitsplatzes flexibel erwerbstätig, um ihre Lebens- und Berufssituation vereinbaren zu können. Wie das ginge, wird auch beschrieben: nämlich die Unterstützung von Arbeitgebern bei der Etablierung von lebensphasenorientiertem Personalmanagement und die stärkere Einbeziehung älterer Mitarbeiter in die strategische Personalarbeit.

Das lebensphasenorientierte Personalmanagement richte sich zwar an alle Beschäftigten; aufgrund der Altersstruktur sächsischer Belegschaften müsse ein Schwerpunkt aber auf der Zielgruppe der älteren Beschäftigten liegen. Es sei unerlässlich, die Beschäftigungsquote der Älteren durch attraktive Angebote deutlich anzuheben, und es brauche daher Anstrengungen, damit Erwerbstätige über ihr ganzes Erwerbsleben hinweg gesund und qualifiziert arbeiten können. Die Flexirente ist da bereits ein Anreiz.

Das Arbeiten bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter und gegebenenfalls auch darüber hinaus muss sich materiell sowie ideell jedoch noch mehr lohnen. Der Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand muss viel flexibler gestaltbar sein, um es attraktiv zu machen, sich weiter einzubringen und gerade die wertvollen lebenslangen Erfahrungen und Kompetenzen auch weiterzutragen.

Wir brauchen deshalb Strategien für generationenübergreifendes Lernen und für die Gesunderhaltung. Wir

brauchen Angebote, die vor allem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in körperlich besonders anstrengenden Berufen einen zeitigen Wechsel in weniger belastende Tätigkeiten oder Branchen erlauben, wo ihre Berufserfahrung aber dennoch einen hohen Wert für die Unternehmen und Gesellschaft darstellt. Mentorenmodelle und Jobtandems zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern werden in der Fachkräftestrategie bereits benannt.

Ich denke, dass hier ein weites Feld ungenutzter Möglichkeiten vor uns liegt, den in vielen Branchen drohenden Fachkräftemangel zumindest abzumildern und zugleich ganz wertvolle Beiträge zum generationenübergreifenden Zusammenhalt der Gesellschaft zu leisten. Nehmen wir die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer deutlich ernster als bisher, meine Damen und Herren. Sie haben es nicht nur mit ihrer Lebensleistung verdient, sie sind auch ein großer und wertvoller Schatz unserer Gesellschaft.

Eines hätte ich mir noch gewünscht, Herr Staatsminister Dulig, nämlich eine regionalisierte Betrachtung dieser Strategie. Es gibt eben nicht den sächsischen Arbeitsmarkt und die sächsische Demografie. Die Situation ist vielmehr regional sehr verschieden. Eine boomende Großstadt und eine über längere Zeit stiefmütterlich behandelte ländliche Region stehen da vor völlig unterschiedlichen Aufgaben.

(Zuruf des Staatsministers Martin Dulig)

Die wird man nicht mit denselben Zielen und Mitteln angehen können, die in dieser Strategie beschrieben sind.

(Staatsminister Martin Dulig: Richtig!)

Ganz besonders klar wird es dort, wo näher hingeschaut wurde. So gibt es im Zusammenhang mit der Arbeit der Kohlekommission sehr gründliche Strukturdatenerhebungen in den Kohlerevieren. Wenn Sie dann etwa sehen, dass in der Lausitz bereits in den nächsten 15 Jahren circa 100 000 Menschen im erwerbsfähigen Alter fehlen werden, dann sind wirtschaftspolitische Zielstellungen zur Ansiedlung großer neuer Unternehmen mit vielen neuen Industriearbeitsplätzen doch zumindest kritisch zu hinterfragen. Wer, bitte, soll denn dort arbeiten? Wer soll investieren, wenn er diese Frage nicht geklärt bekommt? Wenn sie dann vielleicht doch mit exorbitanter Subventionierung solch ein Vorhaben umsetzen, holen sie sich dann ihre qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus den mittelständischen Betrieben in der Umgebung, die heute bereits einen Mangel haben?

Denn um tatsächlich einen Zuzug zu erreichen, reicht ein Betrieb auf der grünen Wiese nicht aus. Dazu braucht es vor allem attraktive Lebensverhältnisse. Es ist nämlich meistens die Familie, die zu überzeugen ist, dorthin zu ziehen. Nachhaltige Wirtschaftspolitik bedeutet dann zunächst einmal Investitionen in Bildung und Erziehung, in Kultur und Sport, in Freizeitqualität und Verkehrsanbindung, und zwar Anbindung für die ganze Familie und nicht nur für Lkws und Autofahrer.

So zeigt sich, dass diese Strategie, so umfassend sie ist, trotzdem nur ein Anfang sein kann. Um tatsächlich vor

Ort zu helfen und die Mittel zu diesem Zweck auch sinnvoll einzusetzen, muss man genauer hinschauen und dann im politischen Handeln auch ernst nehmen, was die Wissenschaft analysiert hat.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kollege Dr. Lippold sprach für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Jetzt hat Frau Kollegin Kersten das Wort. Bitte, Frau Kollegin.

Vielen Dank, Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Minister! Wir haben gerade gehört, was Sie alles gemacht haben, auch ganz persönlich – „Meine Arbeit – Deine Arbeit“ –, was Sie gern gemacht hätten und was Sie gern noch tun wollten. Ich möchte auch nicht alles kleinreden, denn sicherlich ist es ganz nett, eine Dachdeckerkluft anzuziehen oder sich eine Bistroschürze umzubinden.

(Zuruf von der SPD)

Bei Ihrer Rede hatte ich aber dann doch den Eindruck, dass Sie lieber Sozial- oder Integrationsminister sein wollen als Wirtschaftsminister. Es ging um Bildungsfreistellung, um Betreuungsschlüssel in Kitas, um Lehrer und um Migration. Und was, um Himmels willen, haben EScooter oder sexuelle Orientierung mit Fachkräften zu tun?

(Zuruf von den GRÜNEN)

E-Scooter lasse ich Ihnen noch durchgehen, denn Sie sind auch Verkehrsminister. Aber sexuelle Orientierung

(Zuruf von der CDU: Na, Verkehr!)

spielt doch bei der Kompetenz oder Qualifikation einer Fachkraft keine Rolle.

(Zuruf von den GRÜNEN: Aber im Lebensumfeld!)

Zu Wirtschaftsunternehmen selbst habe ich aber recht wenig gehört. Sie haben den Mindestlohn angesprochen. Den müssen aber Unternehmer zahlen und eben nicht die Politiker. Ich empfehle Ihnen die Pressemitteilung der Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft. Dort können Sie lesen, wo der Schuh drückt, was für unsere Unternehmen wichtig und notwendig ist und welche Rahmenbedingungen diese brauchen, um wiederum gute Rahmenbedingungen für Fachkräfte zu schaffen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den fraktionslosen Abgeordneten)

Das war Frau Kollegin Kersten. Wir sind am Ende zumindest der ersten Rederunde angekommen. Wir könnten jetzt eine weitere Runde eröffnen. Gibt es weiteren Redebedarf aus den Fraktionen heraus? Gibt es überhaupt noch Redebedarf? – Herr

Kollege Kiesewetter, bitte. Sie haben das Wort. Die CDUFraktion hat noch 22 Minuten Redezeit.

(Beifall des Abg. Geert Mackenroth, CDU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich doch noch einmal gemeldet, um die zweite Runde zu nutzen und insbesondere etwas zum Handlungsfeld 2 „Talente gewinnen“ mit dem Schwerpunktthema „Internationale Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland“ zu sagen, weil das heute bereits öfter eine Rolle gespielt hat und leider auch zum Teil nach meinem Dafürhalten an der einen oder anderen Stelle entstellt herübergekommen ist.

Ich fasse mich kurz. Die Ausgangslage ist bekannt: Wir wissen, dass Sachsen vom demografischen Wandel besonders betroffen ist. Auch wenn in den Großstädten des Freistaates Sachsen die Zahl der Menschen durch Geburten und Zuzüge aus anderen Regionen und Ländern wieder wächst, muss Sachsen insgesamt weiter mit einer zahlenmäßig rückläufigen, alternden Bevölkerung rechnen. Ich denke, darin sind wir uns alle einig. Deshalb ist klar, dass gezielte Rekrutierung von qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland auch zukünftig von immer größerer Bedeutung sein wird, um dem Fachkräftemangel zu begegnen.

Ich freue mich daher sehr, dass dieser Ansatz auch in der Fachkräftestrategie gezielt aufgegriffen worden ist und das Thema im neuen Papier auch recht breiten Raum einnimmt. Die Erfahrungen zeigen, dass internationale Fachkräfte im Unternehmen enorme Vorteile bedeuten können. Sie können Innovationsfähigkeit erhöhen, tragen zur Internationalisierung von Unternehmen bei und erleichtern zudem außenwirtschaftliche Aktivitäten im Unternehmen. Damit tragen sie letztendlich zum wirtschaftlichen Wohlstand in Sachsen bei, sei es als Arbeitnehmer, als Arbeitgeber oder als Unternehmensgründer. Aus dieser Sicht heraus sollten wir das Thema denken.

Deshalb ist es wichtig, gute Bedingungen zu schaffen, damit gut qualifizierte Menschen mit Migrationshintergrund ihre Potenziale entfalten können. Das betrifft die Drittstaatler in erster Linie, denn im Bereich der EUStaatler funktioniert das bereits recht gut. Mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das die Bundesregierung derzeit in Arbeit hat, sollen einige Neuregelungen geschaffen werden, die wichtig sind und auch gebraucht werden. Es sollen dem Arbeitgeber neue Chancen eröffnet werden, Fachkräfterekrutierung aus dem Ausland noch stärker in Anspruch zu nehmen. Es sieht vor allem vor, dass gerade Einwanderungsmöglichkeiten auch für beruflich Qualifizierte außerhalb der sogenannten Engpassberufe gegeben sind.

Ich denke, das ist der richtige Ansatz und der richtige Schritt in die Richtung. Das müssen wir in Sachsen auch klug begleiten. Deshalb ist es auch wichtig, dass sich genau an dieser Stelle die Fachkräftestrategie diesem Punkt widmet, speziell dort, wo das Nadelöhr ist, nämlich wenn es um die Frage der Gleichwertigkeitsprüfung von

im Ausland erworbenen Abschlüssen geht, dass hier etwas mehr Druck aufgebaut wird, Rahmenbedingungen zu verbessern und man sich auf Bundes- und EU-Ebene dafür einsetzt, das ein Stück weit zu ändern.

Mir ist noch Folgendes wichtig: Ich freue mich, dass es im Rahmen des Haushaltsverfahrens gelungen ist, das Thema Fachkräfteanwerbung noch etwas konkreter zu gestalten und im Einzelplan 07 ein paar Mittel zur Verfügung zu stellen. Das muss jetzt noch mit Leben erfüllt werden. Da haben wir noch ein paar Baustellen offen.

Ich sehe auch weiterhin Baustellen im Bereich Beratung vor Ort und entsprechende Informationsangebote. Dabei geht es insbesondere darum, dass auch kleine und mittlere Unternehmen in dem Wettbewerb um internationale Fachkräfte konkurrenzfähig bleiben müssen. Dazu

braucht es weitere Vereinfachungen und auch bessere Beratungsinformationsangebote. Eine landesweite Hotline könnte dafür ganz gut sein. Wir brauchen Clearingstellen, die letztendlich genau dort ansetzen. Ich weiß aus der beruflichen Praxis, dass konkretes Fallmanagement und Clearing in Einzelfällen ganz hilfreich sein können, um dort gezielt zu unterstützen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Was ist mir abschließend noch wichtig? Wir müssen vielleicht auch noch einmal darüber nachdenken, unsere Landesintegrationsangebote noch mehr aus dem Blickwinkel des Arbeitsmarktes zu betrachten. Da fehlt mir noch ein wenig Strategie, da ist noch Luft. Das könnte man noch intensiver ausgestalten, insbesondere mit der Zielrichtung, migrationsspezifische Vermittlungshemmnisse am Arbeitsmarkt zu überwinden und das Thema Steuerung der Zuwanderung noch mehr mit den Mitteln und Maßnahmen, die im Einzelplan 08 stehen, also in dem Bereich Integration, zu flankieren.

Für das neue Portal „Heimat für Fachkräfte“ ist es zwingend wichtig, das auch mehrsprachig aufzustellen. Das gebietet der systemische Ansatz, wenn wir über Anwerbungen aus anderen Ländern sprechen. Vielleicht sollte das auch mit Portalen wie „Make it in Germany“ verknüpft werden. Das ist ein guter Ansatz.

Ich finde es gut, wie es Dr. Lippold schon sagte, dass konkrete Handlungsfelder in der neuen Fachkräftestrategie 2030 konkret mit strategischen und operativen Zielen untersetzt sind und Handlungsempfehlungen geben. In besonderer Weise wird dadurch auch deutlich, wie wichtig eine funktionierende rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit ist. Das arbeitsmarktpolitische Handeln muss quasi Hand in Hand zwischen den beteiligten Akteuren gehen. Das funktioniert nur, wenn jeder seinen Beitrag leistet. Das gilt für alle Handlungsfelder und bleibt eine Daueraufgabe.

Ich möchte mich bei den Akteuren und bei den Mitgliedern der Fachkräfteallianz bedanken, also bei allen Beteiligten, die letztendlich bei der Erarbeitung und Erstellung der neuen Fachkräftestrategie mitgewirkt haben. Das ist ein ordentliches Papier, das uns als gesunde