Auf Herrn Kollegen Peschel folgt jetzt Frau Kollegin Neuhaus-Wartenberg für die Fraktion DIE LINKE. Sie hat erneut das Wort.
Danke schön, Herr Präsident. Herr Peschel, ich muss Ihnen wirklich sehr deutlich widersprechen. Ich weiß nicht, ob Sie letzte Woche in einem anderen Estland waren als ich.
Kann vielleicht sein, ja. Ich glaube aber, Sie dort gesehen zu haben. Ich kann auch sagen, dass in all den Gesprächen, die wir dort geführt haben, eben nicht der Leistungsgedanke im Bildungssystem im Vordergrund stand, sondern dort sind Sätze gefallen wie: Niemand soll sitzenbleiben.
Es sind Sätze gefallen wie: Wenn Schülerinnen und Schüler etwas länger brauchen, um ihre Abschlüsse zu machen, ist das gar kein Problem. Wir gehen auf die unterschiedlichen Schülerinnen und Schüler ein, auf Langsamkeit, auf Geschwindigkeit im Allgemeinen usw. Vor allem ist mitgeteilt worden, dass es hauptsächlich darum geht, dass Bildung ein Leben lang halten muss und dass es vor allem der Umgang mit Wissen ist und nicht das von Ihnen Dargestellte. Das wollte ich noch einmal sagen.
Jetzt möchte ich etwas zu den Rahmenlehrplänen sagen. Wir haben das schon einmal beantragt und diskutiert, aber ich finde, dass es ein spannender Gedanke ist, der vom Ende her gedacht wird. So wurde es uns in Estland mitgeteilt. Die Zielformulierung und wie die einzelne Schule, die einzelne Lehrkraft zu diesem Ziel kommt, ist im Prinzip schulautonom möglich. Ich finde, das ist ein sehr diskutabler Gedanke.
Letzter Punkt. Ich hoffe, dass wir das Bildungsland 2030 und den Prozess, der jetzt begonnen hat, wirklich ernst nehmen und zum Erfolg führen. Ich denke, die Verantwortung liegt nicht nur beim Hohen Haus. Es gibt Zungen, die prophezeien – ob ich das teile oder nicht, steht auf einem anderen Blatt –, dass das hoffentlich nicht nur ein Alibi dafür
ist, dass wir davon ausgehen, dass in fünf Jahren die Schülerzahl sowieso wieder gesunken ist und wir das jetzt nur irgendwie überbrücken müssen. Das wäre dramatisch. Selbst wenn wir in fünf Jahren weniger Schülerinnen und Schüler hätten, kann ich nur sagen, wäre es eine ganz wunderbare Vorstellung, dass eine Lehrkraft dann nicht vor 27 Schülern steht, sondern vor 15. Das ist kein finanzielles Problem, sondern eine gute Sache.
Das war Frau Kollegin Neuhaus-Wartenberg, Fraktion DIE LINKE. Jetzt spricht zu uns Frau Kollegin Melcher, Fraktion BÜNDNISGRÜNE.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich höre die Unkenrufe, und sie kamen zum Teil in der Debatte vor: Es ist schon klar, was da rauskommt. Wer soll es denn am Ende machen? Haben wir nicht andere Probleme in der Bildungspolitik?
Ich bin nicht bereit, mich davon entmutigen zu lassen. Ich möchte den Ball von Frau Friedel in ihrem Eingangsstatement aufgreifen: Es geht hier vor allem um Ermutigung. Uns allen ist doch klar, dass während der Corona-Pandemie alle Beteiligten an Schulen – Eltern, Schüler, Lehrkräfte – neu, anders und auch intensiver auf Schule geschaut haben. Lassen Sie uns doch diesen Schwung mitnehmen, um gemeinsam neue Ideen für die Schule der Zukunft zu entwickeln.
Auch ich habe meine ganz persönlichen Antworten auf die eine oder andere aufgeworfene Frage. Wir BÜNDNISGRÜNE haben Ideen, wie die Schule der Zukunft aussehen soll. Wir wollen eine moderne, eine gerechte, eine demokratische Schule. Wir wollen kein Kind zurücklassen, und wir wollen die beste Bildung für alle.
Der Prozess „Bildungsland Sachsen 2030“ hat aber gerade erst begonnen. Wir sind gut beraten, die Ergebnisse der Foren abzuwarten. Das ist auch eine Frage des Respekts und der Wertschätzung. Gelungene Beteiligung heißt eben Ergebnisse nicht vorwegzunehmen, die Debatte nicht mit den eigenen Vorstellungen zu überstülpen und auch die Chance auf Veränderung weder kleinzureden noch zu überhöhen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die echte Herausforderung wird ohnehin die Umsetzung sein. Bei der Umsetzung braucht es aus meiner Sicht mehr als gute Argumente. Wir brauchen die Bildungsakteure vor Ort. Wir brauchen Verbündete und die echte Bereitschaft zur Veränderung. Nur dann kann dieser Beteiligungsprozess auch ein Reformprozess sein. Ich bin und bleibe zuversichtlich, dass uns das mit diesem Prozess gelingen kann.
Mit Frau Kollegin Melcher endet die zweite Runde. Jetzt frage ich die einbringende Fraktion: Wollen Sie eine dritte Runde eröffnen? – Das Kopfschütteln signalisiert mir, dass das nicht der Fall ist. Gibt es weiteren Redebedarf bei den Fraktionen? – Den kann ich nicht feststellen. Damit ergreift die Staatsregierung das Wort; Herr Staatsminister Christian Piwarz, bitte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unserem sächsischen Bildungssystem wird seit Jahren in nationalen und internationalen Leistungsvergleichen eine hohe Qualität bestätigt. Das ist vor allem das Ergebnis der hervorragenden Arbeit in unseren Schulen und in den Kindertageseinrichtungen.
In der Bildung heißt Stillstand aber Rückschritt. Deshalb haben wir in Sachsen unser Bildungssystem behutsam, aber stetig weiterentwickelt und auf neue Anforderungen und Möglichkeiten reagiert. Das wollen und müssen wir fortsetzen. Es wäre aber fahrlässig, Erfolgreiches und Bewährtes unüberlegt über Bord zu werfen. Neue Wege wagen? Ja, aber nur, weil man etwas neu oder anders macht, bedeutet das nicht automatisch, dass man es besser macht. Das zeigten in der Vergangenheit bereits zahlreiche Schulstrukturreformen anderer Bundesländer.
Gleichzeitig können wir uns auf den Ergebnissen Sachsens nicht ausruhen. Selbstzufriedenheit wäre gefährlich. Es bedarf einer kontinuierlichen, einer wohlüberlegten, evolutionären Weiterentwicklung, insbesondere mit Blick auf gesamtgesellschaftliche Veränderungsprozesse. Ich denke da beispielsweise an Megatrends wie die Digitalisierung und KI-Systeme wie ChatGPT, welche die Rahmenbedingungen von Unterricht und Lernen neu definieren, oder die Migration und gestiegene Mobilität auch aufgrund von Krisen und Kriegen. Oder an das gesteigerte Bewusstsein für Nachhaltigkeit, welche die Frage eines effizienten und gesunden Umgangs mit Ressourcen, insbesondere auch Personalressourcen, in den Mittelpunkt rückt. Oder ich denke an die zunehmende Heterogenität, Dynamik und Unvorhersehbarkeit unserer Gesellschaft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gilt klug zu überlegen, wie wir unsere sächsischen Schulen und unsere Schülerinnen und Schüler für diese und kommende Anforderungen vorbereiten. Aber was macht eigentlich gute Schule, was macht gute Bildung aus? Die Meinungen und Vorstellungen darüber liegen mitunter weit auseinander. Sie sind geprägt durch eigene Bildungserfahrungen oder die Erfahrungen aus der Familie oder dem beruflichen Kontext. Neue Wege können nur gelingen, wenn sie breite Akzeptanz finden. Wir können aus meiner Sicht nur an einem breiten Diskurs diese Wege definieren. Deshalb habe ich das Projekt „Bildungsland Sachsen 2030“ ins Leben gerufen. Es zielt darauf ab, unser qualitativ gutes Bildungssystem mit einer ganzheitlichen Strategie mittel- und langfristig weiterzuentwickeln. In einem breiten Dialog
sollen dabei Antworten auf die genannten Herausforderungen der Zeit und auf die ungelösten Fragen gefunden werden.
Wir müssen zum Beispiel darüber diskutieren, was junge Menschen wissen und können müssen, wenn sie mit einem Abschluss unsere Schulen verlassen. Wie können wir die Möglichkeiten der Digitalisierung für einen effizienten Umgang mit unseren Ressourcen oder für individuelle personalisierte Lernphasen nutzen? Wie können wir interdisziplinäres und vernetztes Lernen stärker fördern? Welche weiteren Professionen neben den Lehrkräften braucht es künftig an Schulen? Wie können wir unsere Schulen öffnen, personell wie räumlich, also externe Partner, externe Lernorte viel stärker in den Bildungsprozess einbinden? Wie schaffen wir es bei zunehmender Heterogenität in den Klassen jeden bestmöglich zu fördern? Welche räumlichen und technisch-digitalen Voraussetzungen braucht es zukünftig? Wie können wir den Wunsch nach mehr Freiraum und einer an den Interessen der Schüler orientierten Unterrichtsgestaltung mit dem Anspruch auf einheitliche Standards und eine höhere Vergleichbarkeit der Abschlüsse vereinbaren?
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Rahmen des Projekts „Bildungsland Sachsen 2030“ läuft in diesem Jahr ein umfassender und öffentlicher Beratungsprozess mit zahlreichen Institutionen und Perspektiven. Genau die braucht es für ein Vorhaben wie dieses. Als Diskussionsgrundlage dient dabei ein Konzeptionsentwurf mit 16 strategischen Zielen für die Handlungsfelder Lernen, Steuerung, Professionalisierung und Infrastruktur. So heißt es in dem öffentlich zugänglichen Entwurf als Zielbeschreibung unter anderem: „2030 gestalten die sächsischen Schulen alle Lern- und Leistungssituationen anwendungs- und kompetenzorientiert. Vielfältige Formen der Rückmeldung und Leistungsbewertung stehen gleichberechtigt nebeneinander. Selbstverständlich wird in dem Projekt über die Rolle von Leistungsbewertung, von lernförderlichen Rückmeldeverfahren und Prüfungsformaten diskutiert. Es muss uns gelingen ein hohes Leistungsniveau zu sichern und dafür die am besten geeigneten unterrichtlichen Vorgehensweisen und Werkzeuge bereitzustellen.“ An anderer Stelle heißt es im Konzeptionsentwurf: „In einer globalisierten und komplexen Welt lassen sich gesellschaftliche Herausforderungen und Probleme kaum in abgetrennten Fächern darstellen, sondern sind interdisziplinär und kooperativ zu bewältigen. Dies ist auch in den schulischen Lernprozessen abzubilden und die Balance zwischen Fachunterricht und fachübergreifendem fächerverbindenden Lernen neu auszutarieren.“
Natürlich werden wir darüber sprechen müssen, wie wir unsere Lehrpläne zukünftig regelmäßig aktualisieren. Wir werden darüber sprechen, wie wir Querschnittsthemen noch besser integrieren und über die Fächergrenzen hinweg vernetztes Denken und interdisziplinäres Arbeiten fördern können.
Als erstes Ziel haben wir uns gesetzt, dass 2030 „der Schulalltag im Sinne des ganzheitlichen und nachhaltigen Lernens unter Berücksichtigung der Bedürfnisse und Ressourcen aller schulischen Akteure“ gestaltet wird. Es wird um einen gesunden Schulalltag und die Möglichkeiten von mehr Selbst- und Mitbestimmung gehen müssen; selbstverständlich mit dem Ziel, Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, aktuell beraten 84 Expertinnen und Experten über konkrete Maßnahmen und Handlungsempfehlungen – Expertinnen und Experten aus der Wissenschaft, Schulleitungen, Lehrkräfte, Vertreter der Schulträger, des Landesschülerrates, des Landeselternrates, der Personalvertretungen der Kirchen, Lehramtsstudenten und weitere Personen. Alle Personen investieren hier ihre Zeit und ihre Expertise – wohlgemerkt ehrenamtlich. Dafür an dieser Stelle herzlichen Dank!
Am 28. Juni, also in wenigen Wochen, werden die Expertenräte ihre Empfehlungen vorstellen, und wir werden die Ergebnisse für alle Interessierten auf der Projektwebsite veröffentlichen. Wichtig war uns aber auch, dass die Empfehlungen aus den regionalen Perspektiven – aus Bautzen, Chemnitz, Zwickau, Dresden und Leipzig – von einer schulnahen Öffentlichkeit diskutiert und bewertet werden. Ein weiterer Praxischeck erfolgt unter anderem durch eine beratende Gruppe mit circa 50 Schulleiterinnen und Schulleitern. Ende dieses Jahres wird dann ein Katalog an abgestimmten Empfehlungen und Rückmeldungen vorliegen,
Mit Blick auf andere Bundesländer ist der Freistaat mit einem solchen systematischen strategischen Prozess Vorreiter. Basierend auf einer breiten Beteiligung und einer hohen fachlichen Expertise wollen wir wohlüberlegt neue Wege gehen. Wir sichern so auch in Zukunft eine hohe Bildungsqualität im sächsischen Schulsystem, damit Schülerinnen und Schüler weiterhin mit grundlegendem Wissen, mit Kompetenzen und einer soliden Werteorientierung auf das Leben vorbereitet werden. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse. Klar ist: Einiges können wir sicher sofort realisieren, anderes wird aber Zeit zur Vorbereitung brauchen.
Schon heute werbe ich um Ihre Unterstützung, damit wir die Empfehlungen umsetzen und neue Wege gehen können. Ich fand die Debatte hier im Hohen Hause sehr wohltuend und angenehm sachlich. Bis auf eine Fraktion freue ich mich auch über die zugesagte Unterstützung für den weiteren Prozess. Ich bin sehr gespannt, was dabei am Ende herauskommt.
Für die Staatsregierung hatte gerade Herr Staatsminister Piwarz das Wort. Gibt es weiteren Redebedarf in den Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. Die erste Aktuelle Debatte ist damit abgeschlossen.
Nachdem in unserer gestrigen Sitzung nur drei Kandidaten die notwendige Zweidrittelmehrheit erreicht haben, ist ein weiterer Wahlgang zur Wahl der verbleibenden zwei Positionen erforderlich. Bevor ich die Wahlkommission um den Aufruf des sechsten Wahlganges bitte, rufe ich nochmals die gesetzlichen Vorgaben zur Wahl in Erinnerung.
Ich erinnere Sie und weise darauf hin, dass wir gemäß § 31 Abs. 2 des Sächsischen Privatrundfunkgesetzes wählen, und zwar mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Sächsischen Landtags. Hierfür ist eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.
Wir kommen jetzt zum sechsten Wahlgang. Meine Damen und Herren, zur Durchführung der Wahl berufe ich folgende Wahlkommission: Herrn Jan Hippold, CDU, als Leiter, Herrn Holger Henschel, AfD, Herrn Nico Brünler, DIE LINKE, Herrn Dr. Daniel Gerber, BÜNDNISGRÜNE, sowie Herrn Albrecht Pallas, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Abgeordneten werden wie immer in alphabetischer Reihenfolge aufgerufen. Wir beginnen mit der Wahl.