Im Frühjahr und im Sommer 1989 war die Regierung auch der Meinung, dass die Demokratie in Gefahr sei. Sie nannten das damals „Demokratie“. Auch damals hat die Regierung inszenierte Demonstrationen gegen die Gefahr von rechts und gegen die Gefährdung der Demokratie durchgeführt.
Das ist der Punkt, an dem wir angekommen sind. Die Menschen glauben Ihnen diese Inszenierungen nicht mehr. Sie können sich hier im Parlament die Welt natürlich schönreden. Die Menschen glauben Ihnen aber nicht mehr, und inszenierte Demonstrationen werden unsere Demokratie nicht retten.
Was unsere Demokratie braucht, ist ein freier, ehrlicher Meinungsaustausch und nicht eine von Lügen durchsetzte Debatte, wie Sie sie gerade geführt haben.
Das war Kollege Urban. Gibt es jetzt noch weiteren Redebedarf aus den Fraktionen heraus? – Das ist nicht der Fall. Nun kommt die Staatsregierung zum Zuge. Herr Staatsminister Schenk, Sie ergreifen das Wort; bitte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir erleben herausfordernde Zeiten. Wir sehen Zehntausende Landwirte auf den Straßen in ganz Deutschland.
Sie sind in Sorge um ihre Heimat. Sie, die sich um ihre Kulturlandschaft, um ihre Heimat kümmern, werden belastet, statt sie wertzuschätzen. Aus diesem Grund werden wir als Staatsregierung dieser Kürzung, diesen Einschnitten nicht zustimmen.
Aber die Sorgen sind größer; sie gehen über einzelne Berufsgruppen hinaus. Wir sehen Hunderttausende in ganz Deutschland auf den Straßen, auch in unserem Freistaat. Sie sind besorgt um unser Land. Sie wollen nicht, dass aus einem freien, menschenfreundlichen und demokratischen Land ein sich verschließendes, grimmiges Land wird, das fremden Menschen mit pauschalem Verdacht und offener Geringschätzung begegnet.
Viele haben den Eindruck, dass manche Positionen in der Öffentlichkeit einen Raum einnehmen, der ihnen nicht zusteht; das teile ich. Diese Demonstrationen hatten etwas, was ich mir für unser Land und was ich mir für jeden Menschen wünsche: Diese Demonstrationen setzen sich für etwas ein – für die Demokratie, für ein respektvolles Miteinander und für ein offenes Gemeinwesen. Manche atmeten richtiggehend auf bei der Erkenntnis, dass die Straße nicht mehr nur in der Hand derer ist, für die Verweigerung und Geringschätzung als Prinzip gelten.
Die Menschen waren erleichtert, als sie sahen, dass sie nicht allein sind mit ihrem Unbehagen über die demokratiefeindlichen Äußerungen und vor allem über die Abschätzigkeit, mit der über das Land und über die Menschen gesprochen wird, die aus anderen Ländern und Regionen nach Deutschland kommen.
Mitten hinein in diese Zeit kommen jetzt die Erhebungen des Sachsen-Monitors. Er zeigt – wie viele Untersuchungen – den Widerspruch zwischen der Einschätzung der eigenen Lage und der Wahrnehmung der Gesamtlage. Die Menschen sehen für sich selbst und ihre Kinder die Zukunft durchaus optimistisch; unser Land aber sehen sie in schlechter Verfassung.
Was uns besonders aufhorchen lässt, ist der Vertrauensverlust in die Institutionen. Die Institutionen stehen dafür, wie wir in unserem Land Lösungen für viele Fragen des politischen und gesellschaftlichen Lebens finden und wie wir mit Konflikten umgehen. Sie stehen für das Gemeinwohl, die Gerechtigkeit und die Zukunftsfähigkeit dieses Landes. Sie stehen dafür, dass das Gemeinwohl immer über der eigenen Laune, der privaten Weltanschauung steht.
Institutionen wie die Parlamente stehen dafür, dass in der sachorientierten Debatte die verschiedenen politischen
Meine Damen und Herren! Demokratie ist etwas Lebendiges und Bewegliches. Demokratie lebt nicht vom Stillstand, der Fixierung oder der einsamen Entscheidung, sondern ihr Prinzip besteht darin, ihre Entscheidungen von mehreren Schultern tragen zu lassen.
Nein. – Sie lebt davon, Kompromisse zu erarbeiten, die dann von einer großen Mehrheit mitgetragen werden. Das hat Deutschland, das hat Sachsen so stark gemacht.
Wenn unsere Institutionen an Glaubwürdigkeit verloren haben, dann ist das für uns alle ein Alarmzeichen. Die Institutionen stehen für die Spielregeln, die wir uns in unserem Land gegeben haben. Verlieren die Institutionen an Glaubwürdigkeit, steht das für den Vertrauensverlust in unsere Spielregeln.
Der Erfolg unseres Staates bemisst sich an der Lösung von realen Problemen und an der Bewältigung ganz konkreter Herausforderungen, die den Alltag der Menschen in diesem Land betreffen. Wir müssen die Probleme der Menschen in diesem Land klar benennen. Es nützt nichts, aus Sorge vor der Unterstützung durch die Falschen vorhandene Probleme nicht anzusprechen. Das nützt am Ende nur den Populisten und Extremisten. In den Farben getrennt, als Demokraten geeint!
Wir leben in einer Zeit, in der Veränderungen vor uns stehen. Wir müssen unsere Wirtschaft und unser gesamtes Gemeinwesen für einen weltweiten Wettbewerb aufstellen. Auch unsere Demokratie steht im weltweiten Wettbewerb mit Autokratien und Diktaturen, die scheinbar – aber nur scheinbar – einfache Lösungen feilbieten.
Mehr als 70 % der Weltbevölkerung lebt in autoritären oder teilautoritären Systemen. Deshalb geht die Frage dazu über Sachsen und Deutschland hinaus: Wie können wir 450 Millionen Europäer, etwa 5 % der Weltbevölkerung, mit unseren Werten bestehen? Wie können wir unsere Vorstellung von Freiheit behaupten und durchsetzen?
Für diesen weltweiten Wettbewerb brauchen wir Verbündete, mit denen wir diese Prinzipien und diese Werte teilen. Das sind zuallererst unsere Nachbarn: unsere europäischen Nachbarn, die Europäische Union. Hier teilen wir die gleichen Werte. Diese gilt es zu stärken – für Freiheit, für Demokratie, für Pluralität, für den Rechts- und Sozialstaat sowie für die Soziale Marktwirtschaft.
Das waren die entscheidenden Grundlagen für die positive Entwicklung in ganz Europa nach 1945 und nach 1989. Besonders in einer Zeit, in der so verschiedene Meinungen und Positionen, in der es zahlreiche und komplexe Heraus
forderungen gibt, braucht es profilierte Farben im Sinne erkennbarer Positionen. Diese müssen begründet und sachlich formuliert werden.
In den Parlamenten muss darüber bei klar definierten Spielregeln gestritten werden. Streit im Parlament ist nichts Schlechtes; nein, es ist ein Wesenskern unserer parlamentarischen und repräsentativen Demokratie. Dieser Streit dient der Suche nach der besten Lösung für die Menschen im Land zu den drängenden Fragen unserer Zeit: Wie können die weltweiten Migrationsströme gesteuert werden? Wie können Fachkräfte gezielt nach Deutschland geholt werden? Wie kann unsere Wirtschaft innovativ und an der Weltspitze bleiben? – Damit erarbeiten wir uns Vertrauen bei der Bevölkerung.
Bei allen Herausforderungen sollten wir uns immer unserer Stärken bewusst sein und uns nicht von gezielter negativer Einflussnahme beirren lassen. Wir sind ein starkes Land. Wir sind eine starke Demokratie. Wir haben einen starken Rechtsstaat. Wir haben einen starken Sozialstaat. Wir haben starke, kluge und engagierte Menschen. Lassen Sie uns auf diesem stabilen und starken Fundament die zahlreichen Herausforderungen meistern und unsere Gesellschaft weiterentwickeln. Begreifen wir unterschiedliche Auffassungen und Meinungen als einen Schatz der Demokratie. Der sachliche Diskurs ist Grundlage dafür. Lassen wir uns alle in diesem Hohen Haus genau diesen Diskurs für Sachsen führen.
(Beifall bei der CDU, der SPD und vereinzelt bei den BÜNDNISGRÜNEN – Beifall bei der Staatsregierung)
Wir wären am Ende unserer ersten Aktuellen Debatte angekommen, wenn da nicht noch eine Kurzintervention wäre. Bitte, Herr Kollege Wippel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Leider hat Herr Staatsminister Schenk meine Frage nicht zugelassen. In dieser Debatte und gerade in Ihrem Redebeitrag sind Sie darauf eingegangen, wie wichtig es für die Demokratie ist, dass wir miteinander reden, dass wir Dinge aushandeln. Das ist doch genau das, wofür sich Leute zum Beispiel in Parlamente wählen lassen, wofür Menschen für Gemeinderäte, Ortschaftsräte oder Kreisräte antreten. Das betrifft gerade die Kommunalpolitik. Wenn Sie aus Prinzip eine
Brandmauer errichten und wenn aus Prinzip mit bestimmten relevanten Teilen – nämlich mit über einem Drittel der Räte – gar nicht geredet wird, dann führt das am Ende des Tages dazu, dass diese Leute die von Herrn Dierks angesprochene Selbstwirksamkeit überhaupt nicht wahrnehmen.
Die Kollegen können noch so sachliche Anträge schreiben, die am Gemeinwohl orientiert sind und sich mit den konkreten Fragen der Bürger vor Ort beschäftigen, aber Sie sind es, die fordern, dass genau diese Debatte nicht stattfindet.
Dann wundern Sie sich, dass seit Jahren das Vertrauen in die Politik und die repräsentative Demokratie schwindet. Das heißt: Das, was Sie hier einfordern, sind nur wohlfeile Worte.
Das, was Sie tatsächlich leben, ist genau das Gegenteil davon. Es ist klar, dass das dazu führt, dass diese Menschen, gerade wenn sie von der konservativen, freiheitlichen Seite kommen, die Selbstwirksamkeitsempfindung nicht mehr haben. Dann gehen die Leute auf die Straße und sagen: „Was soll das denn mit diesen ganzen Parlamenten, wenn ihr sowieso nicht mit uns redet?“
Das erleben wir natürlich auch hier; denn aus Prinzip wird dagegen gestimmt. Das wissen wir auch von den LINKEN,