Protokoll der Sitzung vom 04.05.2022

Auch beim Thema Digitalisierung muss mehr getan werden; sonst brauchen wir über die Zukunft gar nicht erst zu reden. Noch immer toben die Grabenkämpfe zur Finanzierung des Graue-Flecken-Programms. Dabei hatten wir Ihnen im Dezember-Plenum bereits Lösungen präsentiert. Selbst die LINKEN waren 2021 näher an einer Lösung, als es die Staatsregierung heute ist.

(Zuruf des Abg. Marco Böhme, DIE LINKE)

Werte Damen und Herren der Staatsregierung, die wirtschaftliche Lage ist komplex. Probleme gibt es genügend. Bitte fangen Sie endlich an, an Lösungen zu arbeiten statt Erklärungen abzugeben. Wir als AfD werden Ihnen dabei selbstverständlich weiterhin mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Kollege Beger sprach für die AfD-Fraktion. Gibt es noch Redebedarf? – Das sehe ich nicht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Damit ist der Tagesordnungspunkt abgeschlossen.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 4

Aktuelle Stunde

Erste Aktuelle Debatte: „Sachsen barrierefrei 2030“ –

Tempo machen für Inklusion

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zweite Aktuelle Debatte: Sicherheit im Wandel: Beschäftigte mit

kleinen und mittleren Einkommen schützen – den Sozialstaat stärken

Antrag der Fraktion SPD

Die Verteilung der Gesamtredezeit der Fraktionen hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU 38 Minuten, AfD 28 Minuten, DIE LINKE 16 Minuten, BÜNDNISGRÜNE

19 Minuten, SPD 17 Minuten, Staatsregierung zweimal je 10 Minuten, wenn gewünscht.

Wir kommen zu

Erste Aktuelle Debatte

„Sachsen barrierefrei 2030“ – Tempo machen für Inklusion

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zu diesem Thema unterstützen uns wieder Gebärdensprachdolmetscher, die ich hiermit herzlich begrüße.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Als Antragstellerin hat zunächst die Fraktion BÜNDNISGRÜNE das Wort. Ich übergebe an Frau Kollegin Čagalj Sejdi. Bitte schön, Frau Kollegin.

Petra Čagalj Sejdi, BÜNDNISGRÜNE: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss Sie um Entschuldigung bitten, dass ich zu schnell aufgesprungen bin. Aber das zeigt, dass es mir wichtig ist, über dieses Thema zu sprechen.

Ich freue mich, dass wir heute unsere beiden Gebärdendolmetscher hier begrüßen dürfen, damit unsere Debatte auch für taube Menschen, die sie nicht hören können, nachvollziehbar wird.

Als ich vor einiger Zeit vor einer Leipziger Grundschule stand, war das so ein altes Gebäude, wie man es von vielen Schulen in der Großstadt kennt. Ich stand am Haupteingang und hatte vor mir ungefähr fünf relativ hohe Treppenstufen, die zur Tür führten. Am Eingang sah ich ein kleines Schild mit dem Piktogramm eines Rollstuhlfahrers und einem Pfeil, der um die Ecke führte. Darunter stand „Barrierefrei“. Ich habe mich umgeschaut, um zu sehen, wo sich dieser barrierefreie Eingang befindet. Auf den ersten Blick war nichts zu sehen, also bin ich dem Pfeil gefolgt. Es ging die Straße herunter, über einige kleine Löcher im Pflaster, über schiefliegende Pflastersteine bis zur Ampel. Dann führte die löchrige Straße links herum wieder bergauf über noch mehr schiefliegende Pflastersteine bis zum Seiteneingang in den Schulhof hinein.

Ich habe mir vorgestellt, wie es denn so ist, wenn man als Kind im Rollstuhl morgens zur Schule kommt, alle über die Treppe vorn hineingehen und man selbst den holprigen unebenen Weg die Straße hinunter, um die Ecke und dann wieder bergauf nehmen muss. Wahrscheinlich muss man früher als die anderen kommen und braucht zudem noch jemanden, der einen schiebt, weil der Gehweg wirklich nicht eben und barrierefrei war. Für meinen Blick wurden mehr Barrieren aufgeworfen als aus dem Weg geräumt. Das ist genau der Punkt, auf den ich hinauswill.

Es geht nicht immer nur darum, irgendwie anders zum Ziel zu kommen. Nein, es geht darum, dass wir alle gleich zum Ziel kommen, dass wir alle durch den gleichen Eingang zur gleichen Zeit hineingehen können, wenn wir das denn möchten. Das ist der Punkt, auf den wir heute mit unserer Debatte hinauswollen.

Wir wollen Tempo machen für Inklusion. „Tempo machen für Inklusion – barrierefrei zum Ziel“ ist auch das Motto des morgigen Aktionstages für Menschen mit Behinderungen, der sich übrigens zum 31. Mal jährt. Im Umfeld dieses Aktionstages finden in meiner Heimatstadt Leipzig, aber auch sachsenweit in vielen anderen Städten sehr viele Veranstaltungen, Diskussionsrunden und andere Aktionen statt, in denen sich Menschen mit Behinderungen vernetzen können, an denen andere Menschen teilnehmen können und in denen gemeinsam auf die Situation aufmerksam gemacht wird und darauf, wo wir in Sachsen vielleicht noch nachsteuern müssen.

Aus diesem Anlass war es uns wichtig, heute dieses Thema für die Aktuelle Debatte zu beantragen. Barrierefreiheit ist für uns BÜNDNISGRÜNE ein sehr zentrales Thema. Wir wollen – und so sind wir auch in diese Koalition hineingegangen –, dass Sachsen spätestens 2030 im öffentlichen

Raum weitestgehend barrierefrei ist. Genau dafür haben wir das Programm „Sachsen barrierefrei 2030“ angeregt, ein Investitionsprogramm, das mit diesem Doppelhaushalt an den Start gegangen ist und durch das in diesem Jahr den Kommunen 3,25 Millionen Euro zur Verfügung stehen, um Projekte der Barrierefreiheit im öffentlichen Raum umzusetzen. Genauso gibt es das schon sehr bekannte und beliebte Programm „Lieblingsplätze für alle“, durch das bereits sehr viele Projekte umgesetzt und ins Leben gerufen wurden. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, sind es 250 neue Vorhaben, die dieses Jahr ermöglicht wurden; also doch schon eine ganze Menge.

Was sind das für Vorhaben? In der Regel sind es Parkplätze, öffentliche Sanitäranlagen oder Zugänge zu Gebäuden, die mit dem Geld barrierefrei gestaltet werden können.

Doch was braucht es neben diesen klassischen Beispielen noch? Wo müssen wir in Sachsen nachsteuern, um nicht nur Barrierefreiheit herstellen – wie beispielsweise bei dem Eingang, den ich zu Beginn meiner Rede beschrieben habe –, sondern auch Inklusion leben zu können? An welchen Punkten müssen wir nachbessern? Das sind die Fragen, die wir uns jetzt stellen und die zum Beispiel im Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention festgelegt und bearbeitet werden müssen.

Der Aktionsplan ist ein sehr gutes Fundament. Seit 2016 haben wir einen sächsischen Landesaktionsplan. Es geht darum, Ziele festzulegen, und es muss festgestellt werden, wo nachgesteuert werden muss. Es muss aber auch darum gehen, dass wir die Dinge nicht nur festlegen und aufschreiben, sondern wir müssen sie umsetzen. Diese Umsetzung müssen wir kritisch betrachten oder an den Punkten nachsteuern können, an denen es doch nicht so funktioniert, wie es anfangs gedacht war.

Die Redezeit ist abgelaufen.

Petra Čagalj Sejdi, BÜNDNISGRÜNE: Dann setze ich damit in der nächsten Runde fort.

(Beifall bei den BÜNDNISGRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Für die Fraktion BÜNDNISGRÜNE sprach Frau Kollegin Čagalj Sejdi. Ich übergebe jetzt an Herrn Kollegen Dierks von der CDUFraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte es nicht versäumen, an dieser Stelle zunächst den Gebärdensprachdolmetschern herzlich für die Unterstützung bei der heutigen Debatte zu danken. Meine Vorrednerin hat vieles gesagt. Ich möchte noch etwas grundsätzlicher einsteigen, um deutlich zu machen, dass es vermutlich viele Ansätze gibt, um noch viel mehr Akzeptanz für Barrierefreiheit und in diesem Zuge auch für Inklusion zu schaffen.

Beide Begriffe hängen eng zusammen. Inklusion ist ohne Barrierefreiheit nicht möglich, und Barrierefreiheit ist wahrscheinlich die grundlegendste Voraussetzung für gesellschaftliche Inklusion. Beides ist zwingend erforderlich, wenn wir dem Anspruch gerecht werden wollen, eine Gesellschaft zu sein, in der jeder nach seinen Möglichkeiten mittun kann, in denen die Möglichkeit des Mittuns nicht als karitative Gnade betrachtet wird, sondern in der selbstverständlich ist, dass jeder nach seinen Möglichkeiten am gesellschaftlichen und wirtschaftlich Leben teilnehmen, seine Stärken entwickeln und somit ein vollwertiges Mitglied dieser Gesellschaft sein kann.

Deshalb ist es aus meiner Sicht zwingend erforderlich, dass wir uns vor Augen führen, dass Barrierefreiheit nichts ist, was nur Menschen mit Behinderungen nützt, sondern Barrierefreiheit ist etwas, was unsere Gesellschaft im Ganzen lebenswerter macht. Ebenso ist es wichtig zu wissen, dass nur ein sehr kleiner Teil der Behinderungen – wenn wir über den Aktionstag der Menschen mit Behinderungen sprechen – angeboren ist. Ich denke, es ist eine landläufige Wahrnehmung, die viele in sich tragen, dass Menschen von Geburt an im Rollstuhl sitzen, sehbehindert oder blind sind bzw. sonstige Einschränkungen haben. Sehr, sehr viele Einschränkungen stellen sich erst im Laufe einer Lebensspanne ein. 25 % der Menschen mit Behinderungen sind über 75 Jahre alt, und 50 % der Menschen sind im Alter zwischen 55 und 75 Jahren.

Damit will ich sagen, dass wir es nicht nur beispielsweise aus dem Blickwinkel eines Schulkindes betrachten dürfen, sondern wir müssen uns fragen: Was gewinnen wir alle gemeinsam an Lebensqualität, wenn Barrieren im Alltag abgebaut werden? Was gewinnen Menschen, die ein höheres Lebensalter haben? Was gewinnen Eltern, die einen Kinderwagen schieben? Es ist doch geradezu absurd, immer nur die Frage zu stellen, wie man Barrieren abbaut. Vielmehr müssen wir darüber reden, dass wir – wenn wir unser öffentliches Umfeld gestalten – Barrieren gar nicht erst bauen.

Ich denke, es ist auch ein Stück weit die Wahrnehmung, dass es in gewisser Hinsicht ein Gnadenakt für Menschen mit Einschränkungen sei, wenn man bestimmte Bereiche und Barrieren reduziert oder barrierefrei umbaut. Ziel muss es doch vielmehr sein, dass Barrierefreiheit zur Selbstverständlichkeit wird, natürlich nicht nur in baulichen Bereichen, sondern auch in vielen anderen Lebensbereichen wie der Sprache oder der Zugänglichkeit zu Informationen, auch im digitalen Zeitalter und im digitalen Kontext. Das ist die große Herausforderung, die große Wahrnehmungsarbeit und Wahrnehmungsaufgabe, die wir gemeinsam in den nächsten Jahren erreichen müssen.

Ich finde, wir haben in den letzten Jahren in dem Bereich durchaus einiges erreicht. Natürlich müssen wir – ich hatte es gerade skizziert – besser werden und weitere Aspekte ins Werk setzen.

Das Programm „Lieblingsplätze für alle“ zeigt mit seinen 1 600 Vorhaben, die seit 2014 realisiert wurden, sehr deutlich, dass in vielen kleinteiligen Sektoren des Freistaates

Sachsen, in vielen ländlichen Gemeinden außerordentlich viel im Bereich Barrierefreiheit und Barrierearmut gemacht worden ist.

Das Inklusionsgesetz haben wir in der letzten Legislaturperiode novelliert. Vom Integrationsgesetz zum Inklusionsgesetz haben wir den Betrag von 70 Euro, der für jeden Menschen mit Behinderungen im Freistaat Sachsen jährlich investiert wird, weiterentwickelt. Das sind über 30 Millionen Euro für die über 400 000 Menschen mit Behinderungen, die vor allem für die Barrierefreiheit im öffentlichen Raum eingesetzt werden. Wir als Freistaat Sachsen haben uns verpflichtet, dass die Dienstgebäude des Freistaates Sachsen von Barrieren befreit werden müssen.

Für das neue Programm „Sachsen barrierefrei 2030“ haben wir in diesem Doppelhaushalt über 5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, mit denen die kreisfreien Städte und die Landkreise ganz konkret Projekte vor Ort umsetzen können. Insofern sind wir auf einem guten Weg, dass sich seit den letzten Jahren – auch mit Blick auf eine älter werdende Gesellschaft – immer mehr die Überzeugung durchsetzt, dass Barrierefreiheit allen nützt, jedenfalls Barrierefreiheit nichts ist, was für eine kleine Minderheit gnadenhaft getan wird. Einerseits haben wir den Anspruch, dass Menschen mit Einschränkungen trotzdem die Selbstverständlichkeit in sich tragen, vollwertig am öffentlichen Leben teilzunehmen, andererseits müssen wir erkennen, dass in einer Gesellschaft, in der immer mehr Hochaltrige leben, Barrierefreiheit eine Selbstverständlichkeit sein sollte.

Von dieser Überzeugung sollten wir alle getragen sein. Mit dieser Überzeugung sollten wir in Zeiten schwieriger Haushaltslage weiter vorangehen. Mit dem letzten Doppelhaushalt haben wir durch die Erhöhung des Landesblindengeldes und der Nachteilsausgleiche gezeigt, –