Protokoll der Sitzung vom 04.07.2019

Es gilt daher, diese meist jungen Menschen auf den Boden der demokratischen Grundordnung zurückzuführen. Hierzu braucht es den engen Schulterschluss staatlicher und kommunaler Akteure mit den Akteuren der Zivilgesellschaft und ein festes Wertefundament, das es stets zu vermitteln und zu verteidigen gilt. Wir alle sind aufgefordert, Haltung zu zeigen, gegen Hetze und Hassbotschaften aufzutreten, wo immer wir ihnen begegnen, auch und insbesondere in den neuen Medien. Die Reaktion auf den Fall Lübcke bei Facebook und Co. zeigt, wie schnell zivilisatorischer Fortschritt aufgegeben wird.

Wir Politiker innerhalb der demokratischen Familie üben den Diskurs und gelegentlich die harte Auseinandersetzung. Wir respektieren jedoch die Haltung des jeweils anderen – dies nennt man übrigens politische Kultur. Das muss beispielgebend sein für unser gesellschaftliches Miteinander.

(Beifall bei der CDU und des Staatsministers Prof. Dr. Roland Wöller)

Ich möchte bei dieser Gelegenheit nicht versäumen, meinen Dank an die Landtagsverwaltung und an den Beauftragten der Staatsregierung auszusprechen. Vielen Dank auch an meine Obleutekollegen, insbesondere an Frau Friedel, mit der die Zusammenarbeit stets praxisorientiert und angenehm war. Mein Dank gilt auch meinem parlamentarischen Mitarbeiter. Mein besonderer Dank gilt meinem Freund Patrick Schreiber, der mir mit seiner Erfahrung der 5. Legislaturperiode und mit seiner spezifischen Art und Weise immer mit Rat und Tat zur Seite stand.

Herzlichen Dank und Glück auf!

(Beifall bei der CDU, der SPD und des Staatsministers Prof. Dr. Roland Wöller)

Meine Damen und Herren! Die Fraktionen haben gesprochen. Ich frage die Staatsregierung, ob das Wort gewünscht wird. – Herr Staatsminister Prof. Dr. Wöller, bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die schrecklichen Taten des NSU liegen nun mehr als acht Jahre zurück. Nach wie vor gilt den Angehörigen unser Mitgefühl.

Als am 4. November 2011 das Wohnmobil von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Eisenach brannte, setzte das eine Kette von Ereignissen in Gang, an deren Ende zwei wesentliche Erkenntnisse standen. Wir haben leidvoll erkennen müssen, zu welchen Grausamkeiten Rechtsextremisten in der Lage sind, und wir mussten eingestehen, dass unsere Sicherheitsbehörden jahrelang in die falsche Richtung ermittelt haben.

Seit 2011 ist viel passiert. Wir haben unsere Lehren gezogen und dazu haben die Untersuchungsausschüsse hier im Landtag beigetragen. In diesem Sinne bedanke ich mich bei allen, die diese Arbeit geleistet haben.

Meine Damen und Herren! Der aktuelle NSU-Untersuchungsausschuss knüpfte an den der vergangenen Wahlperiode an. Beide kommen zum gleichen Ergebnis. Auf der einen Seite hat die Beweisaufnahme keinerlei Hinweise auf eine Begünstigung des NSU durch sächsische Behörden ergeben. Das gilt auch für eine mögliche Erschwerung oder Behinderung der Aufklärung. In den sächsischen Sicherheitsbehörden konnten keine rechtsextremistischen Strukturen festgestellt werden, die das Agieren des NSU-Trios nachweislich begünstigt oder unterstützt haben.

Auf der anderen Seite wurden – wie Sie alle wissen – Mängel in Organisation und Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden herausgearbeitet. Ich spreche von den Defiziten beim Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern, aber auch innerhalb Sachsens. Ich spreche von der unterlassenen

Einbindung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und einer unzureichenden länderübergreifenden Zusammenarbeit der Polizei. Ich spreche von der fehlenden Protokollierung amtsübergreifender Besprechungen und ähnlichen Versäumnissen. Diese Mängel haben in der Gesamtschau letztlich zu einer ungenügenden Koordination geführt und damit das rechtzeitige Erkennen der NSU-Zusammenhänge erschwert.

Meine Damen und Herren! Die nun vorliegenden Ergebnisse bestätigen den bisherigen Erkenntnisstand. Sie zeigen erneut, wie richtig und wichtig die Maßnahmen waren, die in den letzten Jahren angelaufen sind. An erster Stelle steht dabei die verbesserte Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern in den gemeinsamen Abwehrzentren. Hier werden alle herausragenden Fälle tagesaktuell einem bundesweiten Lagemonitoring unterzogen und unter einem Dach abgestimmt. Hier arbeiten Ermittler, Auswerter, Spezialkräfte und Fahndungsgruppen in enger Abstimmung bei allen Fällen zusammen, die einen möglichen rassistischen, terroristischen und anderweitig politisch motivierten Hintergrund haben.

Das Ergebnis: Durch das vernetzte Fachwissen wurden schon jetzt deutlich bessere Analysen und eine höhere Sensibilität für rechtsextremistische Straftaten erreicht. In diesem Rahmen konnte sich auch zu den Fällen der „Gruppe Freital“ und der Gruppe „Revolution Chemnitz“ schnell ausgetauscht werden.

Von dieser verstärkten Zusammenarbeit im Verfassungsschutzverbund sowie zwischen Polizei und Verfassungsschutz abgesehen, haben wir das Gemeinsame Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum ins Leben gerufen, gemeinsame Verbunddateien, insbesondere die Rechtsextremismusdatei – RED – etabliert, in Sachsen die Gemeinsame Informations- und Analysestelle von LKA und LfV – GIAS – eingerichtet, die Empfehlungen der Expertenkommission, der sogenannten Harms-Kommission, beim LfV umgesetzt, die Internetbeobachtung ausgebaut, mobile Einsatz- und Fahndungsgruppen eingesetzt, das Operative Abwehrzentrum, das spätere Polizeiliche Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum – PTAZ – gegründet und die Integrierte Ermittlungseinheit Sachsen – INES PKM – und die Zentralstelle Extremismus Sachsen auf den Weg gebracht.

Außerdem habe ich vor einiger Zeit unser Landesamt für Verfassungsschutz beauftragt, verstärkt operativ gegen gewaltbereite Extremisten vorzugehen. Hierzu haben wir mit Beschluss des Hohen Hauses das Landesamt für Verfassungsschutz personell gestärkt.

Meine Damen und Herren! Gleichwohl gilt: Hier werden wir nicht stehenbleiben. Wir müssen wachsam sein und wir dürfen uns nicht zurücklehnen. Die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Lübcke durch einen mutmaßlichen Rechtsextremisten ist Anlass genug, dass bisher Erreichte erneut auf den Prüfstand zu stellen. Der Fall zeigt eine neue Dimension rechtsextremer Gewalt, und es ist daher das Gebot der Stunde zu hinterfragen: Wo

konkret lässt sich die Zusammenarbeit im Verfassungsschutzverbund noch weiter verbessern? Was konkret können wir in unserem eigenen Landesamt strukturell und konzeptionell verbessern, um insbesondere gegen den rechten Extremismus noch wirkungsvoller aufgestellt zu sein?

Diese Fragen sind wichtig, aber sie treffen uns nicht unvorbereitet. Wie Ihnen sicher bekannt ist, läuft derzeit unter anderem die konsequente Anwendung des beschleunigten Verfahrens im Strafrecht, die Neuausrüstung der Internetaufklärung im polizeilichen Staatsschutz, der weitere Ausbau der Gemeinsamen Informations- und Analysestelle und die Implementierung eines standardisierten Verfahrenscontrollings.

Davon abgesehen, werden wir den Staatsschutz strukturell weiter stärken. Das PTAZ hat sich bereits bewährt und soll in Zukunft den Druck insbesondere auf Rechtsextremisten kontinuierlich erhöhen. Ein Augenmerk wird dabei auf dem Schutz von Amts- und Mandatsträgern liegen. Sie repräsentieren unsere Demokratie. Wer sie angreift, greift uns alle an.

Meine Damen und Herren! Die entsetzlichen Taten des NSU, die durch Sicherheitsbehörden über einen so langen Zeitraum nicht gestoppt und aufgeklärt werden konnten, bleiben für die Staatsregierung eine Mahnung und eine Warnung. Es ist ein zentrales Anliegen der Staatsregierung, dass jeder in unserem Land sicher leben kann. Insbesondere die Opfer rassistischer, fremdenfeindlicher oder sonstiger menschenverachtender Straftaten verdienen daher besonderen staatlichen Schutz. Straftaten, die sich gegen Menschen aufgrund ihres Aussehens, ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung, einer Behinderung oder ihres sozialen Status richten, richten sich gegen uns alle. Sie bedrohen den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.

Die Verhinderung und Bekämpfung dieser Straftaten ist daher ein Kernanliegen der Staatsregierung. Damit unser Kampf erfolgreich sein kann, sind in meinen Augen zwei Dinge wichtig:

Erstens. Es gilt weiterhin, die Ergebnisse der NSUUntersuchungsausschüsse zu übertragen und einen 360Grad-Blick anzuwenden.

Zweitens. Wir werden – das habe ich in diesem Hohen Haus schon öfter gesagt und es ist auch Ausdruck der heutigen Debatte gewesen – ohne ein gesamtgesellschaftliches Eintreten für Demokratie und Toleranz keinen Meter weiter kommen. Dieses Eintreten darf nicht allein den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder überlassen werden. Jeder von uns ist hier gefordert.

Eine moderne, weltoffene und pluralistische Gesellschaft kann sich nur dann friedlich entwickeln, wenn sich Staat und Gesellschaft geschlossen und entschlossen gegen Rassismus, Fremden- und Menschenfeindlichkeit stellen. Die friedlichen Bürgerproteste in Ostritz haben erneut gezeigt, wie das konkret aussehen kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Ich frage nun Herrn Rohwer: Wünschen Sie als Berichterstatter das Wort? – Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen des Hohen Hauses! Der 1. Untersuchungsausschuss des 6. Sächsischen Landtages hatte die Folgen freiheitseinschränkender, extremistischer und menschenverachtender Gesinnung zum Inhalt. Er hatte den Auftrag, das Handeln der Staatsregierung und der ihr nachgeordneten Behörden zu prüfen und zu bewerten.

70 Zeugen wurden im Laufe von 43 Sitzungen zwischen April 2015 und Juli 2019 befragt. 1 572 Aktenordner dokumentieren, wie umfangreich mit 51 Beweisanträgen Unterlagen zur Einsicht angefordert worden sind.

Es ist ein überragender Aktenbestand, der im Verlauf des Untersuchungsausschusses zusammengetragen wurde.

Auf 203 Seiten legen wir nun den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses dem Hohen Haus vor. Dazu kommt ein Minderheitenvotum der Fraktionen DIE LINKE und der GRÜNEN.

Dass es den Untersuchungsausschuss überhaupt gibt und dass er nötig wurde, ist die Folge extremistischen Gedankengutes. Das ist in der Debatte hier schon zur Sprache gekommen.

Dass der Abschlussbericht nun tatsächlich vorliegt, verdanken wir nicht nur dem ursprünglichen Einsetzungsbeschluss des 1. Untersuchungsausschusses, sondern auch dem entschiedenen Agieren des Ausschusssekretariats und des Juristischen Dienstes der Landtagsverwaltung, die die Wünsche und Anforderungen der Ausschussmitglieder nach Recht und Gesetz umgesetzt haben.

Ohne die Mitarbeit von Herrn Ottmar Breidling, der uns die Sachsen betreffenden Akten aus dem NSU-Prozess in München zur Einsicht und Bewertung zugänglich gemacht hat, und ohne das umsichtige Agieren von Herrn Prof. Becker-Eberhard aus Leipzig bei der Erstellung des Berichtsteils hätten wir uns in so manchem Klein-Klein verloren.

Mein Dank geht aber auch an den Beauftragten der Staatsregierung und an seinen Stellvertreter, die beide dafür sorgten, dass wir alle angeforderten Akten erhalten haben und dass die zu vernehmenden Zeugen aus der Staatsverwaltung uns entsprechend unserer Zeitvorgaben zur Verfügung gestanden haben.

Wir verdanken es aber gerade dem offenen und gemeinsamen Vorgehen der Abgeordneten in den verschiedenen Fraktionen abseits des üblichen Parteiengezänks, dass wir nun diesen Abschlussbericht vorlegen können. Mein besonderer Dank gilt hierbei den Obleuten der Fraktionen und meiner Stellvertreterin im Ausschussvorsitz. Ohne unseren vertrauensvollen Austausch untereinander hätten

wir so manche Situation nicht gut umschifft. Das war parlamentarischer Stil, wie ich ihn mehr wünsche.

Ich verzichte darauf, noch einmal auf die Gesamtheit der Entwicklung einzugehen, will mich aber zum Abschluss noch einmal den Familien der NSU-Opfer zuwenden. Die Familien der NSU-Opfer haben so viel mitgemacht. Sie bringen seit Jahren all ihre Kraft auf, um weiterzumachen. Ihnen gilt unser ganzes Mitgefühl. Auch das ist schon in der Debatte gesagt worden. Ihre Kraft lässt uns couragiert die Augen offen halten und verstärkt für den Opferschutz eintreten, Opferschutz in einer Zeit, in der Politiker, Bürgermeister und gesellschaftlich engagierte Menschen und ihre Familien weiterhin Drohungen erhalten, während die Täter für die Verbreitung von Angst nur geringe Konsequenzen zu fürchten scheinen.

Dazu sagte Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel – Zitat –: „Man muss Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, niemals dem Opfer. Stillschweigen bestärkt den Peiniger, niemals den Gepeinigten.“

Lassen Sie mich zum Schluss eine kurze und sehr hoffnungsvolle Situation aus einem Verhandlungstag des Münchener NSU-Prozesses schildern.

Mascha M., eine junge Frau aus Köln, damals 18 Jahre alt, ist als Zeugin vorgeladen. Sie erlebt, wie die Bombe im Geschäft ihrer Eltern detoniert, als sie versuchen, ein Postpaket zu öffnen. Sie selbst wurde bei dem Attentat schwer verletzt. Große Teile ihrer Haut verbrannten. Monatelang war sie zur Behandlung in Krankenhäusern. Von dort aus machte sie ein Notabitur. Danach studierte sie Chemie und Medizin. So arbeitete sie sich förmlich ins Leben zurück. Als Chirurgin rettet sie jeden Tag Leben.

Der Kontrast: Beate Zschäpe, welche mit Mascha M. im gleichen Gerichtssaal sitzt. Sie hält es vielleicht schon für eine Lebensleistung, mit einem deutschen Pass geboren worden zu sein. Ich finde, es wäre die Frage erlaubt: Frau Zschäpe, was haben Sie für Deutschland, für Ihre Mitmenschen gemacht? Die ausbleibende Antwort, die Leere der Antwort, würde die Unzulänglichkeit und das absurde Menschenbild der Leute, die denken, dass bestimmte Menschen allein aufgrund ihrer Herkunft nicht zu Deutschland gehören, enttarnen.

Lassen Sie mich deshalb zum Schluss noch einmal meine Worte aus dem ersten Redeteil wiederholen: Hass zerstört, Zuwendung baut auf und hilft dem Leben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Die Aussprache über den Bericht des

1. Untersuchungsausschusses ist abgeschlossen. Wir

beraten und beschließen nun über den Entschließungsantrag als Drucksache 6/18194, eingebracht von der Fraktion DIE LINKE. Es kann jetzt dazu gesprochen werden. Frau Abg. Köditz. Die Redezeiten sind bekannt. – Bitte sehr, Frau Köditz.

Sehr geehrter Herr Präsident! Neben dem Ausdruck von Trauer und Mitgefühl und Feststellungen haben wir in unserem Entschließungsantrag auch drei Punkte herausgenommen aus dem im Sondervotum formulierten längeren Katalog von insgesamt 46 Schlussfolgerungen, die man ziehen könnte, wenn man nur wollte. Es sind insgesamt Schlussfolgerungen, die man ziehen müsste, wenn man tatsächlich rechtsextreme Netzwerke zerschlagen will.