Protokoll der Sitzung vom 26.04.2023

(Beifall bei den LINKEN)

Kollege Brünler sprach für die Fraktion DIE LINKE. Nun spricht Kollege Patt für die CDU-Fraktion.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme Kollegen Brünler in vielen Dingen zu. Es bedarf eines Paradigmenwechsels in der Abarbeitung von Anträgen, die die Bürgerschaft an die Verwaltung stellt.

Ich habe solch einen Paradigmenwechsel einmal erlebt. Es ist einige Jahre her. Damals haben sich die Bauanträge gestaut. Es handelte sich um Bauanträge, die Menschen einreichen, die ihr letztes Hab und Gut als Eigenkapital einsetzen und dazu Fremdkapital aufnehmen, um zu bauen. Aber es ging oftmals nicht weiter. Die Kosten stiegen während der Antragsbearbeitung, Zinsen, Bereitstellungszinsen liefen weg. Sie wissen, um was es im Hypothekarbereich geht. Dann hat man vor einigen Jahren die Genehmigungsfiktion für Bauanträge eingeführt. Das fand ich großartig. Die Behörden haben trotzdem noch genügend Möglichkeiten, aus der Frist herauszukommen, wenn ihnen vielleicht am vorletzten Tag einfällt, dass irgendeine Akte fehlt. Aber sie werden etwas unter Druck gesetzt. Nicht jede Behörde braucht diesen Druck. Es gibt viele fleißige Leute; Sie haben darauf hingewiesen.

Diesen Paradigmenwechsel wünschte ich mir auch in vielen anderen Bereichen, wenn der Bürger vom Staat eine Dienstleistung erwartet und wenn der Staat sich, in Form der Verwaltung, als Gönner oder als Hoheit geriert. So finde ich Ihre Gesetzbegründung ganz treffend. Das Antragsverfahren ist in der Regel sehr kompliziert ausgestaltet und deshalb kommt es zu einer Verzögerung bei der Bearbeitung und bei der endgültigen Bescheidung. Oder es kann zu einer Verzögerung kommen, weil das – wie häufig – mit dem Bearbeiter zu tun hat oder mit der Form, wie die Förderrichtlinien von der Regierung gefasst wurden.

Mit Ihrer Gesetzesänderung erwarten Sie, dass es zügiger geht, innerhalb einer Frist, die wir als Gesetzgeber und als

Bestimmer im Auftrag der Bürgerschaft geben. Sie erwarten, dass diese Frist eingehalten wird, dass die Förderrichtlinien möglicherweise entschlackt und verständlicher werden und es nicht nur zu einem Bürokratieabbau, sondern auch zu einem Hürdenabbau kommt. Das ist ein Paradigmenwechsel.

Ich denke, dass dafür der Druck noch nicht groß genug ist, weil es zu oft richtig ordentlich funktioniert und uns ja nur die Dinge stören, bei denen es nicht funktioniert. Aber ein Gesetz machen wir wiederum für alles. Diese Differenzierung ist schwer. Damit meine ich keine Differenzierung nach Betrag, sondern eine Differenzierung nach Richtlinie oder nach Förderung. Bei den einen läuft es, bei den anderen läuft es nicht.

Wir haben insgesamt eine Verwaltung, die so viele Hierarchien hat, wie wir sie in keinem Industriebetrieb finden. Ich habe mir in der Landesdirektion Sachsen angeschaut, welche Hierarchien es dort gibt. Es sind sechs Hierarchien. Darüber kommen noch die Ministerien. Je mehr Hierarchien es sind, desto weiter entfernt sich der mögliche Entscheider oder derjenige, der Hinweise gibt, wie eine Entscheidung besser nicht oder doch zu treffen ist, vom Bürger. Nur eine dieser vielen Hierarchien hat den Kontakt zum Bürger. Diese wird von vielen anderen Auftraggebern aus der Verwaltung bedient, was sie zu berücksichtigen hat, was sie übersehen hat und was sie noch alles tun könnte, damit irgendein Ziel, welches manchmal gar nicht genau überprüfbar ist, erreicht wird. Und das ärgert den Bürger.

An diesen Dingen müssen wir ansetzen. Wir müssen diejenigen loben, die das ordentlich und gut machen, und wir müssen dort ansetzen – und das versuchen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf –, wo es nicht klappt, wo sich die Verwaltung vom Bürger entfernt und die Haftung von ihrem Auftraggeber verliert, für den sie Dienstleistungen zu erbringen hat, und vor dem sie sich leider – ich wiederhole das – als hoheitliches Organ geriert. Wenn so etwas passiert, dann müssen wir einschreiten.

Wir, die Kinder haben, erleben alle, wie es bei der Kindergeldstelle ist. Du musst bei jedem Kind wieder alles von vorn nachweisen, was sie schon dreimal haben. Aus digitalen Unterlagen könnte man das herausziehen. Jedes Mal musst du den Lebensnachweis führen, dass du wirklich Kinder hast, dass du der Vater bzw. die Mutter bist. Das ist jetzt etwas übertrieben dargestellt. Aber diejenigen von uns, die das durchhaben, wissen, wenn die Kinder über 18 sind und aus der Schule kommen, was man dort ständig zu tun hat. Das ist ein Beispiel, wie es wirklich schlecht funktioniert und wie der Bürger eine Leistung, die ihm zusteht, ohne viel Arbeit nicht bekommt.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE)

Das ist eine Leistung, die dem Bürger beim Kindergeld nicht nur zusteht, sondern die ihm der Staat vorher geraubt hat; denn er besteuert das Existenzminimum der Kinder. Die Eintragung der Kinderzahl auf der Lohnsteuerkarte,

wie es früher hieß, wird bei der Besteuerung nicht berücksichtigt, sondern nur bei der Kirchensteuer. Das heißt, der Staat besteuert das Existenzminimum der Kinder, geriert sich dann großzügig und gewährt Kindergeld zurück, was bei mutmaßlich zwei Dritteln der Kindergeldempfänger gar keine Leistung ist, sondern nur eine Rückzahlung vorher geraubten Geldes. Das lassen wir zu – wir sind das Parlament.

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE)

Diese Dinge muss man abstellen. Das war ein Zeichen, dass die Behörde aus meiner Sicht sehr schlecht arbeitet. Das könnte man zuvorkommender tun. Man könnte Formulare schon vorausgefüllt haben. Herr Popp ist gerade nicht da, aber wir haben ja eine große Digitalisierungsoffensive. Es geht da, bitte, nicht darum, dass die Digitalisierung nur aus Einscannen oder verwaltungsinternen Vorgängen besteht, sondern es geht um eine Digitalisierung, die die Prozesse zum Bürger hin optimiert.

So baut sich ein Beamtenwesen in der Unabhängigkeit auf, was ja auch gut ist, aber es fehlen häufig Leistungskriterien. Ziele sind nicht so formuliert, dass sie operationalisierbar, das heißt messbar, sind. Effizienz und Automatisierung sind keine Kategorien staatlichen Handelns.

(Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Richtig!)

Wir brauchen diese digitale Automatisierung bei Fördermitteln, insbesondere bei Rechtsansprüchen von Bürgern. Wir müssen die Sprache verbessern. Es braucht nicht nur eine sogenannte leichte Sprache. Ich komme mit dem Gesetzentwurf schwer zurecht wegen der vielen Sternchen, die dort drinstehen. Ich kann es nicht richtig lesen.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Sollen wir es Ihnen vorlesen? – Heiterkeit bei den LINKEN)

Wir brauchen nicht nur diese leichte Sprache, sondern eine verständliche Sprache,

(Christian Hartmann, CDU: Richtig!)

und zwar aus Sicht des Bürgers als Auftraggeber und als Kunde, der das von den von ihm bezahlten Regierungen und Verwaltungen erwarten kann. Wenn ich gefragt werde, wer eigentlich der höchste Mann im Staat ist, dann sage ich immer: Der Landtagspräsident – und zuvor kommt der Bürger. Und der Ministerpräsident? Da sage ich: Der ist angestellt für eine sehr wichtige Aufgabe. Aber er ist – wie die gesamte Verwaltung – angestellt bei den Bürgern. Die Verwaltung hat auch hoheitliche Aufgaben. Die muss sie ordentlich durchsetzen, und das tut sie auch.

Wir müssen digitalisieren und automatisieren. Wir müssen die Sprache verbessern. Wir müssen den Datenschutz lösen, damit er nicht der Abwehr von Bürgeranliegen dient, sondern damit der Datenschutz dem Bürger möglicherweise sogar hilft, wenn ihn betreffende Daten über die Be

hörden ordentlich zusammengeführt werden. Er muss wissen, was dort drinsteht und dass dies in einem erleichterten Verfahren genutzt werden kann.

Aber es ist – im Vergleich zu anderen Ländern – nicht ausreichend, glaube ich, was wir tun. Auch im Zeitablauf habe ich den Eindruck: Es wird immer bürokratischer und es wird bürgerferner. Wir als Parlament haben immer mehr Mitarbeiter eingestellt – nicht nur Lehrer und Polizisten, sondern auch in der inneren Verwaltung –, die sicherlich nicht erleichtern, dass wir effizient zusammenkommen.

Gleichwohl, Herr Kollege Brünler, gibt es berechtigte Bedenken, die von Sachverständigen und vom Rechnungshof vorgetragen wurden. Alle, die hier vorgetragen haben, kommen selbst aus der Verwaltung. Von daher muss man das vielleicht noch abwägen. Aber die denkbare Budgetüberschreitung bei einer Bewilligungsfiktion will ich nicht einfach von der Hand weisen. Sie haben gesagt, man könnte das Programm dann sofort stoppen. Da müsste man noch einige andere Dinge regeln: Windhundverfahren. Da gibt es wieder keine Budgetierung und Knappheit. Das müsste man vielleicht weiter ausbauen.

Aber insgesamt haben uns die Bedenken, die von den Sachverständigen in der Anhörung am 18. Januar vorgetragen wurden, überzeugt, um sagen zu können: Wir können Ihrem Antrag nicht zustimmen, auch wenn mein Herz – und das spüren Sie –

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Ja!)

und – wie ich denke – unser aller Ansinnen für eine radikale Vereinfachung in der Verwaltung wäre. Das ist manchmal leichter gesagt als getan, weil wir auf Vorschlag der Regierung viele Gesetze verabschieden, die dazu führen, dass es immer komplizierter wird. Aber Sie haben auch gespürt, dass sich unsere Behörden ungern treiben lassen, sondern auf einer sorgfältigen Prüfung bestehen. Das ist nicht verwerflich. Deshalb schlage ich vor, dass wir diesem Antrag nicht folgen, und ich hoffe, dass der Druck irgendwann groß genug wird, dass es zu solchen, aber vielleicht durchgängigeren Systemen der Verwaltungserleichterung kommt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Kollege Patt sprach für die CDU-Fraktion. Nun spricht Kollege Barth für die Fraktion der AfD. Bitte schön, Herr Kollege.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Jetzt geht’s um Ostdeutschland!)

Mit dem Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Entscheidung über Anträge auf Zuwendungen verfolgt die Linksfraktion ein Ziel, dem wir ohne Probleme, Herr Gebhardt, auch zustimmen könnten.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Echt? Dann können Sie sich wieder hinsetzen!)

So viel Übereinstimmung zwischen uns haben wir am heutigen Tag noch nicht erlebt.

(Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Das freut Sie, Herr Barth!)

Lieber Herr Lippmann, Sie freuen sich; wir freuen uns natürlich auch darüber, wenn wir Förderanträge zeitnah bearbeiten könnten. – Wir wissen aber alle, dass es aus sehr unterschiedlichen Gründen nicht immer möglich ist. Ein Grund dafür ist, dass zum Beispiel vorher eine Stellungnahme einer fachlich zuständigen Behörde eingeholt werden muss. Die Hauptursache liegt jedoch – das hört sich aus meinem Mund jetzt vielleicht etwas komisch an – in den oft begrenzten Personalkapazitäten

(Heiterkeit und Zurufe von den LINKEN und den BÜNDNISGRÜNEN)

und den endlichen Haushaltsmitteln, die wir im Freistaat Sachsen zur Verfügung haben.

(Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Herr Barth, der war gut!)

Mit einem Wort: Die Ressourcen sind knapp. Lange Bearbeitungszeiten kommen, obwohl wir uns alle hier im Haus diese nicht wünschen, vor. Daher, Herr Gebhardt: Ihr Anliegen ist verständlich.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Aber?)

Ihr gangbarer Weg allerdings ist nicht ersichtlich; denn nach Ablauf von sechs Wochen wollen Sie im Extremfall einen Antrag einfach als bewilligt fingieren. Dagegen sprechen sehr viele Gründe, und einige wichtige will ich Ihnen jetzt vorlegen:

Erstens bleibt vollkommen ungeklärt, welchen Inhalt das Zuwendungsverhältnis hat, wenn die Frist abgelaufen ist. Im Gegensatz zur Genehmigungsfiktion des § 42 a Verwaltungsverfahrensgesetz gibt es im Zuwendungsrecht keinen vorher festgelegten Anspruch, der inhaltlich konkret genug ist, um zu wissen, wie es in einer Entscheidung aussehen würde. Die Förderrichtlinie kann nicht Inhalt der Bewilligung sein; denn die Förderrichtlinie bindet nur innerhalb der Verwaltung und hat keinerlei Außenwirkung.

Aus dem Antrag lassen sich gerade noch Zweckbestimmung und Höhe der Zuwendung ableiten. Ohne Zuwendungsbescheid würde aber unklar bleiben, zu welchem Termin, nach welchem Verfahren die Auszahlung erfolgt, wie beispielsweise die Verwendungsnachweisprüfung vorgenommen werden sollte. Das sind alles Regelungen, die gemäß § 44 der Sächsischen Haushaltsordnung zwingend – Herr Gebhardt, zwingend! – in einem Zuwendungsbescheid festzulegen sind. Deshalb klappt Ihre Bewilligung schon wegen § 44 nicht.

Ohne einen Bescheid, der Inhalt und Verfahren regelt und damit das Zuwendungsverhältnis inhaltlich ausgestaltet, wäre ein solch fingierter Verwaltungsakt zu unbestimmt,

um den Anforderungen des Verwaltungsverfahrensrechts zu genügen.

Zweitens setzt die Bewilligungsfunktion ein Verfahren voraus, in dem alle Anträge für das Förderprogramm in einem kurzen Zeitraum eingehen; ansonsten hätte die Bewilligungsstelle bei beschränkten Haushaltsmitteln keinen Überblick über alle Anträge, bevor sie Entscheidungen treffen müsste. Werden Anträge, die sie zum Beispiel für vorzüglich hält, erst später gestellt, wenn die Haushaltsmittel aufgrund einer Bewilligungsfunktion schon gebunden sind, muss sie diese Anträge ablehnen. Der Gesetzentwurf führt daher noch mehr als bisher, meine Damen und Herren, zu einem Windhundrennen um die beschränkten Fördermittel, und das kann auch nicht im sachlichen Interesse des Freistaates Sachsen sein.