Protokoll der Sitzung vom 21.09.2023

Und ich habe zum Schluss gesagt, ich würde es durchdenken – „durchdenken“ heißt nicht, es heute oder morgen umsetzen –, zu einer Bildungspflicht zu kommen. Das sagen mir übrigens auch viele Eltern aus vernünftigen Elternhäusern: In einer 28-Mann-starken Klasse, die wir in Sachsen leider haben und in den nächsten Jahren immer noch haben werden, geht mein Kind unter; ich bin selbst besser in der Lage, den Unterricht zu Hause durchzuführen. Wir sollten es ordentlich abprüfen. Das bedeutet nicht: Alle machen irgendwas zu Hause, und wir überlassen die Kinder den Eltern. – Nein, das heißt für mich: Wir durchdenken das einmal. Wir können dazu gern eine Anhörung im Landtag machen und das vernünftig miteinander im Fachausschuss diskutieren: Wie könnte so etwas aussehen, wenn Eltern im

Einzelfall sagen, dass sie es sich gut vorstellen können, ihr Kind zu Hause zu unterrichten?

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Dann muss das im System möglich sein. Jedenfalls bin ich dazu bereit, das zu durchdenken oder wenigstens einmal zu diskutieren.

(Petra Čagalj Sejdi, BÜNDNISGRÜNE: Es gibt eine Schulpflicht in Deutschland!)

Einmal im Monat oder im Quartal muss eine Lernstandserhebung über die Schule stattfinden, damit wir die Kinder nicht aus dem System verlieren und nach zehn Jahren sagen: Oh, die haben ja gar nichts beigebracht bekommen. – Das ist es, was ich zu durchdenken habe, ohne zu 100 % zu sagen: Alles Freilerner! Alle dürfen machen, was sie wollen! – Nein, das bedeutet es nicht. Es heißt aber gleichzeitig, dass Bildung auch zu Hause möglich sein soll.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD – Sabine Friedel, SPD, steht am Mikrofon.)

Eine Kurzintervention; Frau Abg. Friedel.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Das Durchdenken ist ja nicht verkehrt. Wir haben das schon vor einer ganzen Weile gemacht, und ich denke, wir alle zusammen haben es auch vor ungefähr 100 Jahren gemacht, als die Schulpflicht eingeführt worden ist.

Herr Weigand, Sie sagen, dass im Einzelfall eine alternative Beschulung von Schülerinnen und Schülern möglich sein müsse, wenn die reguläre Schule nicht der richtige Ort ist. Das ist schon jetzt der Fall. Das steht auch im Schulgesetz und dafür gibt es eine ganze Reihe von alternativen Formen. Ich glaube aber, darauf wollen Sie gar nicht hinaus; denn Sie stellen das Thema ja nicht umsonst in Bezug zum Lehrermangel.

Ich halte es für eine wirklich fatale Idee, aufgrund des Lehrermangels – gerade in den ländlichen Räumen – zu sagen: Wir müssen mal darüber nachdenken, ob wir die Schulpflicht wirklich aufrechterhalten oder ob wir daraus nicht eine Bildungspflicht machen, damit die Eltern die Kinder im Notfall zu Hause unterrichten können.

Corona hat uns zum letzten Mal, aber nicht zum einzigen Mal gezeigt, dass es für Kinder unwahrscheinlich wichtig ist, andere Kinder um sich zu haben. Schule ist doch mehr als nur ein Ort des Lernens. Es ist vor allem ein Ort der Sozialisation mit Gleichaltrigen. Es wäre völlig fatal – und das ist auch ein Grund für die Schulpflicht –, wenn man Kindern diese Umwelt einfach entzieht.

Sie werden jetzt sagen, Sie hätten das nicht so gemeint; das ist völlig klar. Ich muss Ihnen trotzdem sagen: Gerade angesichts der Zeiten von Corona, als Sie anders unterwegs waren und sich eine gewisse Landschaft des alternativen Unterrichtens herausgebildet hat, die weit in die Reichsbürgerszene hineingeht, sollte man meiner Meinung nach sehr

vorsichtig sein, wenn man anfangen will, Dinge zu durchdenken.

Nicht zuletzt ist es auch ein wenig bigott. Sie sind die gleiche Fraktion, die sich unfassbar über den Friday und darüber, wenn Kinder und Jugendliche, um andere Erfahrungen zu machen, mal ein paar Stunden nicht in der Schule sind, sondern draußen in der Welt, um zu demonstrieren oder sich mit der Umwelt auseinanderzusetzen, aufregt. Und jetzt sollen sie gleich gar nicht mehr hingehen? Das ist schon irgendwie widersprüchlich.

Danke.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Herr Dr. Weigand, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Ich gehe gleich einmal auf das zuletzt Gesagte ein. Also, ich weiß nicht, was Kinder auf einer Demonstration lernen, insbesondere wenn sie, wie in Leipzig, noch gegen ihren Willen dazu gezwungen werden.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Sie sind nicht gezwungen worden!)

Erst ganz zum Schluss – Herr Piwarz hat dann noch die Möglichkeit, meine Kleinen Anfragen, was hier in Schulen überhaupt abgeht, zu beantworten – wurde es ermöglicht, irgendwie eine Tür aufzumachen.

Sie haben in Ihrem Redebeitrag gerade wunderschön Äpfel mit Birnen verglichen. Wir sind jetzt eben nicht mehr in der Corona-Zeit. In der Corona-Zeit waren die Schulen geschlossen. Es war verboten, auf Spielplätzen unterwegs zu sein. Die Sportvereine waren nicht mehr aktiv.

(Sabine Friedel, SPD: Das ist ja jetzt nicht mehr!)

Alles haben Sie hier herunter- und das System an die Wand gefahren.

Uns geht es darum, dass diese sozialen Orte, die Vereine etc. jetzt wieder aktiv sind. Dort können sich die Kinder treffen. Wenn ich im ländlichen Raum unterwegs bin, dann spreche ich mit vielen Eltern, die eine vernünftige Bildungsgeschichte haben. Sie sagen: Ich kann mir das gut vorstellen, das hat mir Corona gezeigt und das will ich durchdenken.

Dazu, was Sie als Angstgespenst aufgemacht haben, habe ich gesagt, es muss klare Regeln geben,

(Sabine Friedel, SPD: Die gibt es!)

mit denen wir Bildungsstände immer wieder abfragen. Ja, wir haben für einzelne Kinder die Möglichkeit. Es müssen gewisse Voraussetzungen vorhanden sein, die aber nicht für alle Kinder gelten. Deren Eltern sagen jetzt: Ich möchte gerne mein Kind zu Hause unterrichten.

(Zurufe der Abg. Sabine Friedel, SPD, und Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Ich möchte es durchdenken, aber mit klaren Regeln, ohne irgendwelche Angstgespenster aufzumachen, wie Sie es gemacht haben mit einer Reichsbürgerszene und der Corona-Zeit, als alles zu war. Das mit jetzt zu vergleichen, wobei die Kinder soziale Orte haben, wobei sie im Verein Musik machen können, wobei sie im Verein Sport miteinander treiben – –

(Sabine Friedel, SPD: Sie sind im Sportverein!)

Am Nachmittag. Sie haben von sozialen Orten gesprochen. Sie haben die Corona-Zeit mit jetzt verglichen,

(Sabine Friedel, SPD: Nein!)

und da vergleichen Sie einfach Äpfel mit Birnen.

(Beifall bei der AfD – Lars Kuppi, AfD: Einfach mal zuhören!)

Meine Damen und Herren! Es gibt keinen Redebedarf vonseiten der Fraktionen mehr. Herr Staatsminister hat nun das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unter dem Titel dieser Aktuellen Debatte lässt sich nahezu alles an schulpolitischen Themen subsumieren. Man hat, glaube ich, in der Debatte gemerkt, dass wir alles immer nur ein Stück weit gestreift haben; aber trotzdem ist es gut, darüber zu diskutieren.

Am Anfang meiner Rede will ich noch einmal festhalten, was Holger Gasse gesagt hat: Es kommt nicht von ungefähr, dass Sachsen auch das 18. Jahr in Folge auf Platz 1 des Bildungsmonitors steht. Das sollte man schon würdigen und als Leistung derer, die im Bildungssystem arbeiten, klipp und klar anerkennen.

(Beifall bei der CDU)

Neben dem Positiven wurmt es mich natürlich, dass auch wir in diesem Bildungsmonitor leicht verloren haben: zwei Punkte von 65 auf 63. Das ist nicht gut und das gibt uns zu denken. Was mir aber mehr zu denken gibt, ist, dass der Abstand zu unseren Verfolgern und zu vielen anderen Bundesländern sogar noch größer geworden ist. Wenn ich sage, die 63 % stellen mich nicht zufrieden und ich will, dass wir eher nach oben gehen, dann frage ich mich ernsthaft: Wie muss solch eine Debatte, die wir hier völlig zu Recht führen, eigentlich in Bremen stattfinden, die auf ganze 36 Punkte kommen und dabei noch einmal fünf Punkte verloren haben?

(Zuruf des Abg. Sören Voigt, CDU)

Das ist das, was mir in der Gesamtdebatte Angst macht, und ich würde mich freuen, wenn wir in ganz Deutschland über das Thema so diskutieren, wie wir es auch hier im Sächsischen Landtag tun.

Klar ist: Ein Bildungssystem hört dann auf, gut zu sein, wenn es sich nicht mehr weiterentwickelt. Genau an dieser Weiterentwicklung sind wir dran. Wir denken weiter. Wir

orientieren uns an den gesellschaftlichen Herausforderungen und an globalen Trends. Wir blicken auf die vielfältigen Möglichkeiten der Digitalisierung. Wir denken weiter – nicht nur unter uns, sondern gemeinsam mit Expertinnen und Experten verschiedener Professionen und mit allen an Schule Beteiligten und Interessierten. Das Ganze – es ist schon angesprochen worden – tun wir in unserem Diskussionsprozess „Bildungsland Sachsen 2030“.

Die Handlungsfelder wurden partizipativ bestimmt. Wir haben nunmehr 218 ganz konkrete Vorschläge in den Expertenrunden erarbeitet. Es ärgert mich ein bisschen, dass nur das Thema „Keine Noten mehr?“ alles dominiert. Ich würde mir wünschen, dass man genauer hineinschaut, weil dort viele, ganz spannende Vorschläge enthalten sind, die wir jetzt weiter diskutieren.

Einige Punkte sind hier angesprochen worden. Ich will darauf gar nicht im Detail eingehen. Wichtig ist mir: Wir führen diesen Prozess weiter – im Moment mit 200 ausgelosten Teilnehmerinnen und Teilnehmern in vier Bildungsforen –, über ganz Sachsen verteilt. Wir werden das Ganze mit den Schulträgern abschließend beraten und zum Schluss mit Schulleiterinnen und Schulleitern.

Klar ist: Der Lern- und Lebensort Schule und das Lehren und Lernen werden sich verändern. Ja, sie werden sich verändern müssen, um unsere Kinder und Jugendlichen für ihr Leben und die sich schnell wandelnde Arbeitswelt fit zu machen. Schule muss die Gestalter von morgen mit anwendbarem Wissen und Kompetenzen befähigen, souverän mit neuen Situationen umzugehen.

Welche Veränderungen im System Schule zielführend, notwendig und umsetzbar sind, das kann nach meiner festen Überzeugung nur durch die Einbeziehung vieler Perspektiven erarbeitet werden. Unabhängig von den Ergebnissen des Strategieprozesses müssen wir fortwährend unsere Hausaufgaben machen. Das tun wir, und das konsequent und seit Jahren.

Zum einen steht die große Aufgabe, den Unterricht flächendeckend abzusichern. Deutschlandweit – und ich betone das – fehlen die Lehrkräfte. In allen Branchen werden aufgrund der demografischen Entwicklung händeringend Fachkräfte gesucht, und in unserem Bildungssystem kommt hinzu, dass sich die steigenden Kinderzahlen – wenn man es so sagen will – negativ auswirken.

Die gestern von der Kultusministerkonferenz veröffentlichten Berechnungen gehen von einem Anstieg bis 2035 von 9,6 % aus. Das würde für ganz Deutschland knapp eine Million zusätzliche Schülerinnen und Schüler gegenüber dem Jahr 2022 bedeuten.