Protokoll der Sitzung vom 04.07.2019

Die Sächsische Staatsregierung bringt sich selbstverständlich in bundespolitische Diskussionen ein, genau wie die Landesebene alles tut, was der Vermeidung von Armut dient. Hierzu gehören zum Beispiel arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitische Maßnahmen. Dazu gehören aber auch Maßnahmen der Bildung und beispielsweise die Unterstützung von pflegebedürftigen Menschen. Wir möchten diesen in schwierigen Lebenslagen ein sozial gesichertes Leben gewährleisten. Die Staatsregierung setzt dabei auf realisierbare Maßnahmen und wird nur Hoffnungen wecken, die erfüllt werden können.

Die Vermeidung von Armut ist ein ressortübergreifendes Thema, ist eine ressortübergreifende Aufgabe. Ich spreche hier und jetzt also auch im Namen meiner Kollegen. Wenn ich jetzt auf die einzelnen Punkte zu sprechen komme, dann betreffen diese Themen ebenso die einzelnen Häuser.

Es geht um sanktionsfreie Mindestsicherung von 1 500 Euro. Die Forderung im Antrag, eine sanktionsfreie Mindestsicherung einzuführen, ist bereits im Deutschen Bundestag gescheitert. Gegen eine solche Regelung bestehen massive verfassungsrechtliche Bedenken. Der Vorschlag weckt daher Hoffnungen, die nicht erfüllt werden können. Gleiches gilt für die bedingungslose Mindestrente. Wie soll man es demjenigen erklären, der erhebliche Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt hat, dass sein Nachbar ohne einen Beitrag eine gleich hohe Rente bekommt?

(Marco Böhme, DIE LINKE: Gleich hoch?)

Zum Thema Kindergelderhöhung auf 328 Euro. Im Koalitionsvertrag des Bundes ist bereits vereinbart, die Freibeträge für Kinder ab dem Jahr 2021 deutlich zu erhöhen. Wir unterstützen das ganz ausdrücklich. Außerdem beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe der Länder mit der Frage der Kindergrundsicherung. Wir werden die Ergebnisse abwarten, sie abwarten müssen, um dann die entsprechenden Handlungsmöglichkeiten für uns daraus abzuleiten.

Zur Wiedererhöhung des Rentenniveaus auf 53 %. Die im Antrag angesprochenen rentenrechtlichen Forderungen lassen nach wie vor außer Acht, dass für mehr Generationengerechtigkeit das Rentenniveau abgesenkt werden musste und wir Dämpfungsfaktoren eingeführt haben. Aber auch hier haben wir eine Arbeitsgruppe, die Rentenkommission der Bundesregierung, die Vorschläge für eine zukunftssichere Ausgestaltung der Rente machen soll.

Glauben Sie mir, hier werden hitzige Diskussionen geführt, weil das Thema einerseits alle berührt und andererseits alle immer genau wissen, wie es gehen soll, ohne die Belange und Bedürfnisse des anderen wirklich zu beachten. Ich bin mir sicher, in der Rentenkommission wird über die Frage der Einführung einer gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für alle Erwerbseinkommen gesprochen.

Zum Thema Beendigung der Doppelbesteuerung. Hier haben wir schon einiges erreicht. Zum Beispiel haben wir bei allen Bausteinen der Alterssicherung schrittweise von einer vorgelagerten Besteuerung auf eine nachgelagerte Besteuerung umgestellt. Das heißt, die Beiträge, die die Menschen für ihre Alterssicherung bezahlen, werden schrittweise steuerfrei. Dafür erhöht sich der steuerpflichtige Teil der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Mit dieser Regelung wird vor allem ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2002 umgesetzt, das besagt, dass Pensionen und Renten gleich besteuert werden müssen. Deshalb werden jetzt die Leistungen und nicht die Beiträge besteuert.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat bereits mehrfach bestätigt, dass die Neuregelung verfassungsgemäß ist. Sie darf aber nicht zu einer tatsächlichen Doppelbesteuerung der Renten führen. Bisher ist in keinem einzigen Fall höchstrichterlich eine solche doppelte Besteuerung festgestellt worden. Wenn dies der Fall wäre, wenn also ein Steuerpflichtiger die doppelte Besteuerung seiner Rente nachweisen könnte, würde die Finanzverwaltung dies dann einzelfallbezogen berücksichtigen.

Das Thema Unterstützung pflegender Angehöriger. Das ist, wie ich meine, ein sehr wichtiger Punkt, und zwar im Bericht der Enquete-Kommission als auch im Pflegepaket. Uns geht es gemeinsam darum, die Pflege für die Zukunft sicher zu machen. Es geht um die zu Pflegenden und um die pflegenden Angehörigen, also um deren Unterstützung. Es geht um das Thema Pflegewohngeld. Es geht um Landesinvestitionen. Es geht um Investitionen in Kurzzeitplätze, um die Unterstützung des ambulanten Pflegedienstes. Hier ist ein großer Themenkomplex bei uns auf dem Tisch. Es sind Aufgaben, an denen mein Haus mit Hochdruck arbeitet. Wir werden uns zu diesem Themenkomplex auch in der nächsten Legislaturperiode hier in diesem Hohen Haus verständigen. Ich bin mir sicher, dass auch der Doppelhaushalt, der dann aufgestellt wird, die Themen finanziell abbilden muss.

Ein weiteres Thema im Antrag ist die wirksame Begrenzung der Miethöhen. Über den geforderten Mietdeckel entscheidet der Bund. Dieser hat mehrfach – zielführend, wie ich meine – argumentiert, dass mit dem Mietendeckel keine einzige neue Wohnung geschaffen wurde. Deshalb fördert die Staatsregierung den Bau von Sozialwohnungen mit jährlich 40 Millionen Euro. Ich meine, das ist der bessere Weg, um Wohnungen gerade für die dynamischen Wohnungsmärkte in Dresden oder in Leipzig zu errichten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Staatsregierung setzt sich für die Wahrung des Sozialstaates und die

Existenzsicherung des Freistaates Sachsen ein, beim Bund, im eigenen Land, bei den Kommunen, auf ganz unterschiedliche Art und Weise, auf unterschiedlichen Wegen, aber immer im Sinne der Bürger.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Das Schlusswort hat die Linksfraktion. Frau Schaper, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst einmal aufrichtig für die sachliche Debatte bedanken. Ich möchte mich auch bedanken, dass hier verschiedene Wege, wie wir zu einer vernünftigen Sozialpolitik kommen könnten, aufgezeigt wurden.

Auf die Einlassung der AfD gehe ich nicht ein. Sie zeigt nur einmal mehr, wes Geistes Kind Sie eigentlich sind. Sie leben nur über Ihre Ausgrenzung von Minderheiten. Für Sie gibt es Menschen erster und zweiter Klasse, das finde ich zutiefst verabscheuenswert. Dies entspricht nicht meinem Menschenbild. Sie sollten sich schämen.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei den GRÜNEN)

Ich möchte die Zeit in meinem Schlusswort zu diesem Antrag noch kurz nutzen, um mich für die Zusammenarbeit bei dir, Dagmar, zu bedanken. Sie war immer auf Augenhöhe, trotz Koalition. Dafür hab‘ herzlichen Dank! Meine lauteren Töne und meine „emotionale Inkontinenz“ haben auch manchmal geholfen.

(Heiterkeit bei der CDU – Zuruf von der CDU: Das stimmt!)

Insofern: Einigen wir uns darauf, dass von jedem ein wenig vorhanden ist. Ich halte es mit Paracelsus: „Die Dosis macht das Gift.“ Ich werde aber nicht versuchen, mich zu heilen. Seht mir das bitte nach. Der eine ist so, der andere ist so. Ich hatte dabei mit Herrn Schreiber auch immer einen Sparringspartner, und, liebe CDU-Fraktion, eines muss ich Ihnen sagen: Ich halte es für einen herben Verlust, dass Ihnen Herr Schreiber „abhandenkommt“. Er ist nicht nur fachlich sehr fundiert, sondern er ist ein Politiker mit Leidenschaft und Herz. Das erkenne ich an und es hat meine höchste Wertschätzung. Manche von Ihnen können sich eine Scheibe davon abschneiden, auch in der Debatte.

Uns nicht nur dauernd mit der Arroganz der Macht „abzuwischen“, sondern uns auch inhaltlich auseinanderzusetzen und vielleicht auch einige Anregungen aufzunehmen, das wünsche ich mir für die Zukunft noch mehr. Vielleicht kommen wir dann zu Ergebnissen, die für die Bevölkerung noch wesentlich besser sind als das, was Sie allein unter sich ausmachen. Denken Sie einmal darüber nach.

Auch an Sie, Frau Staatsministerin, vielen Dank für die Augenhöhe. Sehen Sie es mir nach: Ich kann mich für nichts entschuldigen. Ich habe alles so gemeint.

(Heiterkeit und Beifall bei den LINKEN und der CDU)

Aber auch Wertschätzung ist Ihnen zuteil geworden, wie Sie sie mir auch umgekehrt zuteilwerden ließen. Aber denken Sie bitte über Ihren Dogmatismus nach. Alles von der Opposition per se abzulehnen ist eigentlich einer Demokratie nicht würdig.

Haben Sie herzlichen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und des Abg. Wolfram Günther, GRÜNE)

Meine Damen und Herren, wir kommen nun zur Abstimmung über die Drucksache 6/18048. Ich bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Gibt es Stimmenthaltungen? – Ich sehe Stimmenthaltungen und Stimmen dafür, dennoch ist der Antrag mit Mehrheit abgelehnt worden.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 4

Bericht des 1. Untersuchungsausschusses der 6. Wahlperiode

zu Drucksache 6/1241, Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gemäß

Artikel 54 Abs. 1 der Verfassung des Freistaates Sachsen zum Thema:

„Untersuchung möglicher Versäumnisse und etwaigen Fehlverhaltens der

Staatsregierung und der ihrer Fach-, Rechts- und Dienstaufsicht

unterliegenden Sicherheits-, Justiz-, Kommunal- und sonstigen Behörden im

Freistaat Sachsen beim Umgang mit der neonazistischen Terrorgruppe, die

sich selbst als Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) bezeichnet, deren

personell-organisatorischem Umfeld und etwaigen Unterstützernetzwerken,

insbesondere im Hinblick auf ihre Entstehung, Entwicklung und ihr Agieren

in bzw. von Sachsen aus sowie bei der Aufklärung, Verfolgung und

Verhinderung von Straftaten, die der Terrorgruppe NSU und ggf. den mit ihr

verbundenen Netzwerken zurechenbar sind und den hieraus zu ziehenden

Schlussfolgerungen (Neonazistische Terrornetzwerke in Sachsen)“

Drucksache 6/18000, Unterrichtung durch den

1. Untersuchungsausschuss der 6. Wahlperiode

Es beginnt die CDU-Fraktion mit Lars Rohwer, danach folgen DIE LINKE, SPD, AfD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Herr Rohwer, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren im Hohen Haus! Am Tag des Einmarschs von Adolf Hitler in Österreich am 13. März 1938 entschließt sich der Philosoph Karl Popper, ein Wiener mit jüdischen Wurzeln im neuseeländischen Exil, sein monumentales zweibändiges Hauptwerk über „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ zu schreiben. Es war seine Reaktion auf die Kriegsanstrengungen. Es war seine Möglichkeit, um gegen Hitler und den Nationalsozialismus, gegen Stalin und den Kommunismus zu argumentieren. Es ist für uns im Heute eine Aufklärung darüber, wie ungemütlich und anstrengend demokratische Freiheit für eine Gesellschaft ist; denn es ist ein ewiges Ringen, das nie endet.

„Die einzige rationale Einstellung zur Geschichte der Freiheit besteht in dem Eingeständnis, dass wir es sind, die für sie Verantwortung tragen – in demselben Sinn, in dem wir für den Aufbau unseres Lebens verantwortlich

sind, dass nur unser Gewissen unser Richter sein kann.“ So Karl Popper im Zitat. Nur in einem Rechtsstaat, der den Menschen Freiheit und zugleich Sicherheit gibt – mit Richtern, mit Polizei und einer Verfassung –, können Menschen auch Gebrauch von ihrer Freiheit machen. Gegen Terror, egal welcher Art, muss mit aller Härte vorgegangen werden, vor allem mit der Macht der Argumente.