Protokoll der Sitzung vom 01.06.2023

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 72. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags.

Folgender Abgeordneter hat sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Herr Hahn.

Die Tagesordnung liegt Ihnen vor, und ich erinnere an unseren gestrigen Beschluss, den vertagten Tagesordnungspunkt 2, Wahl von fünf Sachverständigen des 6. Medienrates der Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien, heute als Tagesordnungspunkt 1 zu behandeln. Die bisherigen Tagesordnungspunkte verschieben sich damit um eine Stelle nach hinten.

(Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE, steht am Mikrofon.)

Jetzt sehe ich Herrn Kollegen Lippmann. Bleibt es dabei?

Sehr geehrter Herr Präsident! Manchmal ist es nicht so, wie man es hofft. Aufgrund dessen, dass einige Kolleginnen und Kollegen staubedingt nicht rechtzeitig zum Wahlaufruf hier wären, beantragen wir, den sechsten Wahlgang entsprechend hinter die erste Aktuelle Debatte zu verschieben.

Vielen Dank!

(Zurufe von der AfD – Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Ihr könnt ja dagegen stimmen!)

Wir haben den Antrag von Herrn Kollegen Lippmann gehört. Ich bringe diesen jetzt zur Abstimmung. Wer diesem gestellten Antrag zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Eine große Anzahl an Gegenstimmen. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist

der Tagesordnungspunkt verschoben und wird hinter der Aktuellen Stunde eingeordnet.

(Valentin Lippmann, BÜNDNISGRÜNE: Nach der ersten Aktuellen Debatte, wie beantragt!)

Nach der ersten Aktuellen Debatte, alles klar. Wir haben in unserer Aktuellen Stunde drei Aktuelle Debatten, und hinter der Aktuellen Debatte 1 wird jetzt die Wahl stattfinden. Das haben wir gerade beschlossen.

Ich fahre in meinen Ausführungen fort. Folgende Redezeiten hat das Präsidium für die Tagesordnungspunkte 4, 5, 8, 10 und 11 festgelegt: CDU 78 Minuten, AfD 59 Minuten, DIE LINKE 38 Minuten, BÜNDNISGRÜNE 34 Minuten, SPD 30 Minuten und Staatsregierung 56 Minuten. Die Redezeiten der Fraktionen und der Staatsregierung können auf die Tagesordnungspunkte je nach Bedarf verteilt werden. Die Gesamtredezeit je fraktionslosem Abgeordneten beträgt 6 Minuten und kann auf die Tagesordnungspunkte der Sitzung je nach Bedarf verteilt werden.

Meine Damen und Herren! Der Tagesordnungspunkt 13, Kleine Anfragen, ist zu streichen.

Ich sehe jetzt keine weiteren Änderungsvorschläge für – über einen haben wir abgestimmt – oder Widerspruch gegen die Tagesordnung. Die Tagesordnung der 72. Sitzung ist damit bestätigt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 1, die Aktuelle Stunde, auf.

(Zurufe – Der Präsident berät sich mit dem Präsidium.)

Noch einmal, ich wiederhole mich: Wir haben die Wahl hinter die erste Aktuelle Debatte geschoben. Wir haben uns gerade interpretativ verständigt. Wir bleiben bei der Tagesordnung, und die Aktuelle Stunde ist der Tagesordnungspunkt 2.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 2

Aktuelle Stunde

Erste Aktuelle Debatte: Fürs Leben lernen statt für Klausuren!

Mit dem Prozess „Bildungsland Sachsen 2030“ neue Wege wagen

Antrag der Fraktion SPD

Zweite Aktuelle Debatte: 17. Juni 1953: Gedenken an 70 Jahre Volksaufstand

Von der Sehnsucht nach und dem Bewahren von Freiheit

Antrag der Fraktion CDU

Dritte Aktuelle Debatte: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk –

staatsferner Journalismus oder Hofberichterstattung?

Antrag der Fraktion AfD

Die Verteilung der Gesamtredezeit der Fraktionen hat das Präsidium wie folgt vorgenommen: CDU 62 Minuten, AfD 47 Minuten, DIE LINKE 24 Minuten, BÜNDNISGRÜNE

21 Minuten, SPD 23 Minuten und die Staatsregierung dreimal 10 Minuten, wenn gewünscht.

Wir kommen zu

Erste Aktuelle Debatte

Fürs Leben lernen statt für Klausuren! Mit dem

Prozess „Bildungsland Sachsen 2030“ neue Wege wagen

Antrag der Fraktion SPD

Als Antragstellerin hat zunächst die Fraktion der SPD das Wort; dann folgen CDU, AfD, DIE LINKE, BÜNDNISGRÜNE, fraktionslose MdL, wenn gewünscht, und die Staatsregierung. Als Antragstellerin hat zuerst die SPD das Wort. Das Wort ergreift Frau Kollegin Friedel.

Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Kultusministerium hat vor wenigen Wochen den Prozess „Bildungsland Sachsen 2030“ gestartet. Das heißt, in den kommenden Monaten diskutieren in Sachsen viele Bürgerinnen und Bürger, Schüler, Eltern, Lehrkräfte, aber auch Unternehmerinnen und Unternehmer, Beschäftigte, Großeltern, Vertreter aus Wissenschaft und Verwaltung darüber, wie die Schule der Zukunft aussehen soll. Mit welchem Unterricht, mit welchen Lernformen und vor allem mit welchen Inhalten rüsten wir die Kinder und Jugendlichen für ihr Leben aus?

Die Debatte heute dient aus unserer Sicht vor allem einem Ziel: der Ermutigung. Wir wollen diejenigen, die in den kommenden Monaten miteinander debattieren, dazu ermutigen, weit in die Zukunft zu schauen; denn wer heute in die Schule kommt, wird Ende der Dreißigerjahre ins Berufsleben einsteigen, Ende der Vierzigerjahre eine Familie gründen und Ende der Fünfzigerjahre mitten im Leben stehen. Deshalb ist es sinnvoll, den Mut zu haben, in eine Zeit hineinzudenken, die weiter – oder genauso weit – vor uns liegt, wie die letzten Jahre der DDR hinter uns liegen.

Wir wollen dazu ermutigen, vermeintliche Gewissheiten zu hinterfragen. Ich fange einmal bei uns, bei der SPD an. Natürlich greift es für uns viel zu kurz, die Schule nur als Vorbereitung auf das Arbeitsleben zu sehen. Bildung ist ein Wert an sich, und sie darf nicht ökonomisiert werden. Deshalb stehen wir den Vorschlägen, Wirtschaft zum Schulfach zu machen, immer etwas skeptisch gegenüber.

Aber wir sind auch der Überzeugung, dass das Ziel von Bildung vor allem ist, Menschen zu selbstbestimmtem Handeln zu befähigen. Wir wissen, dass selbstbestimmtes Handeln besonders dann gelingt, wenn man über Handlungswissen verfügt, Strukturen erkennt, die eigenen Rechte versteht und Wirkmechanismen durchschaut. Da Wirtschaft und Arbeitswelt einen wichtigen Raum im Leben von uns allen einnehmen, muss man vielleicht doch einmal überlegen, ob das Handlungswissen in diesem Bereich der Schule eine größere Rolle spielen sollte.

Genauso sollten andere darüber nachdenken, dass die Bereiche Familie und Kinder, soziale Beziehungen und Gesellschaft auch einen wichtigen Raum im Leben von Menschen einnehmen und deshalb Handlungswissen in solchen Themenbereichen wie Kommunikation und Psychologie, Demokratie und Politik in der Schule eine größere Rolle spielen sollte.

Dann können wir alle einmal überlegen, wie viel Raum – im Vergleich zu den Themen Arbeit, Familie, soziale Beziehungen – in unserem Leben die binomischen Formeln, die drei Phasen der Französischen Revolution oder die Glaziale Serie einnehmen.

Damit komme ich zu einer nächsten Gewissheit. Man sagt bei solchen Themen immer: Na ja, die mögen nicht lebensrelevant sein, auch Auswendiglernen ist etwas Wichtiges; denn das ist das Gehirntraining, um das Lernen zu lernen. Selbst wenn das so ist, warum trainieren wir das Gehirn mit Dingen, die man später im Leben kaum braucht? Warum nicht mit Wissen zum Thema Erste Hilfe? Warum nicht mit Wissen dazu, wie man eine Lampenfassung richtig anschraubt, wie man einen Streit schlichtet, einen Kosten- und Finanzierungsplan aufstellt, Kinder gut erzieht oder Angehörige pflegt? Das scheinen mir jedenfalls Dinge zu sein, die alle von uns ziemlich oft im Leben brauchen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich brauchen wir auch Mathematik, wir brauchen Geografie, wir brauchen Geschichte – aber es ist an der Zeit, denke ich, diese Fächer anders zu unterrichten. Wir sollten das Wort „Allgemeinbildung“ in der Beschreibung „Allgemeinbildende Schule“ wirklich ernst nehmen: Allgemeinbildung mit einem starken Grundlagenwissen, das man übt, das man als Fähigkeit und nicht als für Klausuren auswendig Gelerntes mitnimmt. Wir sollten das dann auf diese grundlegenden Konzepte differenziert aufsetzen, an den Interessen und Neigungen der Schüler orientieren – und dies im fächerverbindenden Unterricht mit gemeinsamer Projektarbeit, bei der nicht jeder das Gleiche konsumiert, sondern sich die Schüler Wissen selbst erarbeiten können. Wer eine solche Schule verlässt, ist gut für das Leben gerüstet.

Damit komme ich zur letzten vermeintlichen Gewissheit, die wir alle gern sagen: dass uns die Schule, wie sie früher war, auch nicht geschadet hätte. Na ja, nicht schädlich ist noch kein Kompliment, und wenn man schaut: Klimakrise, Filterblasen, psychische Erkrankungen, Armut, Terrorismus – klar, die heutige Gesellschaft funktioniert irgendwie, aber um wie viel besser könnte sie funktionieren!

Wir sind froh, dass das Kultusministerium den Prozess gestartet hat. Wir wollen alle ermutigen, wirklich über die Zukunft zu sprechen und sich nicht in Diskussionen über Strukturen zu verlieren – denn haben sich alle so schön bequem in ihren Ecken eingerichtet –, sondern vor allem über die Inhalte zu sprechen. Das ist neu, das ist unbequem.

Die Redezeit!

Das ist mutig, und deshalb wünschen wir für diesen Prozess viel Energie.

Danke.